Patienten brauchen Informationen
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- Waltraud Dunkle
- vor 8 Jahren
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1 > Umsetzung des Expertenstandards Förderung der Harnkontinenz : Patienten brauchen Informationen Andrea Besendorfer und Barbara Schulz Die Harninkontinenz ist so alt wie die Menschheit selbst, dennoch sprechen Betroffene das Thema ungern an. Zugleich sind bei Pflegenden immer wieder Unsicherheiten und Wissenslücken zu beobachten, wenn sie mit diesem tabubehafteten Problem konfrontiert werden. Am Klinikum Dortmund wurden im Zuge der Umsetzung des Expertenstandards Förderung der Harnkontinenz in der Pflege Instrumente und Methoden entwickelt, die genau hieraus einen Ausweg bieten können. Stellen Sie sich eine Stationsbesprechung vor: Sie sind gerade dabei, ein Thema, das Ihnen am Herzen liegt, vorzutragen. Plötzlich wird es Ihnen warm. Nein, nicht ums Herz, sondern unten herum. Sie spüren, wie der Urin unkontrollierbar die Beine hinunter fließt, Ihre Hose durchnässt und den Stuhl durchfeuchtet. Souverän würden Sie Ihr Thema nicht mehr zu Ende führen. Sie wären wohl kaum noch in der Lage, einen Satz zu Ende zu sprechen, und es wäre Ihnen nicht wirklich klar, wie Sie unauffällig den Raum verlassen könnten. Eine Peinlichkeit, die Millionen Menschen täglich passiert. Nicht nur alten, an Demenz leidenden Menschen, sondern Menschen jeden Alters beiderlei Geschlechts: bei einer Besprechung, beim Einkaufen, beim Autofahren, im Konzert, zu Hause oder im Krankenhaus. Viele Betroffene lernen, mit ihrer Inkontinenz umzugehen: Sie trinken weniger, tragen aufsaugende Hilfsmittel, wissen in der gewohnten Umgebung immer, wo sich die nächste Toilette befindet, haben stets Ersatzwäsche dabei und vermeiden Situationen, in denen die Gefahr besteht, einzunässen. Sie suchen weniger den Kontakt zu anderen Menschen, das heißt, sie schränken duldend und leidend ihre sozialen Kontakte ein. Nur etwas tun diese Menschen in der Regel nicht: Sie sprechen nicht über ihr Leiden und sie suchen kaum Hilfe. Es handelt sich um rund acht bis zehn Millionen Menschen in Deutschland, die in ihrer Lebensqualität massiv eingeschränkt sind, vermeidbare Begleiterkrankungen erfahren und ihr soziales Leben nicht uneingeschränkt gestalten können. An Harninkontinenz leiden überwiegend Frauen. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass die Problematik mit zunehmendem Alter steigt: 20 bis 30 Prozent der jungen Frauen, 30 bis 40 Prozent der Frauen im mittleren Lebensalter und 30 bis 50 Prozent der älteren Frauen sind davon betroffen (DNQP 2007). Inkontinenz gestern und heute Das Problem der Inkontinenz ist so alt wie die Menschheit selbst. Vor 5000 Jahren wurden bereits Katheter aus Schilfrohr oder Strohhalme verwandt. Schriftliche Aufzeichnungen über die Behandlung finden sich schon um 1100 v. Chr. Sie geben aber nur Hinweise darauf, wie der Urin aufgefangen wurde. Hippokrates (um 460 v. Chr.) teilte die Symptome in drei Arten ein: Ischurie (Harnverhalt), Betroffene schränken duldend und leidend ihre sozialen Kontakte ein Strangurie (tropfenweises Wasserlassen) und Dysurie (schmerzhaftes Wasserlassen). Diese Klassifizierung war über einen langen Zeitraum Grundlage der Versuche, den Menschen zu helfen zum einen sicher aus Unkenntnis, zum anderen wohl auch aus dem Gefühl heraus, es mit niederen Organen zu tun zu haben. In Aufzeichnungen des 16. Jahrhunderts findet sich der Begriff Harnträufeln. Um das Problem zu kurieren, kamen Eibisch und Bärentraube zum Einsatz Mittel, die auch heute noch in der Phytotherapie genutzt werden. Effektivere Möglichkeiten der chirurgischen und der medikamentösen Therapie wurden erst mit fortschreitender