NDR Info Das Forum Ist genug für alle da? - Mangelernährung in Indien. Feature von Michael Hollenbach. 1. Atmo II 1:04:40.

Transkript

1 1 NDR Info Das Forum Ist genug für alle da? - Mangelernährung in Indien Feature von Michael Hollenbach 1. Atmo II 1:04:40 Vor sechs Jahren hat der Kleinbauer Prakash Badoni seinen Hof umgestellt: von der konventionellen zur ökologischen Landwirtschaft oder wie sie in Indien sagen: from chemical to organic agriculture: 2. II (Prakash Badoni) 1:29:40 Hindi: Sprecher 1: Wir kaufen jetzt keinen Dünger, keine Pestizide mehr. Wir haben jetzt einen guten Viehbestand und unser eigenes Saatgut. Und wir kompostieren und nutzen Kuhdung auf unseren Feldern. 3. II 55:40: Atmo auf dem Feld Der kleine Ort Kandiyal im Norden Indiens liegt malerisch auf 1600 Metern Höhe an den Ausläufern des Himalayas. Prakash Badoni sitzt in seiner weißen Kurta entspannt auf einem Plastikstuhl und lächelt. Der 57-Jährige nutzt seine drei Hektar Land intensiv, aber ökologisch. Er baut u. a. roten Reis an, Hirse, Getreide, Mais, Kürbisse, Linsen und Bohnen.

2 2 4. II 57:30: This is banana. A banana tree. weiter Und neben seiner Terrasse ranken Gurkenpflanzen an der Mauer hoch. Prakash Badoni arbeitet mit Navdanya zusammen. Navdanya ist ein Netzwerk von Bio-Bauern, denen es um ökologische Landwirtschaft und um die Bewahrung des traditionellen Saatguts in Indien geht. Navdanya hat knapp eine Million Mitglieder, sagt Winod Bhatt, der stellvertretende Direktor. Seit fast 25 Jahren arbeitet Navdanya an der Renaissance traditioneller Pflanzen: zum Beispiel an der Wiederentdeckung der Hirse. 5. 1:41:50: I (Bhatt) in this part of In dieser Region, aber auch in anderen indischen Gebieten hat man die Hirse lange Zeit nicht mehr angebaut. Man nannte es die Speise des armen Mannes. Und wir haben es wieder eingeführt, und den Leuten vermittelt, dass es eine sehr nahrhafte Pflanze ist. Wir haben sie wieder populär gemacht mit Hirsekeksen, Hirsemuffins und anderen Rezepten, auch als Dessert. Hirse enthält Kalzium und Eisen, Ballaststoffe und Spurenelemente und ist damit ein ideales Mittel gegen Mangelernährung. 6. II 49:10: Atmo auf dem Hof weiter Auch Prakash Badoni baut Hirse an vor allem für sich und seine Familie. Die Hälfte der Reisernte kann er verkaufen als Bio-Reis sogar nach Deutschland. Die Erträge seien mittlerweile stabil, sagt der Bauer mit der ruhigen Stimme.

3 3 Früher mit den Hybridsorten und dem Kunstdünger sei das Risiko größer gewesen: 7. II (Prakash Badoni)1:37:50 Hindi Sprecher 1: Wenn es wenig Regen gab, dann kamen die Schädlinge, und die Früchte sind trotz der Pestizide schnell verdorrt und die Ernte war ein Desaster. Auch heute bereiten ihm Schädlinge wie vor allem Heuschrecken noch Sorgen. 8. II (Prakash Badoni) 1:38:50: Hindi // 1:39:40 Sprecher 1: Ich habe gerade einige Probleme mit dem Reis. Und dann benutze ich eine biologische Schädlingsbekämpfung. Das ist eine Mischung: da kommen Walnussblätter und Neem-Blätter rein, Zwiebeln, Knoblauch, Urin von der Kuh, Ingwer, das wird mit Hanf vermischt. Das zieht zehn Tage, wird mit Wasser verdünnt und wird dann auf die Pflanzen gesprüht. Prakash Badoni holt einen alten Blecheimer und zeigt auf die dunkelbraune Brühe: 9. II 1:49:50 Atmo good smell.. Lachen Anders als erwartet stinkt das Bio-Pestizid nicht.

