ADHS Aufmerksamkeitsdefizit / Hyperaktivitätsstörung Diagnostik, Differentialdiagnostik, Pädagogik und Therapie
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- Johann Solberg
- vor 8 Jahren
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1 ADHS Aufmerksamkeitsdefizit / Hyperaktivitätsstörung Diagnostik, Differentialdiagnostik, Pädagogik und Therapie Berufliche Förderung psychisch erkrankter junger Menschen Geht nicht...gibt`s nicht! November 2011, Kassel Dipl.-Psych. Hanna E. Buck, Schorndorf Priv.-Doz. Dipl.-Psych. Dr. med. Christian M Wolff, Hagen
2 Überblick Symptomatik Ursachen: neurobiologischer Hintergrund Pathophysiologie eine lebenslange Betroffenheit Diagnostik Multimodale Behandlung Fazit 2
3 ,,Das Recht auf ein gescheitertes Leben ist unantastbar Amélie
4 Die typischen Kernbereiche der ADHS Aufmerksamkeitsstörung Hyperaktivität Impulsivität Heinrich Hoffmann (1846) Merkmale medizinhistorische Betrachtungen Ätiologie Neurobiologie Pathophysiologie lebenslängliche Störung Diagnose Pädagogik Therapie Conclusio 4
5 Das Beispiel Hermann Hesse Seine Biographie: Eine Gratwanderung zwischen Genie und Scheitern Aus Büchern und hinterlassenen Dokumenten: mit 1 Jahr: Hermann klettert verwegen auf Trippel, Bänkchen und Tischchen herum und gibt den Engelein Arbeit, ihn zu hüten mit 4 Jahren: Hermann geht in die Kinderschule, sein heftiges Temperament macht uns viel Not. Dabei ist er so drollig und oft so zart mit 5 Jahren: Wenn ich nur jemand draußen den Namen Hermann nennen höre, ist mir s schon Angst, was wieder los sei mit 12 Jahren: Gott gebe, dass unser Hermann dort (auf der neuen Lateinschule) pariert und sich bessert in Fleiß und Sitten mit 15 Jahren: kein boshafter Plan zum Fortlaufen, sondern ein plötzlicher Rappel, kam er mit 8 Stunden Karzer davon Merkmale medizinhistorische Betrachtungen Ätiologie Neurobiologie Pathophysiologie lebenslängliche Störung Diagnose Pädagogik Therapie Conclusio 5
6 Das Beispiel Hermann Hesse Beginn und Abbruch einer zweiten Buchhandelslehre Stigmatisierung als Faulenzer, Tunichtgut, abschreckendes Beispiel Suchtgefährdung Mutter bei seiner Volljährigkeit (21 Jahre): Bei manchen unserer Kinder haben wir ja tief unten durch müssen. Was da ein Elternherz durchmacht, weiß Gott, aber von Menschen nur, wer Ähnliches erlebt! Hermann Hesse erhielt 1946 (mit 69 Jahren) den Nobelpreis für Literatur (Hermann Hesse war `kein ADHSler`, er erhielt weder Diagnose noch Behandlung; und was wäre heute? ) Merkmale medizinhistorische Betrachtungen Ätiologie Neurobiologie Pathophysiologie lebenslängliche Störung Diagnose Pädagogik Therapie Conclusio 6
7 Prävalenz-Zusammenfassung Huss, M., Charite, 2003; Lebenszeitprävalenz = 4,8% Zusätzlich 4,9% Verdachtsfälle Deutliche Geschlechtseffekte Moderate Schichteffekte Kein Ost-West-Effekt! Kein Stadt-Land-Effekt!