Kenntnis der Anatomie und Physiologie entwickelt. In letzter Zeit ist das Thema Inkontinenz stärker in den Blickpunkt gerückt. Es gibt immer mehr ältere Menschen und damit immer mehr, die davon betroffen sind. Diese sind zunehmend nicht mehr bereit, die damit verbundenen Einschränkungen in Kauf zu nehmen, und fangen an, sich professionelle Hilfe zu suchen. Hinzu kommen ökonomische Gesichtspunkte: Unter den derzeitigen Bedingungen der Kostenregulierung im Gesundheitssystem ambulant wie stationär wird offenbar, dass eine nicht sachgerecht versorgte Inkontinenz unnötige Kosten verursacht. Was macht es dennoch so schwer, das Thema anzugehen? Inkontinenz stellt in unserer so aufgeklärten und offenen Gesellschaft immer noch ein Tabu dar. Es wird eher die Narbe nach der Schrittmacherimplantation gezeigt als das neue Kondomurinal. Beim Kaffeetrinken wird eher über die neuen Betablocker referiert als über das Beckenbodentraining. Bedeutung in der Gesellschaft Stellt man einmal gegenüber, was Inkontinenz und Kontinenz für uns bedeuten, wird rasch deutlich, was es so schwierig macht, offen darüber zu sprechen. Inkontinenz ist für uns... peinlich: Niemand möchte seine Ausscheidungen öffentlich machen. Ekel erregend: Es ist unangenehm, einen eingenässten oder mit Stuhl beschmutzten Erwachsenen zu säubern, ob man es sich eingesteht oder nicht. beschämend: Schambesetzte Situationen werden, wenn möglich, vermieden. stinkend: Niemand möchte so etwas riechen. teuer: Die Preise für aufsaugende Vorlagen und die Kosten für rezidivierende Blaseninfektionen sind hoch. Zudem verursacht auch tägliches bzw. häufiges Wäschewaschen Kosten. 552 Pflegezeitschrift 10/2007
2 Abbildung 1: Auszug aus dem Expertenstandard am Klinikum Dortmund Struktur Prozess Ergebnis Die Pflegefachkraft S 1 verfügt über die Kompetenz zur Identifikation von Risikofaktoren und Anzeichen für eine Harninkontinenz. S* 1 - Den Pflegenden steht ein Reader zur Verfügung. Dieser Reader enthält eine Liste von möglichen Risikofaktoren und Anzeichen einer möglichen Inkontinenz. Die Pflegefachkraft P 1 identifiziert im Rahmen der pflegerischen Anamnese Risikofaktoren und Anzeichen für eine Harninkontinenz. wiederholt die Einschätzung bei Veränderung der Pflegesituation und in individuell festzulegenden Zeitabständen. P* 1 Im Rahmen der pflegerischen Anamnese (innerhalb der ersten vier Stunden) identifiziert die Pflegende Risikofaktoren und Anzeichen für eine Inkontinenz. Erwachsene: Folgende Initialfragen werden gestellt: Verlieren Sie ungewollt Urin, z.b. beim Husten, Lachen oder bei körperlicher Betätigung? Wenn ja, wie geht der Urin ab: starker Strahl/schwacher Strahl/tröpfchenweise? Tragen Sie Vorlagen oder Einlagen, um Urin oder Stuhl aufzufangen? Müssen Sie pressen, um Wasser zu lassen? Kinder: Die Einschätzung wird wiederholt, wenn eine Kontinenzproblematik auftritt und nachdem ein Dauerkatheter bei den Patienten entfernt worden ist. Ist der Dauerkatheter aus medizinisch-operativen Gründen gelegt (Gyn, Urologie), wird die Einschätzung der Kontinenzproblematik erneut vorgenommen, wenn die Patienten 24 Stunden nach Entfernen des Katheters noch im Klinikum sind. E 1 Risikofaktoren und Anzeichen für eine Harninkontinenz sind identifiziert. E* 1 - Das Ergebnis der Ersteinschätzung wird auf den Pflegeanamnesebögen dokumentiert. Die Dokumentation der wiederholten Einschätzung erfolgt im Formular Pflegeplan. * Das in kursiv Geschriebene beschreibt, was im Kontinenzzentrum des Klinikums Dortmund unter diesem Kriterium genau verstanden wird. isolierend: Viele Betroffene sehen keinen anderen Weg, als sich zurückzuziehen. regressiv: Wir erinnern uns vielleicht noch an die Not im Kindesalter, wenn etwas in die Hose gegangen