4 4 10. II 1:50:14 Atmo Wasser wird dazu gegeben Der Sud wird noch einmal mit Wasser verdünnt. Dann taucht der Bauer einen kleinen Reisigbesen in den Eimer und betropft die Reispflanzen mit dem Bio- Gemisch. Die Heuschrecken legen ihre Eier in den Pflanzen ab. Deshalb sei es sehr wichtig zu sprühen :00:50 III Atmo Regen weiter Vorhin schien noch die Sonne bei 30 Grad im Schatten. Jetzt pladdert der Regen auf die Felder und Hütten. Vielleicht der letzte heftige Niederschlag am Ende der Regenzeit. Die Versuchsfarm von Navdanya liegt am Rand von Dehradun, der Hauptstadt des Bundeslandes Uttarakhand. Gegründet wurde Navdanya von Vandana Shiva, einer resoluten, charismatischen Frau. Die Trägerin des Alternativen Nobelpreises ist die meiste Zeit des Jahres weltweit unterwegs zu Vorträgen und Diskussionen :02:00 III Atmo Gemurmel vor dem Vortrag weiter Die 62-jährige Umweltaktivistin und Wissenschaftlerin ist am Tag zuvor aus den USA zurückgekehrt. Heute hält sie in der Versammlungshalle von Navdanya eine Vorlesung vor Studierenden aus zehn verschiedenen Ländern, die hier zu einem mehrwöchigen Kurs zusammengekommen sind :03:50: III Atmo it s good to be back, I missed you all. Applaus.

5 5 weiter Vandana Shiva, die Frau mit dem orangefarbenen Sari und dem Bindi, dem roten Punkt auf der Stirn, streitet seit drei Jahrzehnten für eine andere Ausrichtung der Entwicklungspolitik: für die Rechte der Frauen und für mehr Ökologie: III(Vandana Shiva) Sprecherin 1: In den letzten 20 Jahren während der Globalisierung wurde das Saatgut zur Handelsware. Monsanto trat auf den Markt und die WTO, die Welthandelsorganisation hat neue Regeln aufgestellt und die Märkte geöffnet. Die Zahlen sind heute: jeder vierte Inder leidet an Hunger, fast jedes indische Kind ist in der Entwicklung gehemmt. Das ist keine besonders gute Leistung der konventionellen, chemischen Landwirtschaft. Vandana Shiva ist eine vehemente Kritikerin der so genannten Grünen Revolution. Trennungston/Nachrichtenton Sprecher 3: Als Grüne Revolution wird die in den 1960er Jahren begonnene Entwicklung moderner landwirtschaftlicher Hochleistungs- bzw. Hochertragssorten und deren erfolgreiche Verbreitung in Entwicklungsländern bezeichnet. Mit neuen Anbaumethoden wurden in der Türkei, in Pakistan, Indien und auf den Philippinen. Rekorderträge erzielt. Die Folgen der Grünen Revolution sind international umstritten. Auf der einen Seite hat sie die Ernährungssituation vieler Menschen erheblich verbessert, insbesondere in Asien. Auf der anderen Seite sind gravierende Umweltschäden in vielen Ländern zu verzeichnen, weil die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion in erster Linie durch

6 6 Vergrößerung der Anbauflächen, durch Monokulturen und um den Preis eines massiven Pestizideinsatzes erfolgte. Auch die Grundwasservorräte wurden übermäßig genutzt. Auch Martin Remppis, Referent für Ernährungssicherung bei der evangelischen Hilfsorganisation Brot für die Welt, sieht die Erfolge der Grünen Revolution skeptisch. 15. IV (Remppis - deutsch) 47:55: Das beginnt damit, dass mit dem Einsatz der Agrarchemikalien Ökosysteme aus dem Gleichgewicht gerieten und damit auch bestimmte Ernährungsstrukturen aus dem Gleichgewicht kamen. Wenn man bedenkt, dass viele Bauern traditionell in ihren Reisfeldern Fisch hielten, um sich mit Eiweiß zu versorgen, und dass das mit Einsatz der Agrarchemikalien plötzlich nicht mehr möglich war, hat man als Erfolg zwar die Reisproduktion steigern können und hatte dann aber eine geringere Proteinzufuhr, was die Leute vielleicht satt gemacht hat, aber zur Mangelernährung beigetragen hat. In der Kritik stehen vor allem gentechnisch veränderte Sorten und Hybridpflanzen. Hybridsorten können durch Kreuzung zweier Inzuchtlinien höhere Erträge erzielen. Da die Hybridsorten aber nur degeneriertes Saatgut hervorbringen, sind die Bauern gezwungen, das Saatgut jedes Mal neu zu kaufen, wodurch viele sich verschulden: III (Vandana Shiva) Sprecherin 1: Man kann alle Kleinbauern Hybrid-Mais anbauen lassen, der dann als Hühnerfutter genutzt wird nicht als Lebensmittel für Menschen. Oder sie bauen die gentechnisch veränderte BT-Baumwolle an, die nach China exportiert wird, um billige Kleidung herzustellen. Das Problem könnte gelöst

