SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 WISSEN - Manuskriptdienst. 30 Jahre Space-Shuttles - Die Ära der Raumfähren geht zu Ende

Transkript

1 SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 WISSEN - Manuskriptdienst 30 Jahre Space-Shuttles - Die Ära der Raumfähren geht zu Ende Autor: Guido Meyer Sprecher: Hans Michael Ehl und Martin Ruthenberg Redaktion: Sonja Striegl Sendung: Mittwoch, 6. April 2011, 8.30 Uhr, SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/ ! Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem kostenlosen Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de! SWR2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter oder als Podcast nachhören: 1

2 ATMO 1: (laufen lassen) Cape Canaveral, Florida; Raketenbahnhof der USA; fünf Uhr morgens. Noch liegt die kalte Nacht über dem Kennedy Space Center, doch der Lärm verrät, dass hier bereits gearbeitet wird. Im Vehicle Assembly Building, einem 160 Meter hohen Gebäude herrscht Hochbetrieb. Techniker haben in den letzten Wochen die US-Raumfähre Endeavour auf ihrem großen, braunen Außentank befestigt, an dem wiederum die beiden weißen Feststoffraketen seitlich befestigt sind. Aufrecht stehend rollt dieser Komplex nun aus der Halle. O-Ton 1 - Besucher: Man hat so ein Gefühl, man ist mitten drin. Man muss sich ein halbes Fußballfeld denken, große fahrende Plattform. Und darauf steht dann so ein Shuttle, 60 m hoch, es ist faszinierend. Man hat das Raumfahrtfieber oder man hat s nicht. Die Endeavour wird am 19. April zu ihrer letzten Reise aufbrechen - fast auf den Tag genau 30 Jahre nach dem ersten Flug eines Space Shuttles ins Weltall. Sprecher 3: 30 Jahre Space-Shuttles - Die Ära der Raumfähren geht zu Ende. Eine Sendung von Guido Meyer. Die Besucher am Kennedy Space Center sehen an diesem Morgen eine Art überdimensionale, graue Raupe. Sie ist der Schlepper, der huckepack die Startplattform und das auf ihr stehende Raumschiff zur Abschussrampe transportiert. O-Ton 2 - Stephanie Stilson: When I was coming in this morning, vehicle into space is just an amazing thing. Voice over - Sprecherin: Wir sind heute Morgen bei Sonnenaufgang hierhergekommen, um uns diesen Anblick zu gönnen. Ich habe solche Rollouts schon so oft gesehen, aber es ist immer wieder atemberaubend und zugleich unglaublich, dass wir ein so riesiges Vehikel ins All schießen können. Stephanie Stilson ist seit elf Jahren NASA Flow Director für die Space Shuttles, bei der US-Raumfahrtbehörde also für die reibungslosen Startvorbereitungen der Raumfähren zuständig. Die Fahrt von der Montagehalle zur Abschussrampe dauert etwa sechs Stunden. Der Transporter bewegt sich dabei mit weniger als zwei Stundenkilometern vorwärts. Das Begleitpersonal, die Sicherheitskräfte und die Journalisten können bequem nebenher laufen. 2

3 O-Ton 3 - Stephanie Stilson: When you get over a certain getting any oscillations that could cause a problem. Voice over - Sprecherin: Ab einer bestimmten Geschwindigkeit fängt der Komplex aus Shuttle, Tank und Raketen an zu schwingen. Unsere Techniker haben genau untersucht, wie schnell das Raupenfahrzeug sich vorwärts bewegen darf, damit die gesamte Konstruktion stabil bleibt. Neben dem Fortbewegungstempo bestimmt das Wetter, ob der Rollout der Fähre stattfindet. An diesem Morgen kein Problem: Es blitzt nicht, es regnet nicht, und es stürmt nicht. Rund sechs Kilometer von der großen Montagehalle entfernt liegt die Startplattform - aus Sicherheitsgründen, betont