Frank Schürer-Behrmann: Die Bedeutung der Rechtfertigungslehre für die Gemeinde Jesu Christi angesichts der Herausforderungen in Kirche und

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1 Frank Schürer-Behrmann: Die Bedeutung der Rechtfertigungslehre für die Gemeinde Jesu Christi angesichts der Herausforderungen in Kirche und Gesellschaft - Impulsreferat zur Vorstellung als Kandidat für das Superintendentenamt im Ev. Kirchenkreis Oderland-Spree, Frankfurt (Oder), 17. September 2014 I Sehr geehrte Synodale, sehr geehrte Gäste, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder, Die Bedeutung der Rechtfertigungsbotschaft für die Gemeinde Jesu Christi angesichts der Herausforderungen in Kirche und Gesellschaft, so lautet das mir heute aufgegebene Thema. Es ist ein zumindest innerkirchlich aktuelles Thema: Wir bewegen uns unaufhaltsam auf das Jahr 2017 zu, auf den 500. Jahrestag von Luthers legendärem Thesenanschlag in Wittenberg. Im Vorlauf dazu lädt die EKD ein zum Begehen der Reformationsdekade mit unterschiedlichen Themenjahren, zur Zeit dem Themenjahr Reformation und Politik. Im Jahr 2017 wird ein großer Evangelischer Kirchentag in Berlin stattfinden, voraussichtlich mit einem Abschlussgottesdienst an der Elbe gegenüber von Wittenberg mit Blick auf die Stadt. Und politisch wird sogar darüber diskutiert, ob es einen einmaligen bundesweiten Feiertag am 31. Oktober 2017 geben soll, um dieses historische Ereignis, dass nicht nur die Geschichte der christlichen Kirche, sondern auch die deutsche und europäische, ja sogar die Weltgeschichte nachhaltig geprägt hat, zu würdigen. Aber was sagen wir denn dann am 31. Oktober und schon vorher: Was ist das inhaltliche Zentrum der Reformation, das heute noch aktuell und relevant ist? Oder handelt es sich bei all den Feierlichkeiten nur um eine Traditionsschau, bei der sich die Ev. Kirche in Deutschland als Hüterin dieser Tradition profilieren und rechtfertigen will? Dieser Verdacht könnte aufkommen, weil auch frühere Reformationsjubiläen in den Jahren 1617, 1817 und 1917 interessegeleitet gefeiert wurden. Ein Historiker dieser Ereignisse schreibt dazu: Diejenigen, die Luther feierten, feierten immer zuerst und vor allem sich selbst. Und es ist nicht so einfach, die Rechtfertigungslehre nach fünfhundert Jahren den Menschen nahezubringen. Man könnte sagen, die evangelische Kirche ist in der Verkündigung der Botschaft vom gnädigen Gott so erfolgreich gewesen, dass sie sich selbst fast überflüssig gemacht hat. Denn das Bild eines strengen und strafenden Richter-Gottes gibt es in unserer Gesellschaft kaum noch, und somit auch wenige Menschen, für die es von Bedeutung ist zu hören, dass Gott ihnen ihre Sünden vergibt und sie mit sich versöhnt. II Trotzdem möchte ich sagen: Die Rechtfertigungsbotschaft bleibt der unverzichtbare und auch wunderbare Kern des evangelischen und sogar des christlichen Glaubens allerdings muss sie in einen größeren und weiteren Kontext gestellt werden als in die zeitbedingten Diskussionszusammenhänge Luthers. Um das zu erklären, möchte ich die vier großen Leitsätze der Reformation in unserer Zeit deuten. Ich beginne mit dem ersten, den ich für den Zentralen halte, dem alle anderen zugeordnet sind: Sola gratia allein durch Gnade. Luther bezog diese Aussage vor allem auf die Vorstellung eines endzeitlichen Gerichts. Dort würden wir Menschen, die aufgrund unserer Fehler und