7 7 werden von Landwirten, die gesunde und nahrhafte Lebensmittel anbauen. Der Fokus von Navdanya liegt darin, ökologische Lebensmittel herzustellen. Einen Grund für die Mangelernährung sieht Vandana Shiva in der einseitigen Ausrichtung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern auf wenige Produkte und das Ausbeuten der Böden durch die Agrarindustrie: III (Vandana Shiva) Sprecherin 1: Die Flüchtlingskrise ist auch deshalb eine Krise, weil die Böden in der Heimat der Flüchtlinge nicht mit Respekt behandelt werden, so dass die Menschen zu Hause bleiben können. Anstatt die Flüchtlingskrise so zu behandeln, als komme sie aus dem Nichts, sollte man die Ursachen sehen: sie haben einen Ursprung in der Gewalt gegen die Erde :37:45 I Atmo draußen Auf dem Hof von Navdanya geht man sorgsam mit den Böden um. Und mit dem Saatgut. Hier findet man keine Hybridpflanzen. Winod Bhatt, der stellvertretende Direktor, steht vor einem alten Lehmhaus, in dem sich das traditionelle Saatgut befindet: 19. 1:48:40 I (Bhatt) To go inside Um hier reinzugehen, müsst ihr eure Schuhe ausziehen. Das ist so etwas wie unsere Kirche, unser Tempel. Atmo

8 8 sagt der Biologe mit einem Schmunzeln. Neben dem Eingang hängt eine Tafel mit dem aktuellen Bestand der Saatgutbank :49:50 I (Bhatt) at this board.. An Reis haben wir 711 verschiedene Sorten hier, und allein an Basmati haben wir 38 Sorten; an Weizen 200 Sorten, die hier angebaut werden. Hier in der Saatgutbank sind nur kleine Beispiele der Pflanzensorten. Das Saatgut wird kostenlos an Kleinbauern abgegeben, die in die ökologische Landwirtschaft wechseln oder wieder entdeckte Sorten anbauen wollen :51:50: I (Bhatt) if you keep.. Wenn man das Saatgut hier drinnen aufbewahrt, dann kannst du es noch nach zig Jahren anpflanzen. Mein Bruder hat das Saatgut noch nach 22 Jahren genutzt, und es hat funktioniert, die Pflanzen sind gekommen :55:22: I Atmo zeigt die Samen in der Kalebasse 23. 1:13:30: I (Bhatt) what we believe Wir glauben, dass das Saatgut der Natur gehört, und nicht bestimmten Leuten oder einem Unternehmen. Man kann kein Patent darauf haben, man kann kein

9 9 Patent auf Leben haben. Das ist unsere Philosophie. Wir bekommen das Saatgut von der Natur. 24. II 1:25:17. Atmo Hintergrund Vijay Bahugana dagegen kauft das Saatgut von Monsanto. Der 59-jährige hat vor 20 Jahren von der traditionellen auf die konventionelle Landwirtschaft umgestellt. Er bezieht seinen Hybridweizen vom Saatgutunternehmen. 25. VI (Vijay Bahugana) 1:21:05 Hindi Sprecher 1: Ich setze den Kunstdünger für meinen Weizen ein. Ohne diesen Dünger wäre der Ertrag viel geringer. Seine Erfahrungen waren dabei nicht immer gut. 26. VI (Vijay Bahugana) 1:23:10: Hindi Sprecher 1: Ich habe auch Kartoffeln mit Hybridsamen angebaut. Und in der ersten Saison hatte ich eine gute Ernte, aber im zweiten Jahr habe ich fast nichts ernten können. Die Saat ist nicht aufgegangen. Aber die Rückschläge habe er weggesteckt, sagt der temperamentvolle Mann, dessen Redeschwall kaum zu stoppen ist. Wenn er lacht, sieht man, dass er nur noch vier Zähne hat.