Stephanie Stilson: O-Ton 4 - StephanieStilson: It has to do with safety perspective. of catastrophic failure on the launch pad. Voice Over - Sprecherin: Als das Kennedy Space Center in den sechziger Jahren gebaut wurde, hat man Wert darauf gelegt, dass Beobachter des Starts sich in einer sicheren Entfernung aufhalten, sollte es auf der Abschussrampe zu einer Katastrophe kommen. ATMO 1: (ausblenden!) Wenn die Endeavour am 19. April zum letzten Mal abhebt, werden sehr viele Beobachter den Start verfolgen und Abschied nehmen von einem 30jährigen weitgehend erfolgreichen Kapitel amerikanischer Weltraumgeschichte. Angefangen hatte alles mit dem Apollo-Programm, das in der ersten Landung von Menschen auf dem Mond im Jahr 1969 gipfelte. Damit hatten die Vereinigten Staaten ihren Konkurrenten, die Sowjetunion, nicht nur eingeholt, sondern überholt und den Wettlauf ins All gewonnen. Der amerikanische Weltraumhistoriker Ted Spitzmiller erinnert sich: O-Ton 5 - Ted Spitzmiller: We had 6 successful missions to the moon lost heart in the space program. Voice over - Sprecher 2: Wir hatten sechs erfolgreiche Missionen zum Mond, bevor entschieden wurde, dass die Kosten keine weiteren Flüge rechtfertigen würden. Die Situation in Vietnam wirkte sich zum Nachteil der amerikanischen Wirtschaft aus, und es gab Stimmen, die eine stärkere Beachtung der sozialen Probleme der damaligen Zeit forderten. Anfang der Siebziger Jahre hatten wir viele Rassen-Unruhen in den Städten. Und so verlor Amerika seine Begeisterung für das Weltraumprogramm. 3

4 Der Mondlandung folgte die große Leere. Zunächst gab niemand dem Land eine neue Vision, ein neues Ziel im All. Erst Mitte der 70er Jahre verkündete die NASA, wie es mit der Raumfahrt weitergehen sollte. Man wolle künftig zwar nur um den eigenen Planeten kreisen, aber dazu werde eine völlig neue Generation von Raumschiffen entwickelt: O-Ton 6 - Ted Spitzmiller: We originally looked at the space shuttle to take us out to Mars. Voice over - Sprecher 2: Wir haben das Space Shuttle ursprünglich als Zwischenschritt auf dem Weg zum Mars betrachtet, weil es uns einen kostengünstigeren Zugang ins All ermöglichen sollte. In der Erdumlaufbahn hätten wir dann die Raumschiffe bauen können, die uns zum Mars bringen. Die USA konstruierten eine wiederverwendbare Raumfähre. Das Space Shuttle, das wie ein Weberschiffchen, Shuttle, hin- und herpendelt, sollte bis zu hundertmal einsetzbar sein -, und zwar zwischen Erde und Erdumlaufbahn. Die Nation war begeistert, erzählt der Weltraumhistoriker Roger Launius von der Smithsonian Institution in Washington, D.C. O-Ton 7 - Roger Launius: Take off like an airplane, fly into hypersonic like we do with airliners today. Abheben wie ein Flugzeug, mit Überschallgeschwindigkeit ins All fliegen, eine Umlaufbahn erreichen und zurückkehren wie ein Flugzeug - das war es, was damals alle wollten. Und das mehrmals, so wie wir es heute mit Flugzeugen handhaben. Auch der damalige US-Präsident Richard Nixon war von Amerikas neuester Raumfahrt-Idee angetan - insbesondere von der Möglichkeit, auf diese Weise sowjetische Satelliten einfangen und zur Erde bringen zu können: O-Ton 8 - Roger Launius: Nixon thought that was very cool But that was the selling point. Nixon fand das klasse und wollte das unbedingt. Natürlich ist der Shuttle niemals zu diesem Zweck benutzt worden, aber das war das Verkaufsargument. Vier solcher Raumfähren hatte die NASA Mitte der 70er Jahre in Auftrag gegeben. Dazu kam der Prototyp für Versuchsflüge: die Enterprise, die allerdings niemals ins All flog. 4

