Fabeln. t lipan verlag. aus aller Welt. Mit Bildern von Karsten Teich

Transkript

1 Fabeln aus aller Welt Mit Bildern von Karsten Teich t lipan verlag

2 Fink und Frosch Auf leichten Schwingen frei und flink Zum Lindenwipfel flog der Fink Und sang an dieser hohen Stelle Sein Morgenlied so glockenhelle. Ein Frosch, ein dicker, der im Grase Am Boden hockt, erhob die Nase, Strich selbstgefällig seinen Bauch Und denkt: Die Künste kann ich auch. Alsbald am rauhen Stamm der Linde Begann er, wenn auch nicht geschwinde, Doch mit Erfolg emporzusteigen, Bis er zuletzt von Zweig zu Zweigen, Wobei er freilich etwas keucht, Den höchsten Wipfelpunkt erreicht Und hier sein allerschönstes quaken Ertönen läßt aus vollen Backen. Der Fink, dem dieser Wettgesang Nicht recht gefällt, entfloh und schwang Sich auf das steile Kirchendach. Wart, rief der Frosch, ich komme nach. Und richtig ist er fortgeflogen, Das heißt, nach unten hin im Bogen, So daß er schnell und ohne Säumen, Nach mehr als zwanzig Purzelbäumen, Zur Erde kam mit lautem Quak, Nicht ohne großes Unbehagen. Er fiel zum Glück auf seinen Magen, Den dicken, weichen Futtersack, Sonst hätt er sicher sich verletzt. Heil ihm! Er hat es durchgesetzt. 2

3 Das Chamäleon und der Elefant aus Afrika Eines Tages lud das Chamäleon den Elefanten zum Laufen ein. Der Elefant nahm die Herausforderung an, deren Entscheidung auf den folgenden Morgen verlegt wurde. Während der Nacht verteilte das Chamäleon viele seiner Brüder in kurzer Entfernung den Weg entlang, der zu durchlaufen war. Als der folgende Tag graute, kam der Elefant und fing ohne weiteres zu laufen an. Das Chamäleon stieg hurtig dem Elefanten auf den Schwanz. Bei jeder Begegnung mit einem Chamäleon fragte der Elefant: "Bist du nicht müde?" - "Nein!" antwortete das gefragte Tier, das sich jetzt erst anschickte, den kleinen ihm angewiesenen Teil zu durchlaufen. Zuletzt blieb der Elefant atemlos und müde stehen, indem er sich für besiegt bekannte. 5

4 Die Taube und die Ameise J. de La Fontaine An einem heißen Sommertag flog eine durstige Taube an einen kleinen, rieselnden Bach. Sie girrte vor Verlangen, neigte ihren Kopf und tauchte den Schnabel in das klare Wasser. Hastig saugte sie den kühlen Trunk. Doch plötzlich hielt sie inne. Sie sah, wie eine Ameise he ig mit ihren winzigen Beinchen strampelte und sich verzweifelt bemühte, wieder an Land zu paddeln. Die Taube überlegte nicht lange, knickte einen dicken, langen Grasstängel ab und warf ihn der Ameise zu. Flink kletterte diese auf den Halm und krabbelte über die Rettungsbrücke an Land. Die Taube brummelte zufrieden, schlur e noch ein wenig Wasser und sonnte sich danach auf einem dicken, dürren Ast, den der Blitz von einem mächtigen Baum abgespalten hatte und der nahe am Bach lag. Ein junger Bursch patschte barfüßig durch die Wiesen zum Wasser. Er trug einen selbstgeschnitzten Pfeil und Bogen. Als er die Taube erblickte, blitzten seine Augen auf. "Gebratene Tauben sind meine Lieblingsspeise", lachte er und spannte siegesgewiss seinen Bogen. Erbost über dieses unerhörte Vorhaben gegen ihren gefiederten Wohltäter kroch die Ameise behände auf seinen Fuß und zwickte ihn voller Zorn. Der Taugenichts zuckte zusammen und schlug mit seiner Hand krä ig nach dem kleinen Quälgeist. Das klatschende Geräusch schreckte die Taube aus ihren sonnigen Träumen auf, und eilig flog sie davon. Aus Freude, dass sie ihrem Retter danken konnte, biss die Ameise noch einmal krä ig zu und kroch dann wohlgelaunt in einen Maulwurfshügel. 6 7

