Ein wachsender Nagel zur Knochenverlängerung

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Gabriel Heinrich
vor 6 Jahren
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1 Powered by Seiten-Adresse: Ein wachsender Nagel zur Knochenverlängerung Nach einem komplizierten Knochenbruch oder bei einer angeborenen Beinverkürzung kann eine Verlängerung des betroffenen Knochens helfen, Folgebeschwerden für den Patienten zu vermeiden. Dazu werden meist Implantatnägel eingesetzt, die eine stufenweise Knochenverlängerung bewirken. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Paul Gümpel von der Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) hat einen Marknagel mit einem speziellen Werkstoff entwickelt, der durch sein neuartiges Antriebsprinzip besonders zuverlässig und sicher ist. Nach einem Knochenbruch kann sich das Knochengewebe durch Zellteilung regenerieren und der Knochen kann stabil verheilen. Das Keimgewebe des Knochens, das sich in der Bruchstelle neu bildet, der sogenannte Kallus, ist zunächst bindegewebsartig, wandelt sich aber mit der Zeit durch Kalkeinlagerungen in festes Knochengewebe um. Diese natürliche Geweberegeneration wird auch bei der medizinischen Knochenverlängerung genutzt, um beispielsweise zerstörtes Knochengewebe zu ersetzen und einen beschädigten Knochen wieder auf die richtige Länge zu bringen. Ein künstlich durchtrennter Knochen kann fast beliebig verlängert werden, wenn er mittels einer extern eingebrachten Zugkraft während der Heilungsphase stückweise um maximal einen Millimeter pro Tag auseinandergezogen wird, schildert Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Paul Gümpel, Professor der Fakultät Maschinenbau an der HTWG, das Prinzip dieser Methode. So können bis zu zehn Zentimeter Verlängerung erreicht werden, wobei das mögliche Resultat natürlich auch vom zu verlängernden Knochen abhängt. Vor allem Schien- und Wadenbein, Oberschenkel- und Oberarmknochen sowie Elle und Speiche kommen infrage, erklärt Gümpel. Der begrenzende Faktor sind dabei hauptsächlich die Weichteile, also Sehnen und Bänder, die den Knochen umgeben und nicht unbegrenzt dehnbar sind. Metall mit Langzeitgedächtnis Beinverlängerungen und entsprechende Knochenkorrekturen werden bereits seit über 100 Jahren durchgeführt. Seit 1941 werden auch voll implantierbare aktive Marknägel eingesetzt, die im Inneren des Knochens eingebettet sind und diesen von dort aus aktiv schrittweise verlängern. Ein Marknagel hat den Vorteil, dass durch die vollständige Implantation nach der Operation keine Verbindung des Knochens zur Körperoberfläche besteht, was das Infektionsrisiko deutlich senkt, erläutert Gümpel, der im Bereich Werkstoffkunde und -prüfung 1

2 Schemazeichnung eines Knochens mit implantiertem Marknagel (links) sowie der Prototyp des fertigen Marknagels (rechts) HTWG arbeitet und in dessen Arbeitsgruppe nun ein neuartiger Marknagel entwickelt wurde. Dabei 2

