Vielversprechende Multitalente
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- Jobst Förstner
- vor 6 Jahren
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1 Vielversprechende Multitalente Kohlenstoff-Nanoröhrchen in Lackanwendungen. Julien Roux, Clapiers, Frankreich. Kohlenstoff-Nanoröhrchen sind wegen ihrer sehr ungewöhnlichen Eigenschaften ein hochinteressantes Material - und inzwischen nicht mehr nur von akademischem Interesse. In Lackformulierungen können sie direkt eindispergiert oder als Fasermaterial eingebracht werden und vor allem als Leitfähigkeitsadditive dienen, die schon bei sehr geringen Konzentrationen wirken. Entsprechende Lacke eignen sich für Antistatikbeschichtungen oder zur elektromagnetischen Abschirmung von Elektronik-Bauteilen. Es gibt drei gut bekannte allotrope Formen von Kohlenstoff: Amorpher Kohlenstoff, Graphit und Diamant. Kohlenstoff-Nanoröhrchen, die 1991 von dem japanischen Forscher Sumio Ijyma entdeckt wurden, stellen eine neue allotrope Kohlenstoffstruktur dar, die hinsichtlich ihrer Größe und Eigenschaften einzigartig ist. Gegenwärtig sind zwei Arten von Kohlenstoff-Nanoröhrchen bekannt: Einwand- und Mehrwand-Kohlenstoff-Nanoröhrchen (engl.: Single Wall Carbon Nanotubes, SWNT, und Multi Wall Carbon Nanotubes, MWNT; s. Abb. 1a und 1b). Ein perfektes SWNT kann man sich als eine Graphitschicht vorstellen, die auf sich selbst zurückgerollt ist, so dass ein Zylinder entsteht. Zwei Hälften eines Fulleren-Moleküls schließen die Struktur zu beiden Enden (Abb. 1c). Ein MWNT besteht aus mehreren, zylindrisch "ineinandergestapelten" SWNT. Extreme elektrische, thermische und mechanische Eigenschaften Ihre einzigartige Struktur verleiht SWNT außergewöhnliche Eigenschaften (Tab. 1): Sie sind beispielweise hundertfach stärker als Stahl und fünffach leichter, sie sind so gut elektrisch leitfähig wie Kupfer, und thermisch doppelt so leitfähig wie Diamant. Nanoröhrchen können zudem als Aktuatoren wirken, und sie besitzen eine sehr hohe spezifische Oberfläche. Nanoeigenschaften auf makroskopische Ssyteme übertragen All diese Eigenschaften machen Kohlenstoff-Nanoröhrchen zu einem der vielversprechendsten Materialien überhaupt. Die Herausforderung liegt heute darin, die Eigenschaften, die sie auf der Nanometer-Skala zeigen, auf makroskopische Materialien zu übertragen. Hier werden zwei Wege vorgestellt, Nanoröhrchen in Polymerharze einzubauen: - die klassische, direkte Dispergierung von Nanoröhrchen-Rohmaterial (wie produziert oder modifiziert) - ein innovativer Weg über den Einbau von Fasern, die aus 60 bis 100 % aus Nanoröhrchen bestehen. Auf dem traditionellen Weg der direkten Dispergierung können die elektrischen Eigenschaften bereits mit einer kleinen Menge an Nanoröhrchen (< 5%) verbessert werden. Nanoröhrchen-Fasern können andererseits wie jede typische Faser in Harze eingebaut werden, um deren Charakteristiken zu verbessern. Fasereinbau in polymere Harze ist eine gut bekannte und industriell beherrschte industrielle Technik. Fasern auf Basis von Kohlenstoff-Nanoröhrchen Eine Faser aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen (Abb. 2) kann durch einen speziellen Naß-Spinn-Prozess mittels Koextrusion erzeugt werden. Dabei kann der Durchmesser