Nachhaltige Nutzungskonzepte für die langfristige Sicherung der Lebensqualität die Rolle der Leibniz-Gemeinschaft
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- Kathrin Michel
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1 Impulsreferat Prof. Dr. Dr. h. c. Bernhard Müller, Leibniz-Gemeinschaft Nachhaltige Nutzungskonzepte für die langfristige Sicherung der Lebensqualität die Rolle der Leibniz-Gemeinschaft Nachhaltigkeit und regionale Vernetzung Das Thema Nachhaltigkeit ist für die Leibniz-Gemeinschaft ein Thema von großer Bedeutung. Der Bezug zur Region ist dabei in zweifacher Hinsicht von Relevanz: zum einen steht Region für regionale Vernetzung von Forschung und Innovation und zum anderen beschäftigen sich Leibniz-Institute mit vielfältigen Fragen einer nachhaltigen regionalen Entwicklung. Zur regionalen Vernetzung: Die Leibniz-Gemeinschaft mit ihren derzeit 84 Einrichtungen mit knapp Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich in fünf Sektionen gliedern (Sektion A: Geisteswissenschaften und Bildungsforschung, Sektion B: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Raumwissenschaften, Sektion C: Lebenswissenschaften, Sektion D: Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften, Sektion E: Umweltwissenschaften), sowie einem Gesamtetat von jährlich insgesamt etwa 1,1 Mrd. Euro ist ein dezentral strukturiertes Netz der außeruniversitären Forschung. Dieses Netz die nach unserer Ansicht modernste und für die Zukunft vielversprechendste Organisationsform für Wissenschaft überhaupt hat eine starke Bindung an regional verankerte Universitäten und andere Forschungseinrichtungen. Damit entstehen leistungsfähige Cluster für Forschung und Innovation nicht nur, aber insbesondere auch in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit. Leibniz-Institute selbst tragen dabei in Kooperation mit anderen Einrichtungen zur nachhaltigen regionalen Entwicklung (im Sinne innovationsorientierter Regionalentwicklung) bei. Zu erwähnen wäre hier zum Beispiel der Materialforschungsverbund Dresden, ein Zusammenschluss von drei Leibniz-Instituten, vier Fraunhofer-Instituten, einem Max-Planck- Institut und Lehrstühlen der Technischen Universität am Standort Dresden mit hohem Anwendungsbezug und hoher Relevanz für die Industrie. Ein weiteres Beispiel ist die Kooperation am Standort Berlin-Adlershof: Die JENOPTIK Diode Lab GmbH hat Ende August in Berlin-Adlershof direkt neben dem Ferdinand-Braun-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH) den Grundstein für ein neues Produktionsgebäude für Laserdioden gelegt. Die Diode Lab ist im Februar 2002 als Spin-off aus der engen Kooperation zwischen Jenoptik und dem FBH hervorgegangen. Sie ist ein Beispiel für erfolgreichen Know-how- und Technologietransfer: Das junge Unternehmen fertigt optoelektronische Halbleiterbauelemente für Diodenlaser und nutzt dabei Forschungsergebnisse des Ferdinand-Braun-Instituts. In der neuen Produktionsstätte der Diode Lab werden 3-Zoll-Gallium-Arsenid-Wafer (GaAs) in einem für die Halbleiterfertigung typischen Prozess strukturiert und dann in Jena zu Hochleistungs-Diodenlasern weiter verarbeitet. Über den eigenen Bedarf der Jenoptik hinaus sollen weitere Kunden mit den 1
2 Halbleiterchips beliefert werden. Mit dem Produktionsstart im Sommer 2006 sollen in Adlershof 40 neue Arbeitsplätze entstehen. Zur nachhaltigen regionalen Entwicklung: Eine Vielzahl von Leibniz-Instituten - insbesondere aus den Sektionen B und E - beschäftigen sich unmittelbar mit dem Thema Nachhaltigkeit in Regionen. Dies zeigt u. a. ein Blick auf die Projekte von Instituten, die derzeit im Rahmen des BMBF-Forschungsprogramms Forschung für Nachhaltigkeit (fona) bearbeitet werden. Darüber hinaus gibt es aber auch eine Vielzahl von insbesondere auch anwendungsorientierten Projekten, die regionale Nachhaltigkeitsansätze zum Gegenstand haben oder Vorhaben zur nachhaltigkeitsorientierten