10 VI (Vijay Bahugana) 1:24:40 Hindi Sprecher 1: Ich habe gute Erträge mit Kunstdünger und den Pestiziden. Vielleicht werde ich in Zukunft zur Öko-Landwirtschaft wechseln. Aber noch verdiene ich ganz gut mit den Hybridsamen und dem Einsatz der Chemie. Vijay Bahugana demonstriert, wie er das Pestizid M 45 versprüht, um seine Tomaten und Kartoffeln zu schützen. Er selbst schützt sich nur mit einem Tuch vor dem Mund. Das Feld liegt unmittelbar neben dem Innenhof seines Hauses, wo die Kinder spielen. 28. VI (Vijay Bahugana)1:45:14 Hindi Sprecher 1: Ich weiß, dass der Dünger und die Pestizide nicht so gut sind für den Boden. Alle Mikroorganismen werden getötet. Aber die Ernte ist meist ganz gut. Pro Saison benötigt Vijay Bahugana 8000 Rupien für Kunstdünger, rund 6000 für Pestizide und 3000 für Saatgut das sind pro Jahr ca. 450 Euro. Viel Geld in einem Land, in dem der Durchschnittsverdienst einer Bauernfamilie bei 40 Euro im Monat liegt. So wie Vijay Bahugana setzt noch die große Mehrheit der indischen Bauern auf die konventionelle Landwirtschaft. Die Versuchung sei zu groß, meint Vinod Bhatt von Navdanya: 29. 1:29:15. I (Bhatt) Also small farmers because of the advertisement

11 11 Das machen auch Kleinbauern aufgrund der Werbung im Fernsehen und der Angebote der Unternehmen. Das ist fast wie ein Glücksspiel. Die versuchen zu spielen, ihnen wird versprochen, sie könnten über Nacht zu Millionären werden oder zumindest nach einer Saison. Aber wenn es schief geht, sagen die Unternehmen: versuch es nächste Saison mit einem anderen Saatgut, und wenn wieder eine Missernte kommt, dann begehen viele Bauern Selbstmord. Und Vinod Bhatt beklagt, dass die indische Regierung einseitig die Interessen der Saatgutkonzerne unterstützt. So hatte die Regierung in einem Erlass festgelegt, dass Basmati-Reis mindestens sieben Millimeter lang sein müsse :01:05: I (Bhatt) the basmati Der Basmati-Reis, der kleiner ist als sieben Millimeter, sollte nicht mehr als Basmati anerkannt werden. Die Regierung kommt manchmal mit sehr witzigen Regeln, die man nicht verstehen kann. Lachen. Die Bürokraten machen Regeln, sie werden von Lobbyisten instrumentalisiert, um es umzusetzen. Der traditionelle Basmati ist nach den Vorgaben der Regierung 0,4 Millimeter zu klein. Der Anstoß zu der neuen Regelung kam von einem Saatgutunternehmen. Nur ihr eigener Reis, der etwas größer ist als der traditionelle, sollte noch den Namen Basmati erhalten :02:00 I (Bhatt) then we had Dann mussten wir dagegen kämpfen. Wir sind zum Landwirtschaftsminister gegangen, zur Zentralregierung, und schließlich wurde diese verrückte Regelung zurückgenommen. Wir haben ihnen gezeigt, dass der Daraduhni- Basmati, der berühmteste Basmati, nicht in diese Kategorie fiel und dann kein Basmati mehr gewesen wäre. Das ist so lächerlich.

