Juli Kommerz braucht Massenkonsum. Der Hanfpionier Thomas Kessler ( Cannabis Helvetica ) zur aktuellen Cannabispolitik in der Schweiz
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- Georg Bruhn
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1 Juli 2002 Kommerz braucht Massenkonsum Der Hanfpionier Thomas Kessler ( Cannabis Helvetica ) zur aktuellen Cannabispolitik in der Schweiz Dani Winter Vor bald zwanzig Jahren brachte der Agronom und Hanfforscher Thomas Kessler (42) Cannabis Helvetica heraus. Die Publikation dieses Büchleins, das auch heute durchaus noch als Standardwerk gelten darf, war eine der wichtigen Pioniertaten für die Renaissance der Kulturpflanze Hanf in der Schweiz. Seither hat sich vieles geändert. Kessler wurde 1991 als Drogendelegierter nach Basel berufen. In dieser Funktion prägte Kessler die progressive Basler Drogenpolitik, die später zur Grundlage der nationalen Politik wurde und
2 mittlerweile auch international Nachahmung findet. Als Mitglied der Eidgenössischen Drogenkommission hat Kessler seine Finger auch heute noch in der Schweizer Drogenpolitik. Seine Brötchen verdient Kessler mittlerweile als Migrationsdelegierter im Basler Polizeidepartement, also in jener Behörde, die auch für die Repression gegen den Hanf verantwortlich ist. HANF das magazin wollte von Kessler wissen, wie das zusammen passt. Thomas Kessler, vor bald 20 Jahren propagierten Sie in Ihrem Büchlein Cannabis Helvetica die Selbstversorgung der Schweiz mit Hanf. Als Drogendelegierter prägten Sie die liberale Basler Drogenpolitik wesentlich mit. Heute sind Sie Beamter im Polizeidepartement einer Stadt mit über 60 Hanfshops. Wie fühlt sich das an? Weder meine Haltung noch die der Regierung hat sich
3 verändert. Die Entkriminalisierung des Drogenkonsums ist nach wie vor Ziel unserer Politik. Was sich verändert hat, ist dass der Jugendschutz heute viel stärker gewichtet wird als noch vor zwanzig Jahren. Mit gutem Grund: Die Alkohol- Industrie entwickelt Produkte für Junge, die Zigaretten- Industrie bewirbt die Jungen immer aggressiver - und ähnlich verhält es sich beim Hanf: Die Produkte sind massiv potenter geworden. Wenn wir das Gras von früher mit Bier oder Wein vergleichen, dann sind wir heute im Bereich von Likör oder Schnaps. Züchten Sie selbst noch? Ja. Seit den 70er Jahren führe ich eine wissenschaftlich aufgebaute Zucht. Allein für das Regenerieren der Samen baue ich regelmässig an. Nicht unbedingt jedes Jahr, aber mindestens alle drei Jahre. Outdoor oder Indoor? Ich züchte ausschliesslich unter absolut natürlichen Bedingungen. Ich bewässere
4 nicht mal. Das hat wissenschaftliche Gründe. Aber auch persönliche: Ich halte es für völlig absurd, Pflanzen unter Kunstbedingungen zu ziehen. Es ist wissenschaftlich nicht sehr interessant. Und vor allem ist es - gerade beim Hanf - ökologischer Blödsinn. Wie sieht denn der sinnvolle Hanf-Anbau Ihrer Meinung nach aus? Für Selbstversorgung, wie ich sie verstehe, reicht ein grosser Blumentopf auf dem Balkon. Was darüber hinaus geht, ist keine Selbstversorgung mehr, wird schnell kommerziell und damit auch suspekt. Die Schweizer Bauern sind ja richtiggehend scharf darauf, Hanf anzubauen. Aber natürlich nicht in Blumentöpfen, sondern auf Feldern, als Alternative zu Produkten, für die kein Markt besteht. Ich habe anfangs der 80er Jahre ein Anbauprogramm für Konsumhanf in der Schweiz verfasst *. Denn natürlich hat
5 die Selbstversorgung der Konsumenten Grenzen. Schon allein deshalb, weil viele Leute zu faul sind. Es geht also um die Frage, wie man diese Restnachfrage abdeckt. Es ist unhaltbar, dass man das dem Schwarzmarkt überlässt und am Ende noch mafiöse Strukturen finanziert. Und wie sieht Ihr Anbauprogramm aus? Die über die Selbstversorgung der Konsumenten hinaus gehende Nachfrage könnte durch die Bergbauern gedeckt werden. Die dafür benötigte Anbaufläche habe ich auf Bergregionen in allen vier Sprachregionen der Schweiz verteilt, und zwar ausschliesslich auf ökonomisch gefährdete Bergbauern-Betriebe an idealen Südlagen über 1600 Meter. Hanffelder kann man nur in entlegenen Tälern kontrollieren. Damit möglichst viele Bergbauern profitieren könnten, dürfte jeder maximal eine Are (100 Quadratmeter) anbauen. Das reicht für Gramm Gras bester Qualität.
