Christoph Schmid EINFÜHRUNG NEUE SCHULE FÜR DIE LINKE HAND PIANISTISCHE GEHIRNHÄLFTENINTEGRATION

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1 Christoph Schmid EINFÜHRUNG NEUE SCHULE FÜR DIE LINKE HAND PIANISTISCHE GEHIRNHÄLFTENINTEGRATION Der klavierspielende und übende Mensch erkennt bei intensiver Beschäftigung die Anlagen der beiden Hände und damit die speziellen Unterschiede der beiden Gehirnhälften des Menschen. Das vorherrschen der Rechtshändigkeit ist kein zivilisatorisch hervorgerufenes Phänomen. Allerdings wurde die Rechtshändigkeit zivilisatorisch vertieft und sanktioniert. Auch ganz am Anfang der menschlichen Kultur war der rechtshändige Mensch in der Überzahl. Dies beweisen Auswertungen von Höhlenmalereien. Die Künstler der Jungsteinzeit waren meist Rechtshänder. Die rechte Gehirnhemisphäre ist über kreuz mit der linken Körperhälfte verbunden und umgekehrt. Die rechte Hand ist somit der Ausdruck der Gegebenheiten in der linken Gehirnhemisphäre und umgekehrt. Hier einige Begriffe die man den beiden Körperhälften zuordnen könnte: Rechte Körperhälfte: männlich Verstand, Klarheit, Logik, Zielstrebigkeit, Ordnungswillen. Linke Körperhälfte: weiblich Intuition, Erdung, Spontaneität, Flexibilität, Absichtslosigkeit, Eleganz, Freude. Auf dieser psychologisch-emotionalen Ebene betrachtet ist der Pianist ein Künstler der beide Anlagen seiner Gehirnhälften im pianistischen Tun verbindet. Die Begriffe männlich und weiblich dürfen hier nicht isoliert betrachtet werden. Jeder Mensch, egal ob Mann oder Frau, besitzt diese beiden Anteile. Aus meiner langjährigen Erfahrung als Klavierlehrer könnte man die verschiedenen pianistischen Anlagen der beiden Hände so beschreiben: Rechte Hand: Schnelle Auffassungsgabe. Gute Koordinationsfähigkeit. Neigt allerdings zur Starrheit. Hat die Tendenz sich zu verschließen. (Die Beuger sind meist besser ausgebildet als die Strecker!) Bei Rechtshändern oft überanstrengt und etwas müde. Manchmal schläfrig. Weniger Erdung. Nimmt den Tastenboden nicht ganz so deutlich wahr wie die Linke. 1

2 Linke Hand: Etwas langsamere Auffassungsgabe. Anfänglich unbeholfener in der Koordination. Neigt zu grobmotorischer Kraftentwicklung. Hat die Fähigkeit sich zu öffnen. Mehr Frische. Kann spontane Bewegungsabläufe zulassen. Ausdauernd. Kann sich meist weiter Dehnen als die rechte. Strecker sind aktiv. Die sensitive Wahrnehmung der Tastenberührung meist besser und empfindlicher als bei der rechten Hand. Diese Anlage sind meiner Erfahrung nach auch bei Linkshändern tendenziell vorhanden. Die Linkshändigkeit betont zwar die Linke Seite, dreht das System aber nicht auf den Kopf. Intelligentes Üben setzt voraus, dass man die Anlagen der Hände erkennt und sich aus diesem Bewusstsein heraus mit der Erweiterung der pianistischen Fähigkeiten der Hände beschäftigt. So gesehen ist vertieftes Klavierüben auch immer Bewusstseinsarbeit und damit Persönlichkeitsentwicklung! Je besser sich die beiden Anlagen und Fähigkeiten der beiden Gehirnhälften ergänzen und gegenseitig voneinander lernen, umso mehr kann sich pianistisches Bewusstsein entwickeln. Letztendlich allerdings ist pianistisches Bewusstsein auch immer menschliches Bewusstsein. Klavierspielen im 21. Jahrhundert darf neue Wege gehen. Klavierspiel kann und soll eine Beschäftigung sein, die den Menschen wachsen lässt, ihm neue Wege des Bewusstseins öffnet. Klavierspielen und Klavierunterricht