12 12 Sanjay Sachan ist Bodenkundler am staatlichen Agrarwissenschaftlichen Zentrum im nordindischen Herbertpur. Er berät die Bauern in der Region. 32. IV (Sanjay Sachan) 7:30. The government position Sprecher 3: Die Position der Regierung ist ganz klar: die Regierung schreibt den Bauern nichts vor; es hängt von den Bauern ab, ob sie eher ökologisch oder konventionell wirtschaften wollen. Doch zugleich räumt er ein, dass nur die konventionellen Bauern großzügig vom Staat unterstützt werden: 33. IV (Sanjay Sachan)9:30: the Government of Uttarakhand Sprecher 3: Die Regierung des Bundesstaats Uttarakhand subventioniert Saatgut, Pestizide und Kunstdünger mit 50 Prozent; und landwirtschaftliche Maschinen werden mit bis zu 80 Prozent subventioniert. Ohne die staatlichen Subventionen seien die konventionellen Höfe kaum noch profitabel, sagt Vinod Bhatt und beruft sich dabei auf Studien des staatlichen Indischen Rates für Landwirtschaft

13 :00 I (Bhatt) For chemical farming Die konventionelle Landwirtschaft wird massiv subventioniert. Das ist auch der Grund, warum sie überleben kann. Sonst würden sie keinen Gewinn machen. Das sieht auch der konventionelle Bauer Vijay Bahugana so. 35. VI (Vijay Bahugana) 1:47:55 Hindi Sprecher 1: Wenn die Regierung keine Subventionen mehr zahlt, dann höre ich auf mit dem Einsatz der Chemie. Dann würde ich auch zur ökologischen Landwirtschaft wechseln. Viele konventionelle Bauern wechseln auch aus gesundheitlichen Gründen. Vinod Bhatt erzählt von einem Bauern aus dem Bundesland Rajasthan: :30 I (Bhatt) He said Er sagte: mein Vater ist an Krebs gestorben, mein Bruder auch, ich bin jetzt der einzige in der Familie, der noch lebt, und ich will nicht sterben. Ich will nicht zusehen, wie die ganze Familie ausstirbt wegen Krebs. Deshalb habe ich zur Öko-Landwirtschaft gewechselt.

14 14 Und Vandana Shiva ergänzt, in Indien gebe mittlerweile eine regelrechte Epidemie an Krebskranken vor allem wegen der chemischen Landwirtschaft: :40: III (Vandana Shiva) Sprecherin 1: 300 Milliarden Rupien werden von Indern für Krebsmedikamente ausgegeben. In jeder zweiten Familie, die ich kenne, gibt es eine krebskranke Person. Wir haben gerade eine Studie im Westen von Uttar Pradesh gemacht, wo in einem kleinen Dorf hundert krebskranke Menschen leben. Im Punjab gibt es einen Zug, der krebskranke Menschen zu ihren Untersuchungen fährt, der wird Krebs-Zug genannt. Und Punjab ist das Gebiet, in dem Chemikalien schon am längsten eingesetzt werden. Das andere große Problem sind die Selbsttötungen, sagt auch Sanjay Sachan vom staatlichen Agrarwissenschaftlichen Zentrum. In den vergangenen 20 Jahren haben sich Bauern das Leben genommen. 38. IV (Sanjay Sachan) 38:45: Sprecher 3: Wenn man die Schulden nicht zurückzahlen kann, dann gerät man in einen Teufelskreis. Und das bedeutet auch ein soziales Stigma. Die meisten Suizide geschehen in Maharashtra und Uttar Pradesh, in den Bundesländern also, in denen auch viel Baumwolle angebaut wird. Bauern ertränken sich im eigenen Brunnen, hängen sich auf oder trinken Pflanzengift. 39. IV (Sanjay Sachan)39:50:

15 15 Sprecher 3: Baumwolle ist ein gutes cash crop. Wenn du eine gute Ernte hast, dann kannst du Millionen Rupien in einem Jahr verdienen. Wenn du aber keine guten Erträge hast, dann gehst du unter. Denn das Saatgut ist sehr teuer, und außerdem brauchst du viele Pestizide. Du musst für eine Ernte acht, neun Mal spritzen. Und selbst danach können die Schädlinge noch kommen. Wenn das Wetter so ist wie jetzt so bewölkt und schwül die Insekten kommen hundertprozentig. Und dann musst du spritzen, spritzen, spritzen. Und Vandana Shiva berichtet, dass kürzlich die Frauen aus dem Kreis Bingol nicht zu einem Frauentreffen kommen konnten, weil es so viele Suizide in ihrer Stadt gab. Mittlerweile seien nicht mehr nur die Baumwollfarmer betroffen: 40.51:00 III Atmo :10: III(Vandana Shiva) This year Sprecherin 1: In diesem Jahr haben sich 16 Bauern umgebracht, die alle Kartoffeln angebaut haben. Und sie haben alle Kartoffeln für Pepsi angebaut. Pepsi verkauft den Bauern die Saatkartoffeln. Sie geben den Landwirten die Pestizide und die Düngemittel. Aber die Kosten sind so hoch. Wie viel verdient der Bauer?! Für ein Kilo Kartoffeln bekommt der Landwirt 50 Pikes, das ist eine halbe Rupie pro Kilogramm - nicht einmal ein Cent. Und eine Zehn-Gramm-Tüte mit Chips wird für 20 Rupien verkauft. Die Bauern haben Schulden und die Frauen müssen ihren Schmuck verkaufen und zum Schluss die Landwirte ihr Land. Pepsi ist nicht nur Hersteller von Softdrinks, sondern produziert auch weltweit die entsprechenden Snacks dazu- wie zum Beispiel Kartoffelchips.