8 ADHS Eckpfeiler leitlinienorientiert Ätiologie Neurobiologie Entwicklungspsychologie Life-long-condition Diagnostik multiaxial Handlung / Therapie multimodal
9 ADHS Genetische Dispositionen Begabungen/Temperament IQ neurobiologische Funktionsstörung In Wechselwirkung mit: Gesellschaftlich-historische Soziales (Nah-) Leistungsanforderungen Zeit; kuturelle Normen; Umfeld (schulisch; beruflich; ) technologisches Umfeld; ethische Gesundheitssystem Aspekte; Erziehungsstil; dimensional /Kontinuum grüner Ausprägungsgrad roter Bereich Verhaltensauffälligkeiten Bereich Situations-Kontext
10 Symptomatik Drei Core-Symptombereiche (Unaufmerksamkeit, Impulsivität; Hyperaktivität) Unspezifische Symptomatik dimensionale Erfassung von syndromtypischem Verhalten Symptomatik unabhängig von Intelligenz, sozialer Schicht, Intelligenz und Kulturzugehörigkeit Symptomverhalten im Gesamtkontext beurteilen entwicklungspsychologische Relevanz der Core-Symptome überwiegend lebenslange Betroffenheit Abweichungen in Bereichen autonomer Selbstregulation Spezifische Ressourcen beachten
11 Ressourcen - viel Sinn für Neues und Aufregendes (...und wenig bis gar keinen für Eintöniges) - ein Elefantengedächtnis für alte Geschichten (...aber leider kaum ein Kurzzeitgedächtnis) - finden immer neue Wege und Lösungen - können blitzschnell reagieren (...und gewöhnen sich nur sehr schwer an Regeln) (...aber schlecht länger anhaltende, gleichmäßige Belastungen oder Anstrengungen aushalten) - können sehr schnell Menschen und Situationen einschätzen (...aber schwer relevante Reize von unwichtigen unterscheiden) - oft kreativ, humorvoll, witzig, warmherzig und sehr hilfsbereit (...aber merken schlecht, was andere Menschen sich wünschen oder ablehnen).
12 ADHS - Ätiologie ADHS hat multifaktorielle Ursachen exogene Faktoren genetische Faktoren gesellschaftliche Faktoren Merkmale medizinhistorische Betrachtungen Ätiologie Neurobiologie Pathophysiologie lebenslängliche Störung Diagnose Pädagogik Therapie Conclusio 12
13 Ursachen mind. 25jährige internationale Forschungstradition zu ADHS Polygenetisch vererbte Vulnerabilität Neurobiologisch bedingte Unterschiede in der Entwicklung und Funktion des Gehirns (dopaminerge/noradrenerge Neurotransmittersysteme)
14 ADHS - Ätiologie Genetische Faktoren ADHS wird zu 65-90% auf genetische Ursachen zurückgeführt. 1 Geschwister und Eltern haben ein 3-5fach erhöhtes Risiko für ADHS. 2 ADHS beruht nicht auf Veränderungen einzelner Gene, sondern auf Wechselwirkungen mehrerer Gene (polygenetisch/additiv) und/oder Wechselwirkungen von genetischen und exogenen Faktoren!""#$%%&'("))# *+,-!.-/0!"""$1%') Merkmale medizinhistorische Betrachtungen Ätiologie Neurobiologie Pathophysiologie lebenslängliche Störung Diagnose Pädagogik Therapie Conclusio 14
15 Neurobiologie
16 ADHS - Pathophysiologie Der Neurotransmitter Dopamin Präsynaptisch: Abgabe von Dopamin 6 Bindung an Dopamin- Rezeptoren (DRD) Postsynaptisch: Reizweiterleitung Wiederaufnahme durch Dopamin- Transporter!2! &4,+'( 4 /5 &4/4( Bei ADHS: 80% erhöhte Dopamin-Transporterdichte Merkmale medizinhistorische Betrachtungen Ätiologie Neurobiologie Pathophysiologie lebenslängliche Störung Diagnose Pädagogik Therapie Conclusio 16
17 Folgen des Dopamin-Mangels: Störung der Exekutiven Funktionen (EF) dienen der Verhaltenssteuerung, integrieren und priorisieren den Ablauf von kognitiven Prozessen Aktivierung und Focusierung Arbeitsgedächtnis Planung und Organisation Anstrengung und Arbeitsgeschwindigkeit