im 21. Jahrhundert kann so einen echten Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen im allgemeinen bringen. Leider wird Klavierspiel immer noch zu stark einseitig mit der Schulung des Verstandes gleichgesetzt. Es wird zu einer Leistungsdisziplin erniedrigt. Klavierspiel ist jedoch eine Disziplin die den ganzen Menschen fordert. Alle Teilbereiche menschlichen Seins müssen bei einem künstlerischen hoch stehenden Spiel verbunden werden. Mit Verstand alleine ist dies nicht möglich. Der Pianist setzt seinen Verstand ein, um sich als Ganzes erleben zu können. Er kennt seinen Körper. Leider stellt man immer mehr fest, dass Kinder im Klavierunterricht oft keinen Bezug mehr zu ihrem Körper haben. Wer ein pianistisches Problem wirklich verstehen will, muss den anstrengenden Weg gehen sich selbst zu verstehen. Insofern ist Klavierspiel im 21. Jahrhundert auch eine Form der Meditation und der Selbstfindung. Warum aber eine Schule für die linke Hand? Zuerst aus einem ganz praktischen Grund: Über ein Jahr lang war ich gezwungen alleine mit der linken Hand zu üben. Aus dieser Erfahrung heraus, habe ich das Konzept für diese Schule entwickelt. Die Beschäftigung mit einer Hand alleine, ist eine sehr lohnende Beschäftigung. Es ist für die nicht beanspruchte Hand keineswegs verlorene Zeit. Die eine Gehirnhälfte lernt von der anderen. Wer die Anlagen einer Hand übend intensiv erforscht, lernt auch die Anlagen der Gegenseite kennen. 2

3 Gerade aus dieser einseitigen Erfahrung heraus, kann eine pianistische Einmittung begonnen werden. Die reizvolle Aufgabe des einhändigen Spiels ist es, sich vertieft mit grundsätzlichen Problemen des Klavierspiels beschäftigen zu dürfen, losgelöst von der Koordinationsarbeit beim beidhändigen Spiel. (siehe meine Koordinations- und Unabhängigkeitsübungen Best.- Nr. CPS 6) Wirklichen Sinn jedoch macht eine intensive pianistische Auseinandersetzung mit einer Hand nur, wenn das Üben mit der richtigen inneren Haltung geschieht. ÜBUNGSHALTUNG Ziel des Übens ist es nicht, eine vordergründige Virtuosität zu erreichen. Dazu muss ich vorerst meine Definition dieses Begriffes vorstellen: Virtuosität ist dann vordergründig, wenn sie vom Ausübenden nicht zutiefst mit Bewusstheit durchdrungen ist. Um eine qualitativ hochwertige Virtuosität herzustellen, muss folgender Übungsprozess durchlaufen werden: Der Übende macht sich alle möglichen Faktoren bewusst, die Klavierspiel ermöglichen. Er denkt ganzheitlich und versteht seine Technik. Er geht einfühlsam, aber diszipliniert mit seinen Fingern um. Er erzieht seine Finger wie eigene Kinder. Er kommuniziert also mit seinen Fingern. Er beobachtet das Zusammenspiel zwischen Denken, Verstehen, Fühlen und Bewegung. Er übt sich darin, die gegebenen Aufgaben eines Stückes pianistisch zu durchschauen. Er macht sich seine Schwächen und Stärken bewusst. Ist alles menschenmögliche, was mit dem Klavierspiel in Zusammenhang steht (und das ist sehr viel!!) bewusst gemacht, beginnt die zweite Stufe auf dem Weg zu einer qualitativ hochwertigen Virtuosität : Der Prozess des Loslassens. Mit dem Verstand Verstandenes und mit dem Körper Gefühltes, wird jetzt vereinigt. Der Verstand tritt gleichsam entspannt einen Schritt zurück und überlässt dem Körper, mit seiner tierischen Geschicklichkeit, das Klavierspiel. Der Pianist muss also über die Klugheit verfügen, seinen eigenen Verstand bis zur Grenze zu