war. Erwachsen und inkontinent sein, dass passt in keiner Weise zusammen. stigmatisierend: Inkontinenz ist mit negativen Bewertungen behaftet für betroffene Menschen besteht die Gefahr, dass sie aus dem gesellschaftlichen Kontext ausgegrenzt werden. Demgegenüber verbinden wir mit Kontinenz... Erwachsen-Sein: Wir haben alles unter Kontrolle, erst recht die Ausscheidungen. Normal-Sein: Alle können Stuhl und Urin halten. Erfolg: Alle, die Kinder erzogen haben, kennen den Wettstreit offen oder verdeckt: Ist es schon sauber? All diese Werte, Haltungen und Meinungen begleiten Pflegende beim Umgang mit Menschen, die an Inkontinenz leiden. Jeder kennt Sätze wie: Der hat sich schon wieder nassgepisst. Natürlich wird in einem professionellen Team so nicht gesprochen, oder doch? Inkontinenz ist ein Thema, das mehr als alle anderen uns selbst berührt. Wir sind betroffen oder werden betroffen sein. In einem Beruf, in dem viele Frauen arbeiten und dabei oft schwer heben und schieben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es viele treffen wird. Reflektiert man nicht das eigene Tun, läuft man Gefahr, einer wichtigen medizinischen, pflegerischen, sozialen und psychosozialen Herausforderung nicht gerecht zu werden. Deshalb müssen wir uns auch auf diesem Gebiet professionalisieren. Der Expertenstandard Förderung der Harnkontinenz in der Pflege vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP 2007) setzt genau dort an. Pflegende können auf der Basis pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse ihr Handeln und ihre Unterstützung für die Patienten qualitativ verbessern. Inkontinenz wird somit aus der Tabuzone herausgeholt und thematisiert. Kontinenz und die Identifikation des Problems Im Expertenstandard ist Kontinenz definiert als ( ) die Fähigkeit, willkürlich und zur passenden Zeit an einem geeigneten Ort, die Blase zu entleeren. Darüber hinaus beinhaltet sie die Fähigkeit, Bedürfnisse zu kommunizieren, um Hilfestellung zu erhalten, wenn Einschränkungen beim Toilettengang bestehen (DNPQ 2007, S. 25). In der Praxis trifft man immer wieder auf das Problem, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Kontinenz nicht ohne Weiteres zu identifizieren sind, da Patienten dies nicht offensiv ansprechen. Sie kommen in die Klinik, um sich wegen einer anderen Erkrankung behandeln zu lassen für sie besteht keine Notwendigkeit, über die Inkontinenz zu sprechen. Im Klinikum Dortmund wurde die Erfahrung gemacht ohne es mit Kennzahlen hinterlegen zu können, dass Patienten häufiger über Beeinträchtigungen der Kontinenz berichten, wenn während der Pflegeanamnese folgende Initialfragen gestellt werden: Verlieren Sie ungewollt Urin, zum Beispiel beim Husten, Lachen oder bei körperlicher Betätigung? Wenn ja, wie geht der Urin ab, als starker oder schwacher Strahl oder tröpfchenweise? Tragen Sie Vorlagen oder Einlagen, um den Urin oder Stuhl aufzufangen? Müssen Sie pressen, um Wasser zu lassen? Diese Fragen bieten einen guten Einstieg, um die Probleme des Patienten zu identifizieren und ihn bei der Förderung der Harnkontinenz zu unterstützen. Umsetzung des Expertenstandards Die Geschäftsführung des Klinikums Dortmund entschied, den Expertenstandard zunächst im Kontinenzzentrum einzuführen. Hierzu gehören die Urologie, die Gynäkologie und Geburtshilfe, die Neurologie sowie die chirurgische und kinderchirurgische Klinik. Dort werden neben der Inkontinenz auch andere fachspezifische Krankheiten behandelt. Von jeder Station des Kontinenzzentrums wirkt jeweils eine Pflegende in der Pflegezeitschrift 10/