2 Schwächen, unserer Sünde und Schuld der göttlichen Liebe nicht wert sind, eigentlich die ewige Verdammnis in einer Hölle, in ewiger Gottferne erleiden müssen. Aber der ewige Gott kommt den Menschen im Menschen Jesus Christus entgegen, er teilt ihre Leben und erleidet stellvertretend in seinem Tod die Strafe, die alle Menschen eigentlich verdient hätten. So erfüllt Gott selbst seine Gerechtigkeit und nimmt sich der Menschen liebevoll an, und nimmt sie auf ins ewige Leben, in die ewige Gemeinschaft mit sich. Sola gratia allein durch Gnade. Die Vorstellung eines endzeitlichen Gerichts, bei dem ein Gott die Guten und Bösen trennt, ist heute wie gesagt bei den meisten Menschen mindestens in die Ferne gerückt. Wenn Menschen auf die Gesamtgesellschaft bezogen - überhaupt an ein solches Gericht glauben, wird es unterschiedlich gedeutet, wie es sich im Übrigen bereits die biblischen Autoren auch unterschiedlich vorstellten. Aber Vorstellungen von Prüfung und Gericht, Verdienst und Strafe sind trotzdem in der Gesellschaft allgegenwärtig. Sie sind durch die säkulare Hintertür zurückgekehrt und werden in gesellschaftlichen Diskussionen leise oder laut verwandt. Dann heißt es: Wir leben in einer Welt, in der es hart zugeht. Ressourcen müssen verteilt und effizient eingesetzt werden, und die Menschen und Völker liegen in Konkurrenz. Nur wer sich durchsetzt, wird überleben. Und dann sind da auf der einen Seite die Leistungsträger, die viel, hart und gut arbeiten, sich durchsetzen und angeblich das Leben der Übrigen ermöglichen. Deswegen sollen sie besonders gewürdigt und belohnt werden. Und auf der anderen Seite sind die, die keine oder nicht genügend Leistung bringen und vielleicht auch nicht bringen können. Sie gelten als nutzlos, ob sie Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen sind, Menschen ohne Arbeit oder Flüchtlinge oder bewohner abgehängter teile der Erde. Und sie haben eigentlich keinen Anspruch, respektiert zu werden. Sola gratia allein durch Gnade. Wenn ich dieses Leitwort in einen weiteren Kontext stelle als in den des endzeitlichen Gerichts, kann ich damit an die Reformatoren anschließen. Auch sie sahen bereits, so sagt es jedenfalls die EKD-Grundlagenschrift Reformation und Freiheit zum Reformationsjubiläum, Gnade nicht nur als ein einmaliges Handeln Gottes im Gericht, sondern als ein Kennzeichen des göttlichen Handelns insgesamt. Sogar die Schöpfung der Welt sahen sie als einen Akt der Gnade. (S.32). So heißt es im Kleinen Katechismus: Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält ( ) und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit eben aus Gnade! Sola gratia - wenn bereits die Schöpfung ein Akt von Gottes Gnade ist, können wir dann alllerdings fragen, ob das deutsche Wort Gnade, das stark an rechtliche Zusammenhänge gebunden ist ( forensisch ), eigentlich das Geeigneteste ist, um Gottes Handeln in einem solchen weitem Verständnis der Rechtfertigungsbotschaft zu beschreiben. Das griechische Wort für Gnade heißt charis, und wer es in Walter Bauers Wörterbuch zum Neuen Testament nachsieht, der wird dort zuerst die Begriffe Anmut und Lieblichkeit finden, dann die Begriffe Gunst, Huld, Wohlwollen, gnädige Fürsorge, und erst unter 3.) die Begriffe die Betätigung des Wohlwollens, den Huldbeweis, die Gnadentat. Sola gratia dann wäre die Rechtfertigungslehre die Lehre von Gottes grundsätzlichem Wohlwollen gegenüber den Menschen und der Welt, und umgekehrt die Lehre davon, dass die Welt ein gnaden- bzw. von Gottes Wohlwollen erfüllter Ort wäre, und nicht nur ein Schauplatz des Kampfes ums Überleben und alles bereits lange vor einem endzeitlichen

3 Gericht. Aber in einer noch genauer zu benennenden Weise. Denn die Güte Gottes in der Welt vollzieht sich nicht nur in der Schöpfung, sondern v.a. (und ich komme zu zweiten reformatorischen Leitsatz) solus Christus (solo Christo) allein durch Christus: Es ist ja gleichzeitig wahr, und darin ist die engere Rechtfertigungsbotschaft realistisch, dass die Welt auch ein Ort der Grenzen und Fehler ist, in dem die Menschen die Freiheit, die Gott ihnen gegeben hat, nicht zu gebrauchen wissen. Menschen treten aus den Beziehungen zu Gott und anderen Menschen heraus, sie verlieren das Vertrauen und werden zu Menschen, die nur auf sich selbst sehen können, zum homo incurvatus in se ipsum, wie Luthers Beschreibung des sündigen Menschen lautet. Und im Kreisen um sich selbst und in der Angst, nun selbst ihre Leben erhalten zu