14: Kriminalität von und an Ausländern
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- Ingelore Bach
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1 Kriminologie WS 2004/05 Wiss. Mit. Peer Stolle Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht, Kriminologie Jur. Fakultät, TU Dresden, 14: Kriminalität von und an Ausländern A. Ausländer als Täter I. Die Konstruktion von Ausländerkriminalität Realer Anteil an den TVBZ: 23,5 % (PKS 2003, Tendenz seit 1993 stetig sinkend) Realer Anteil an der Wohnbevölkerung: 9%. Bedeutet dies eine 2,5 fache Mehrbelastung? Aber: Anteil der Deutschen an den Tatverdächtigen kann nicht mit dem Anteil der Nichtdeutschen verglichen werden, weil diese Zahlen Verzerrungen unterliegen und deutliche Hinweise auf eine unterschiedliche Verfolgungspraxis vorliegen. 1.Verzerrungen a. Einbezug von Straftaten, die zu fast 100 % nur von Ausländern begangen werden können Ein Teil der Straftaten besteht aus Sonderrecht für Ausländer: Deutsche können nur schwer gegen diese Vorschriften verstoßen (Verstöße gegen das Ausländer- und Asylverfahrensgesetz). 13% aller von Ausländer begangenen Delikte sind Verstöße gegen das spezielle Ausländerrecht. Würde man diese Zahlen heraus rechnen, dann würde sich der Anteil auf 19,8% verringern. b. Einbezug von Ausländern, die nicht Teil der Wohnbevölkerung sind (Touristen, Illegal sich hier Aufhaltende etc.) Bspw. werden 25 % aller nichtdeutschen Tatverdächtigen (Illegale/Touristen) nicht in der Bevölkerungsstatistik erfasst Ein Vergleich daher nicht möglich. c. Überrepräsentierung der am stärksten mit Kriminalität belasteten Bevölkerungsgruppe unter Ausländern (Jugendliche, junge Männer) Besonders kriminalitätsanfällige Bevölkerungsgruppen erreichen bei den Deutschen einen Anteil von 12,8 %, bei der ausländischen Wohnbevölkerung aber einen Anteil von 23,3 %, also fast das Doppelte. Bei den Deutschen ist weiterhin die Gruppe am stärksten vertreten (39,9 %), die am wenigsten mit Kriminalität belastet ist, Frauen ab 30 Jahren. Unter der nichtdeutschen Bevölkerung erreichen sie nur einen Anteil von 26,9 %. d. Unterschiedliche soziale Rahmenbedingungen Ausländer leben weit häufiger in Großstädten ab Einwohnern als Deutsche. Ausländer gehören zu einem viel größeren Prozentsatz der sozialen Unterschicht an. 1
2 2. Kriminalisierung von Ausländern a. Studien über selbstberichtete Delinquenz haben einen höheren Straftatenanteil der Deutschen ergeben im Vergleich zu Ausländern. Ausnahme: bei der Gewaltprävalenz haben Ausländer einen höheren Anteil. b. Ausländer werden häufiger angezeigt, vor allem die Jugendlichen c. Ausländer, und speziell ausländische Jugendliche, unterliegen einem stärkeren formellen Überwachungsdruck d. Teilweise wird die Ungleichbelastung wieder korrigiert im Verfahren Für letzteres gibt es unterschiedliche Gründe, vor allem: Geringfügigkeit der von Ausländern begangenen Delikte. Bsp.: Asylbewerber in Niedersachsen sind stark vertreten bei Urkundsdelikten (oft verbunden mit illegalen Aufenthalt) und Diebstahl. Geringer Schaden bei Delikten: Asylbewerber durchschnittlich 900 DM, andere ausländische TV DM und deutsche TV DM. Ebenso beim Diebstahl: Asylbewerber: 200, Ausländer: 340, Deutsche 600. Geringerer Schaden - höhere Einstellungsquote. e. Andererseits stärkere Belastung im Strafvollzug So hat sich zwischen 1990 und 1999 die Zahl der deutschen Strafgefangenen um 8,9% erhöht, während die der nichtdeutschen Strafgefangenen um 161,7% zunahm. Die verhängten Haftjahre haben beispielsweise in Niedersachsen um 40% zugenommen, während sie bei Deutschen abnahmen. Erklärungen: Kommunikation zwischen Richter und Angeklagten erschwert Geständnis- und Kooperationsbereitschaft Bewährungsaussetzung setzt Kommunikation mit Bewährungshelfer voraus Häufige Verhängung der U-Haft hat präjudizierende Wirkung 3. Fazit: Es gibt keine Ausländerkriminalität : Die damit beschriebenen Phänomene sind sehr unterschiedlicher Art