Betreute Wohngemeinschaft im Haus Am Mühlengrund
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- Lilli Krämer
- vor 8 Jahren
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1 Betreute Wohngemeinschaft im Haus Am Mühlengrund Kontaktperson: Dir. Ing. Helmut Hempt; Zielsetzung Entwicklung einer neuen bedarfs- und bedürfnisgerechten Betreuungsform für mobile, leicht desorientierte BewohnerInnen, die auf Grundlage eines normalen, lebensnahen Umfelds, unter aktiver Beteiligung, eine höchstmögliche Lebensqualität ermöglicht (=Betreuungsziel). Dies betrifft vor allem Menschen welche regelmäßig Unterstützung bei der Bewältigung ihres Tagesablaufs, aber nicht unbedingt die volle Betreuung im stationären Bereich benötigen. Das Leitbild des KWP, die Pflegeleitsätze, sowie spezifische Methoden, insbesondere das psychobiographische Pflegemodell nach Prof. Erwin Böhm, bilden die Basis für dieses Betreuungsziel. Planung eines Wohnbereiches, welcher unter Berücksichtigung der neuesten Erkenntnisse der Pflege und der emotionalen Bedürfnisse (Milieugestaltung, Daheim-Gefühl) den BewohnerInnen gerecht wird. Beschreibung der Projektumsetzung: Schaffung einer wohnlichen Atmosphäre Die wohnliche Atmosphäre der von Architekt DI Wolfgang Gräsel geplanten Betreuten Wohngemeinschaft war Grundbedingung bei der Entwicklung des Projektes. Es wurde darauf geachtet, dass die BewohnerInnen die normalen Tätigkeiten des Alltages gefahrlos und in Gemeinschaft bewältigen können. Selbstverständlich wurden auch Funktionalität und Ergonomie in der Planung berücksichtigt. Die 10 räumlich großzügig ausgeführten persönlichen Schlafbereiche können mit eigenen Möbelstücken eingerichtet, sowie mit Bildern und persönlichen Gegenständen individuell gestaltet werden. Das Zentrum der Wohngemeinschaft bildet ein gemeinsamer Koch-, Ess- und Wohnbereich, welcher um einen Wintergarten angeordnet ist. Zusätzlich zu den in der Gemeinschaft lebenden BewohnerInnen können Tagesgäste aus dem Haus mitbetreut werden. Dadurch ist ein gleitender Übergang in diese neue Betreuungsform gegeben. Eine zusätzliche Terrasse wurde geschaffen sowie der Garten derart umgestaltet, dass sich die BewohnerInnen gefahrenfrei im Freien aufhalten können. Dieses Ambiente bietet sowohl den BewohnerInnen und ihren Angehörigen als auch den MitarbeiterInnen eine angenehme Atmosphäre, die keine Assoziation mit einer Krankenstation aufkommen lässt. Tagesstruktur und Fördermaßnahmen zur Erreichung des Betreuungszieles Die Tagesstruktur wird vorwiegend nach dem Normalitätsprinzip durch die bereits erwähnten Alltagsaktivitäten geprägt. Dazwischen werden genügend Ruhephasen bzw. die Möglichkeit für individuelle Betreuung je nach Biographie und Gewohnheiten angeboten. Nach einem Beobachtungszeitraum wird im interdisziplinären Team für jede BewohnerIn ein individueller Betreuungsplan erstellt. Dieser beinhaltet die Gestaltung des Alltags unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensgeschichte und der individuellen Bedürfnisse in einem möglichst vertrauten
2 Umfeld. Die Tagesabläufe sind gleichmäßig und wiederkehrend, werden im Einzelfall der Tagesverfassung der BewohnerInnen angepasst und sind geprägt von möglichst großer Selbständigkeit und Selbstbestimmung. Das Thema Normalität in Heimen ist das Kernthema im Psychobiographischen Pflegemodell nach Prof. Erwin Böhm und wurde von Beginn in die Planung des Tagesablaufes integriert. Der Aufbau einer Erzählkultur ermöglicht es an frühere Gewohnheiten anzuknüpfen und die individuellen Bedürfnisse der BewohnerInnen bei der Gestaltung des Alltags zu berücksichtigen. Hauswirtschaftliche Tätigkeiten und Freizeitaktivitäten stehen im Vordergrund und finden soweit wiemöglich und gewünscht, gemeinsam statt. Als Grundsatz in der Betreuung gilt die Methodenvielfalt, wobei wesentlich ist, das Alter mit allen seinen Begleiterscheinungen als normal zu betrachten und nicht als Krankheit zu bekämpfen. Viele Probleme mit alten