müssen, geraten sie miteinander in Konflikt. Sie verletzen einander und auch die Schöpfung. Sie geraten in Kreisläufe von Schuld und Tod, aus denen sie aus eigener Kraft nicht entkommen können. Hier ist die Güte Gottes tatsächlich keine billige Güte eines allgemeinen Wohlwollens in einer Wohlfühlgesellschaft, die Leid und Schuld ausblendet. Sondern sie ist qualifizierte und teure Güte, wenn Gott sich in Jesus Christus für die Menschen hingibt. Dabei ist es mir wichtig, seine Hingabe nicht nur in seinem Tod zu sehen, sondern in seinem ganzen Leben: Die Geschichten der Evangelien erzählen von seiner Hingabe bereits in seinem irdischen Leben im heilenden Hören, Sprechen und Handeln und dann ihrer Vollendung in seinem Tod und in seiner Auferstehung. Solus Christus - nicht die großen Taten der Mächtigen sind es, und auch nicht unsere kleinen oder mittelgroßen Taten, die die Welt erhalten und zusammenhalten: Sondern es ist die Hingabe Gottes, wie sie sich in Jesus Christus zeigt und seitdem von vielen Gliedern seines Leibes in der Nachfolge nachvollzogen worden ist, die Gott in ihrer Welt haben lebendig werden lassen. Dabei sind natürlich Große und Mächtige nicht davon ausgeschlossen, an ihrer Stelle so gut es geht im Geist Jesu Christi zu leben. Ich will hier zumindest bemerken, dass der Leitsatz solus Christus natürlich eine Herausforderung für das Gespräch mit Menschen anderer Religionen ist. Wenn wir ihn aber so versuchen zu verstehen, wie ich es ausgeführt habe, ist er sicher nicht als die Begründung eines christlichen Herrschaftsanspruches geeignet, sondern in erster Linie eine Herausforderung für uns selbst, wirklich Christus und seine Liebe wahrzunehmen und auf ihn vertrauen und seine Liebe unsere Leben bestimmen zu lassen. Womit ich beim dritten Leitsatz wäre: Sola fide allein durch den Glauben. Dabei geht es nun darum, wie wir Menschen selbst Anteil bekommen an, hineinkommen in Gottes Güte und seine Hinwendung zu uns in Jesus Christus. Das geschieht eben nicht, indem wir uns seiner als würdig erweisen. Sondern in unserer Begrenztheit, unseren Fehlern und unserer unausweichlichen Schuldig- Werden können wir an ihn glauben, heißt die scheinbar einfache und doch auch etwas verzwickte Alternative. Denn wir müssen erklären, was wir unter Glauben verstehen und wie beim Wort Gnade können uns die alten Worte manchmal mehr im Weg stehen, als dass sie uns helfen. Die Theologie unterschiedet hier. ES gibt einerseits die fides quae creditur, das ist die intellektuelle Zustimmung zu bestimmten Glaubensaussagen, die heute bei verschiedenen mythologisch geprägten Vorstellungen des Glaubensbekenntnisses vielen Menschen schwerfällt. Und es gibt die fides qua creditur, dem Glauben als Vertrauen zu Gott und Beziehung mit Gott, der nicht erlernt und nicht entschieden werden kann, sondern

4 von Gott selbst geschenkt wird. Und um diesen Glauben, dieses Gottvertrauen, diese Hoffnung und diese Zuversicht geht es, und sie sind kein Zwang, sondern für alle, die in ihnen leben können, wirklich ein Geschenk. So hatte die Verbindung von sola fide und sola gratia zur Zeit der Reformation wahrscheinlich weniger einen fordernden Charakter hinsichtlich des Glaubens. Sondern sie richtete sich stärker kritisch nicht nur gegen die Werkgerechtigkeit im Alltag, sondern eigentlich noch mehr gegen die Werkgerechtigkeit in religiösen Dingen. Niemand sollte mehr glauben, durch bestimmte religiöse Handlungen wie Ablass, Gebet oder Fasten als unterschiedlichen Formen der Buße der an sich strenge Gott gnädig und freundlich gestimmt werden müsse, und niemand sollte sich in Zukunft aufgrund dieses Glaubens von der Kirche aus Angst manipulieren lassen. Diesen kritischen Impuls haben im vergangenen 20. Jahrhundert Theologen wie Karl Barth auch auf die evangelische Kirche bezogen und festgehalten, dass ebensowenig wie die katholische Messe auch keine unserer Formen an sich heilig ist. Sobald sie sich verselbständigen