gebrauchen, um ihn dann in die Schranken zu weisen, um das körperliche Bewegungspotential voll und ganz zu entfalten. Mit dieser inneren Haltung vollzogenes Üben ist eine Form der Selbsterforschung. Man begegnet seinen eigenen Blockierungen, seinen eingefahrenen körperlichen wie geistigen Mustern, erkennt wie weit man blicken muss, um einen Weg zu einem freien Spiel zu finden. Insofern ist diese Übungsphilosophie meditativ. Ohne die Bereitschaft für eine entsprechende Persönlichkeitsentwicklung, ist solches Üben nicht möglich. 3

4 ZIEL DES ÜBENS In Bezug auf die Linke Hand geht es darum, die vorhandenen Anlagen zu verfeinern, aber auch darum, von den Qualitäten der rechten Hand zu lernen, ohne die ureigensten Anlagen der linken Hand zu verleugnen. Nochmals: Es geht nicht darum die Händigkeit des Menschen außer Kraft zu setzen. Dies wäre ein zu gewalttätiger Prozess. Pianistische Bewusstseinserweiterung setzt aber einen vollkommen gewaltfreien Übungsprozess voraus! Wer sich näher für meine Philosophie Gewaltfreies Klavierspiel interessiert, sei auf meine kleine Schrift darüber verwiesen. ( Die Linke Hand verfügt meist über mehr ungesteuerte Kraft als die Rechte Hand. Aufgabe wird es dann sein, die Kraft durch Üben nicht noch zu steigern, sondern im Gegenteil, diese Kraft zu bändigen oder zu kanalisieren. Die Linke neigt zum Drücken. Bei geduldigem und gewaltfreien Üben, entwickelt die Linke Hand eine ganz natürliche Geschicklichkeit. Meist wird diese Geschicklichkeit jedoch durch eine unfreie Schulter eingeschränkt. Bewusstes Üben integriert Schulter und Rücken. Da der Stress bei einhändigem Spiel für die Hand steigt, da sie alleine für das Spiel verantwortlich ist, kann der Übende dieses Phänomen gut erforschen. In den Schultern losgelassen, langsam und ohne Leistungsdruck üben! DIE SPIELLITERATUR In den wenigsten Fällen wird sich ein Pianist entscheiden, die Stücke öffentlich aufzuführen. Die Schule versteht sich also rein als Übungsmaterial, das immer wieder vertieft wird. (Ein weiterer Band mit neuen Bearbeitungen ist in Vorbereitung!) Es gibt sehr verschiedene Ansätze wie die Fähigkeiten der linken Hand erweitert werden können. Es gibt viel Akrobatisches auf diesem Gebiet. (z.b. Godowsky-Bearbeitungen von Chopin-Etüden). Diesen Weg gehe ich nicht! Mir geht es nicht darum, die linke Hand an die absolute Grenze zu führen. Das führt meist zu Verspannung, Leistungsdruck und falsch verstandener Virtuosität. Beidhändige Stücke die eine besonders ausgeprägten Part für die linke Hand bieten, können einhändiges Spiel nicht ersetzten. Trotzdem empfiehlt es sich natürlich, auch solche Partien über einen langen Zeitraum immer wieder einzeln zu üben. (z.b. Chopin-Etüden) Allgemein eine gute Möglichkeit ist es, die Stimme der rechten Hand eines beidhändigen Stückes alleine mit der linken zu spielen. Da die Oberstimmen kompositorisch anders geführt sind als Unterstimmen, bekommt die linke Hand neue Nahrung, die neu wahrgenommen wird und im Gehirn neu sortiert werden muss. Um trotzdem in den Genuss einer musikalischen Gesamtheit zu kommen, 4