3 Abbildung 2: Formular für die Pflegeplanung In Bezug auf die Kontinenz Stand: Pflegeplan zur Kontinenzförderung und Kontinenzversorgung für Patient/in Datum: Termin zur Kontinenzsprechstunde in der Chirurgie / Gynäkologie / Urologie vereinbart Patientenaufkleber Uhrzeit: Station/Zi.Nr.: Tel.: am um Bei Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung (Tel.: )! Pflegeexperte für Kontinenz Kontinenzprofil am: Nicht kompensierte Inkontinenz Beckenbodentraining Kontakt zur Physiotherapie herstellen Blasentraining Schulung Termin: individueller zeitgebundener Ausscheidungsplan _ Toilettentraining Angebotener Toilettengang Toilettengang zu festgelegten Zeiten _ Führen eines Miktionsprotokolls (Selbsteinschätzung) Miktionsprotokolls (Fremdeinschätzung) Stuhlprotokolls (Selbsteinschätzung) Stuhlprotokolls (Fremdeinschätzung) Kontinenzprofil am: Nicht kompensierte Inkontinenz Ableitende Hilfsmittel Intermittierender (Selbst-)Katheterismus Blasenverweilkatheter nä. Wechsel: Entfernen: suprapubischer Katheter Kondomurinal Urinkollektor Fäkalkollektor Peristeen-System Beratung des Patienten/Angehörigen zu folgendem Thema: _ Kontinenz nach DK-Entfernung Flyer ausgehändigt Angestrebtes Kontinenzprofil: Kontinenz Aufsaugende Hilfsmittel Körperferne aufsaugende Hilfsmittel Bettschutz Körpernahe aufsaugende Hilfsmittel offenes System Größe: geschlossenes System Größe: Windel (Kinder) Sonstiges/Ergebnis der Beratung: Kontinenzprofil am Entlassungstag: klinikinternen Projektgruppe mit. Zu Beginn der Einführung des Standards wurden acht Pflegende aus der Projektgruppe in einer Inhouse-Fortbildung zu Pflegeexperten für Kontinenzförderung qualifiziert. Es waren die Pflegenden, die sich schon im Voraus bereit erklärt hatten, die Umsetzung des Expertenstandards in weiteren Klinikbereichen und die daraus resultierende Beratung dortiger Patienten und Angehörigen zu unterstützen. Denn auch in den anderen Kliniken, insbesondere in den verschiedenen Disziplinen der Inneren Medizin, gibt es Patienten, die an einer Inkontinenz leiden. Genauso wie bei der Implementierung des Expertenstandards Schmerzmanagement stellte die interdisziplinäre Zusammenarbeit wiederum eine große Herausforderung dar. An dieser Stelle sei ein kritischer Exkurs erlaubt: Die Expertenstandards sind für die Qualität der Pflege bedeutend. In all dien Standards wird mehr oder weniger stark auf die Notwendigkeit interprofessionell geltender Verfahrensregelungen für Zuständigkeiten und Vorgehensweisen in Bezug auf das jeweilige Thema hingewiesen. Hieraus erwächst immer wieder eine Hürde. Ein Problem liegt darin, dass Ärzte diesen Auftrag resultierend aus dem Expertenstandard meist gar nicht kennen und somit auch nicht als ein von ihnen zu bearbeitendes Thema ansehen. Dies führt zu der Frage: Wenn in dem Standard interprofessionelle Verfahrensregelungen gefordert werden, warum werden dann nicht bereits in die DNQP-Expertengruppen, welche die Standards entwickeln, ärztliche Vertreter integriert? Vielleicht ließe sich so die Akzeptanz dieser Instrumente für die gemeinsame Arbeit und die Qualitätsverbesserung in der klinischen Praxis erleichtern. Im Klinikum Dortmund befindet sich die Erstellung der interprofessionellen Verfahrensregelung auf einem guten Weg. In interdisziplinären Fallkonferenzen wird gemeinsam über die Patienten gesprochen, die einer fachübergreifenden Diagnostik und Therapie bedürfen. Dadurch soll der Kenntnisstand aller beteiligten Disziplinen über das eigene Fach hinaus erweitert und ständig aktualisiert werden. Mitarbeiterinnen der krankengymnastischen Abteilung stehen mit speziellen Trainingsprogrammen zur Verfügung. Im Rahmen der modellhaften Implementierung des Expertenstandards wird vom DNQP die methodische Vorgehensweise klar vorgegeben (DNQP 2007). Genau nach diesen vier Phasen wurde sich auch im Klinikum Dortmund gerichtet: Phase 1: Fortbildungen Die Fortbildung