Predigt über Apostelgeschichte 1,8 am Sonntag Trinitatis, den 30. Mai 2010
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- Hennie Dieter
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1 Predigt über Apostelgeschichte 1,8 am Sonntag Trinitatis, den 30. Mai 2010 in er akademischen Predigtreihe im Sommersemester 2010 Elite von Reinhard Schmidt-Rost 1 1 Im ersten Teil meines Berichtes, verehrter` Theophilus, habe ich über alles geschrieben, was Jesus getan und gelehrt hat, von seinem ersten Auftreten an 2 bis zu dem Tag, an dem er in den Himmel` hinaufgenommen wurde. Bevor das geschah, gab er den Aposteln, die er ausgewählt hatte, unter der Leitung des Heiligen Geistes Anweisungen für die Zeit nach seinem Weggang`. 3 Sie waren es auch, denen er sich nach seinem Leiden und Sterben zeigte und denen er viele überzeugende Beweise dafür gab, dass er wieder lebendig geworden war: Während vierzig Tagen erschien er ihnen immer wieder und sprach mit ihnen über das Reich Gottes und alles, was damit zusammenhängt. 4 Einmal es war bei einer gemeinsamen Mahlzeit wies er sie an, Jerusalem vorläufig nicht zu verlassen, sondern die Erfüllung der Zusage abzuwarten, die der Vater ihnen gegeben hatte.»ich habe darüber ja bereits mit euch gesprochen«, sagte er. 5»Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet mit dem Heiligen Geist getauft werden, und das schon in wenigen Tagen.«6 Diese Ankündigung führte dazu, dass die Apostel, als sie ein weiteres Mal mit Jesus zusammen waren, ihm die Frage stellten:»herr, ist jetzt die Zeit gekommen, in der du das israelitische Reich wiederherstellst?«7 Jesus gab ihnen zur Antwort:»Es steht euch nicht zu, Zeitspannen und Zeitpunkte zu kennen, die der Vater festgelegt hat und über die er allein entscheidet. 8 Aber wenn der Heilige Geist auf euch herabkommt, werdet ihr mit seiner Kraft ausgerüstet werden, und das wird euch dazu befähigen, meine Zeugen zu sein in Jerusalem, in ganz Judäa und Samarien und überall sonst auf der Welt, selbst` in den entferntesten Gegenden der Erde.«1
2 Wie wird man Zeuge? Unwillkürlich! Es geschieht etwas, man bekommt es mit, man beobachtet ein Geschehen und schon ist man Zeuge, ob man dann als Zeuge gefragt wir oder sich als Zeuge zur Verfügung stellt, steht dann auf einem anderen Blatt, aber Zeuge wird man zunächst unwillkürlich, ehe man sich versieht. Wer sich absichtlich und gezielt als Zeuge anbietet, der will etwas anzeigen, führt vielleicht sogar etwas im Schilde ist der Tendenz nach eher ein falscher Zeuge. Zeuge ist wie Elite ein Begriff für einen zunächst passiven Sachverhalt: Elite, ausgewählt, Zeuge: angesprochen, in Anspruch genommen, obwohl man von einem Zeugen im Zeugenstand möglichst große Objektivität erwartet, kann er doch nicht Zeuge werden, wenn er nicht von dem Geschehen betroffen ist. Auch wenn man sich meldet, weil man etwas beobachtet hat, einen Unfall, ein Verbrechen, eine Gefahr man ist zum Beobachter geworden, und selbst wenn man ein Ereignis bewusst aufsucht, einen Wettkampf, eine Aufführung, eine Vorlesung, einen Gottesdienst man wird hineingezogen, man wird vom Geschehen zum Zeugen gemacht, man ist nicht Herr des Geschehens, man nimmt teil, man nimmt Anteil, man wird bewegt, ergriffen Mit einer Beobachtung fängt es an, wie Nathanel im ersten Kapitel des Johannes- Evangeliums von ferne zu Jesus und seinen Jüngern hinsah und beobachtete. Aber damit hört es nicht auf, er wurde gesehen und angesprochen, als Zeuge beansprucht: Komm und sieh! Wir wissen nicht, ob er sich hat in Anspruch nehmen lassen er kommt im Evangelium unter diesem Namen nur