5 O-Ton 9 - TV-Ansage NBC News: The program usually presented at this time will not be seen today so that we may bring you the following special program Darüber 12. August Der amerikanische Fernseh-Sender NBC unterbricht sein Programm, um seinen Zuschauern live die erste Landung eines neuen Raumschiffs zu zeigen. O-Ton 10 - TV-Ansage NBC News: NBC News reports: The Flight of the Enterprise. Das erste Space Shuttle sollte eigentlich Constitution heißen. Fans der amerikanischen Startrek-Serie jedoch hatten sich in den siebziger Jahren an die NASA gewandt mit der Bitte, dem Raumschiff Enterprise aus der Fernseh-Sendung mit dem Prototypen einer neuen Generation von Raumschiffen ein Denkmal zu setzen. Die NASA erhörte die Bitte, und auch die Schauspieler-Crew um Captain Kirk - William Shatner - und Mister Spock - Leonard Nimoy - kamen zum Jungfernflug in die kalifornische Mojave-Wüste. O-Ton 11 - TV-Kommentierung: They took off 30 minutes ago, a 747 airplane, the Enterprise will get its first free-flight-test. Vor einer halben Stunde ist eine Boeing 747 gestartet mit der Enterprise huckepack. Von der kalifornischen Mojave-Wüste (sprich: Mohawi) aus fliegen beide in den morgendlichen Himmel, um Geschichte zu schreiben. In wenigen Minuten wird sich die Enterprise mit ihren beiden Astronauten an Bord vom Flugzeug lösen zu ihrem ersten freien Flug. Während dieses ersten und zwölf weiterer Flugversuche sollte das neue Space Shuttle eine Rückkehr aus dem Weltraum simulieren und aus sieben Kilometern Höhe antriebslos wie ein Segelflugzeug zurück zur Erde gleiten. Alle Tests waren erfolgreich: O-Ton 12 - TV-Kommentierung: That was a beautiful flight. And obviously they came down well, they landed safely, and now they ve stopped. A very successfull first flight for the space shuttle Enterprise! Bereits 1972, fünf Jahre vor dem ersten Testflug der Enterprise, hatte der US-Kongress das Budget zum Bau der Raumfähren gebilligt - genau zu der Zeit, als zwei Amerikaner mit der vorletzten Apollo-Mission auf dem Mond weilten. Einer von ihnen, der Astronaut John Young, sollte fast ein Jahrzehnt später Kommandant des ersten Space-Shuttle-Fluges werden. 5

6 ATMO 2: Erster Shuttle-Start Am 12. April 1981 hob die Columbia ab und eröffnete das Raumfährenzeitalter. Diese Fähre hatte die NASA diesmal nicht nach einem weiteren Science-Fiction-Raumschiff benannt - wie die Enterprise -, sondern nach dem Segelschiff Robert Grays, der mit seiner Columbia 1790 von Boston aus erstmals unter US-Flagge die Welt umsegelt hat. Kurz darauf erweiterte die amerikanische Raumfahrtbehörde ihre Fährenflotte um die Schwesterschiffe Challenger, Discovery und Atlantis; später kam Endeavour hinzu, erzählt der Weltraumhistoriker Ted Spitzmiller. Sie sollten wesentlich seltener fliegen als ursprünglich geplant: O-Ton 13 - Ted Spitzmiller: They had expected one a week, and what And the cost were staggering. Voice over - Sprecher 2: Die NASA hatte mit einem Start pro Woche gerechnet, doch was sie bekam, war einer pro Monat oder alle zwei Monate. Unser Rekord liegt bei acht Flügen pro Jahr anstelle von 52. Mit dieser Frequenz konnte man das System nicht wirtschaftlich betreiben. Der Grund für die geringere Startfrequenz war das Shuttle selbst, das einfach eine viel zu komplexe Maschine ist, um sie binnen vier Wochen für den nächsten Flug vorzubereiten. Diese Komplexität hat