Menschen entstehen dadurch, dass die Pflegenden viel jünger sind als ihre Klienten - sie sprechen eine dem alten Menschen ungewohnte Sprache, reagieren schneller und haben andere Interessen. Viele Pflegehandlungen werden vom alten Menschen nicht verstanden und daher abgelehnt. Beschäftigt man sich eingehend mit dem Leben der Betagten, erkennt man ihre Gewohnheiten und Bedürfnisse. Wenn man diese als Normalität der BewohnerInnen zulässt, gewährleistet man ihnen somit ein adäquates Umfeld. Wird zeitgeschichtliches und psychobiographisches Wissen zum Wohle der BewohnerInnen eingesetzt, macht Pflege wieder Freude, wird professionell und orientiert sich am jeweiligen Menschen. In folgenden Bereichen wird Alltagsnormalität gefördert und gelebt: - Milieugestaltung (Beachten der Prägungszeit 1910 bis 1945 und Schichtzugehörigkeit, Feste und Freizeitgestaltung werden entsprechend dem Milieu, der Religionszugehörigkeit und der Jahreszeit gestaltet). Selbstverständlich werden im eigenen Zimmer und wenn möglich auch im öffentlichen Bereich persönliche Möbel und Gegenstände aufgestellt. Gemüsemarkt statt Tiergarten, Straßenbahn statt Behindertentaxi, - Tagesablauf unter Berücksichtigung der persönlichen Bedürfnisse Individuelle Schlaf- / Wachzeiten bzw. Lebensrhythmen Hauswirtschaftliche Tätigkeiten bestimmen den Tagesrhythmus - Erhebung und Berücksichtigung der individuellen Biographie. Beispiel: Eine Bewohnerin befindet sich emotional in der Welt eines Kleinkindes, sie ist kognitiv nicht erreichbar. Daher muss das Essen mit Fingern erlaubt sein, sowie das Spielen mit Puppen, welches jetzt ihre Normalität bedeutet. Das Abendritual (Kreuz auf die Stirn) wie es einst die Mutter tat, Kinderlieder und Hautkontakt geben die notwendige Sicherheit und schaffen eine vertrauensvolle Atmosphäre. Die Bewohnerin wirkt deutlich entspannter, ruft nicht mehr ständig und schläft in der Nacht durch. - Gemeinsame Hauswirtschaft unter Berücksichtigung der individuellen Prägung und Förderung der vorhandenen Fähigkeiten. Insbesondere gemeinsames Einkaufen und Kochen zur Steigerung der Vigilanz und des Daheimgefühls. Motorische Trainingsmaßnahmen durch normale Alltagsaktivitäten: Knöpfe sortieren, Betten machen, Wäsche zusammenlegen, Gemüse schälen, etc. Handwerkliche Beschäftigung für Männer (kleine Reparaturen werden unter Anleitung ausgeführt) Hauswirtschaftliche Arbeiten statt Basteln Beispiel: Die bürgerliche Frau erwartet einen gedeckten Tisch und einen gepflegten Rahmen. wie z.b. über Literatur, Kunst oder klassische Musik werden ermöglicht. Beispiel: Die Hausfrau
3 hat ihre Aufgabe und Normalität in der Küche, hilft mit, gibt Tipps über Rezepte und Sparen, trägt die Kleiderschürze unter der Woche und die Sonntagskleidung nur an Sonn- und Feiertagen! - Daheimgefühl wird durch Aktivitäten (Singen alter Lieder, Rituale, ) im gemeinsamen Wohnraum gefördert (gibt Sicherheit und regt die Vigilanz und das Gedächtnis an), denn Wiedererkennen ist bekanntlich leichter als Erinnern und holt die Betagten ins Leben zurück. - Anwendung des Normalitätsprinzips bei allen ATL s (Aktivitäten des täglichen Lebens). Verwendung einer normalen Seife fördert die Feinmotorik. Häufiges Baden ungewohnt! Keine fixen Wasch- / Badepläne; wenn ein Mann sich immer mit Rasiercreme und Pinsel rasiert hat, dann soll er das so weiter tun! Kein elektrischer Rasierapparat, weil es für die Pflege einfacher wäre! Nachttopf statt Schutzhose. - Persönliche Gegenstände sind auch in öffentlichen und halböffentlichen Bereichen erlaubt. - Diffuse Impulse als Anregung zur Vigilanzsteigerung (Gerüche, Hautkontakt, Geräusche, ) - Integration der Angehörigen in das aktuelle Tagesgeschehen - Selbstverantwortung für das Zimmer möglichst den BewohnerInnen übertragen, Wohnbereich gemeinsam aufräumen. - Ordnungsrahmen den Möglichkeiten der BewohnerInnen anpassen - Privatkleidung statt Dienstkleidung - Zwischenmenschliche Beziehungen in der Wohngemeinschaft Konfliktbearbeitung