noch im letzten Kapitel vor, im Nachtrag vor, vermutlich nicht von der Hand des Evangelisten Johannes notiert. Auch das Pfingstfest berichtet Lukas als ein Geschehen, das über die Menschen kommt, das die Jünger ergreift und dann viele von denen anrührt, die den Auftritt der Jünger miterleben: Sie hören erst nur, wissen nicht so recht, was da geschieht und dann werden überraschend viele selbst zu Zeugen, die behaupten, dass da etwas Wichtiges geschehen sei. Auch wir, wir haben uns in Anspruch nehmen lassen, denn wir sind hier, weil wir etwas erlebt haben, das wir nicht vergessen können, eine Erfahrung haben wir gemacht, die wir immer wieder einander mitteilen wollen, die wir miteinander 2
3 teilen wollen, weil wir sie sonst nicht glauben können: Habt Ihr das auch so erlebt? Bewegt euch das auch? Ist euer Leben auch davon geprägt worden? Von Gott, der den Menschen nahe gekommen ist, der Gedanke an die Liebe als die Kraft, die wirklich Leben schafft. Das Leben und die Praxis der Christen ist zuerst und vor allem eine Praxis von Zeugen. Wir bringen keine Opfer in Tempeln, weder Lebewesen, noch Früchte, auch das Geld, das wir spenden, ist kein Opfer, um eine zornige Gottheit zu versöhnen, sondern Ausdruck des Dankes für die Erfahrung, dass wir jeden Morgen neu aufstehen und leben dürfen. Wir kennen in der evangelischen Christenheit auch keine festen, vorgeschriebenen, rituellen Vollzüge, keine Waschungen, keine Wallfahrten, keine Gebetsformeln, selbst das Vaterunser ist in seiner Nüchternheit und Kürze eher ein Gebet mit minimalen Mitteln, auch sonst ist von Jesus nichts überliefert, wie sich seine Jünger im Einzelnen verhalten sollen, und Taufe und Abendmahl sind nur kleine Zeichen, an denen wir uns gegenseitig als Zeugen identifizieren können. Keine Kirchentage sind uns aufgetragen, keine Passionsspiele, kein heiliges Theater und der Ruf nach einer christlichen Spiritualität findet seine Antwort in diesem Satz Jesu: Ihr werdet meine Zeugen sein Die Praxis der Christen ist schlicht die einer Zeugenaussage, auch diese Predigt, dieser Gottesdienst ist nichts anderes: Wir versichern uns gegenseitig: Das stimmt, das hat unser Leben bestimmt, beeinflusst. Aber was? Was ist der Inhalt dieser Zeugenaussage? Wovon sind die Jünger Jesu bewegt gewesen, was beschäftigt uns, nun fast schon ein Leben lang? Die Jünger haben eine Hinrichtung erlebt, oder von Augenzeugen des Geschehens davon erzählt bekommen, sie sind zutiefst erschüttert, aufgewühlt, musste es wirklich dieses Ende nehmen? Musste Jesus solches leiden? Wofür ist er denn zum Zeugen geworden? Es ist immer wieder die gleiche, kurze Aussage, die Jesus bezeugt: Die Liebe ist stärker als der Tod, die Kräfte, die Menschen beeindrucken, ihnen Angst machen, sie faszinieren, diese Kräfte helfen nicht zum Leben, weder die Macht der Kaiser in Rom oder sonst in der weiten Welt, noch die 3
4 Wirtschaftsmächte, die sich aus geistigem Scharfsinn oder aus brodelnden Bodenschätzen speisen, noch die kulturellen Kräfte von Kunst und Wissenschaft bringen Leben hervor, wenn sie sich nicht mit der Liebe verbinden, wie es der Apostel Paulus in seinem Lied auf die Liebe bezeugt Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. 