regionalen Entwicklung und Innovation, z. B. die vom Bund initiierten Vorhaben zu Themen wie Stadt 2030 und Innoregio (BMBF) oder Regionen der Zukunft (BMVBW), begleiten oder begleitet haben. Daten und Fakten zur Nachhaltigkeitsforschung der Leibniz-Gemeinschaft Nun zu Beispielen aus der Nachhaltigkeitsforschung der Leibniz-Gemeinschaft: Lassen Sie mich zunächst einige allgemeine Daten und Fakten nennen: Von den 1,1 Milliarden Euro Gesamtbudget der Leibniz-Gemeinschaft entfallen mindestens 140 Millionen Euro pro Jahr auf Nachhaltigkeitsforschung im engeren Sinn. Das sind 15 % des Gesamtbudgets. Diesen Zahlen liegt eine enge Definition des Nachhaltigkeitsbegriffs zugrunde (Umwelt- und Naturschutz plus angrenzende Gebiete, Regionalentwicklung). Unter den 84 Leibniz-Instituten finden sich 12 Institute, deren Forschungsprogramm ganz oder überwiegend in das Feld Forschung für Nachhaltigkeit gehört. Wichtig ist aber: Wenn wir den Begriff weiter fassen, also zum Beispiel allein schon die nachhaltige Sicherung der ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit hinzunehmen oder nachhaltige Entwicklung durch technologische Innovationen und die Medizin (z.b. im Sinne einer nachhaltigen Gesundheitsvorsorge) hinzurechnen, dann kann man sagen, dass ca. 2/3 des Budgets der Leibniz-Gemeinschaft für die Nachhaltigkeitsforschung aufgewendet werden und dies, wie bereits oben gesagt, häufig in regionaler Vernetzung mit Hochschulen und anderen außeruniversitären Einrichtungen. Beispiele zur Nachhaltigkeitsforschung der Leibniz-Gemeinschaft Lassen Sie mich aus der Nachhaltigkeitsforschung der Leibniz-Gemeinschaft (basierend auf den Angaben für das Jahr 2004) einige Beispiele nennen: Umweltwissenschaften Im Bereich der Umweltwissenschaften treffen wir zunächst auf Fragen, die traditionell, insbesondere in der öffentlichen Meinung, mit dem Thema Nachhaltigkeit in Verbindung gebracht werden. In den insgesamt 9 Instituten der Sektion Umweltwissenschaften mit einem Etat von 146 Mio. Euro arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Themen sind zum Beispiel: nachhaltige Landnutzung, angewandte Geowissenschaften (erneuerbare Energien, Nutzung von Erdwärme), Meeresforschung, Troposphärenforschung, ökologische Grundlagen für ein nachhaltiges Gewässermanagement, ökologischer Pflanzenbau, Klimafolgenforschung. Von den Instituten der Sektion E ging die Initiative zum Zwischenruf aus, einem Forum für wissenschaftliche Politikberatung zu Nachhaltigkeitsthemen. 2
3 Zwei Beispiele aus diesem Bereich sollen die Arbeit illustrieren: Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; 9,7 Mio. Euro. Im PIK arbeiten Natur- und Sozialwissenschaftler zusammen, um den globalen Klimawandel und seine ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen zu untersuchen. Sie erforschen die Belastbarkeit des Erdsystems und entwerfen Strategien für eine zukunftsfähige Entwicklung von Mensch und Natur. Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung, Müncheberg (ZALF, Sektion E) 307 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; 21,9 Mio. Euro. Das ZALF befasst sich mit der wissenschaftlichen Erforschung von Agrarlandschaften und der Entwicklung ökologisch und ökonomisch vertretbarer Landnutzungssysteme. Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Raumwissenschaften Netzwerk der raumwissenschaftlichen Institute (4R-Netzwerk) Ich will mit einem Bereich fortfahren, der mir besonders gut vertraut ist, den Raumwissenschaften. Hier wurde vor einigen Jahren ein Forschungsverbund gegründet, dessen Themen sich der Nachhaltigkeit widmen, das so genannte 4R-Netzwerk, das Netzwerk der vier raumwissenschaftlichen Institute, bestehend aus der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) mit Sitz in Hannover, dem Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) in Leipzig, dem Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner (bei Berlin) sowie meinem eigenen