2. Der Wirtschaftsprozess als Kreislauf
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- Eva Müller
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2 II. Was ist Volkswirtschaft? 11 aber alle Arbeitslosen so, bleibt gesamtwirtschaftlich ein Teil dennoch ohne Arbeitsplatz. Beispiel: Angenommen, Sie wollen unbedingt eine Eintrittskarte für ein Schlagerspiel der Fußball-Bundesliga. Stehen Sie als Einziger schon eine Stunde vor Öffnung der Vorverkaufsstelle vor der Tür, so werden Sie mit Sicherheit eine Eintrittskarte bekommen. Denken aber außer Ihnen noch 1000 andere Fußballfans so, werden unter Umständen nicht alle eine Eintrittskarte erhalten können. Die Zahl der Beispiele lässt sich leicht vermehren. Die typische Fehlerquelle liegt immer darin, dass einzelwirtschaftliche Sachverhalte kritiklos auf die Gesamtwirtschaft übertragen werden. Tatsächlich ist die Volkswirtschaft als Ganzes etwas anderes als nur die Summe aller Einzelwirtschaften. 2. Der Wirtschaftsprozess als Kreislauf Abb. 3: Beim einfachsten Wirtschaftskreislauf gibt es nur Haushalte und Unternehmen (geschlossene Wirtschaft ohne staatliche Aktivität) Um einen ersten Eindruck vom Zusammenspiel der Wirtschaftseinheiten in einer Gesamtwirtschaft zu gewinnen, betrachten wir (in Abb. 3) eine einfache Kreislaufdarstellung des Wirtschaftsprozesses. In dieser Wirtschaft soll es nur Haushalte und Unternehmen geben. Der Staat nimmt nicht am wirtschaftlichen Leben teil, und es gibt keine ökonomischen Beziehungen zum Ausland. Eine solche Wirtschaft nennt man eine geschlossene Wirtschaft (geschlossen gegenüber dem Ausland) ohne ökonomische Staatsaktivität.
3 12 A. Einführung Durch welche Vorgänge sind hier die Haushalte mit den Unternehmen verknüpft? Zunächst kann man feststellen, dass Mitglieder eines Haushalts zu den Unternehmen gehen, um dort zu arbeiten. Das heißt Arbeitsleistungen werden von den Haushalten an die Unternehmen abgegeben. Dafür zahlen die Unternehmen an die Haushalte (Arbeits )Einkommen. Einige reiche Haushalte stellen den Unternehmen außerdem noch Kapital und vielleicht auch Gebäude und Grund und Boden zur Verfügung. Dafür erhalten sie ebenfalls Einkommen, und zwar in Form von Zinsen, Dividenden, Mieten und Pachten. Wichtig ist also, dass einerseits ein Güterstrom (Arbeit, Boden, Kapital) von den Haushalten zu den Unternehmen fließt. Andererseits fließt ein Geldstrom in Form des Einkommens zu den Haushalten. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass die Haushalte von dem erzielten Einkommen nichts sparen. Dann geben sie es wieder voll zum Kauf von Konsumgütern aus (Konsumausgaben), die sie als Gegenleistung von den Unternehmen erhalten. Wenn wir uns die Kreislaufdarstellung genau ansehen, erkennen wir jetzt zwei Kreisläufe: Außen eingezeichnet ist der sog. Geldkreislauf: Die Unternehmen zahlen an die Haushalte Einkommen, die das Geld in Form von Konsumausgaben wieder an die Unternehmen zurückgeben. Innen eingezeichnet ist der Güterkreislauf der Wirtschaft: Die Haushalte stellen dem Unternehmen Arbeitskraft, Boden und Kapital zur Verfügung, und die Unternehmen liefern an