5 Die kleine rote Henne und die Weizenkörner anonym (Version nach Östlich der Sonne und westlich vom Mond, hrsg. von Paul Maar) Als die kleine rote Henne nach Futter scharrte, fand sie eines Tages ein paar Weizenkörner. Wer will den Weizen säen?, fragte sie. Ich nicht, sagte die Ente. Ich nicht, sagte der Hund. Ich auch nicht, sagte die Katze. Nun gut, sagte die kleine rote Henne, dann werde ich es tun. Und sie säte die Weizenkörner aus. Nach geraumer Zeit stand der Weizen hoch und war reif. Wer will den Weizen schneiden?, fragte die kleine rote Henne. Ich nicht, sagte die Ente. Ich nicht, sagte der Hund. Ich auch nicht, sagte die Katze. Nun gut, sagte die kleine rote Henne, dann werde ich es tun. Und sie schnitt den Weizen. Dann fragte die kleine rote Henne: Wer will nun den Weizen dreschen? Ich nicht, sagte die Ente. Ich nicht, sagte der Hund. Ich auch nicht, sagte die Katze. Nun gut, dann werde ich es tun, sagte die kleine rote Henne und drosch den Wezen. Als der Weizen gedroschen war, fragte sie: Wer will den Weizen zur Mühle bringen und zu Mehl mahlen? Ich nicht, sagte die Ente. Ich nicht, sagte der Hund. Ich auch nicht, sagte die Katze. Nun gut, dann werde ich es tun, sagte die kleine rote Henne und ging zur Mühle. Als der Weizen zu Mehl vermahlen war, fragte sie: Wer will Brot backen? Ich nicht, sagte die Ente. Ich nicht, sagte der Hund. Ich auch nicht, sagte die Katze. Nun gut, dann werde ich es tun, sagte die kleine rote Henne und backte ein knuspriges Brot. Wer möchte Brot haben?, fragte sie dann. Oh, ich!, rief die Ente. Oh, ich!, rief der Hund. Oh, ich auch!, rief die Katze. Oh, nein, keiner von euch, sagte die kleine rote Henne; sie lockte ihre Küken herbei und teilte mit ihnen das Brot. 8 9

6 Der Igel Leo N. Tolstoi Ein Kalb entdeckte einen Igel und sprach: "Ich fresse dich!" Der Igel wusste nicht, dass Kälber keine Igel fressen, erschrak, rollte sich ein und fauchte: "Versuch es doch!" Mit erhobenem Schwanz fing das einfältige Kalb an zu hüpfen, stieß mit den Hörnern in die Lu, spreizte die Vorderfüße und beleckte den Igel. "Oi, oi, oi", brüllte das Kalb und rannte zur Kuh-Mutter und beklagte sich: "Der Igel hat mich in die Zunge gestochen." Die Kuh hob den Kopf, blickte nachdenklich drein und riss weiter Gras ab. Der Igel indes rollte sich in eine dunkle Höhle unter einer Ebereschenwurzel und meinte fröstelnd: "Ich habe ein riesiges Tier besiegt. Ich muss ein Löwe sein!" Und der Ruf über die Tapferkeit des Igels eilte bis hinter den blauen See, bis hinter den dunklen Wald. "Wir haben einen Igel, der ist ein Recke", flüsterten ängstlich die Tiere. us und der Esel G. E. Lessing Der Esel sprach zu : "Wenn du wieder ein Geschichtchen von mir ausbringst, so lass mich etwas recht Vernün iges und Sinnreiches sagen." "Dich etwas Sinnreiches!" sagte, "Wie würde sich das schicken? Würde man nicht sprechen, du seist der Sittenlehrer und ich der Esel?" 11

7 Kleine Fabel Ka a Ach, sagte die Maus, die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe. Du mußt nur die Laufrichtung ändern, sagte die Katze und fraß sie. 12

8 Der Affe als Fischer Babrios Das Nachahmen gehört zur Natur des Affen. Einmal stand nun einer am Meere und sah am Strande ein Netz zum Trocknen ausgebreitet. Das nahm er auf und bemühte sich, es in die Tiefe zu werfen. Doch als es sich ihm um den Hals gewickelt hatte, zog es den Affen mit sich in den Abgrund. Da rief er dem Tode nah: Man sollte lassen, was man nicht gelernt hat! 14