außerdem die Kosten in die Höhe getrieben. Die Shuttles erwiesen sich schon bald als teures und kompliziertes Startsystem. Ihre Wiederverwendbarkeit sollte eigentlich dazu führen, dass die Kosten sinken und sich die Schiffe nach jeder Mission zügig erneut einsetzen lassen. Gerade wegen ihrer Wiederverwendbarkeit jedoch mussten die Raumfähren nach jedem Flug aufwendig überholt werden. Und so konnten die Shuttles in den ersten drei Jahren nur neunmal abheben. Darunter war auch der Flug mit dem europäischen Raumlabor Spacelab Bei diesem Jungfernflug, der Mission STS-9, war der erste westdeutsche Astronaut dabei, Ulf Merbold. Zwei Jahre später folgte die erste deutsche Spacelab-Mission D1, 1993 der Nachfolger D2. Danach jedoch schwand in Deutschland das Interesse, auch wegen angespannter Haushaltslage nach der deutschen Wiedervereinigung - vermutet Jesco von Puttkamer, Langzeitplaner bei der NASA. O-Ton 14 - Jesco von Puttkamer: Es ist oftmals so gewesen in Deutschland, dass man hochtechnologische, vielversprechende Projekte entwickelt hat, initiiert hat sogar, aber dann nach kurzer Zeit schon aufgehört hat, die auch zu nutzen. Und Spacelab ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass man das in Bremen gebaute, europäische Spacelab zwar hergestellt hat, aber dann irgendwie die Freude daran verloren hat oder keine Mühe darauf verwendet hat, eine Nutzergemeinschaft zu entwickeln. Man hat sich abgewendet davon, so dass dann die eigentlichen Nutzer des Spacelabs nur noch wir Amerikaner waren. Ich hatte mir damals vorgestellt, dass Deutschland vom Spacelab nach seiner Fertigstellung mehr Gebrauch macht, als es wirklich gemacht wurde. 6

7 O-Ton 15 - Präsidentenansage: ( Ladies and Gentlemen, The President Of The United States.) Am 28. Januar des Jahres 1986 muss sich US-Präsident Ronald Reagan außerplanmäßig in einer Fernseh-Ansprache an die Nation wenden. Einer seiner schwersten Auftritte: O-Ton 16 - Ronald Reagan: Ladies and gentlemen. Today is a day for mourning and remembering. Nancy and I are pained to the core about the tragedy of the shuttle Challenger. This is truly a national loss. Ladies and Gentlemen. Der heutige Tag ist ein Tag der Trauer und der Erinnerung. Meine Frau Nancy und ich sind bestürzt über das Unglück der Raumfähre Challenger. Dies ist eine nationale Tragödie. Wenige Stunden zuvor war vom US-Raumfahrtbahnhof Cape Canaveral in Florida aus die Challenger gestartet. Es war der Beginn des fünften Flugjahres und des 25. Fluges eines Schiffes der Raumfährenflotte. Jubiläumsstimmung an diesem eiskalten Januar-Morgen am Kennedy Space Center; Freude darüber, dass die Fähre nach etlichen Startverschiebungen endlich abhob. Plötzlich hieß es, es gebe eine schwerwiegende Fehlfunktion : O-Ton 17 - NASA-Sprecher / Challenger-Start: ( obviously a major malfunction. ) In den USA war lediglich der Nachrichtensender CNN live dabei, als die Challenger 73 Sekunden nach dem Start explodierte. Harro Zimmer berichtete damals live für den deutschsprachigen Hörfunk. O-Ton 18 - Harro Zimmer: Wir müssen hier mal eine Sekunde beobachten, was passiert. Es sieht sehr seltsam aus. Es fallen hier einzelne Teile über dem Gelände nach unten. Die Challenger ist explodiert. Wir stehen vermutlich vor der größten Katastrophe der bemannten Raumfahrt. O-Ton 19 - NASA-Sprecher: We have a report that the vehicle has exploded. (über ATMO) Noch nie hatte eine Raumfähre längere Zeit bei Minusgraden auf der Startrampe verbracht, so wie die Challenger in den Tagen vor ihrem Start. Berechtigte Warnungen 7