und nicht auf die unterschiedliche Herkunft oder Nationalität zurückzuführen. Ersichtlich schon an der unterschiedlichen Belastung der einzelnen Untergruppen: Die Zahlen von ausländischen Schülern und Studenten sind gleichbleibend, die der ausländischen Arbeitnehmer rückläufig, die absoluten Zahlen von Illegalisierten nehmen zu, die von Asylbewerbern sind seit 1993 rückläufig. Diese Phänomene lassen sich nicht zusammenführen und monokausal erklären. Kriminalität von Ausländern wird eher als Bedrohungsszenario aufgebaut in dem Sinne, dass Kriminalität eine Eigenschaft sei, die vor allem Ausländern aufgrund ihrer anderen Mentalität anhafte und der mit einer verstärkten Zuzugsbegrenzung begegnet werden solle. 2
3 II. Erklärungen 1. Sozialstrukturelle Theorie Die Ausgangskorrelation Nationalität Kriminalität wird aufgelöst, wenn die intervenierende Variable soziale Situation eingeführt wird Entstehen zweier Partialkorrelationen: Nationalität soziale Situation und soziale Situation Kriminalität. 2. Anomietheorie: Zusammenhang zwischen sozialer Armut und (zumindest) Eigentumskriminalität, die unter Ausländern auch stärker verbreitet ist. Zusammenhang zwischen dem unverhältnismäßig starken Anstieg der nichtdeutschen Sozialhilfeempfänger und ihrer Kriminalitätsbelastung. 3. Erklärung für die Höherbelastung bei Gewaltkriminalität Kulturkonflikttheoretischer und anomietheoretischer Ansatz von Pfeiffer: Gewaltkriminalität korreliert im starken Maße mit Schulabschluss und sozioökonomischer Lage, die bei jungen Türken am schlechtesten ist Je besser die soziale Integration ist, um so niedriger ist ihre Gewaltrate. Aber auch die eigene Erfahrung von Gewalt und elterlicher Züchtigung im Elternhaus (die bei jungen Türken fast dreimal so hoch ist) und die visuelle Wahrnehmung von interfamiliärer Gewalt sind prägend. Junge Türken wachsen daher mit einem traditionellen Männerbild (Familienpatriarch) auf, dass sich auf Dauer in Deutschland nicht aufrecht erhalten werden kann und enorm unter Druck gerät. Sie werden mit zwei Erfahrungen konfrontiert: eigene Viktimisierung und Gewaltausübung als Mann, um sich durchzusetzen. IV. Schlussfolgerungen Stärkere Integration, die durch die derzeitigen Sicherheitsgesetze eher konterkariert wird. Doppelte Staatsbürgerschaft erweitern. Kommunales Wahlrecht einführen. Sprachkurse. B. Kriminalität an Ausländern I. Täter-Opfer-Beziehung Täter- und Opfer haben oft denselben ethnischen Hintergrund. II. Ausländer als Opfer Organisierter Kriminalität Frauenhandel zum Zweck der erpressten Prostitution oder für den Heiratsmarkt, Kinderhandel zum Zwecke des Verkaufs der Kinder in die Adoption, für Kinderpornographie und sexuellen Missbrauch, Arbeitskräftehandel zum Zwecke der Schwarzarbeit viktimisierende, marktkonforme Handlungen. III. Ausländer als Opfer rassistischer und fremdenfeindlicher Gewalt Neuerdings auch Hassverbrechen genannt (hate crimes), bestimmt durch rassistische, ethnische, religiöse (oder sexistische) Tätermotive. 3
4 1. Besonderheit Ziel der Schädigung ist nicht nur das Opfer selbst, sondern auch das, was das Opfer symbolisiert, also meistens die Gruppe, der er aufgrund eines bestimmten Merkmals angehört. Sie enthalten somit auch ein öffentliches Statement, sind somit Botschaftsverbrechen, die sich nicht nur an das Opfer, sondern auch an die dazugehörige Gruppe und damit auch an die Gesellschaft wenden. Sie sind Symptome für das Ausmaß der Vorurteile und der Intoleranz in einer eigentlich pluralistischen Gesellschaft. Mit ihnen soll durch Degradierung, Viktimisierung und Traumatisierung der Opfer als Außengruppe ein Dominanz- und Herrschaftsanspruch einer Innengruppe (der Täter) manifestiert und durchgesetzt werden. Diese Tätergruppe ist von ethnozentrischem Denken, Selbstüberschätzung, Anmaßung und Überheblichkeit beherrscht. 