die Haushalte die von ihnen produzierten Konsumgüter. Welcher der beiden Kreisläufe ist der wichtigere? Auch in einer Geldwirtschaft geht es den Wirtschaftseinheiten (hier: Haushalte und Unternehmen) letztlich um die Güter. Das Geld fungiert lediglich als ein Tauschmittel. Es erleichtert die Tauschvorgänge wesentlich, wenn Waren gegen Geld und anschließend das Geld mit ganz anderen Wirtschaftseinheiten gegen Waren getauscht werden kann. Anders ist das in einer Naturalwirtschaft, in der Waren nur direkt gegen andere Waren getauscht werden. Die erste Betrachtung des Wirtschaftsprozesses bleibt verständlicherweise etwas oberflächlich. Viele kompliziertere Einzelheiten werden bewusst übergangen. Zunächst kommt es nur darauf an, eine erste Vorstellung vom Zusammenwirken der Einzelwirtschaften in einer Gesamtwirtschaft zu gewinnen. III. Was ist Volkswirtschaftslehre? 1. Teildisziplin der Wissenschaften Die Volkswirtschaftslehre ist eine Disziplin im Rahmen der Wissenschaften, deren Erkenntnisgegenstand die schon umrissene Volkswirtschaft ist. Man kann die Wissenschaften insgesamt in Realwissenschaften und Ideal- oder Formalwis-
4 III. Was ist Volkswirtschaftslehre? 13 senschaften einteilen. Bei den Realwissenschaften, die Informationen über die Realität liefern, kann man wieder in Natur- und Geistes /Kulturwissenschaften gliedern. Etwas vereinfacht lässt sich sagen, dass sich die Kultur- oder Geisteswissenschaften mit den von Menschen geschaffenen Bereichen befassen; demgegenüber haben die Naturwissenschaften als Erkenntnisobjekt die Natur, die ohne Zutun des Menschen existiert. Zu den Geisteswissenschaften zählen u. a. die Wirtschaftswissenschaften und die Rechtswissenschaften. Bei der Systematik der Wirtschaftswissenschaft unterscheidet man besonders im deutschen Sprachbereich nach Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre. Das hat vor allem historische Gründe. Bei der Betriebswirtschaftslehre liegt der Schwerpunkt der Betrachtung beim einzelnen Betrieb und seinen Problemen; die Volkswirtschaftslehre untersucht vorwiegend gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge. Praktisch kommt die Betriebswirtschaftslehre nicht ohne gesamtwirtschaftliche Erkenntnisse und die Volkswirtschaftslehre selbstverständlich nicht ohne einzelwirtschaftliche Grundlagen aus. Abb. 4: Die Volkswirtschaftslehre steht in engem Zusammenhang mit anderen Disziplinen der Wissenschaft Vergleicht man den Betriebswirt mit einem Wissenschaftler, der die ökonomischen Vorgänge in einer Volkswirtschaft aus der Froschperspektive betrachtet, so sieht der Volkswirt den gleichen Sachverhalt gleichsam aus der Vogelperspektive. Die Finanzwissenschaft wird oft als besonderer Teil der Volkswirtschaftslehre angesehen. Sie ist die Einzelwirtschaftslehre von staatlichen Körperschaften wie Gebietskörperschaften: Bund, Ländern, Gemeinden; öffentlich-rechtlichen Körperschaften: Universitäten, Kirchen, Kammern; internationalen Organisationen: UNO, EU etc. Beim gegenwärtigen Erkenntnisstand erscheint es eigentlich nahe liegend, die Wirtschaftswissenschaften als einheitliche Disziplin aufzufassen.