8 der Herstellerfirma hatte die NASA in den Wind geschlagen: Die Dichtungsringe aus Gummi zwischen den einzelnen Raketensegmenten hatten in dieser Kälte versagt und waren durchlässig geworden. Eine Flamme trat aus einem Spalt aus einer der Raketen, die den großen braunen Außentank wie ein Schneidbrenner aufschweißte. Eine Explosion war nicht mehr zu verhindern; die sieben Astronauten waren entweder sofort tot oder starben, als ihre Mannschaftskabine auf den Atlantik schlug. Trotzdem glaubte Präsident Reagan weiterhin an die Zukunft der Shuttles: O-Ton 20 - Ronald Reagan: I ve always had great faith in and respect for more teachers in space. Nothing ends here. Ich hatte immer großes Vertrauen in unser Weltraumprogramm. Es wird weitere Shuttle-Flüge geben. Nichts endet hier. Ein Unglück solchen Ausmaßes war neu für die NASA. Ende der 60er Jahre waren drei Astronauten bei einem Test auf dem Boden verbrannt. Aber noch nie hatte Amerika Menschen während einer Weltraummission verloren. Die NASA zog Konsequenzen aus dem Unglück, überarbeitete sowohl Technik als auch Management-Abläufe. Dreieinhalb Jahre nach der Challenger-Katastrophe, im September 1988, nahmen die USA die Raumfähren-Flüge wieder auf. Doch nun waren sie nicht mehr die einzige Nation, die im Besitz von Space Shuttles waren. ATMO 3: Start Am 15. November 1988 startet erstmals eine sowjetische Raumfähre ins All. Die Buran steigt von Baikonur in Kasachstan aus in den Himmel. Sie sieht aus wie die Space Shuttles der Amerikaner, ist etwa genauso groß und vollführt auch ähnliche Flugmanöver. O-Ton 21 - Sam Keller: It does look very much like our shuttle. Buran sah den Shuttles schon auffällig ähnlich, findet Sam Keller, damals stellvertretender Chef der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA. Er vermutet, dass sich die UdSSR Skizzen der US-Raumfähren besorgt habe, und zwar ganz legal. Denn das Shuttle-Projekt war kein geheimes Militär-Produkt. Obschon der Kalte Krieg noch andauerte, glaubt Keller, dass die NASA den sowjetischen Konkurrenten die Pläne womöglich sogar geschickt hätte, wenn sie darum gebeten hätten. O-Ton 22 - Sam Keller: In fact if they wrote in we might have sent them to them. 8

9 Buran war oben weiß und unten schwarz gekachelt, um die Hitze beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre zu überstehen. Sie hatte kurze Stummelflügel, um aus dem All antriebslos zurück zur Erde gleiten zu können. Der Start erfolgte vertikal, huckepack auf einer schubstarken Trägerrakete - alles so, wie die NASA es damals seit sieben Jahren vorgemacht hatte. O-Ton 23 - Roald Sagdeev: I believe it was designed independently even if its shape looks familiar. You know, the shape is dictated by aerodynamics. Roald Sagdeev, der damalige wissenschaftliche Berater von Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow, glaubt hingegen eher an zufällige Ähnlichkeiten der Systeme in Ost und West. Ihre Form werde schlicht von den Gesetzen der Aerodynamik diktiert. Bleibt die Frage, warum die Sowjets überhaupt eine Raumfähre gebaut haben, verfügen sie doch mit den Sojus Kapseln bis heute über ihr eigenes, zuverlässiges bemanntes Raumtransportsystem. O-Ton 24 - Roald Sagdeev: There is one critical argument: Americans something else. Let s follow their example! Voice over - Sprecher 2 : Es gab damals ein entscheidendes Argument: Die Amerikaner machen es. Hätten wir etwa glauben sollen, dass die