Institut, dem Leibniz- Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden. Jedes dieser Institute ist gleichzeitig regional mit den jeweiligen Universitäten vernetzt. Die Aufgabe des 4R-Netzwerks: zu einer nachhaltigen räumlichen Entwicklung beizutragen. Die vier raumwissenschaftlichen Leibniz-Einrichtungen untersuchen gesellschaftliche und physische Strukturen auf unterschiedlichen Maßstabsebenen. Ihre Arbeiten bilden die Voraussetzung für die anwendungsorientierte Erarbeitung von Konzepten, Handlungsvorschlägen und Politikberatung. Die Untersuchungsräume sind vorrangig der deutsche Raum, die EU sowie der mittel- und osteuropäische Raum. Das Ziel ist, eine wirksame Steuerung und Planung räumlicher Entwicklungen zu fördern sowie Empfehlungen für eine sozial- und umweltgerechte Entwicklung auszusprechen. Im IÖR bearbeiten wir u. a. auch in Zusammenarbeit mit einer Reihe von Partnern, so dem Umweltforschungszentrum Leipzig/Halle (UFZ) der Helmholtz-Gemeinschaft zum Beispiel Fragen des Flächennutzungswandels und alternativer Ansätze der Flächensteuerung. Oder: Mit Einrichtungen des vor einigen Jahren gegründeten Dresden Flood Research Centers (Mitglieder sind u. a. die TU Dresden und das UFZ) haben wir ein Vorhaben zu Veränderungen und zum Management der Risiken extremer Hochwasserereignisse in großen Flussgebieten (am Beispiel der Elbe) initiiert. Hinzu kommen Fragen des soziodemographischen Wandels und seiner Folgen für eine nachhaltige und ressourcenschonende Siedlungsentwicklung. Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Einrichtungen 3
4 Aber auch weitere Beispiele aus der Sektion B sind bemerkenswert: So forschen zum Beispiel wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Einrichtungen z. B. das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das ifo-institut für Wirtschaftsforschung (ifo), das Rheinisch- Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und andere zu Fragen von Emmissionshandelssystemen, zur Umweltwirtschaft in Regionen, zur nachhaltigen Entwicklung der Sozialsysteme, zu Sustainable Governance und zum Hochwassermanagement. Lebenswissenschaften Andere Beispiele sind aus dem Bereich der Lebenswissenschaften zu nennen. Zoologisches Forschungsinstitut und Museum Alexander Koenig, Bonn (ZFMK) 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; 8,9 Mio. Euro Budget. Das gesamte wissenschaftliche Personal des Instituts arbeitet für denselben staatlichen Auftrag: die Artenvielfalt der Erde zu erfassen, die Biologie der Arten zu erforschen und damit die Grundlage zur Erhaltung der Arten zu legen (ca. 95 % der Arten sind noch nicht wissenschaftlich erfasst). Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg, Frankfurt/Main (FIS) 260 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; 20,4 Mio. Euro Budget. Hier geht es um die Inventarisierung der terrestrischen Biodiversität und Forschung zum Erhalt der Biosphäre. Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) Im BNI ist im Jahr 2004 die Erstidentifikation des SARS-Erregers gelungen, es geht im Institut um die Erforschung und Bekämpfung von Tropenkrankheiten (Malaria, Flussblindheit etc). Es leistet einen wichtigen Beitrag zur Entwicklungshilfe und zum Schutz der Deutschen vor eingeschleppten Krankheiten (Ferntourismus). Hier findet sich das einzige Labor der höchsten Sicherheitsstufe in Deutschland. Es ist gleichzeitig das nationale Referenzzentrum für tropische Krankheitserreger. Leibniz-Institut für Altersforschung in Jena Es handelt sich um das erste nationale Altersforschungsinstitut in Deutschland. Erforscht werden biochemische Prozesse des Alterns; Ziel ist die Heilung bzw. die Linderung von altersdegenerativen Erkrankungen. Erforscht werden molekularbiologische Prozesse des Alterns. Das Institut ging hervor aus dem Institut für molekulare Biotechnologie (IMB), das im Humangenomprojekt aktiv war. Mein Kollege, Direktor Herrlich, sagt dazu: Alzheimer