5 14 A. Einführung In der Volkswirtschaftslehre wird häufig zwischen Makroökonomik und Mikroökonomik unterschieden. Bei der Makroökonomik liegt der Schwerpunkt auf der Analyse des Zusammenhangs gesamtwirtschaftlicher Größen. Die Mikroökonomik baut auf den Entscheidungen der Einzelwirtschaften auf. Von den Formalwissenschaften wie besonders der Mathematik und der Statistik sowie von der Logik und der Methodologie erhält die Wirtschaftswissenschaft wesentliche instrumentelle Hilfe für die Erkenntnisgewinnung. Außerdem haben die Ergebnisse von Nachbardisziplinen wie Rechtswissenschaft, Soziologie oder Politologie für viele ökonomische Fragen unmittelbare Bedeutung. So stellen z. B. Gesetze nicht selten eine spezielle Art wirtschaftspolitischer Instrumente dar. Das begründet die Forderung nach interdisziplinärer Zusammenarbeit, die bereits in viele Studienpläne Eingang gefunden hat. Ziel dieser Ausbildung ist es nicht etwa, den universal gebildeten,alleskönner zu züchten. Vielmehr soll einer immer dringender werdenden Kooperation von hoch qualifizierten Fachleuten verschiedenster Wissenschaftsbereiche ein Weg geebnet werden. Irgendwelche Einteilungen der Wissenschaft sollte man nicht als bindende Abgrenzungen verstehen. Was letztlich allein zählt, ist der Erkenntnisfortschritt. Die historisch gewachsene Arbeitsteilung der Disziplinen ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage und steht als solche jederzeit zur Disposition. Die Geburtsstunde der Wirtschaftswissenschaft liegt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Manche sehen sie 1758 mit der Veröffentlichung des Tableau Economique (erste Kreislaufdarstellung) durch François Quesnay und manche 1776 mit dem Erscheinen von Adam Smith Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Reichtums der Nationen). Davon haben Sie möglicherweise schon im Geschichtsunterricht gehört. Ein wirtschaftswissenschaftliches Studium mit eigenem Abschluss gibt es an deutschen Hochschulen erst seit etwa 1900; an den Universitäten sogar erst seit Abschließend soll noch auf einige mit Volkswirtschaftslehre verwandte Begriffe hingewiesen werden: Politische Ökonomie wurde früher synonym für Volkswirtschaftslehre gebraucht. Die Neue Politische Ökonomie (seit Beginn der 1960er Jahre) hat schwerpunktmäßig die Wechselwirkungen zwischen dem ökonomischen und dem politischen Bereich zum Gegenstand. Politökonomie sieht die wirtschaftlichen Prozesse aus der Sicht des Marxismus-Leninismus. Sozialökonomie bzw. Sozialwirtschaftslehre war vor allem um 1900 der gängigste Begriff für Volkswirtschaftslehre. Er bringt gut zum Ausdruck, dass Wirtschaft immer soziale Bezüge hat. Heute ist allerdings die Bezeichnung Volkswirtschaftslehre allgemein üblich.
6 III. Was ist Volkswirtschaftslehre? 15 Nationalökonomie findet sich in Deutschland synonym für Volkswirtschaftslehre. Beide Begriffe sind ähnlich problematisch, weil sie durch die Hervorhebung von Volk- und National- unzutreffende Abgrenzungen betonen. Für eine Weltwirtschaft sind beide zu eng definiert, für regionalwirtschaftliche Aspekte dagegen zu weit. Wirtschaftswissenschaften scheint heute für den Erkenntnisbereich Wirtschaft der passendste Ausdruck zu sein. Dabei kann zwischen Gesamtwirtschaftslehre (= Volkswirtschaftslehre) und Einzelwirtschaftslehre (= Betriebswirtschaftslehre) unterschieden werden. 2. Von der Wirtschaftstheorie zur Wirtschaftspolitik Wichtiger als historische Fragen und sicherlich wichtiger auch als die vorhergehenden wissenschaftssystematischen Aspekte ist im Folgenden für uns die Unterscheidung von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik. Eine Vorstufe für beide ist die rein deskriptive Darstellung von Gegenständen der Wirtschaft. Hier spricht man von Wirtschaftskunde. Sie beschreibt z. B., dass in unserer Wirtschaft Geld aus Banknoten, Münzen und Buchguthaben bei Banken besteht. Insofern gibt die Wirtschaftskunde gewissermaßen Antwort auf die Frage: Was ist? Die Wirtschaftstheorie versucht darüber hinaus zu klären, warum etwas so ist. Ihre Aufgabe besteht also darin, die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu erklären (und richtig vorherzusagen). Gewöhnlich geht es hier um Kausalaussagen, mit anderen Worten um Ursache-Wirkungs-Bezüge. Ein Beispiel ist die Aussage: Wenn die Geldmenge unbegrenzt vermehrt wird, verschlechtert sich der Geldwert, d. h., dann steigt das Preisniveau. Die Wirtschaftspolitik versucht Antwort auf die Frage zu finden: Was ist realisierbar und wie lassen sich bestimmte Ziele erreichen? Die Ursache-Wirkungs- Zusammenhänge der Theorie werden in der Wirtschaftspolitik zu Mittel-Ziel-Be- Abb. 5: Die Wirtschaftspolitik baut auf der Wirtschaftstheorie auf
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