doof sind? Im Gegenteil, die USA galten als sehr pragmatisch. Wenn sie so etwas tun, werden sie ihre Gründe gehabt haben - also lasst uns ihrem Beispiel folgen! Buran konnte auch unbemannt starten und landen und sogar wie ein Flugzeug horizontal von einer Runway abheben. Doch die vielen Extras kosteten extra Geld, was die damals zerfallende Sowjetunion nicht hatte. Und so war Burans Erstflug auch ihr letzter. Ganz anders die Entwicklung in den USA: Ronald Reagan gab 1984 bekannt, dass er die NASA damit beauftragt habe, eine ständig bemannte Raumstation zu entwickeln: O-Ton 25 - Ronald Reagan: We can reach for greatness again. We can follow our dreams to distant stars, living and working in space for peaceful economic and scientific gain. Tonight I am directing NASA to develop a permanently manned space station and to do it within a decade. / Applaus Damals war der Applaus noch groß. Während der folgenden zehn Jahre jedoch wurde ein Design ums andere verworfen; aus dem ursprünglichen Prestigeprojekt Freedom wurde die Sparversion Alpha, aus Alpha die International Space Station (ISS), an der 9

10 sich neben Europäern, Japanern und Kanadiern auch die Russen beteiligen. Um deren wissenschaftliche Labore ins All zu bringen, werden die amerikanischen Shuttles gebraucht, da kein anderes Raumtransportfahrzeug in der Lage ist, soviel Material in den Weltraum zu transportieren. Vier Fähren fliegen seit 1988 regelmäßig ins All und steuern seitdem nahezu ausschließlich die ISS an, um diese aufzubauen. Aus dem Pendelverkehr ins All ist ein routinemäßiger Flugbetrieb geworden. O-Ton 26 - NASA-Sprecher (STS53DoD): The astronauts have made their way out of the building. This is a military crew, couple of army veterans as well as Marine, Navy. Die Entwicklung und den Bau der amerikanischen Raumfähren-Flotte hatte das US-Militär in den siebziger Jahren mitfinanziert. Aufgrund dieser Beteiligung ist es nicht nur für Notfall-Bergungen zuständig, sondern hat sich auch Verwendungsrechte an den Space Shuttles erworben. In Vandenberg (sprich: Wändenböhrg) an der kalifornischen Pazifik-Küste, etwa 300 Kilometer von Los Angeles entfernt, war damals eigens ein Weltraumbahnhof gebaut worden, um von dort geheime Missionen fliegen zu können - ein militärisches Gegenstück zum zivilen Kennedy Space Center in Florida. Dieser Plan wurde jedoch nach dem Unglück der Raumfähre Challenger 1986 aufgegeben. Deshalb starteten alle im Auftrag des Pentagon durchgeführten zehn Missionen von Cape Canaveral aus. ATMO 4: Discovery-Start Lift Off for the space shuttle Discovery on a 7-day-mission for the Department of Defense startete letztmals ein Space Shuttle für das Pentagon ins All, zu der geheimen Mission STS-53. Welche Nutzlasten bei militärischen Einsätzen der Fährenflotte wie dieser an Bord waren, wurde nie offiziell mitgeteilt; in der Regel waren es Spionagesatelliten. An Bord außerdem: Angehörige des Militärs und - im Fall der Mission STS-53 - auch der Navy. Doch selbst dem Verteidigungsministerium waren die Shuttles irgendwann zu teuer und zu unflexibel. Seit Ende der neunziger Jahre flogen sie fast nur noch zur ISS. Im Jahr 2003 schließlich passierte wieder ein Unglück. Der damalige Präsident George W. Bush musste den Amerikanern diese Hiobsbotschaft überbringen: O-Ton 27 - George W. Bush: My fellow Americans. This day has brought terrible The Columbia is lost. There are no survivors. Dieser Tag hat furchtbare Neuigkeiten und große Wehmut über unser Land gebracht. Um neun Uhr heute früh hat die Flugkontrolle in Houston den Kontakt zur Raumfähre 10