in der Gruppe Freundschaftliche Beziehungen fördern und auch partnerschaftliche Beziehungen ermöglichen All diese Punkte wurden bei der Umsetzung berücksichtigt und seit 2004 intensiv und mit sehr viel Engagement in den Alltag integriert. Besonders die Veränderung der Ideologie ist es zu verdanken, dass sich BewohnerInnen daheim fühlen und MitarbeiterInnen im Haus AM MÜHLENGRUND motiviert sind. Auf enge Zusammenarbeit mit den Angehörigen unserer BewohnerInnen wird großer Wert gelegt. Daher finden in regelmäßigen Abständen Treffen mit diesen statt, um sowohl Informationen weiterzuleiten, als auch einen Erfahrungsaustausch als Entlastung anzubieten. Beteiligte am Projekt Interdisziplinäres Team im Haus (Direktor, Stationsleiterin, Sozialarbeiterin, Psychologe, Ergotherapeutin, Architekt) Steuergruppe (Kundendirektor, Oberschwester, leitende TherapeutInnen, Psychologe, Direktor des Hauses) Externe Firmen und ExpertInnen Externe Evaluierung durch Beraterfirma
4 Folgende finanzielle Ressourcen wurden zur Umsetzung des Projekts benötigt: Laienkurs 3.000,- Grundkurs (2x) ,- Aufbaukurs 2.000,- Externe Evaluierung ,- Zertifizierungskosten 2.000,- Praxisberatung 6.000,- In den angeführten Kosten sind keine Gehaltsanteile oder Baukosten enthalten. Derzeitiger Stand: Folgende Ziele konnten mit dem Projekt erreicht werden: Alle Erkenntnisse, betreffend Alltagsnormalität und Milieugestaltung wurden erfolgreich in die Ablauforganisation integriert. Gegenstände, entsprechend dem Zeitgeist von 1910 bis 1950 wurden im öffentlichen und halböffentlichen Bereich gestalterisch integriert. Funktionale Pflegeabläufe konnten weitgehend reduziert werden. Deutlicher Rückgang von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen, da individuelle Bedürfnisse erkannt und in den Alltag integriert werden. In den grundpflegerischen Bereichen fällt ein sehr bewohnerorientierter Kontakt auf. Es werden gezielt Ressourcen gefördert um eine größtmögliche Selbständigkeit wieder zu erlangen bzw. zu erhalten. Auf eine verständliche und an die Prägung angepasste Milieusprache wird geachtet. Höchstmögliche Mitbestimmung bei der Planung des Tagesablaufes wird angestrebt. Die Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL) werden im Zusammenhang mit der Normalität der BewohnerIn gebracht und in der Pflegeplanung berücksichtigt. Die BewohnerInnen zeigen dadurch nachweislich deutlich weniger Verhaltensauffälligkeiten. Der emotionale Erreichbarkeitszustand wird mit dem dafür vorgesehenen Interaktionsbogen nach Prof. Erwin Böhm (Interaktionsstufen) ermittelt und ein individueller Betreuungsplan erstellt. Angehörige werden intensiv miteinbezogen. Wohnatmosphäre statt Pflegeheim- bzw. Krankenhausmilieu wurde geschaffen ( Aufleben statt aufheben ) An mehreren BewohnerInnen konnte im Laufe der Pilotphase festgestellt werden, dass sie durch das Angebot der Betreuten Wohngemeinschaft deutlich ausgeglichener wurden sowie die Tendenz das Haus zu verlassen wesentlich verringert wurde. Ebenso positiv hat sich dieses Projekt auf den Leidensdruck der anderen MitbewohnerInnen im Haus und MitarbeiterInnen ausgewirkt.
5 Als weitere Erfolge des Projekts kann genannt werden: Entwicklung eines Projektes, welches zu einer erheblichen Lebensqualitätsverbesserung bei leicht dementiell erkrankten Menschen beiträgt. Dabei führt die Verringerung des somatischen Pflegeaufwands zu mehr Autonomie und Selbstbestimmung. Unser aktiver Beitrag an der Entwicklung einer zukunftsorientierten und international anwendbaren Wohnform für ältere Menschen mit Defiziten im Gedächtnis und bei der Orientierung. Abnahme der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen im Sinne des Heimaufenthaltsgesetzes (Medikamente, Fixierung,...). Reduzierung der Verhaltensauffälligkeiten bei den BewohnerInnen. Motivation der MitarbeiterInnen durch gelungene Umsetzung der gemeinsam und sorgfältig erarbeiteten Vorgaben.
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