6 Mir scheint dieses Modell ein wenig von der Realität überholt. Trotzdem wäre das für mich nach wie vor die ideale Lösung: Den Anbau zur Selbstversorgung Erwachsener tolerieren und einen allfälligen Mehrbedarf durch streng kontrollierte inländische Produktion abdecken. Das gegenwärtige Problem ist die gigantische Kommerzialisierung des Hanfs. Da fallen riesige Geldsummen an, die mitunter auf äusserst dubiose Art und Weise verschoben werden. Das lässt sich nur mit einem Staatsmonopol verhindern. Was stört Sie denn so an der heutigen Situation? Die Gewinnspanne bei den Cannabis-Produkten ist enorm. Sie ist wesentlich grösser als bei anderen Drogen. Nur deshalb hat es so viele Schweizer im Markt. Die Drogen mit niedriger Marge und hohem Risiko werden immer noch von Ausländern gehandelt. Für mich als alten Hanfforscher ist das eine Entwicklung, die ich so nie
7 wollte. Dann muss Basel für Sie die Hölle sein. Die Ware, die hier verkauft wird, stammt grossteils aus Kellern und hat weder Sonne noch Erde je gesehen. Die Preise, die für das Kraut genommen werden, entsprechen in etwa denen des Schwarzmarkts von früher. Es war damit zu rechnen, dass es einen solchen Ausschlag geben würde. Dass es in Basel so viele Hanfshops gibt, spricht für das unternehmerische Potenzial der Leute hier. Aber ich finde es einfach leicht übertrieben. Nicht nur die Zahl der Shops, auch die Plantagen in den Kellern. Die ganze Rhetorik von Natur und Nachhaltigkeit kriegt eben schwer Schlagseite, sobald Geld ins Spiel kommt. Sie verkommt zum blossen Verkaufsargument. Es gibt ja aber auch Hanfbauern, die auf naturnahe Methoden setzen. Im Auftrag von HANF das magazin durchgeführte Labortests haben gezeigt, dass auch das Schweizer Outdoor-Gras
8 äusserst potent ist. Der Spitzenreiter brachte es auf über 20 Prozent THC-Anteil. Das sind natürlich gigantische Werte. Daher mein Vergleich mit dem Alkohol. Es ist ein grosser Unterschied, ob man Hanf mit 5 oder mit 10 Prozent THC raucht. Für den Massenkonsum ist diese Droge vollkommen ungeeignet, besonders bei Jugendlichen. Wer in der Pubertät jeden Tag kifft, bleibt in seiner Entwicklung stehen. Die Zahl der Jugendlichen, die in Zusammenhang mit Cannabis- Konsum psychiatrische Betreuung brauchten, hat signifikant zugenommen. Darum bin ich auch gegen die Kommerzialisierung. Kommerz braucht Massenkonsum. Wie wollen Sie dem begegnen? Was wir jetzt haben, ist der Wilde Westen. Was wir brauchen, ist eine liberale Politik, die auf Prävention, Information und Selbstverantwortung setzt - für Erwachsene. Für die Minderjährigen braucht es einen Jugendschutz, der die Anbieter in eine strenge Verantwortung nimmt.
9 Prävention ist für mich schlussendlich nichts anderes als eine klare, verbindliche Haltung. Das heisst aber auch, dass Jugendschutzbestimmungen konsequent durchgesetzt werden müssen. Wer an Minderjährige verkauft, muss bestraft werden. Das gilt auch für Alkohol und Tabak. Es gibt vernünftigen Alkoholkonsum. Also wird sich vielleicht auch ein kultivierter Hanfgenuss entwickeln. Im Idealfall würde die Gesellschaft den Hanfkonsum selbst regeln, durch eine Genusskultur mit Riten und Regeln. Was aber gegenwärtig stattfindet, ist das Gegenteil: ein Abbau von Riten und Regeln. Bis die Gesellschaft das selbst regeln kann, muss der Staat einen Rahmen geben und aufgestellte Regeln durchsetzen. Wie wird es in zehn Jahren aussehen? Es wird eine Angleichung zu Tabak und Alkohol stattfinden. Der Jugendschutz
10 wird besser durchgesetzt werden. Der Drogenkonsum Erwachsener wird entkriminalisiert, die Prävention in Richtung Selbstverantwortung gelenkt werden. Die Droge selbst wird strengeren Kontroll- und Abgabebestimmungen unterworfen werden. Ausserdem wird es vermehrt drogenfreie Zonen geben, etwa in öffentlichen Räumen wie Schulhäusern oder Poststellen. Wieviele Hanfshops wird es in Basel noch geben? Ihre Anzahl wird mittel- bis langfristig sicher abnehmen. Die Sogwirkung der Shops auf Hanfkonsumenten aus dem benachbarten Ausland und der Verkauf an Minderjährige haben den Handlungsdruck auf die Behörden erhöht. Alle Shops haben bereits einen eingeschriebenen Brief erhalten. Die den Jugendschutz weiterhin verletzen, werden als erste verschwinden. Wie sieht es mit dem Konsumentenschutz bei der Preisbildung aus?
11 Ist der Handel einmal legal, wird sich wohl der Preisüberwacher darum kümmern. Die gegenwärtigen Preise sind von historischen Werten abgeleitet und haben keinerlei Bezug zu Infrastruktur- und Produktionskosten. Wenn man mal mit biologischen Kräutern aus den Bergen vergleicht, die mit grossem Aufwand gesammelt werden, würde der Hanf einen Franken pro Gramm kosten. Deshalb plädiere ich für ein staatliches Monopol. Dann würde eine künstliche Verteuerung für soziale Zwecke abgeschöpft. Sie scheinen davon auszugehen, dass es keine anderen Verwendungszwecke für den Hanf gibt als das Rauchen. Es gibt doch auch eine wachsende Zahl von legalen Cannabis-Produkten. Für die braucht es aber keinen hohen THC-Gehalt. Wenn es mehr THC-haltigen Hanf für medizinische Zwecke braucht, kann man ja das Kontingent für die Bergbauern erhöhen. Und sollten die Bergregionen tatsächlich einmal überfordert sein, können wir
12 die Produktion ja immer noch ins Mittelland herunter holen. * Kesslers Anbauprogramm für Konsumhanf in Schweizer Berggebieten ist im Internet nachzulesen unter: kesslerstudie.htm
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