11 Columbia verloren. Kurz darauf fielen über Texas Trümmer vom Himmel. Die Columbia ist verloren. Es gibt keine Überlebenden. Wieder fand eine siebenköpfige Crew den Tod, diesmal nicht beim Start, sondern bei der Rückkehr aus dem Weltraum. Schaumstoff vom Außentank hatte sich beim Start der Fähre gelöst und ein Loch in die Vorderseite des linken Flügels der Columbia geschlagen. Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre gelang heißes Gas durch dieses Leck ins Innere der Fähre, die daraufhin auseinanderbrach. Und wieder musste die NASA sich vorhalten lassen, nicht aufgepasst zu haben. Trotz entsprechender Warnungen hatte es niemand in den Entscheidungsetagen für möglich gehalten, dass ein Stück Schaumstoff so verheerende Auswirkungen haben könnte. Wieder überarbeitete die US-Raumfahrtbehörde ihre Sicherheitsszenarien und ergänzte das Überwachungssystem um Kameras und Radaranlagen. Doch absolute Sicherheit sei nicht zu erreichen, warnt Claus Lippert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln. O-Ton 28 - Claus Lippert: Bei 100 Starts ungefähr muss man mit einem Absturz rechnen. Und das ist statistisch erwiesen. Die Frage, ob man höher kommt in der Zuverlässigkeit, ist relativ unsicher. Auch die guten russischen Raketen liegen so bei 95 Prozent oder 94 Prozent. Das ist halt bei Raketenstarts: Ein kleiner Fehler wird nie vergeben. Das Verglühen der Columbia beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre fand in der Tat erst rund hundert Flüge nach dem Challenger-Unglück statt, so dass die Fähren-Flotte sich weder als sicherer noch unsicherer als die Vorhersagen erwiesen hatte. Columbia, Challenger, Discovery, Atlantis und Endeavour - diese fünf Space Shuttles haben Raumfahrtgeschichte geschrieben. Eine Erfolgsstory, meint die amerikanische Astronautin Eileen Collins, die viermal mit den Shuttles im All war. O-Ton 29 - Eileen Collins: The space shuttle program was tremendously successful., the current International Space Station. Voice over - Sprecherin: Das Space-Shuttle-Programm war ungewöhnlich erfolgreich. Wir haben das Hubble-Weltraumteleskop ins All gebracht, wir haben Satelliten in eine Umlaufbahn geschossen, wir haben sie im All repariert, wir haben mit den Russen auf der Mir zusammengearbeitet und tun dies heute auf der Internationalen Raumstation. Ohne Raumfähren würde es heute keine Raumstation geben. Just in dem Jahr, in dem die Space Shuttles nach 30 Jahren ihren Flugbetrieb einstellen, ist die Space Station fertig - nach mehr als 13 Jahren Bauzeit. Die NASA-Experten sind sich einig, dass die Forschungen und die Langzeitaufenthalte auf der ISS eine optimale Vorbereitung für 11

12 einen späteren bemannten Flug zum Mars waren. Auch Raumsonden wurden von den Fähren ins All ausgesetzt. Aus der Ladebucht der Shuttles heraus starteten beispielsweise die Sonden Magellan zur Venus und Galileo zum Jupiter. Und auch das Hubble-Weltraumteleskop - bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten im Orbit - funktioniert heute nur deswegen noch, weil Astronauten es fünfmal mit Raumfähren anflogen, in deren Nutzlastbucht verankert, generalüberholt und mit neuen Instrumenten ausgestattet haben. Frank Culbertson, ebenfalls früherer Astronaut der NASA: O-Ton 30 - Frank Culbertson: They had 2 failures, but the failures finally coming to the end of its life. Voice over - Sprecher 2: Die NASA