9 Inhaltsverzeichnis Fink und Frosch us und der Esel Die alten und die jungen Frösche Abraham a Santa Clara Hund und Katze Das Schilfrohr und der Ölbaum Das Chamäleon und der Elefant aus Afrika Die Taube und die Ameise Vom Fichtenbaum, dem Teiche und den Wolken Gottfried Keller Kleine Fabel Franz Ka a Der Affe Babrios Der Fuchs und der Hahn Der Adler und die Dohle Als die Katze nicht zuhause war aus Nordamerika Der Rangstreit der Tiere Das Quartett Iwan Krylow Die Ameise und das Weizenkorn Leonardo da Vinci Der Diamant und der Bergkristall Magnus Gottfried Lichtwer Die allzu klugen Fische Patschatantra, Indien Der Fuchs und die Gänse Brüder Grimm Nichts mehr als nichts anonym Der Hase und die Frösche Der Ursprung des Todes aus Südwestafrika Das Pferd und der Esel Die kleine rote Henne und die Weizenkörner anonym Das Nilpferd Marie von Ebner-Eschenbach Der Fuchs und die Weintrauben Das Geschenk der Feen Das Schwein, die Ziege und der Hammel Der Löwe Lafcadio Hearn Der Reiher August Heinrich Hoffmann von Fallersleben Der Fuchs und der Ziegenbock Der Esel und der Fuchs Der Hase mit den Hörnern Die Schlange Hottentotten Kaninchen, die an allem schuld waren James urber Das Pferd Novalis Der Igel Leo Tolstoj Wie das Kamel seinen Buckel bekam Rudyard Kipling Der Gärtner und das Ferkel John Gay Diplomatischer Rat Franz Grillparzer Das Haselhuhn und die Schildkröte aus Afrika Der tugendha e Hund Heinrich Heine Von der Stadtmaus und der Feldmaus Martin Luther 22 23

10 Ein Krug Goldstücke russisches Volksmärchen Der Bär, der es bleiben ließ James urber Der Apfelbaum und die Tanne Arthur Schopenhauer Der stolze Schmetterling aus dem Sudan Neidlose Freundscha Die Stute und der Ackergaul Leo Tolstoj Die Tulipane Magnus Gottfried Lichtwer Das Land der Hinkenden Christian Fürchtegott Gellert Der humorvolle Vogel Das Rebhuhn und die Hühner Orientalischer Kongress Franz Grillparzer Der Bär und der Elefant Wie der Hase den Löwen besiegte eine Sufi-Geschichte Der Affe und der Fuchs Angemessene Erziehung Das Kamel Vom Hunde Martin Luther Der kranke Löwe aus Südwestafrika Der Fuchs und der Rabe James urber Das Truthuhn und die Ameisen John Gay Der Schwan, der Hecht und der Krebs Iwan Krylow Das Ross und der Stier Die Sonne und der Wind Johann Gottfried von Herder Der Adler und der Fuchs Die Katze und die Ratte Der Bär als Richter aus Finnland Der Rat der Ratten Die Krähe und der Kranich aus Australien Das Lamm und der Wolf Der Phönix Ein Maulwurf Zweierlei Mahlzeit Ungelöste Aufgaben Marie von Ebner-Eschenbach Zwei Krebse Der Fuchs und der Wolf am Brunnen Die Prüfung des Zorns aus Indien Der Löwe und das Mäuschen Der Hase und der Wolf aus Portugal Ein Vergleich Marie von Ebner-Eschenbach Die junge Schwalbe Vom Frosch und der Maus Martin Luther Der Rabe und der Fuchs Kluger Hase und dankbarer Ziegenbock aus Brasilien Zu gut gelebt Der Geizhals und der Affe Christian Felix Weiße Der Fuchs und der Esel Eine Begegnung Marie von Ebner-Eschenbach Der Löwe und die Maus 24 25

11 Wolf und Stachelschwein Friedrich Haug Die Schlange Magnus Gottfried Lichtwer Der Tiger und der Fuchs Novalis Der Tanzbär Das Häschen Prahlhans aus Russland Warum das Schwein weinte Iwan Krylow Die Gans, die goldene Eier legte Der Kürbis und der Apfelkern Josef Guggenmos Der Zaunkönig und der Bär Brüder Grimm Der Löwe und der Hase Der Adler und die Schnecke August Friedrich Langbein Das Krokodil, der Tiger und der Wandersmann anonym Gesetzt den Fall Robert Gernhard Der listige Fuchs aus Kurdistan Der Kobold Die Wohltaten Gänsezug Marie von Ebner-Eschenbach Der Dank des Löwen Romulus 26