zum Expertenstandard fand primär für die Projektgruppenmitglieder statt. Dabei wurden Themen, wie die Behandlung von Patienten mit speziellen Inkontinenzformen, die Versorgung mit Hilfsmitteln sowie die Auswirkung der Inkontinenz auf die Diagnosis Related Groups (DRG), bearbeitet. Besondere Aufmerksamkeit lag auf der Anwendung aufsaugender Hilfsmittel. Inzwischen wird die Fortbildungsreihe klinikweit für alle Pflegenden angeboten, da sich gezeigt hatte, dass auf diesem Gebiet Defizite in den pflegerischen Kompetenzen bestehen. Neben den Schulungen mit Inhalten unmittelbar bezogen auf das Thema Kontinenz wurden auch Fortbildungen entwickelt, in denen methodische Fragen, speziell zur Entwicklung und zur Systematik des Standards, im Vordergrund stehen. Zu Projektbe- 554 Pflegezeitschrift 10/2007
4 ginn fiel es den Pflegenden schwer, sich die Kontinenzprofile anzueignen, da ihnen die Art der Sprache und Systematik zunächst ungewohnt war. Bei den ersten Probe-Audits konnte aber die Implementierung dieser Profile beobachtet werden. Phase 2: Anpassung an die Zielgruppe Der Expertenstandard wurde an die besonderen Anforderungen der Patienten des Kontinenzzentrums angepasst. Hier galt es die einzelnen Standardkriterien, besonders die auf der Prozessebene, zu konkretisieren. Beispielhaft sind in Abbildung 1 der originale Wortlaut und die modifizierte Fassung des Standardkriteriums 1 dargestellt. Nach diesem Muster sind auch die übrigen Kriterien konkretisiert worden, das heißt, das Original wird jeweils mit angegeben, um zu zeigen, aus welcher Vorgabe der Inhalt entstanden ist. In dieser Phase wurde erkennbar, welche Materialien die Pflegenden noch benötigten, um Patienten und Angehörige beraten zu können. Es wurde ein lesefreundlicher Reader zusammengestellt, in dem die wichtigsten Inhalte des Standards zusammengefasst sind. Zugleich wurde auch über die Nachhaltigkeit der Anwendung des Standards bei Patienten diskutiert. Wie im Expertenstandard beschrieben, ist die kurze Verweildauer der Patienten im Klinikum zu berücksichtigen (DNQP 2007). Der Erfolg der pflegerischen Förderung ist oft nicht zu messen, weil sich in der Kürze der Zeit keine Auswirkung auf das Kontinenzprofil ergeben hat. Hinzu kommt bei einigen Patienten, dass sie sich nicht primär für die Problematik interessieren, wenn sie beispielsweise wegen eines Nierensteinleidens in der Urologie behandelt werden. Phase 3: Einführung und Anwendung Die Verantwortung für die Einführung des Expertenstandard in der einzelnen Station obliegt jeweils der Pflegenden, die der Projektgruppe angehört. Diese Phase nahm zunächst längere Zeit in Anspruch, wobei ein konkretes Problem offenbar wurde: Es existierte keine adäquate Dokumentationsvorlage, um analog zum Pflegeprozess die Kontinenzförderung zu dokumentieren. Es wurde ein praktikables Formular entwickelt, in dem auch die Kontinenzprofile abgebildet sind (Abb. 2). Abbildung 3: Entscheidungshilfe für den Einsatz von aufsaugenden Produkten bei Inkontinenz und BLutungen Produkt Urin Stuhl Blut MoliMed Mini MoliMed Maxi MoliForm Plus MoliCare (geschlossenes Samu mit Klebestreifen Strampelpeter MoliPants MoliNea PlusL Indikation: leichte Inkontinenz (Versorgung tagsüber), z.b. Stressinkontinenz, nach Dauerkatheteterentfernung Fassungsvermögen ca. 200 ml K = 12 x 28 Stk. Indikation: mittlere Inkontinenz (Versorgung tagsüber) und leichte Inkontinenz (Nachtversorgung) Fassungsvermögen ca. 400 bis 600 ml K = 6 x 28 Stk. Indikation: Versorgung tagsüber für mobile und bettlägerige Patienten mit mittlerer Urininkontinenz oder Diarrhoe, z. B. bei Sondenkostunverträglichkeit Fassungsvermögen ca ml K = 4 x 30 Stk. Indikation: geschlossenes System bei schwerer Urin- oder Stuhlinkontinenz, bei