2. Charakterisierung Nicht immer eindeutig Täter können ihre Motivation verhehlen oder abstreiten. Klassifizierung als Hass-Verbrechen durch die Polizei kann unterbleiben. So waren bisher in den Darstellungen der Polizeien viele rechtsextremistische und fremdenfeindliche Straftaten nicht aufgeführt, weil ihnen das für Staatsschutzdelikte erforderliche Element der Systemüberwindung fehlt. Deliktstypen: von Belästigung bis Massenmord (Beleidigungen, Volksverhetzung, Auschwitz-Lüge, Graffitis, Nötigung, einfache bis schwere Körperverletzung, Delikte gegen das Leben, Sachbeschädigung, Brandstiftung). 3. Wirkungen der Hassverbrechen Schäden durch Primärviktimisierung Direkte Konfrontationen verursachen doppelt so viele körperliche Verletzungen und führen zu viermal so vielen Krankenhauseinweisungen wie normale Körperverletzungsdelikte. Opfer kann nicht präventiv tätig werden wie bei Konfrontation im privaten Bereich oder bei Taten, bei denen der Angreifer auf materiellen Gewinn aus ist. Opfer wird getroffen aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer besonderen Gruppe mit dem Ziel, seine persönliche Identität anzugreifen. Größeres psychisches Trauma als bei herkömmlichen Gewaltverbrechen. Schäden durch Sekundärviktimisierung Durch gleichgültige Reaktion des sozialen Nahraums und des Kriminaljustizsystems. Hassverbrechen werden oft als minderschwer eingestuft und mit geringer Verfolgungsintensität bedacht (hat sich mittlerweile zumindest in den Gerichten geändert). Opfer wird oft Mitschuld eingeräumt. Fremdenfeindliche Einstellungen sind auch in den Instanzen (vor allem in der Polizei) vertreten. Folge: geringe Anzeigequote (in England bspw. liegt sie bei Hassdelikten bei 5 %). 4
5 4. Erklärungsansätze (Auswahl) a. Marginalisationstheorie (Sessar) In der Gewalt gegen Minderheiten findet die ihnen gegenüber ausgeübte marginalisierende strukturelle Gewalt ihren personalen Ausdruck. Kritik: Insoweit richtig, dass Hassverbrechen aufgrund ihres politischen und ihren Botschaftscharakters auch Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse sind, reicht jedoch nicht aus als Erklärung für das konkrete Täterverhalten. b. Kognitiv-soziale Lern- und Interaktionstheorie Fremdenfeindliche Einstellungen entstehen durch lern- und Interaktionsprozesse mit sozialem Umfeld (Subkultur, Familie). Eigenverantwortlicher Prozess, der auch wieder rückgängig gemacht werden kann. c. Sozialisationstheorien Grund für Gewaltbereitschaft und Fremdenhass besteht in konfliktreichen und defizitären Familienbeziehungen. Kritik: erklärt nicht die fremdenfeindliche und rassistische Grundeinstellung. d. Soziale Desintegrationstheorien Modernisierungsprozesse führen zur Auflösung tradierter Milieus und Wertvorstellungen und damit zur sozialen Desintegration. Die daraus folgenden Verunsicherungen in der Identitätsbildung und Lebensplanung lassen Viele auf klare Zugehörigkeiten wie Abstammung und Nation zurück greifen. Zwar sind unter den polizeilich gemeldeten Tätern 22% Arbeitslose (ca. doppelt so viele wie Durchschnitt), allerdings sind auch ein Grossteil in Arbeit jugendliche Täter von Hassverbrechen gehören nicht immer der Unterschicht an, sondern sind meistens sozial integriert, haben Arbeit oder Lehre. Fremdenfeindlichkeit eher Ausdruck derjenigen Schichten, die noch was zu verlieren haben Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg ausschlaggebender denn Arbeitslosigkeit an sich. Kritik: Aber auch hier wird nicht ganz klar, warum rassistische Einstellungen so unmittelbar dafür mobilisiert werden können. Keine Theorie kann für sich eine ausreichende Erklärungskraft beanspruchen; Kombination daher erforderlich. Literatur: P.-A. ALBRECHT Kriminologie 2. Aufl S. 371 ff. GÖPPINGER Kriminologie 3. Aufl S. 534 ff. VILLMOW Ausländer als Täter und Opfer MschrKrim 1999 S. 22 ff. SCHNEIDER Opfer von Hassverbrechen junger Menschen MschrKrim 2001 S. 357 ff. PFEIFFER Das Problem der sog. Ausländerkriminalität KFN-Bericht Nr. 42, ERSTER PERIODISCHER SICHERHEITSBERICHT S. 276 ff. 5
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