Evidenzquelle Linguistik

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1 Evidenzquelle Linguistik Fenster auf Evolution von Sprache: Was linguistische Forschung heute beitragen kann Vorlesung Sprachevolution Luise Köhler 26. Juni 2013

2 Problem: direkte Belege, wie Sprache entstanden ist, fehlen --> Fenster - : Durch die Untersuchung anderer (sprachlicher) Phänomene wird versucht, Schlussfolgerungen zu ziehen --> Gleichförmigkeit der Prozesse: Merkmale von Sprache sollen mit heute wirkenden Prozessen erklärt werden

3 Gliederung Nicaraguan Sign Language

4 Protosprache Bickerton 1990: Language and Species Sprache als Adaptation unter Selektionsdruck aus Vorgängersystem(en) entstanden Protosprache vergleichbar mit linguistic fossils Pidgins Erwachsene ohne (voll)entwickelte L1/L2 Sprachexperimente mit Affen Kinder jünger als 2 Jahre

5 Bickerton 1990: Language and Species Charakterisierung aufgrund fehlender Merkmale Wortstellung Argumentstruktur Funktionswörter Rekursion Vereinfachtes Lexikon und Phonologie

6 Jackendoff 1999: Foundations of Language Prinzipien der Protosprache: Agent First: 1. Nomen = Agens Hit tree Fred. Focus Last: neue Information nach bekannter In the room sat a bear. Grouping: Modifikator steht bei Modifiziertem Dog brown eat mouse.

7 Inwiefern sind Pidgins und lexikalisch/ strukturell mit Protosprache vergleichbar? Welche Einsichten auf Evolution von Sprache kann man gewinnen?

8 Definition und Entstehung Kreolsprachen Merkmale Pidgins und Sprachevolution

9 Pidgin Definition I Stabiles (reduziertes) linguistisches System, das durch ausgedehnten Kontakt zwischen Gruppen von Personen, die keine gemeinsame Sprache haben, als Kommunikationsmittel zwischen diesen Gruppen entsteht. Interferenz von zwei (oder mehr) Keine Muttersprachler, auf bestimmte Bereiche begrenzt

10 Pidgin Fanakalo: Kontaktsprache zwischen Zulu, Englisch, Afrikaans, südliches Afrika mavejetebel PL.Gemüse Gemüse Pluralmarker: ma- stammt aus dem Nominalklassensystem von Zulu

11 Entstehung Handel- oder Kolonialisationskontext Soziale Distanz zwischen Kontaktgruppen verhindert erfolgreichen Spracherwerb. Substrat und Superstrat nicht (nahe)verwandt, denn sonst würde sich eher ein Dialekt entwickeln. Substrat Superstrat (mehr Prestige) Adstrate Pidgin?

12 Extended Pidgin Definition II Fortgesetzter Kontakt dehnt Einsatzbereiche aus und entwickelt sprachliche Struktur des Pidgins weiter

13 Kreolsprachen Nachfahre von Jargon oder Pidgin: Muttersprache einer Sprachgemeinschaft Kreolisierung/ Nativisierung (--> UG, Language Acquisition Device) Restrukturierung des unvollständigen, variierenden Inputs (z.b. Bildung von Regeln, die im Pidgin nicht auftraten) Erweiterung: Herausbildung von komplexen grammatischen Strukturen

14 Merkmale I - Phonologie Reduzierte Phonologie: CV-Silben siton stone (Cameroon Pidgin English) Reduziertes Phoneminventar z.b. Th-Stopping: Wegfall von /ð/ <there> fada father Keine Töne

15 Merkmale II Lexikosemantik I Superstrat = Lexifier : größter Einfluss auf Lexikon Reduziertes Lexikon z.b. Chinese Pidgin English: 700 bis 750 Wörter Multifunktionalität Haitian Creole: Se bezwen m' bezwen lajan an, it.is need I need money DEF ki fe' m dwe travay. RES cause me have.to work It is the fact that I need money that causes me to work.

16 Merkmale II Lexikosemantik II Polysemie, Paraphrasen gras fur, hair, grass gras bilong ai eyebrow, eyelash gras bilong dok fur (of dog) gras bilong pisin feather gras bilong sipsip wool gras nogut weed(s) g. bilong fes, mausgras beard gras, gras bilong het hair

17 Merkmale II Lexikosemantik III Einflüsse von Substrat Entlehnung Bedeutungsverschiebung luubu Hyäne (Guinea-Bissau C.) > Portugisisch lobo Wolf Verdopplung: produktiver Mechanismus zur Wortbildung vroevroe Morgen (Negerhollands C.) > Niederländisch: vreog früh

18 Merkmale III Morphosyntax Isolierende/agglutinierende Morphologie The cat eats the mouse. vs. Antidisestablishmentarianism Regularisierung: Wegfall von unregelmäßigen Verben etc. Einfache Satzstruktur, (fast) keine Nebensätze Grammatische Funktionen werden lexikalisch ausgedrückt She go sing. Sie wird singen. (Caribbean English C.)