und eigene Geltung oder Notwendigkeit beanspruchen, werden sie zu werkgerechter Religion, die sich an die Stelle Gottes stellen will und abgelehnt werden muss. Der kritische Impuls ist schließlich auch im vierten Leitsatz enthalten sola scriptura, allein durch die Schrift Er ist vor allem nochmals als eine Kritik an dem Anspruch der damaligen katholischen Kirchenhierarche zu hören, im Namen Gottes die Inhalte und Formen des christlichen Glaubens zu bestimmen. Das Prinzip sola scriptura ist dagegen eine Bevollmächtigung der einzelnen Christen, sich mit Hilfe der Schrift eine Meinung zu Glaubensdingen zu bilden. Sie ist nicht die Behauptung, dass die Schrift in sich fehlerfrei und widerspruchlos sei. Anders als im Islam der Koran ist im evangelischen Christentum die Bibel nicht die Offenbarung Gottes, sondern Christus, der durch sie spricht, und schon Luther forderte die Christen auf, selbst zu spüren, was in ihr Christum treibet. III Die Bedeutung der Rechtfertigungslehre für die Gemeinde Jesu Christi angesichts der Herausforderungen in Kirche und Gesellschaft ich denke, einige Zusammenhänge zu aktuellen Fragen sind deutlich geworden. Ich will einige Folgerungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit nennen, und ich beginne mit den Folgerungen hinsichtlich der Welt (oder Gesellschaft, wie es in der Themenstellung heißt aber der Begriff Gesellschaft suggeriert manchmal eine Eindeutigkeit und Geschlossenheit, die die Welt so oft gar nicht hat): Die grundlegendste Aussage der Rechtfertigungsbotschaft nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Welt, ist die nach wie vor aktuelle Botschaft, die nach menschlichem Ermessen solange aktuell bleibt, wie es Menschen gibt ist: Unsere Leben sind ein Geschenk, und weder grundsätzlich noch im Einzelnen ein eigener Verdienst. Niemand hat sich selbst geschaffen, und wir leben alle von Gottes Gnade und Güte, in dem, wie Gott uns geschaffen hat, in dem, was Christus getan hat und in dem, was andere vor uns und um uns bewusst oder unbewusst im Heiligen Geist der Hingabe tun. Deswegen ist für Christen im Sinne des 1. Artikels des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland die Würde des Menschen unantastbar, weil sie in Gott in seiner Schöpfung und in der Hingabe Jesu Christi gründet und sie nicht in der Verfügung anderer und nicht einmal

5 in der eigenen Verfügung liegen. Deswegen werden Christinnen und Christen überall dort widersprechen, wo Menschen die Würde bestritten wird, und sich überall einsetzen, wo Menschen nicht in Würde leben können. Unsere Leben sind ein Geschenk - wenn Menschen das glauben (und es ist meiner Meinung nach überhaupt nicht unvernünftig, das zu glauben, sondern im Gegenteil sehr naheliegend), dann werden sie ihre Leben in einer Haltung von Dankbarkeit, Demut, Freiheit und Verantwortung leben. Dankbarkeit und Demut wegen der Größe des Geschenks und des Opfers, das gebracht wurde - wenn Menschen das glauben, dann werden sie sich Einzelne als Leistungsträger herausstellen, und andere herabwürdigen. Wenn Menschen das glauben, dann werden sie, wenn sie zu den vom Leben Benachteiligten gehören, trotzdem ihre Würde als Gottes Geschöpfe erkennen und anderen helfen, selbst auch ihre Würde als Kinder Gottes zu entdecken. Ich möchte hier an den berühmten Gospel erinnern: Amazing grace. So kann man auch von der Rechtfertigung singen, nicht als ein trotziges Bestehen im Gericht wie in manchen Reformationsliedern, sondern als eine überwältigende und wunderbare Rettung und Befreiung aus der Not und Würdelosigkeit. IV. Ich komme zu den möglichen Folgerungen der Rechtfertigungsbotschaft für die Kirche: Natürlich ist die erste, dass die Kirche ein Ort ist, wo die Menschen als gerechtfertigte Sünderinnen und Sünder zusammenleben als Menschen, die sich ihrer Begrenzungen und gleichzeitig ihrer geschenkten Würde bewusst sind. Ich wünsche mir sehr, dass wir immer mehr eine Kirche werden, in