5 habe ich kleinere Originalstücke für die linke Hand alleine bearbeitet. Dies geht bei einiger Übung relativ gut. Es ist eine Herausforderung beim Bearbeitungsprozess Wege zu finden, eine Musik komplett mit der Linken zu spielen zu können, ohne tragendes der Komposition wegzulassen. Oftmals gewinnt das Stück sogar durch diese Konzentrierung auf das Wesentliche. Bei allen Übertragungen die ich angefertigt habe, wurde substanziell nichts verändert. Die zwei Originalstücke von dem Münchener Komponisten Jean-Marie Bernard werden hier erstmals veröffentlicht. Der Komponist ging in der Phase meines Einhändigseins auf meine Bitte ein, etwas einhändiges zu schreiben. SPEZIFISCH EINHÄNDIGE SPIELPROBLEME Schnelle Lagewechsel Da die ganze Tatstatur mit einer Hand bespielt wird, ergeben sich zwangsläufig rasche Lagewechsel und Sprünge. Diese schnellen Wechsel setzen ein vollkommen vorbereites Abspringen voraus. Je schneller etwas geschehen muss, umso ruhiger und gelassener sollte die innere Haltung des Spielers sein! Das ist eine schwere Aufgabe! (Ich kennzeichne schnelle Absprünge mit einem kleinen Absprungpfeil in meinen Noten. Er hilft mir bei der optimalen Vorbereitung des Absprunges.) Es empfiehlt sich aus meiner Erfahrung heraus mit Vorstellungsbildern zu arbeiten: Ich stelle mir vor, die Tastatur sei ein großer Elektromagnet. Ich kann es mit einem Augenschlag einschalten und ausschalten. Ein Absprung der Hand setzt die Schwerkraft außer Kraft. Der Magnet wird abgeschaltet. Die Hand ist leicht und frei. (setzt freie Schulter und eine tragend Rückenmuskulatur voraus!) Das Eintauchen bei der Landung setzt den Magneten wieder in Kraft und ich fühle geerdet den neuen Tastenboden. Fingersatz Das Finden eines Fingersatzes ist eine der lohnendsten Aufgaben bei einhändigem Spiel. Ich habe in einigen Stücken meine eigenen Fingersatzlösungen als Beispiele eingetragen. Die Fingersatzmöglickeiten müssen bei einhändigem Spiel voll ausgeschöpft werden. Das die Fingersätze, aus der Sache heraus, auch ungewöhnlich sind, macht gerade den Reiz aus. Eigene Fingersätze zu finden, die den Anlagen der Hand entsprechen, ist natürlich jedem Übenden selbst überlassen. Verschiedene Möglichkeiten zu erforschen ist notwendig, um neues pianistisches Bewusstsein der Hand zu fördern. 5

6 Pedal Das Pedal spielt bei einem einhändigen Spiel eine große Rolle. Oftmals muss ein Kompromiss gefunden werden, um harmonische Zusammenhänge deutlich zu machen ohne klanglich zu verschleiern. Die Pedalangaben in den Noten sind als Vorschläge zu verstehen. Auf den Einsatz des mittleren Pedals habe ich verzichtet, da ich damit keine Erfahrung habe (Mein Flügel hat keines!) Wer darin Übung hat, wird bestimmt einiges damit zaubern können. Phrasierung Gerade weil einhändiges Spiel viel Pedal erzwingt, ist es von großer Bedeutung eine saubere Phrasierung zu realisieren. Die in den Noten eingetragene Phrasierung richtet sich nach den Originalnoten, um die musikalische Intention des Komponisten anzuzeigen. Vieles kann einhändig nicht direkt so gespielt werden. Aber ein geschickter Spieler wird den Eindruck erwecken können, so zu phrasieren wie es sich der Komponist vorstellt. Intelligentes einhändiges Spiel ist immer mit tricksen verbunden. Auch beim Bearbeiten der Stücke habe ich das gelernt. Ich habe versucht, dass es einhändig so klingt, als würden zwei Hände spielen. Fantasiebegabte Pianisten/innen sind auch immer mit Freude Illusionisten. Zuletzt möchte ich noch darauf hinweisen, dass es durchaus möglich und sinnvoll sein kann, die Stücke auch mit der rechten Hand alleine zu üben! Vielleicht kann meine Schule einen kleinen Beitrag leisten, neues Nachdenken über das Üben an sich anzustoßen. Landshut Juli 2009 Christoph Schmid 6