der Fasern durch Variation der Prozessparameter (Konzentration der verwendeten Materialien, Fließbedingungen, Dimension des Kapillarröhrchens) kontrolliert werden: - Durchmesser zwischen einigen Mikrometern bis zu 100 µm sind einstellbar. - Die Dichte der Fasern (geschätzt durch direktes Wiegen) liegt bei 1,3 bis 1,5 g/cm 3. - Die Menge des koagulierenden Polymers in den Fasern beträgt weniger als 50 %, so dass eine Faser mit hohem Gehalt an Nanoröhrchen entsteht. Dieser Gehalt kann zwischen 50 und 100 Gew.% eingestellt werden. Unmittelbar nach der Extrusion zeigen die Fasern bereits eine gute elektrische Leitfähigkeit (1 bis 10 S/cm). Durch Tempern bei hohen Temperaturen kann zudem das enthaltene Polymer vollständig entfernt werden. Die so erhaltenen Fasern besitzten eine Leitfähigkeit von bis zu 1000 S/cm. Gute Orientierung in gedehnten Fasern Die parallele Ausrichtung der Nanoröhrchen ist der Schlüssel zur Umsetzung ihrer molekularen in makroskopische Eigenschaften. Mittels Raman-Spektroskopie und Röntgenbeugung wurde gezeigt, dass in gestreckten Fasern eine bevorzugte Orientierung der Nanoröhrchen existiert, mit einer mittleren Fehlorientierung von nur +/- 15 nach Dehnung der Fasern. In nicht-gestreckten Fasern beträgt die mittlere Fehlorientierung meist mehr als +/- 35 (Abb. 3). In polymeren Systemen können die Nanoröhrchen-Fasern in geschnitzelter oder gemahlener Form eingesetzt werden. Kohlenstoff-Nanoröhrchen oder Fasern auf Basis dieser Röhrchen können Polymeren somit Eigenschaften wie elektrische Leitfähigkeit oder signifikante Erhöhung der thermischen Leitfähigkeit verleihen. Leitfähigkeit schon bei geringen Konzentrationen Wegen ihrer guten spezifischen Leitfähigkeit (wie Kupfer) und ihres hohen Längenverhältnisses (Verhältnis Länge zu Durchmesser > 1000) stellen Kohlenstoff-Nanoröhrchen ausgezeichnete Leitfähigkeits-Additive für Bindemittel dar. Grundsätzlich hängt bei gegebener intrinsischer Leitfähigkeit und Konzentration die tatsächlich ereichte Leitfähigkeit von der Geometrie solcher Additive ab. Das liegt daran, dass ein so genanntes Perkolations-Netzwerk dann erhalten wird, wenn die Anzahl von leitfähigen Partikeln so groß ist, dass sie sich gegenseitig berühren und so leitfähige Ketten bilden (Abb. 4). Für eine bestimmte Leitfähigkeit benötigt ein Additiv mit niedrigem Längenverhältnis (kugelförmig) eine höhere Konzentration als eines mit höherem Längenverhältnis (Zylinder). Kohlenstoff-Nanoröhrchen, mit der ihnen eigenen hohen intrinsischen Leitfähigkeit haben deswegen eine niedrige Perkolationsschwelle, ihr Perkolations-Netzwerk hat Maschen in der Größenordnung von Mikrometern. Fasern aus Nanoröhrchen zeigen ebenfalls gute Eigenschaften als leitfähige Füllstoffe: Sie besitzen ebenfalls gute Leitfähigkeit und sehr hohes Längenverhältnis, abhängig von der Länge der geschnitzelten Faser. Wiederum ergibt sich eine sehr geringe Perkolationsschwelle, die Dimensionen des Perkolationsnetzwerks liegen in der Größenordnung der Länge der Faserstücke. Tab. 2 listet typische Perkolationsschwellen für verschiedene Kohlenstoffprodukte auf. Viele Bindemittel (z. B. Polymethylmetacrylat, Polyurethan,