3 handelt es sich nicht um einen Nagel im herkömmlichen Sinn, sondern eher um ein Hightech- Gerät aus mehreren Bauteilen. Herausragend bei diesem neuen Marknagel ist das Antriebssystem, das auf einer sogenannten Formgedächtnislegierung basiert. Wie der Name vermuten lässt, kann sich dieses Material nach einer plastischen Verformung, die unterhalb eines kritischen Temperaturbereichs abläuft, bei anschließender Erwärmung wieder an die Ausgangsform erinnern und diese einnehmen. Dieser Effekt kann bei mehreren Legierungen beobachtet werden, beispielsweise bei solchen aus Nickel und Titan, wie sie beim Marknagel zum Einsatz kommen, erklärt Dr. Joachim Strittmatter, Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe von Gümpel. Strittmatter beschäftigt sich bei seiner Arbeit im Bereich Werkstoffkunde schon lange mit Formgedächtnislegierungen. Der Formgedächtniseffekt beruht auf einer temperaturabhängigen Umwandlung der Gitterstruktur des Materials. Es wird bei hoher Temperatur und einem speziellen Gitterzustand in die gewünschte Form gebracht, im Fall des Marknagels ist dies ein Rohr bestimmter Länge. Bei Abkühlung ändert sich die Gitterstruktur und das Rohr kann leicht verformt, zum Beispiel in die Länge gezogen werden. Eine erneute Erwärmung über den kritischen Temperaturwert, in diesem Fall etwa 100 C, bringt den Körper wieder in seine ursprüngliche Gestalt zurück, verkürzt ihn also in diesem Fall. Diese nur kurzzeitige Erwärmung erfolgt über ein entsprechendes Heizelement, das sich im Inneren des Rohres befindet. Dadurch wird gewährleistet, dass am Übergang des Marknagels zum Körper auch kurzzeitig keine Temperaturen über 50 C auftreten, so Strittmatter. Neben dem Nickel-Titan-Rohr in der Mitte besteht der Marknagel unter anderem noch aus zahlreichen Verbindungselementen, einer Spannfeder und einem Außenschaft aus Implantatstahl sowie einer aufwendigen Steuerelektronik. Der im Knochen sitzende Marknagel ist mit einem Empfänger unter der Unterhaut verbunden, über die die Verlängerung des Nagels und damit des Knochens kontaktfrei von außen gesteuert werden kann. Zuverlässigkeit durch einfache Mechanik Die Grundlage für die Verlängerung ist das Formgedächtnis-Element (FG-Element) in Kombination mit einer Spannfeder und einem Einrast-Mechanismus. In den Schiebern des FG- Elements befinden sich jeweils zwei Sperren, die durch eine Feder auseinander gehalten werden und in das Sägezahnprofil des Rohrsegmentes einrasten können. Das FG-Element im Inneren des Marknagels ist im Ausgangszustand bei Körpertemperatur durch eine Feder gedehnt. Der im Knochen implantierte Marknagel kann nun über den Empfänger aktiviert werden. Dabei wird das FG-Element durch Hochfrequenz-Energiekopplung erwärmt, woraufhin es sich zu seiner ursprünglichen Länge zusammenzieht, beschreibt Gümpel den Vorgang. Da das FG-Element über zwei eingerastete Sperren im Marknagel fixiert ist, die nur in einer Richtung (nach links, s. Abb.) bewegt werden können, kann die Verkürzung sich nur auf einer Seite auswirken. Die bewegte rechte Sperre rastet dabei eine Stufe weiter vorn ein, so dass keine Rückverschiebung mehr möglich ist. Bei Abkühlung findet die Rückumwandlung und damit die Ausdehnung des FG-Elements statt, die sich nur auf die linke Sperre auswirken kann und damit auch diese eine Stufe weiter nach links verschiebt. Durch den gesamten Prozess werden so der Marknagel und damit der Knochen um 0,5 Millimeter verlängert. Das kann schrittweise zweimal täglich wiederholt werden, bis die gewünschte Verlängerung erreicht ist. Im Vergleich zu anderen internen Marknagelsystemen zur Knochenverlängerung bietet der 3

Das Antriebssystem des Marknagels beruht auf der Verkürzung des Formgedächtnis-Elements (FG-Element) bei Erwärmung und der anschließenden Verlängerung durch eine Spannfeder bei Abkühlung.

4 Das Antriebssystem des Marknagels beruht auf der Verkürzung des Formgedächtnis-Elements (FG-Element) bei Erwärmung und der anschließenden Verlängerung durch eine Spannfeder bei Abkühlung. HTWG Formgedächtnis-Marknagel weitere Vorteile. Da der Antrieb auf einem einfachen mechanischen Prinzip beruht, gibt es nur wenige, linear bewegte Teile und keinerlei rotierende Teile, wodurch eine hohe Betriebszuverlässigkeit erreicht wird, erläutert Strittmatter. Der Nagel kann außerdem kleiner gebaut werden als herkömmliche Modelle, sodass ein Einsatz in kleineren Knochen, beispielsweise Mittelhand- oder Mittelfußknochen möglich ist. Durch das automatisierte Antriebsprinzip kann der Patient die Knochenverlängerung auch problemlos zu Hause durchführen, da eine Fehlbedienung nicht möglich ist. Bis der Formgedächtnis- Marknagel bei Patienten zum Einsatz kommt, kann es aber noch eine Weile dauern. Der hier entwickelte Formgedächtnis-Marknagel wurde bisher ausgiebig in Labortests sowie im Universitätsklinikum Münster auch in einer klinischen Studie getestet. Derzeit erfolgen zusammen mit dem industriellen Partner, der Firma RSI consult, Weiterentwicklungen des Systems sowie Verhandlungen mit potenziellen Fertigungs- und Vertriebspartnern. Einen konkreten Termin zur Anwendung des Formgedächtnis-Marknagels im Patienten gibt es derzeit jedoch keinen, meint Gümpel abschließend. 4

5 Fachbeitrag Bettina Baumann BioLAGO BIOPRO Baden-Württemberg GmbH Weitere Informationen Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Paul Gümpel Hochschule Konstanz Technik Wirtschaft und Gestaltung Fakultät Maschinenbau guempel(ht)wg-konstanz.de Werkstoffprüflabor HTWG 5

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