hochgradig pflegebedürftigen oder unruhigen Patienten Fassungsvermögen: S = ca. 600 ml, M = ca ml, L = ca ml je K = 4 x 30 Stk. Phase 4: Datenerhebung Das Audit wird derzeit mit dem standardisierten Fragebogen des DNQP durchgeführt. Die Projektgruppenmitglieder sind darin geschult. Jeweils eine Station des Kontinenzzentrums wurde zufällig einem Projektgruppenmitglied zugeordnet, das dort das Audit durchzuführen hat. Unterstützende Materialien Während der Arbeit mit dem Expertenstandard wurde deutlich, dass Materialien erforderlich sind, um Patienten und Angehörige beraten zu können. Deshalb wurde von der Projektgruppe ein Informationsflyer entwickelt. Dieser liegt im Klinikum aus und ermöglicht den Betroffenen einen ersten diskreten Einblick Indikation: hygienische Vorlage für Patientinnen zur Aufnahme von Regelblutungen und Blutungen nach vaginalen Eingriffen K = 30 x 20 Stk. 1 Vorlage 6,5 x 22 cm Indikation: hygienische Vorlage für Wöchnerinnen zur Aufnahme von Lochien K = 4 x 56 Stk. 1 Vorlage 11 x 35 cm Indikation: sichere und hygienische Fixierung von offenen Inkontinezsystemen und hygienischen Vorlagen K = 4 x 100 Stk. Large = Hüftumfang 80 bis 120 cm Indikation: körperferner Bettschutz bei Verwendung offener und geschlossener Systeme K = 6 x 30 Stk. 40 bis 60 cm in die Thematik. Aber auch für die Menschen, die konkrete Unterstützung und Hilfe wünschen, enthält der Prospekt erste Informationen wie zum Beispiel die Hotline-Nummer des Kontinenzzentrums. Über diese erhalten die Patienten einen ersten kostenlosen Beratungstermin in der Kontinenzsprechstunde. Daneben gibt es eine Entscheidungshilfe für den Einsatz von aufsaugenden Produkten bei Inkontinenz und Blutungen (Abb. 3). Diese hat zum Ziel, dass die Produkte entsprechend dem Bedarf angewandt werden. So sind den Patienten im Rahmen der Wöchnerinnenpflege und der Stuhlinkontinenz andere Pro- Pflegezeitschrift 10/
5 Zusammenfassung Harninkontinenz ist ein häufig auftretendes, immer noch tabuisiertes Problem. Besonders Pflegenden fällt es oft schwer, mit den betroffenen Patienten offen umzugehen. Im Rahmen der Umsetzung des Expertenstandards Förderung der Harnkontinenz in der Pflege hat eine Projektgruppe im Kontinenzzentrum des Klinikums Dortmund gezeigt, wie das Thema in den Pflegealltag integriert werden kann. Dieser wurde in vier Phasen implementiert. Daneben wurden ein Informationsprospekt erarbeitet, um Patienten und ihre Angehörigen beraten zu können, sowie ein lesefreundlicher Reader mit den wichtigsten Inhalten für Pflegende zusammengestellt. Es wurde dabei deutlich, dass Kontinenzförderung nicht durch die Pflege allein geleistet werden kann, sondern Aufgabe eines interdisziplinären Teams ist. Schlüsselwörter: duktqualitäten anzubieten als Patienten mit einer schweren Harninkontinenz. Die Systematik soll unter Berücksichtigung ökonomischer Gesichtspunkte die Versorgung qualitativ verbessern, ganz nach dem Motto: Weniger ist möglicherweise mehr! Einsatz des Dauerkatheters Der Dauerkatheter ist und bleibt ein Thema, das immer wieder neu hinterfragt werden muss. Sein Einsatz wird von vielen leidenschaftlich gefordert, von anderen vehement verpönt. Über einen zu sorglosen Einsatz wird unter Pflegenden immer wieder heftig fachlich diskutiert. Die einen bevorzugen die Maßnahme, die anderen vertreten die Ansicht, den Katheter so schnell wie medizinisch möglich wieder zu entfernen. Es gibt Indikationen für einen transurethralen Blasenverweilkatheter, aber es gibt auch schön geredete wie Ein- und Ausfuhrkontrolle, Dekubitusbehandlung oder -prophylaxe, Immobilität, Verlegung von der Intensivstation oder gar Harninkontinenz! Es geht nicht darum, die Einzelfälle zu diskutieren, bei denen zum Beispiel aus