2 Polyester) werden bereits mit weniger als 1% Kohlenstoff-Nanoröhrchen leitfähig. Abb. 5 zeigt eine Messung, die mit Nanoröhrchen-Rohmaterial (elektrischer Lichtbogen) gemacht wurde. Dieses Produkt enthält nur 50 % SWNT, die anderen Bestandteile sind amorpher Kohlenstoff. Mit reinen Nanoröhrchen sinkt die Perkolationsschwelle entsprechend. In einigen Fällen kann die Perkolationsschwelle weniger als 0.1 % betragen: Bei diesen geringen Konzentrationen werdennanoröhrchen-bindemittel für antistatische und elektrostatische Abschirmungen wettbewerbsfähig. Darüber hinaus verändern so geringe Mengen die Verarbeitbarkeit und die Fließeigenschaften der Harze nicht, verbessern aber ihre Widerstandsfähigkeit und Zuverlässigkeit. Unter bestimmten Umständen kann die ursprüngliche Transparenz der leitfähig gemachten Lacke erhalten werden. Effektive elektromagnetische Abschirmung Ein Lacksystem mit Nanoröhrchen in PMMA (Polymethylmetacrylat) für elektromagnetische Abschirmung (EMI Abschirmung) wurde bereits entwickelt. Für eine elektromagnetische Abschirmung muss die Leitfähigkeit der Lacksysteme höher als die elektrostatische Dissipation sein. In den PMMA-Systemen mussten dazu 5 bis 18% des Nanoröhrchen-Rohmaterials (50 % Nanoröhrchen) eingesetzt werden. Bei einer Filmdicke von 130 µm und 5 Gew% Nanoröhrchen wurde dabei eine Leitfähigkeit von 5,8 S/m erreicht, bei 12 Gew% 30 S/m. Für die elektromagnetische Abschirmung sind zwei Phänomene verantwortlich - die Absorption und die Reflektion von elektromagnetischen Wellen. Praxis-Tests zur Wirkung der elektromagnetischen Abschirmunglacke wurden in einem schmalen Hochfrequenz-Bereich (8-12 GHz) durchgeführt, dabei wurden mit S 11 = P reflektiert / P einfallend S 21 = P transmittiert / P einfallend zwei Parameter gemessen, die die relative reflektierte (S 11 ) bzw. transmittierte (S 21 ) Strahlung erfassen (P steht dabei für die Strahlungsleistung). Abb. 6 zeigt die Ergebnisse im Bereich 8-12 GHz, gemessen in db. Dabei gilt S(dB) = 20 log S Es zeigt sich, dass die Lacke als elektromagnetisches Abschirmungsmaterial effektiv sind: Die Werte für Reflektion und Absorption in diesem Frequenzbereich sind vergleichbar mit anderen leitfähigen Füllern - dort allerdings bei höheren Konzentrationen. Mit reineren Nanoröhrchen (> 50 Gew.%) steigen die Leitfähigkeit und in der Konsequenz beide Abschirmungseffekte (Absorption und Reflektion) an. Keine Beeinflussung anderer Lackparameter All diese Wirkungen werden ohne Beeinflussung anderer Eigenschaften des Lacksystems, wie z. B. mechanische Eigenschaften, Appearance oder Verarbeitbarkeit, erreicht. Mit 10 Gew% Nanoröhrchen im PMMA-Lacksystem wurde zudem ein Anstieg der thermischen Leitfähigkeit um den Faktor drei beobachtet (von K 0.37 W/mK auf K 1.15 W/mK). Nanoröhrchen können somit einen sehr vielversprechenden Weg weisen, elektromagnetische Abschirmbeschichtungen zu erzeugen, ohne die Qualität der Bindemittel zu beeinträchtigen. In Elektronik-Anwendungen ist die thermische Leitfähigkeit der Materialien darüber hinaus bei der Ableitung von Wärme sehr vorteilhaft. Weitere Untersuchungen zielen gegenwärtig darauf, die Qualität der Nanoröhrchen-Dispersionen in den Bindemitteln zu verbessern und die Abschirm-Effizienz von Nanoröhrchen-Fasern in einem breiten Frequenzbereicht (100 MHz-15 GHz) zu charakterisieren. Vor