Marlen Schachinger Hertha Firnberg. Eine Biographie
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- Caroline Kranz
- vor 8 Jahren
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1 Marlen Schachinger Hertha Firnberg Eine Biographie
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3 Inhalt Vorwort von Heinz Fischer Hertha Firnbergs Wurzeln Worüber man/frau nicht spricht I: Jüdische Herkunft Vom BSM über den VSStÖ zum BSA Worüber man/frau nicht spricht II: Gescheiterte Ehe Worüber man/frau nicht spricht III: Leben während der NS-Zeit...34 Kleider machen Frauen aber erst in zweiter Linie Faszination Universität Worüber man/frau nicht spricht IV: Zweite Ehe & Lebenspartnerschaft...52 In der AKNÖ Faszination Statistik Weitere Leidenschaften einer Politikerin...61 Hertha Firnbergs Schwester Trude Beginn der politischen Tätigkeit Hertha Firnbergs...71 Förderer & Fördererinnen Vorbilder...71 Erste Jahre in der Bundespolitik Im Nationalrat ( ) & die»ära Kreisky« Hertha Firnberg & die Frauenpolitik Frauenpolitische Ansichten & Bestrebungen Jeder Zeit ihre Arten der Frauenpolitik? Reformen der 1970er Jahre im Familien- & Strafrecht Feminismus im Parlament? Zur Frage der»tanzenden Emanzen« Geschlecht & Sprache Sexismus im Parlament Die Quote Hertha Firnberg & Bruno Kreisky Hertha Firnberg & das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung ( ) Beginn der Reformen Das Humanprogramm Ausgangspunkt & erste Schritte Ministerin für Wissenschaft und Forschung
4 Wissenschaft im Dienst der Gesellschaft Das UOG Die viel diskutierte Drittelparität Freiheit der Wissenschaft! Freiheit der Kunst? Forschung Schon seit der Kindheit das Fernweh Museen, Sammlungen, Bibliotheken & Denkmalschutz Reaktionen auf Firnbergs Arbeit als Ministerin Das Erbe Hertha Firnbergs oder die heiligen Kühe Zu Hertha Firnbergs Erinnerung gestiftet/gegründet/benannt Pension ohne Ruhestand Preise und Auszeichnungen Quellen Dank Anmerkungen Personenindex
5 Vorwort von Heinz Fischer Die Zweite Republik wird allgemein als»erfolgsstory«betrachtet. Österreich hat den Wiederaufbau aus den Trümmern der Kriegsschäden, aber auch den politischen Wiederaufbau als stabile Demokratie eindrucksvoll geschafft. Die Österreicherinnen und Österreicher haben sich einen hohen Lebensstandard erarbeitet und sind heute ein geachtetes Mitglied der europäischen Familie. Eine Reihe»objektiver Faktoren«hat dazu beigetragen, dass sich die Zweite Republik so positiv und wohltuend von der Ersten Republik unterscheidet. In der Tat sind die Rahmenbedingungen unvergleichlich besser. Aber man sollte auch den»subjektiven Faktor«nicht gering schätzen: Die Männer und Frauen, die in der Zweiten Republik in politisch wichtigen Funktionen tätig waren, hatten sicher ebenso ihren Anteil an deren positiver Entwicklung. Sie hatten aus Fehlern der Vergangenheit gelernt, sie hatten die Schrecken der Diktatur und den Wert der Demokratie aus eigener Anschauung kennengelernt und sie hatten verstanden, dass die parlamenta rische Demokratie auf politische Parteien nicht verzichten kann, aber dass es ein den Interessen der Parteien übergeordnetes Staatswohl gibt. Ich habe mir daher schon oft gedacht: Verschiedene Persönlichkeiten, die zur positiven Entwicklung der Zweiten Republik wichtige Beiträge geleistet haben, würden es verdienen, dass ihr Lebenswerk und ihr Beitrag zum Gemeinwohl genauer beleuchtet, beschrieben und analysiert werden. Eine dieser Persönlichkeiten war zweifellos Hertha Firnberg, die am 18. September 1909 geboren wurde, sodass sie alle drei Perioden unserer Republik erlebte, wobei im September 2009 ihr 100. Geburtstag zu feiern sein wird. Ich begrüße es daher sehr, dass Frau Mag. a Marlen Schachinger mehr als zwei Generationen jünger als Hertha Firnberg nunmehr eine Biographie dieser bemerkenswerten Frau vorlegt. *** 7