18 Diagnostik Experten-Diagnostik -> Leitlinien der Fachverbände 1. Begründete Verdachtsdsdiagnose 2. Eingangs-Screening 3. ADHS - Diagnostik / Differentialdiagnostik (Ausschlussdiagnostik) 4. Multiaxiale Diagnostik und therapierelevante Faktoren Anerkannte Diagnosesysteme: ICD-10 und DSM-IV; Zentrale Qualitätsstandards - Verhaltensbeobachtung und konkrete Verhaltensbeschreibung - Biografische Anamnese - Fremdanamnese - Erhebung intellektueller Fähigkeiten / emotionale Befindlichkeit - somatisch-neurologischer Basisbefund (Baseline) - Labor, EKG und ggf. EEG - Ausschlussdiagnostik - gemeinsame Problemdefinition ADHS ist eine klinische Diagnose
19 Differentialdiagnose des ADHS Mit was können ADHS-Symptome verwechselt werden? 1. Altersgemäße " normale" Hyperaktivität 2. Emotionale Belastung in Krisensituationen 3. Intelligenzminderung bei Lernbehinderung bis zur geistigen Behinderung 4. Chaotisches Familiensystem 5. Tiefgreifende Entwicklungsstörungen (aber: in Kombination mit ADHS möglich) 6. Auffälligkeiten als NW von Medikamenten allgemein 7. Schizophrenie/bipolare episodische Störungen 8. Drogenmissbrauch 9. Isolierte Vigilanzstörungen; Schlafstörungen; KiSS-Syndrom
20 Hauptprobleme - Selbstwertgefühl - Aktivitäts- und Affektsteuerung - soziale Beziehungen Selbstwahrnehmung Selbstwirksamkeit dauerhaft negative Rückmeldungen ambivalent unsicheres Selbstbild Selbstwertgefühl schwach mangelhafte Selbstdarstellung und soziale Kompetenz
21 ADHS: eine lebenslange Störung Grundschulalter ca. 5 6% aller Kinder Schulschwächen Klassenkasper motorische Unruhe Impulsivität Aufsässigkeit Aggressivität soziale Defizite und Ausgrenzung Jugendalter ca % davon noch mit Kernsymptomatik mäßiger Schulabschluss Affektprobleme Selbstwertprobleme Beziehungsprobleme Drogenkonsum Jugendkriminalität riskantes Fahrverhalten Beginn komorbider Störungen Erwachsenenalter etwa 50% behalten Störungen bei geringerer beruflicher Status/Beschäftigung Organisationsdefizite Alkohol- /Nikotinsucht Risikobereitschaft Delinquenz Schneller Stimmungswechsel Emotionale Übererregbarkeit Merkmale medizinhistorische Betrachtungen Ätiologie Neurobiologie Pathophysiologie lebenslängliche Störung Diagnose Pädagogik Therapie Conclusio 21
22 Psychosoziale Funktionsstörungen Sobanski, ZI Mannheim, 2005 Biedermann et al, 1993, n=84, 38,9J. / Murphy et al, 2002, n=96, 21,1J. / Barkley et al, 2002, n=171, 20-26J.
23 Erklärung und Aufklärung Handlung Buck 2011 Multimodale Therapie (neuro-kognitiver Therapieansatz) Spezifische verhaltenstherapeutische, psychotherapeutische, pädagogische und körperorientierte Interventionen; spezifisches Coaching (Therapeut als ADHS-verstehende Bezugsperson) Training von Alltagsfertigkeiten (Skills Training) Pharmakotherapie (Medikamentenmanagement und - Monitoring!) Umfeldbedingungen (beachten / verbessern / ändern) Interdisziplinäre Zusammenarbeit!
24 Medikation/Pharmakologie Indikation: hoher Leidensdruck Notwendige Voraussetzungen: leitlinienorientierte Experten-Diagnostik Begleitung, Beratung, Therapie Medikamentenmanagement und - monitoring Stimulantien - Wirkstoff: Methylphenidat (MPH) Nicht-Stimulantien - Wirkstoff: Atomoxetin Medikamente bieten oft erst die Basis, damit pädagogische Interventionen überhaupt wirken können
25 Fazit ADHS als neuro-biologische Funktionsstörung mit hoher genetischer Komponente ADHS ist nicht durch falsche Erziehung verursacht funktionalen Probleme können lebenslang bestehen ADHS-Probleme gehen auch unter Medikation nicht gegen Null Beachte: Vermeidungsverhalten bleibt Verschränkung von Medizin und Pädagogik
26
27 Danke für Ihre konzentrierte Aufmerksamkeit Dipl.-Psych. Hanna E. Buck Untere Str. 6/ Schorndorf PD Dipl.-Psych. Dr. med. Christian M. Wolff Cunostr. 46 A Hagen drcw@dr-wolff.de
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