Wundversorgungsgründen eine derartige Maßnahme angezeigt ist. Vielmehr geht es um die Patienten, bei denen bei einer genaueren Betrachtung der gesundheitlichen Situation nicht erkennbar ist, warum ein solcher Katheter (noch) liegt. Hier gilt es für die Pflegenden immer wieder die von ihnen selbst indizierten Indikationen infrage zu stellen, auch wenn das wissen alle Pflegenden ein Patient mit Dauerkatheter pflegerisch einfacher zu versorgen ist als Patienten, die etwa aufsaugende Hilfsmittel erhalten. Die hohe Anzahl an nosokomialen Harnwegsin- Harninkontinenz, Expertenstandard, Patientenberatung fektionen und die einschränkende Wirkung des Dauerkatheters auf die Lebensqualität der Menschen sollten dazu führen, dass Katheter so schnell wie möglich entfernt werden. Fazit Inzwischen taucht das Thema Inkontinenz auch bereits in der Tagespresse auf. Ebenso geht die Deutsche Kontinenz Gesellschaft mehr und mehr in die Öffentlichkeit. Der Weg zum normalen Umgang mit der Inkontinenz ist zwar noch lang, aber: Wege entstehen, indem man sie geht. Den Patienten, die sich nicht selbst trauen, sollte von Pflegenden ermöglicht werden, aus der Tabuzone herauszutreten und sich auf das vielfältige Angebot zur Förderung der Harnkontinenz einzulassen. Für viele Menschen wäre das ein Weg zurück zum Kontinenzprofil Kontinenz. << Literatur Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (2007) Expertenstandard Förderung der Harnkontinenz in der Pflege. Entwicklung Konsentierung Implementierung. Osnabrück. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (2007) Methodisches Vorgehen zur Entwicklung und Einführung von Expertenstandards in der Pflege. Zugriff am 16. Juli Zur Autorin: Andrea Besendorfer, RbP, BScN, MScN, Pflegewissenschaftlerin, und Barbara Schulz, RbP, Stationsleitung N I2, Urologische Klinik, Klinikzentrum Nord. Kontakt: Beurhausstraße 40, Dortmund, E- Mail: andrea.besendorfer@klinikumdo.de HARTMANN- Tipp Fachberater der PAUL HARTMANN AG geben an dieser Stelle Leserinnen und Lesern der Pflegezeitschrift jeden Monat exklusiv wichtige Pflegetipps aus der Praxis. Im Mittelpunkt dieser Ausgabe steht das Thema: Hautpflege: Damit Inkontinenz nicht zum Hautproblem wird Die Gesundheit der Haut spielt für das Wohlbefinden eine zentrale Rolle. Doch gerade pflegebedürftige, ältere Menschen sind stark dekubitusgefährdet. Um Dekubitalulzera und Hautreizungen vorzubeugen, benötigt ihre Haut besonderen Schutz und Pflege das gilt umso mehr, wenn der Betroffene an Inkontinenz leidet. Wichtig ist, den Säureschutzmantel der Haut intakt zu halten. Der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege empfiehlt, die zu pflegende Haut vor unnötigem Kontakt mit Wasser und schädigenden Substanzen wie Urin oder Stuhl zu schützen. Diese beeinträchtigen den natürlichen Schutzmechanismus der Haut, machen sie verletzbar und anfällig für Krankheitserreger. Zusätzlichen Schutz bieten moderne Cremes und Schäume, die die Haut mit einem Fett-Wasser-Mantel überziehen und das Eindringen von Feuchtigkeit verhindern. Transparente Produkte ermöglichen Kontrolle. Besonders hilfreich sind transparente Schäume oder Cremes wie etwa Menalind professional Hautschutzcreme. Sie gewähren eine gute optische Kontrolle der Haut auf eventuell auftretende Irritationen. Nicht geeignet sind Zinkpasten, die die Haut austrocknen und eine weiße Schicht hinterlassen, sowie reine Fettprodukte wie Melkfett oder Vaseline, die die Hautporen verschließen und den wichtigen Wärmeaustausch hemmen. Fazit: Die regelmäßige Pflege mit modernen Hautschutzprodukten leistet einen wertvollen Beitrag zum Wohlbefinden der Patienten oder Heimbewohner. 556 Pflegezeitschrift 10/2007
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