6 Als ich 1962 im Parlament als Sekretär des damaligen Zweiten Präsidenten des Nationalrates Erich Hillegeist (der ebenfalls eine Würdigung in Form einer Biographie verdienen würde) zu arbeiten begann, lernte ich ein breites Spektrum von Persönlichkeiten aus den Anfangsjahren der Zweiten Republik kennen: Der frühere Bundeskanzler Leopold Figl war damals noch Nationalratspräsident; zu den Mitgliedern des Nationalrates, die ich als junger Parlamentsbeamter kennenlernen und bewundern durfte, gehörten unter anderem der spätere Gewerkschaftspräsident Anton Benya, die ehemalige Widerstandskämpferin Maria Emhart, der liberale Freiheitliche Willfried Gredler, der berühmte Südtirol-Experte und Verfassungsrechtler Franz Gschnitzer, ÖVP-Gründungsmitglied und ÖVP-Generalsekretär Dr. Felix Hurdes, die unvergessliche Rosa Jochmann, der spätere Bundespräsident Franz Jonas, der»staatsvertragskanzler«julius Raab, die Sozialpolitikerin Grete Rehor (die später das erste weibliche Regierungsmitglied in Österreich sein sollte), der spätere Außenminister Lujo Tončič-Sorinj sowie der spätere Vizekanzler Hermann Withalm. Die Bundesregierung stand Anfang 1962 noch unter dem Vorsitz von Alfons Gorbach, Bruno Pittermann war Vizekanzler, Heinrich Drimmel Unterrichtsminister, Fritz Bock Handelsminister, Karl Waldbrunner Verkehrsminister, Bruno Kreisky Außenminister, Christian Broda Justizminister und Anton Proksch Sozialminister. In diesem Jahr 1962 lernte ich auch Hertha Firnberg kennen, die damals Mitglied des Bundesrates war und erst ein Jahr später in den Nationalrat aufrückte. Ich habe in meinem Buch»Reflexionen«eine meiner ersten Begegnungen mit Hertha Firnberg in ihrem kleinen Büro in der Niederösterreichischen Arbeiterkammer beschrieben. Sie war eine selbstbewusste, kluge und energische Frau mit weitgespannten Interessen. Besondere Aufmerksamkeit widmete sie der Bildungspolitik, der Umweltpolitik und der Außenpolitik (sie war ja viele Jahre Mitglied des Europarates), aber auch den damals besonders aktuellen Fragen der Justizpolitik (Strafrechtsreform, Familienrechtsreform etc.) und der Rolle der Frau in der Gesellschaft. 8
7 In der Oppositionszeit der SPÖ ( ) war sie eine der wichtigsten Stützen von Bruno Kreisky. Aber richtig blühte sie auf, als sie im Jahr 1970 mit der Leitung des neu gegründeten Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung betraut wurde, das sie bis 1983 leitete. Ich arbeitete in dieser Zeit als Parlamentarier und Klubobmann sehr eng mit Hertha Firnberg zusammen und konnte ihren Arbeitsstil, ihre Interessen und ihre persönlichen Eigenschaften aus großer Nähe beobachten. Im Wissenschaftsministerium war sie eine Ressortchefin mit starkem Durchsetzungswillen. Es gab in diesem Bereich nur sehr wenige Personen, die ihr zu widersprechen wagten. Auch ihre Beziehung zu Bruno Kreisky beruhte in der Regel auf dem Prinzip»gleicher Augenhöhe«und es gab nicht viele Situationen, in denen Kreisky von seinen Prärogativen als Regierungschef und Parteichef Gebrauch machte. Er hatte Respekt vor der energischen Wissenschaftsministerin. Im Parlament liebte sie es, nach Abschluss eines Tagesordnungspunktes, der ihre Anwesenheit erfordert hatte, in der Milchbar zu sitzen, ein Glas Punt e Mes zu trinken und Hof zu halten. Ihre Reden im Nationalrat waren präzise, sachlich und inhaltsreich. Sie war eine disziplinierte Arbeiterin und immer gut informiert. Tatsache ist, dass Wissenschaft und Forschung in Österreich Hertha Firnberg sehr viel zu verdanken haben. Als sie mir am 24. Mai 1983 die Amtsgeschäfte als Wissenschaftsminister übergab und mir alles Gute wünschte, fügte sie schmunzelnd hinzu:»die Initialen H.F. bleiben ja ohnehin die gleichen.«als ihr Nachfolger an der Spitze des Wissenschaftsministeriums blieb ich auch nach ihrem Ausscheiden aus der Bundesregierung mit Hertha Firnberg bis zu ihrem Ableben im Februar 1994 in gutem und engen Kontakt. In meiner Rede beim Begräbnis von Hertha Firnberg am 24. Februar 1994 charakterisierte ich die Verstorbene wie folgt:»ich glaube, sie hat Schwierigkeiten geliebt und ihre Freude an schwierigen Aufgaben wurde nur übertroffen von der Begeisterung über gelungene Lösungen. Sie hat großzügig gedacht und konzeptiv gearbeitet. 9