2 Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Wie es die ersten Christen als Erfahrung bezeugen, dass Jesus nicht im Tode geblieben sei, wie es die Evangelisten in ihren Erzählungen von Jesus bezeugen, wie es die Christenheit in ihren Bekenntnissen, Reden und Geschichten in vielen Variationen immer neu zum Ausdruck gebracht hat. Liebe Gemeinde, immer neu erzeugen Zeugen neue Gestalten der ursprünglichen Wahrheit, für die Jesus hingerichtet wurde. Er hat bezeugt, dass Gott nicht in den Waffen der Mächtigen zu finden ist, nicht in den geschliffenen Worten der Weisen, nicht einmal ohne weiteres in den soliden Ordnungen von Familien und Völkern, sondern nur in den vorsichtigen Versuchen, der Liebe Gestalt zu geben, in den Ordnungen, in den Worten, es bleibt immer nur ein Tasten nach Liebe nach der Lebenskraft, die allen Menschen zum Leben hilft, wir haben sie nicht anders als in der verletzlichen Form der Zuwendung, des Vertrauens... Und deshalb sind alle Menschen als Zeugen aufgerufen, gleichgültig, welcher Religion sie angehören, in welcher Weise sie den Ruf zur Liebe hören sie sind die Elite unserer Kultur, erst unwillkürlich, kindlich unbewußt und dann ganz bewusst. Ist das nicht zu wenig und ist es nicht einfach langweilig, immer wieder das Gleiche zu sagen und zu bezeugen: Liebe ist stark wie der Tod! Man kann das so finden und so richtig neu, wie wenn man eine neue Milchstraße im All findet, so neu ist diese Einsicht sicher nicht. Aber wie ein großer Pianist sich immer wieder mit den gleichen Klaviersonaten und konzerten eines Beethoven oder Mozart, eines Bach oder Brahms auseinandersetzt, sie in jedem Lebensalter neu interpretiert, und wie eine Grundschullehrerin mit ihren Schülern immer wieder das Kleine Einmaleins einübt, so versuchen Christen in allen Teilen der Welt, bis an das Ende der Erde, in ihren Liedern und Geschichten die Liebe zu bezeugen, die der Geist Gottes, der Heilige Geist, in ihnen immer wieder aufweckt, mit dem Licht 4
5 eines jeden neuen Tages, sie zu bezeugen und darin dann auch zu erzeugen. Es ist nur dieses Zeugnis für die Wirkung der Liebe, die die weltweite Praxis der Christenheit ausmacht, ihre Worte hervorlockt, aber ohne diese tägliche Mühe um die weltweite Wirkung der Liebe wäre die Menschheit vermutlich längst an ihren Gegensätzen zugrunde gegangen. Natürlich sagen jetzt Kritiker: Haben nicht gerade Christen furchtbare, blutige Kriege, Kreuzzüge und menschenverachtende Eroberungen zu verantworten? Waren das etwa auch Wirkungen des Heiligen Geistes? Gewiß nicht, deutlich wird an diesen unmenschlichen Verirrungen nur, wie schwer es die Zeugen der Liebe haben, ihr Zeugnis in der Welt zur Wirkung zu bringen, denn die Liebe stört auch, gerade dadurch, dass sie neues Leben hervorbringt, neues Leben, gegen das sich das alte Leben verteidigt. Das alte Leben aber ist keine Frage des Lebensalters, das neue Leben zeigt sich vielmehr in der Frische und Güte des Herzens, ob mit zwanzig oder mit neunzig Jahren, und an dieser Frische des Herzens, die immer wieder neues Leben für möglich hält, erfrischen sich weitere Menschen, die sich dann auch als Zeugen beanspruchen lassen. Wie wird man Zeuge? Zunächst unwillkürlich, aber man kann sich auf die Zeugenaussage vorbereiten und den Regungen und Bewegungen der Liebe im eigenen Herzen nachspüren, in der Schrift und in vielen Schriften von Schriftstellern nach diesen Zeichen der Liebe suchen und darüber reden oder davon Zeugnis geben und miteinander prüfen, ob die Gedanken des Herzens wirklich Wirkungen des Heiligen Geistes sind und nicht Regungen und Strebungen eines Geistes, der auf sich selbst konzentriert bleibt. Mit dieser Prüfung kommen wir ein Leben lang nicht ans Ende und haben es nötig, immer wieder neu zu bitten: Komm, Schöpfer, Heiliger Geist und Sonne der Gerechtigkeit gehe auf zu unsrer Zeit, brich in Deiner Kirche an, dass die Welt es sehen kann, erbarm Dich Herr. Amen. 5
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