musste zwei Fehlschläge hinnehmen. An keinem der beiden jedoch waren die Orbiter Schuld. In einem Fall haben die Zusatzraketen versagt, im anderen der Tank. Die Tatsache, dass es bis heute 131 erfolgreiche Flüge gab, ist ein Beweis für die Weitsicht und den technischen Ideenreichtum der Ingenieure der siebziger Jahre, die die Schiffe konzipiert haben. Die Space Shuttles waren das Arbeitstier des amerikanischen Raumfahrtprogramms. Es ist eine Schande, dass diese Ära zu Ende geht. Der damalige US-Präsident George W. Bush hatte die NASA 2004 angewiesen, die Fährenflüge zu beenden, sobald die ISS fertig aufgebaut wäre. Zu alt, zu teuer und zu riskant sei das System nach den Erfahrungen des Columbia-Unglücks. Nachfolger Barack Obama hält an diesen Plänen fest. und will die NASA in den kommenden Jahren eine neue Rakete und eine neue Crew-Kapsel bauen lassen. Und so wird in der Nacht zum 20. April deutscher Zeit die Endeavour zu ihrer letzten Reise ins Weltall aufbrechen. Damit sich Space Shuttle und Space Station auf ihren Umlaufbahnen im All begegnen können, erfordern die Gesetze der Himmelsmechanik bisweilen einen Start mitten in der Nacht. Vor diesem Ereignis rührt Kwatsi Alibaruho, einer der Flugdirektoren der NASA, bereits die Werbetrommel. Er hat schon einige Nachtstarts erlebt und kennt ihren eigenen Zauber: O-Ton 31 - Kwatsi Alibaruho: Anyone who s ever seen a shuttle spectacular against the dark backdrop. Jeder, der schon einmal einen Shuttle-Start miterlebt hat, wird bestätigen können, wie atemberaubend das ist. So kraftvoll dieses Schauspiel tagsüber auch sein mag - nachts ist es noch eindrucksvoller, wenn sich die Flammen am Heck der Fähre hell vor dem schwarzen Hintergrund der Nacht abzeichnen und sie für einige Sekunden zum Tag werden lassen. Discovery hat ihren letzten Flug bereits hinter sich, Endeavour wird nach dieser Mission im April ausgemustert, Atlantis soll im Juni letztmals abheben. Dann werden die drei Orbiter zu dem, was ihr Schwesterschiff, der Prototyp Enterprise, bereits ist: ein Museumsobjekt. Seit 2004 ist die Enterprise im National Air and Space Museum in 12

13 Washington, D.C. ausgestellt. Sobald die richtigen Shuttles ihre Arbeitseinsätze ins All beendet haben, wird die alte Enterprise ihren Platz räumen müssen, erzählt Valerie Neal. Sie ist die Kuratorin der Abteilung für Weltraumgeschichte des Luft- und Raumfahrtmuseums. O-Ton 32 - Valerie Neal: We obviously would like to have a flown-in-space-orbiter. greedy and keep two of them. Voice over - Sprecherin: Wir hätten natürlich gerne ein Raumschiff, das auch wirklich im Weltraum war. Das ist die Philosophie unseres Museums: Ausstellungsstücke zu präsentieren, die im Einsatz waren und die eine Geschichte haben. Die Enterprise war für uns immer nur ein Platzhalter, bis wir eines der richtigen Shuttles bekommen können. Eigentlich hatten wir auf Columbia oder Challenger gehofft, die allererste und die zweite Fähre. Da beide jedoch zerstört sind, freuen wir uns nun auf die Ankunft von Discovery, der nunmehr ältesten Fähre mit der längsten Fluggeschichte. Die drei Schiffe Atlantis, Endeavour und Discovery sollen an Museen im Land verteilt werden - und das National Air and Space Museum steht ganz vorne in der Schlange. Verläuft alles weiter reibungslos, soll im Herbst die dann stillgelegte Discovery vom Kennedy Space Center in Florida Richtung Museum geflogen werden. Die Enterprise wird dann ihre allerletzte Reise antreten. ******************** 13