8 Sie war eine Intellektuelle im besten Sinn des Wortes, kritisch, selbstkritisch und lernfähig eine Parlamentarierin, auf die Nationalrat und Bundesrat stolz sein konnten. Und sie war vor allem ein Mensch mit Eigenschaften: Geistreich und gebildet, konnte sie streng sein und energisch, aber auch charmant und großzügig. Als Person hatte sie Handschrift und Charakter, freute sich über Anerkennung und hatte Freunde. Sie war je nachdem die Hertha, die Firnberg oder die Frau Bundesminister. Und zwischen diesen Anreden konnten Welten liegen. Sie hielt Kontakt zu ihren Freunden und war hervorragend informiert. Und sie nahm in den letzten Wochen ihres Lebens das ist meine feste Überzeugung ganz bewusst Abschied. Als ich sie das allerletzte Mal besuchte, sagte mir eine Ärztin am Krankenbett: Sie wird den morgigen Tag nicht überleben. Sie hat die nächste volle Stunde nicht überlebt. Sie ist friedlich eingeschlafen «*** Es ist daher begrüßenswert, dass nunmehr zum 100. Geburtstag von Hertha Firnberg eine umfassende, teilweise auch durchaus kritische Biographie dieser großartigen Persönlichkeit erscheint. Diese Biographie, in die auch durchaus subjektive Auffassungen und Beurteilungen der Autorin einfließen, wird in manchen Passagen und Formulierungen nicht unwidersprochen bleiben. Aber sie wird andererseits das Interesse an Hertha Firnberg und ihren Beiträgen zur Entwicklung der Zweiten Republik neu beleben. In diesem Sinne wünsche ich dieser Publikation eine interessierte Leserschaft. Wien, im Juni
9 Alfred Dallinger, Hertha Firnberg und Heinz Fischer Hertha Firnberg, Heinz und Margit Fischer 11
10 »Was wir in der nächsten Zeit machen müssen, das ist keine Politik der kleinen Schritte und der kleinen Wünsche und der kleinen Kompromisse, sondern das ist der weite Horizont einer neuen Gesellschaftsordnung, in der Frauen die ihnen zukommende Rolle spielen müssen.«(hertha Firnberg, Frauenkonferenz 1968) Dr. Dr. h.c. Hertha Margarethe Firnberg erste sozialistische Ministerin Österreichs geboren am in Wien, gestorben am ebenda
11 1. Hertha Firnbergs Wurzeln Eine Biographie gründet sich auf Fakten ebenso wie auf Erfahrungsberichte der Begegnungen mit einer Person und ist der (subjektiven) Wahrheit verpflichtet. Der Biograph bzw. die Biographin, schreibt Daniela Strigl in ihrem Werk über Marlen Haushofer, müsse sich bewusst sein, dass er/sie immer nur das Leben einer Person konstruiere, niemals jedoch es rekonstruieren könne 1 ; die Wahrheit, die er bzw. sie darzustellen versuche, könne nie anders als subjektiv sein. Ja, diese Arbeit an sich sei paradox: Man/frau suche»puzzlesteine zusammen, die niemals ein komplettes Bild ergeben können und die er [bzw. sie] als Einzelteile nicht überbewerten«2 dürfe. Wer sich mit Hertha Firnbergs Leben vor 1970 befasst, findet sich bald in einem Geflecht aus Gerüchten, Vermutungen und Halbwahrheiten wieder. Dieses Dickicht zu entwirren wird einerseits durch mangelnde Aktenlage auf Grund zweier Weltkriege, andererseits durch Hertha Firnbergs auch innerfamiliäre Verschwiegenheit über viele Teilbereiche ihres Lebens erschwert:»ach wirklich? Das wusste ich gar nicht «, lautete oft die Antwort auf Interviewfragen. Oder:»Darüber hat sie nie gesprochen, das wollte sie nicht thematisiert haben «Manche Inhalte, die im vergangenen Jahrhundert verschwiegen werden mussten, um sozialem Stigma zu entgehen bzw. um die eigene berufliche Karriere nicht zu boykottieren, sind heutzutage in der Regel kein Thema mehr. Die Haltung»das tut man/frau nicht, sagt man/frau nicht, kann sich man/frau nicht leisten«, die Johanna Dohnal als typisch für Hertha Firnberg beschreibt, zieht sich gleich einem roten Faden ebenso durch die Recherche, wie sie prägend für Hertha Firnbergs Leben war. Worüber man/frau nicht spricht I: Jüdische Herkunft Die Familie der Eltern Hertha Firnbergs stammte aus Mähren; Firnberg, diesen Namen habe sich die Urgroßmutter, eine Analphabetin, ausgesucht, so der einzige heute noch lebende Ver wandte, der Hertha Firnberg noch näher kannte, ihr Neffe Paul Firnberg. 13
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