19 Pragmatik I Interpretation ist kontextabhängig, da keine feste Syntax vorhanden ist. Hawaiian Creole: a.they wen go up there early in the morning e go plant. They went up there early in the morning in order to plant crops. b. I gotta go hire one carpenter e go fix the form. I have to hire a carpenter to fix the form Durch Gebrauch entstehen gemeinsame Regeln (--> Spieltheorie) I didn't do it. vs I ain't do it.

20 Linguistische Universalien? Bickerton 1981: Roots of Language Beim Vergleich von Hawaiian Pidgin und Hawaiian Creole fand er Strukturen, die nicht vom Pidgin stammen. a. haus haus ai stei go in Jaepan taim. House house I stay go in Japan time When I was in Japan I used to stay/ was staying at home. b. oni tu yia mi ai stei wrk had. Only two years me I stay work hard I was working hard for two years.

21 Linguistische Universalien? Bickerton 1981: Roots of Language Simple Wortstellung S-V-O (> Agent First) Tense-Modality-Aspect-System Ai wen see om --> Vergangenheit "I saw him" Ai ste kuk da stu awredi --> perfektiv "I cooked the stew already" Negation Kopula

22 Inwiefern sind Pidgins lexikalisch/ strukturell mit Protosprache vergleichbar? Welche Einsichten auf Evolution von Sprache kann man gewinnen?

23 Pidgins und Sprachevolution Neuschöpfung oder Neugestaltung? Kognitive Fähigkeiten von frühen Hominiden und modernen Menschen vergleichbar? --> UG, LAD L1 bei Sprechern vorhanden Umgebung, in der Pidgins entstehen, nicht mit Protosprache vergleichbar tstehung vs. -Entwicklung Gradueller Prozess --> Wettbewerb, Selektion

24 Einstieg Gebärdensprache Entstehung Merkmale Beispiel: Nicaraguan Sign Language und Sprachevolution

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26 Entstehung Rudimentäres Gebärdensystem, entwickelt von gehörlosen Kindern, denen angemessener sprachlicher Input fehlt Sprach -Kreation, nicht Spracherwerb Als Kommunikationsmittel, jedoch ohne adäquate Kommunikationspartner

27 Merkmale I Stabile, arbiträre Gesten Syntaktische Struktur, semantische Rollen ( Patient first ) Morphologische Paradigmen, Argumentstruktur Kategorienbildung Segmentierung, Rekombination Rekursion Nicht vergleichbar mit sprachbegleitenden Gesten

28 Merkmale II Grundlegende Eigenschaften menschlicher Sprache vorhanden: Displacement: Fähigkeit, über Dinge zu sprechen, die räumlich/zeitlich entfernt sind Discreteness: Sprache ist auch diskreten Untereinheiten aufgebaut (keine holistischen Signale) Offenes System

29 Bsp. Nicaraguan Sign Language Vom zur Sprache Verschiedene -Systeme Pidgin: Lenguaje de Signos Nicaragüense 2.Generation: Idioma de Signos Nicaragüense (Grammatikalisierung/Kreolsprache)

30 und Sprachevolution Kein erlernbares Sprachsystem vorhanden Schöpfung von symbolischen Gesten, bedeutungstragender Struktur Grammatisierung Kognitive Fähigkeiten der Kinder nicht vergleichbar mit frühen Hominiden

31 Bickerton D. (1990): Language and Species. The University of Chicago Press, London. Botha R. (1999): On Chomsky's `fable' of instantaneous language evolution. Language & Communication, Vol. 19, pp Botha R. (2006): Pidgin languages as a putative window on language evolution. Language & Communication, Vol. 26(1), pp Botha R. (2006): On the Windows Approach to language evolution. Language & Communication, Vol. 26(2), pp Botha R. (2007): On homesign systems as a potential window on language evolution. Language & Communication, Vol. 27(1), pp Botha R. (2012): Protolanguage and the God particle. Lingua, Vol. 122, Issue 12, pp Carstairs-McCarthy A. (2005): Language evolution. What linguists can contribute, Lingua, Vol. 117, pp Chomsky N. (1998): Language and mind. Current thoughts on ancient problems, Part I and Part II, Lectures presented at Universidad de Brasilia, published in Pesquisa Linguistica 3.4.

32 Holm J. (1988): Pidgins and Creoles. Volume I and II, Cambridge University Press, Cambridge. Jackendoff R. (2002): Foundations of Language. Brain, Meaning, Grammar and Evolution, Oxford University Press, Oxford. Goldin-Meadow S. (2005): What language creation in the manual modality tells usabout the foundations of language, The Linguistic Review, Vol. 22, pp Studdert-Kennedy M. (1991): Leap of Faith. A review of Derek Bickerton's Language and Species, Applied Psycholinguistics, Vol. 13, No.4, pp