wird irgendwann heilbar sein. Altersforschung ist ein kommendes Megathema". Notwendigkeit der Vernetzung All diese Beispiele zeigen, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Leibniz-Gemeinschaft in einer Art und Weise bearbeitet wird, die weit über das häufig in der Öffentlichkeit anzutreffende traditionelle Verständnis von Nachhaltigkeit im Sinne eines Umweltthemas, d. h. einer ökologischen Nachhaltigkeit, hinausgeht. Die Beispiele aus den unterschiedlichsten Arbeitsbereichen innerhalb der Leibniz- Gemeinschaft zeigen aber auch, dass die Vernetzung und themenorientierte Bündelung von Ergebnissen innerhalb der Gemeinschaft ein Gebot der Gegenwart ist, um Entwicklung 4
5 nachhaltig zu gestalten. Der sich gegenwärtig konstituierende Arbeitskreis Nachhaltigkeit innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft wird diese Aufgabe übernehmen. In diesem Zusammenhang soll auch erwähnt werden, dass unter dem Dach der Partner für Innovation Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam mit MPG und DFG an neuen Konzepten der Clusterbildung arbeiten. Im Februar soll ein Innovationsforum in Berlin zum Thema stattfinden. Perspektiven Fasst man die Daten und Fakten sowie die genannten Beispiele zur Nachhaltigkeitsforschung der Leibniz-Gemeinschaft zusammen, so kann man feststellen, dass es vielfältige Ergebnisse gibt, die die Entwicklung in der Zukunft verändern werden. Insbesondere ist damit auch ein größeres Verständnis für ein Verhalten erzeugt worden bzw. kann erzeugt werden, das Fragen der Nachhaltigkeit in einem engeren und weiteren Sinn in stärkerem Maße berücksichtigt. Ob dies im gesellschaftlichen Diskussionsprozess aber auch tatsächlich nachhaltige Wirkungen zeigt, kann damit noch nicht beantwortet werden. Fragt man nach den aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklungen, die Chancen und Herausforderungen für die Forschung für Nachhaltigkeit darstellen, so sind vor allem die folgenden Themen zu nennen: Demografischer Wandel, Alterung der Industriegesellschaften, Zunahme der Lebenserwartung. Das Thema wird bereits angepackt: Man denke an das Beispiel des Leibniz-Instituts für Altersforschung in Jena und andere Initiativen, z. B. der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen sowie der raumwissenschaftlichen Einrichtungen. Forschung für Nachhaltigkeit ergibt sich aus einem gesellschaftlichen Bedarf an bestimmten Forschungsleistungen, ist also nicht wissenschaftsimmanent getrieben. Das hat zur Folge, dass die disziplinären Strukturen der Wissenschaft in der Regel inf Nachhaltigkeitsforschung nicht anwendbar sind. Darum sind nachhaltige Forschungsprojekte zumeist interdisziplinär. Und alles, was interdisziplinäre Zusammenarbeit erleichtert, erleichtert damit auch Nachhaltigkeitsforschung. Dazu wäre zu zählen: Abkehr von streng disziplinären Förderwegen (DFG), Ermutigung zu interdisziplinärem Arbeiten, Erweiterung der Ausbildungsinhalte in der Wissenschaft, Bewusstsein bei den Wissenschaftlern für die verschiedenen Fachsprachen zu wecken etc. Ich glaube nicht, dass sich pauschal sagen lässt, wie und mit wem (z. B. Wirtschaft, Bildung etc.) sich Forschung für Nachhaltigkeit weiter vernetzen muss, um größere Wirkung zu entfalten. Was Forschung für Nachhaltigkeit ist, wird erst am konkreten Projekt klar. Erhalt der Biodiversität in Afrika hat zum Beispiel mit nachhaltiger Landnutzung in Europa wenig zu tun. Der Vernetzungsbedarf ergibt sich aus dem konkreten Vorhaben. Forschung für Nachhaltigkeit hat in ihren Ergebnissen idealerweise oft gesellschaftliche Implikationen. Sie begegnet dann denselben Herausforderungen, denen sich wissenschaftliche Politikberatung allgemein gegenüber sieht. Daraus ergibt sich ein Vernetzungsbedarf mit Politik und Medien. Das wiederum verlangt von den Wissenschaftlern eine klare Sprache - und auch den Mut zur zugespitzten These. 5
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