kurzem wurde ein Nanoröhrchen-Beschichtungssystem realisiert, das bei einer Dicke von etwa 30 µm mit 0,6 % Nanoröhrchen einen elektrischen Widerstand von 103 ohm/cm 2 erreicht, ein Wert, der für elektromagnetische Abschirmungen geeignet ist. Literatur [1] M.M.J. Treacy, T.W. Ebbesen, J.M. Gibson, Nature 381 (1996), S. 678 [2] B. Vigolo, A. Pénicaud, C. Coulon, C. Sauder, R. Paillet, C. Journet, P. Bernier & P. Poulin, Macroscopic Fibers and Ribbons of Oriented Carbon Nanotubes, Science 17 Nov 2000, Bd. 290, S [3] B. Vigolo, P. Poulin, M. Lucas, P. Launois, P. Bernier, Improved structure and properties of single wall carbon nanotube spun fibers, Applied Physics Letters, Bd. 81, (2002), S [4] B. Vigolo, P. Launois, M. Lucas, S. Badaire, P. Bernier, P. Poulin, Fibers of carbon nanotubes, proceedings of the 2001 MRS Fall Meeting. [5] F. K. Ko, W. B. Han, S. Khan, A. Rahman, & O Zhou, Proceedings of the ASC 16th Annual technical conference. [6] R.H. Baughman et al, Science Bd. 284 (1999), S Dieser Beitrag wurde auf der European Coatings Conference "Smart Coatings II", Juni 2003, Berlin, vorgetragen. Ergebnisse auf einen Blick - Kohlenstoff-Nanoröhrchen und Kohlenstoff-Nanoröhrchen-Fasern sind sehr vielversprechende Materialien, die in Lackbindmittel eingearbeitet werden können und diesen neue Eigenschaften verleihen. - Beide Produkte zeigen interessante Ergebnisse hinsichtlich der elektrischen Leitfähigkeit und dem elektromagnetischen Abschirmverhalten entsprechender Lacksysteme. - Dabei beeinflussen sie Lackeigenschaften wie die Qualität der Oberfläche oder die Verarbeitbarkeit nicht und verbessern darüber hinaus andere Eigenschaften wie die thermische Leitfähigkeit. - Sie eignen sich daher zur Formulierung innovativer, multifunktionaler Hochleistungslacke. Julien Roux, Nanoledge SA, studierte Materialwissenschaften und außerdem Marketing an der HEC, wo er mit dem MBA abschloß. Zwei Jahre war er für Nemoptic im Bereich Forschung und Entwicklung einer neuen Flüssigkristall-Displaytechnik tätig; seit 2002 ist er bei Nanoledge in Clapiers, Frankreich, für Marktanalyse und Geschäftsfeld-Entwicklung (Business Development) zuständig.
3 Abb. 1: Aufbau von (a) Einwand-Kohlenstoff-Nanoröhrchen (SWNT) und (b) Mehrwand-Kohlenstoff-Nanoröhrchen (MWNT). Die Enden der SWNT sind oft durch halbe Fullerenmoleküle verschlossen (c).
4 Quelle/Publication: Farbe & Lack 08/2003 Ausgabe/Issue: 24 Seite/Page: Abb. 2: Fasern aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen.
5 Abb. 3: Winkelabhängiger Scan der Röntgenbeugung von Nanoröhrchen-Bündeln in Nanofasern. Die Halbwertsbreite der Peaks gestattet eine Abschätzung der mittleren Fehlorientierung. Sie ist in gestreckten Fasern erheblich geringer (schärfere Peaks der unteren Kurve). (Beugungswinkel 0,42 Angström, (01)-Peak des Bündels, mittl. Fehlorientierung +/- 30 ).
6 Abb. 4: Perkolation elektrisch leitfähiger Partikel in einer Matrix.
7 Abb. 5: Leitfähigkeit einer PMMY/NTC-Schicht (100 µm) mit verschiedenen Anteilen an Nanoröhrchen (SWNT).
8 Abb. 6: Elektromagnetische Abschirmwirkung eines Nanoröhrchen-PMMA-Lacksystems: Reflektierte und transmittierte elektromagnetische Strahlung (8-12 GHz).
9 .
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