16 Atmo Die Hauptlast der Landwirtschaft tragen in Indien traditionell die Frauen. Während die Männer oft noch einen Job haben, kümmern sich die Frauen nicht nur um Küche und Kinder, sondern auch um die Felder und das Vieh. Sie sind es, die in der patriarchalen Gesellschaft oft auch die körperlich schwere Arbeit leisten müssen. Und sie sind es, die am meisten an Hunger und Mangelernährung leiden, erläutert Martin Remppis von Brot für die Welt: 43. IV (Remppis - deutsch)59:00 Wenn wir den Hunger analysieren, dann müssen wir feststellen, ( ) dass Frauen und Mädchen sehr viel mehr von Hunger betroffen sind als Männer. Das hat gesellschaftliche Gründe, wo wir uns auch darauf konzentrieren müssen, mehr Gerechtigkeit herstellen zu können. Ein weiteres Manko: staatliche Sozialprogramme erreichen oft nicht die Ärmsten der Armen, weil die traditionell ausgegrenzt werden: 44. IV (Remppis - deutsch) 1:00:03 Da haben wir in Indien eine hierarchische Gesellschaftsstruktur mit der Diskriminierung von Kastenlosen, mit den Dalits, ( ) die mit der Verfassung vor über 50 Jahren abgeschafft wurde, aber die noch so in den Köpfen der Gesellschaft verankert ist, dass das enorme Bedeutung hat für die Menschen, die davon betroffen sind.

17 17 Um sich gegenseitig zu unterstützen, haben Bäuerinnen in vielen Orten Selbsthilfegruppen organisiert, erzählt die 60-jährige Galavi Devi :33:00 III (Galavi Devi) Hindi Sprecherin 2: Wir treffen uns einmal im Monat, und wir diskutieren, was wir in der nächsten Saison anpflanzen. Wir haben zum Beispiel verschiedene Reissorten und überlegen dann, was wir am besten aussäen können. Wir tauschen auch untereinander das Saatgut aus. Pro Monat zahlt jede Frau 50 Rupien- das sind rund 80 Cent - in die gemeinsame Kasse. In Notfällen gewähren sie sich untereinander einen zinslosen Kredit. Die Solidarität in der Frauengruppe ist auch ein Schutz gegen die Härten des Lebens. Ansuya Devi zum Beispiel führt ihren Hof allein, seit ihr Mann vor 10 Jahren starb. Nach seinen Tod musste sie ihr Piercing, ihren Nasenschmuck, wieder entfernen als öffentliches Zeichen, dass sie Witwe ist. Trotz all der Last die Frauen lachen oft. Beispielsweise über die Frage, warum sie bei über 30 Grad im Schatten noch einen Pullunder tragen: 46. VI (Ansuya Devi)17:15 Lachen Hindi Sprecherin 2: Wir tragen unsere Pullunder und unsere Tücher bei jedem Wetter. Das ist unsere Kultur. Zum Abschied kommen rund ein Dutzend Frauen in ihren farbenprächtigen Kleidern auf der Wiese vor dem Hindu-Tempel zusammen, singen ein Lied und

18 18 tanzen. Trotz Armut und harter Arbeit versprühen sie eine Lebensfreude, die einen - in ihren Augen sehr reichen - Europäer fast beschämt :46:30 III Atmo Gesang der Frauen (leise drunterlegen ab Ende O-Ton 46) Zur Verfügung gestellt vom NDR Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede andere Verwendung (z. B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR.