Invokavit 2016 HEBRÄER 4

Transkript

1 Invokavit 2016 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben. HEBRÄER 4

2 Predigt zu Hebräer 4, Invokavit 2016 Liebe Gemeinde, heute stehen wir an einer Schnittstelle im Kirchenjahr. Es ist der Sonntag INVOKAVIT, der erste Sonntag in der Passionszeit. Jeder Sonntag hat ein eigenes Thema, das sage ich fast jeden Sonntag im Gottesdienst. Unser Thema am Sonntag INVOKAVIT ist die Versuchung. Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. So haben wir es gehört im Evangelium für diesen Sonntag. Eine geheimnisvolle, abgründige Geschichte Jesus in der Wüste, dort, wo es wüst ist, wo nichts wächst, in die Einsamkeit. Nur eines wächst dort der Hunger, der Hunger nach Brot, nach Gemeinschaft, nach einem Wort, nach Liebe. Dazu passend gehört zu diesem Sonntag die Geschichte aus dem Alten Testament: Erzählung vom Paradies, wo Adam und Eva versucht werden durch die Stimme: Sollte Gott gesagt haben...? Die Sache mit dem Apfel. Paradies das ist das Gegenteil von Wüste, der Mensch hat alles, aber alles ist nicht genug. Die verbotene Frucht, das übertretene Gebot. Auch in unserem Predigttext leuchtet das Thema der Versuchung auf: Wir haben in Jesus einen Hohenpriester, der versucht worden ist wie wir... Unser Thema, die Versuchung. Was ist das eigentlich Versuchung? Führe uns nicht in Versuchung heißt es im VaterUnser. Was beten wir da eigentlich? Führe uns nicht in Versuchung da geht s nicht um Sex, wie manche meinen, als ob Versuchung mit Verführung zu tun hätte, nein, es geht um die Versuchung, den Glauben wegzuwerfen, den Glauben daran, dass es einen Sinn gibt im Leben, dass unser Leben nicht im Sand verläuft, sondern ein Ziel hat... den Glauben an GOTT. Jeder hat mal einen Durchhänger. Schüler haben nicht immer Lust auf Schule. Konfirmanden haben nicht immer Lust auf Kirche. Hausfrauen haben nicht immer Lust auf Haushalt. Arbeiter haben nicht immer Lust auf Arbeit. Was macht man da? Und was macht man, wenn einem sogar die Lebens-lust vergeht, wenn man an nichts mehr glauben kann? Wie hält man das Leben aus, wenn man nicht mehr weiter weiß?

3 Man kann den Glauben verlieren. Und das ist das Schlimmste, was uns passieren kann: dass man an nichts mehr glauben kann. Jedem kann das passieren, die Geschichte der Kirche ist voller Menschen, die in Krisen des Glaubens geraten sind, Martin Luther, Franz von Assisi, Mutter Theresa von Kalkutta, gerade diejenigen, die für uns Vorbilder sind im Glauben manchmal waren sie auch am Ende. Im 16. Jahrhundert gab es einen Mystiker in Spanien, einen frommen Mönch, Johannes vom Kreuz. Aufgrund einer falschen Anklage saß er neun Monate in einem Gefängnis in Toledo, in einem finsteren Loch, eingekerkert, ohne Kleiderwechsel, ohne Gespräche, ohne Beistand. In seinen Schriften spricht er von der dunklen Nacht der Seele, die er durchlebt hat Dunkelheit, in der es keinen Sinn mehr gibt, kein Licht, kein Glaube mehr, nichts, was uns tröstet. Das ist Versuchung die dunkle Nacht der Seele. Ob es für jeden Menschen solche Zeiten gibt? Vielleicht auch in unserem eigenen Leben? Manche können darüber reden, andere nicht. Auf dem Predigtzettel habe ich quasi als Thema für die Predigt diesen Satz geschrieben: Die dunkle Nacht der Seele und was uns hilft zu leben. Ich gehe davon aus, dass die meisten von uns das kennen die dunkle Nacht der Seele. Ich will davon erzählen und auch davon, was uns hilft zu leben trotz aller Dunkelheit, die es im Leben gibt. Ich erinnere mich an einen Schülergottesdienst vor vielen Jahren. Am Ausgang der Kirche hat ein Mädchen zu mir gesagt, sie war vielleicht 12 Jahre alt: Wenn ich die Orgel höre, muss ich immer weinen... und sie hat mich gefragt, ob ich ihr sagen könne, warum das so sei. Was steckt hinter so einem Satz? Ein Ur-schmerz, eine tiefe menschliche Sehnsucht, eine grund-lose Traurigkeit, eine Traurigkeit ohne Begründung. Wie kommt man aus so einer Traurigkeit heraus? Oder ich denke an jene alte Frau, längst gestorben, an deren Wohnzimmertisch ich manchmal saß über der aufgeschlagenen Bibel, Prophet Jesaja, aus dem unsere Jahreslosung 2016 stammt, und die gesagt hat: Hier steht es doch: die auf den Herrn harren, werden auffahren mit Flügeln wie Adler ---- und ich bin doch so kraftlos und verzagt. Die dunkle Nacht der Seele.

4 Ich habe mein ganzes Leben mit Depressionen zu kämpfen, und das wird wohl auch so bleiben. schreibt ein bekannter Karnevalist aus dem Kölner Karneval, über den ich selber schon herzhaft gelacht hab, Manchmal sind es grad die Lustigen, Fröhlichen, die sehr wohl die Dunkelheit kennen. Es sind nicht die Dinge, die uns unglücklich machen, sondern wie wir die Dinge sehen. Epiktet, ein griechischer Philosoph, schreibt das, 50 Jahre nach Christus. Objektiv gesehen kann alles im Lot sein, ein Haus, eine Familie, ein Bett, in das es nicht hineinregnet, genug zu essen - und dennoch kann sich ein Mensch unbehaust fühlen, als ob das Lebensschiff einsam übers weite Meer treibt und kein Ufer ist in Sicht. Wir leben alle über Abgründen. Die Dunkelheit kann einen überfallen wie ein wildes Tier, aus dessen Klauen man sich nicht mehr befreien kann. An den Fassaden der Kirchen aus dem Mittelalter sind oft Ungeheuer mit schrecklichen Fratzen dargestellt, die das Maul aufreißen und wir sagen dann schnell: das ist alles aus dem Mittelalter, da waren die Menschen unaufgeklärt, haben an böse Geister geglaubt... aber aus diesen Darstellungen spricht vielleicht eine Erfahrung, die wir Menschen zu allen Zeiten machen. Dunkelheit kann uns überfallen wie ein wildes Tier... Ich elender Mensch! schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief, Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe? Wie kommt man heraus aus der dunklen Nacht der Seele? Führe uns nicht in Versuchung. Unser Predigttext aus dem Hebräerbrief zeigt Wege aus dieser angesprochenen Dunkelheit. Lasst uns festhalten, lesen wir da. Lasst uns hinzutreten mit Zuversicht... lasst uns empfangen das, was wir brauchen, wenn wir Hilfe nötig haben. Spüren Sie, was uns hier einer sagen will? Es gibt Schritte aus dem finsteren Tal, weil es den Hirten gibt, dem wir uns anvertrauen können. Im Hebräerbrief ist vom Hohenpriester die Rede, ein Bild für Jesus, ein Priester, der für uns eintritt, an unserer Seite steht, ein Heiland, der uns das Heil bringt, er kennt die Dunkelheit, bezeugt uns die Bibel. Nur einer, der mit uns im finsteren Tal ist, der die dunkle Nacht der Seele durchlebt hat, kann uns trösten. Trost geschieht nie von oben herab, aus dem Himmel heraus, sondern eben so, dass einer an unserer Seite steht.

5 Wir haben am Anfang Worte aus dem 91. Psalm miteinander gesprochen: Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Uralte Worte sind das, die aus einer fernen Vergangenheit zu uns kommen. Ich war ein Kind, als ich das zum ersten Mal gehört habe. ich erinnere mich noch gut daran, wir mussten den Psalm in der Schule auswendig lernen. Ich begriff damals nicht, was das heißen soll: Er wird dich mit seinen Fittichen decken. dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt. Mittlerweile weiß ich, was damit gemeint ist. und im Lauf unseres Lebens lernen wir es wohl alle: Grauen der Nacht, fliegende Pfeile, schleichendes Verderben ---- fürchte dich nicht vor alledem, sagt die Bibel. Gott wird seinen Engel schicken, der wird dich behüten. Ob wir uns auf solche Worte einlassen können? Die Bibel ist eine Einladung an uns. Wir haben sein Wort: wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt, wer sich unterstellt unter das gute Wort Gottes, der ist nicht verlassen, Selbst in der Finsternis ist ER da. Sie kennen vielleicht die Geschichte von den Spuren im Sand. Es träumt einer sein Leben, sieht rückblickend im Sand die Spuren seiner Füße und daneben die Spur des Engels an seiner Seite. Und dann merkt er: manchmal ist nur eine Spur zu sehen immer dann, als es ihm schlecht ging im Leben, in den dunklen Nächten seiner Seele. Wo warst du, als ich dich am meisten gebraucht hätte, wo sind da deine göttlichen Spuren gewesen? Und der Engel sagt: Da, wo du nur eine Spur siehst, da habe ich dich getragen... Gnade finden, wenn wir Hilfe nötig haben, heißt es im Hebräerbrief lasst uns festhalten, hinzutreten, empfangen, was Gott uns zeigt und schenkt. Am Freitagmorgen habe ich zum ersten Mal in diesem Jahr den Storch gesehen auf seinem Nest gegenüber der Kirche und auf den Predigtzettel habe ich Ihnen die gelbe Tulpe kopiert, die im vergangenen Jahr drüben im Pfarrgarten geblüht hat. Es gibt nicht nur die dunkle Nacht der Seele, sondern auch den Frühling, die Schönheit der Natur, den Reichtum der Musik, die schönen Lieder im Gesangbuch und vieles andere, was die Nacht vertreibt. Wir wollen es einüben, was uns der Hebräerbrief empfiehlt: Lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben. Amen.