der wir uns gegenseitig mit Respekt begegnen und frei davon sein können, uns selbst durch die Menge unserer Arbeit und unserer Erfolge darstellen, vergleichen und rechtfertigen zu müssen. Und ich wünsche mir, dass wir als Kirche in der Gesellschaft auch davon freier sein können, uns zu rechtfertigen über unsere angeblichen und tatsächlichen Leistungen, die wir für die Gesamtheit bringen, sondern dass wir uns eher als einen Ort der Freude, der Dankbarkeit und des gegenseitigen Beistandes und Trostes sehen können. Die Rechtfertigungsbotschaft bedeutet dann, dass wir frei sein können in der Gestaltung unserer Formen, im Gottesdienst und im Leben. Sowohl hochliturgische Formen als auch eine pietistische Gebetsgemeinschaft sind möglich, Choräle, Motetten, Gospels und Schlager und auch ein normaler agendarischer Gottesdienst mit ein oder zwei neuen Liedern. Aber keine dieser Formen kann für sich behaupten, dass sie die einzig richtige ist. Sondern alle müssen sich daran messen lassen, ob in ihr die Menschen etwas von Gottes großer Güte und Jesus Hingabe und der Kraft des Heiligen Geistes erfahren. Das einzige, was nicht geht, sind Formen, zu denen wir uns gegenseitig zwingen und mit denen wir uns in welcher Weise auch immer überfordern, weil wir meinen, ohne sie ginge es nicht, und in denen wir dann doch keine Freude und Liebe spüren und ausstrahlen. Die Rechtfertigungsbotschaft bedeutet auch, dass wir Fehler machen und Misserfolge produzieren dürfen. Wir rechnen sogar unter uns Sünderinnen und Sündern damit. Wir sollten nur unsere Versuche so anlegen, dass solche Fehler nicht das Ganze gefährden (das gilt natürlich genauso und in noch stärkerem Maß für die Gesellschaft).

6 Und die Rechtfertigungsbotschaft bedeutet auch, dass wir den Glauben der anderen, gerade der seltenen Kirchgängerinnen und Kirchgänger, nicht beurteilen sola fide, es kommt allein auf ihren Glauben an, und vielleicht haben sie Formen entwickelt, ihn zu leben, von denen wir nichts ahnen. Die EKD-Schrift Reformation und Freiheit schreibt: Ob und wie ein Mensch glaubt, ist den Augen verborgen. Wie sehr er sich kirchlich engagiert oder ob er sich nicht engagiert, (muss nichts über seinen Glauben aussagen). Volkskirchliche Strukturen tragen diesem Sachverhalt theologisch Rechnung. Sie ermöglichen unterschiedliche Beteiligungsformen und intensitäten in der Kirche und beurteilen nicht, ob ein Mensch genug glaubt, um dazuzugehören. Das entbindet weder die eine oder andere Seite davon, gelegentlich Anteil am Leben der Anderen zu nehmen und festzustellen, ob vielleicht doch der Wunsch nach stärkerer gelebter Gemeinschaft besteht. V. Zum Schluss will ich auf eine Formulierung in der Themenstellung eingehen, die ich bisher nicht erwähnt habe: Da hieß es: Die Bedeutung der Rechtfertigungsbotschaft für die Gemeinde Christi. Ich weiß nicht, ob es absichtlich als eine Art Falle formuliert wurde. Aber deutlich ist ja, dass die Gemeinde Jesu Christi größer ist als die evangelische Kirche. Auch die weiteren christlichen Kirchen und in unserem Bereich besonders die katholische Kirche gehören dazu. Ich denke, es müsste beim 500. Jahrestag der Reformation tatsächlich darum gehen, die Reformationsbotschaft aus dem Copyright zu entlassen und als Botschaft der ganzen Kirche zu vergegenwärtigen und zu feiern. Das müsste auch möglich sein, da bekanntlich zwischen den Ev.-lutherischen und der Römisch-Katholischen Kirche die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre am in Augsburg unterzeichnet wurde, der sich inzwischen zum Beispiel auch die Methodisten angeschlossen haben. Und es gibt inzwischen sogar den Bericht der Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit unter dem Titel: Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr In unserem Bereich gemeinsam der Reformation und die Rechtfertigungsbotschaft zu vergegenwärtigen, vielleicht sogar über die Grenze hinweg, wäre sicher ein starkes Zeichen.