schwerpunkt öffnen sich
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- Walther Sachs
- vor 6 Jahren
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1 schwerpunkt Schultüren öffnen sich Schulen in der ganzen Schweiz stehen vor sehr ähnlichen Fragen. Wie gehen andere mit aktuellen Herausforderungen um? Welche Antworten haben sie gefunden? Die Schulvisite der Initiative profilq fördert den Austausch von Erfahrungen. Text / nadine fieke 26 Mercator Magazin
2 Der wichtigste Rat an die Gäste? «Nutzen Sie den Spielraum, den Sie haben», sagt Marietheres Purtschert. «Schauen Sie, was in Ihrer Schule bereits vorhanden ist und was zu Ihnen passt.» Die Schulleiterin der Primarschule Rickenbach im Kanton Schwyz steht in der Aula vor einem kleinen Publikum. Zusammen mit ihren Gästen blickt sie auf die Entwicklung ihrer Schule zurück: Vor zehn Jahren hat sich die Primarschule entschlossen, in ihrer Bibliothek einen Forscherraum einzurichten. Bald folgten ein Bewegungsraum im Keller, ein Musikraum in der Aula und ein Kreativraum unter dem Dach. Heute ist mit Fit und stark fürs Leben ein breites Begabungsförderungsprogramm rund um die vier Ressourcenräume gewachsen. Ergänzend zum Regelunterricht erhalten die Kinder vielfältige Lernangebote, die sie entsprechend ihren Bedürfnissen und Interessen nutzen können. «Wir stellen die Stärken der Kinder ins Zentrum und schaffen ein begabungsförderndes Umfeld für alle», erklärt die Schulleiterin. Auf dem richtigen Weg Andere Schulen blicken mit Interesse auf die Entwicklung der kleinen Schule: 2008 erreichte die Primarschule den dritten Platz bei der Vergabe des nationalen LISSA-Preises. Vier Jahre später folgte der erste Platz schaffte die Schule es ins Finale des Schweizer Schulpreises. «Das ist eine Bestätigung, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden», meint Marietheres Purtschert. Regelmässig empfängt sie Schulleitungen und Lehrpersonen, um das Begabungsförderungskonzept ihrer Schule vorzustellen. An diesem Tag ist das Team der Primarschule Ehret A aus Hünenberg im Kanton Zug zu Gast. Die Initiative profilq hat den Besuch mit dem Projekt Schulvisite möglich gemacht. «Immer mehr Schulen suchen Anregungen, gute Beispiele und Austauschmöglichkeiten für ihre eigene Entwicklung», sagt Ursula Huber, Geschäftsleiterin von profilq. «Gleichzeitig sind immer mehr Schulen bereit, ihre Türen für Schulbesuche zu Schulleiterin Marietheres Purtschert (Foto oben) führt die Gäste durch die Schule und gibt Einblicke in die Arbeit mit den Kindern. öfnen.» profilq möchte interessierten Lehrpersonen und Schulleitungen mit der Schulvisite interessante Lösungen und Möglichkeiten der Qualitätsentwicklung zugänglich machen. Auch wenn Untersuchungen zur Wirkung von Schulbesuchen bisher fehlen: «Schulen schätzen es, dass sie nicht immer alles selbst erfinden müssen», weiss Ursula Huber. Die Gäste bekommen neue Impulse. Sie können erfolgreiche Konzepte an ihre eigenen Bedürfnisse angepasst übernehmen. Gleichzeitig erfahren die Gastgeber Anerkennung für ihre Arbeit und erhalten durch den Austausch Anregungen für ihre weitere Entwicklung. Marietheres Purtschert kann das bestätigen: «So kommen immer wieder neue Ideen in unsere Schule.» «Jedes Kind hat Potenziale. Es ist unsere Aufgabe als Schule, auf Schatzsuche zu gehen: Was sind die Stärken der Kinder? Wie können wir sie fördern?» Marietheres Purtschert, Schulleiterin 185 Kinder besuchen die Primarschule und den Kindergarten in Rickenbach. «Die Heterogenität ist gross», erzählt die Schulleiterin. «Es ist immer weniger möglich, alle Schülerinnen und Schüler gleichzeitig, im gleichen Tempo und mit den gleichen Inhalten zu unterrichten.» Wie kann die Schule den Bedürfnissen und Interessen der Kinder gerecht werden? Wie kann sie eine Kultur aufbauen, in der Lernen mit Begeisterung stattfindet? Wie kann sie die natürliche Lern-, Bewegungs- und Gestaltungsfreude fördern? Das Lehrerteam suchte nach Antworten und schuf die vier Ressourcenräume. Die zusätzlichen Angebote öffnen den Unterricht und ermöglichen individuelles und klassenübergreifendes Lernen. «Wir haben uns Schritt für Schritt auf den Weg gemacht», erinnert sich Marietheres Purtschert. Hat sich ein Projekt bewährt, kam in den kommenden Jahren etwas Neues hinzu. Altersgemischte Lernateliers, Jahresmottos mit Projekttagen, ein Begabtenprojekt mit der ETH Zürich und Initiativen zur Schülerpartizipation gehören heute zum Schulalltag. «Unser Konzept ist aus dem Team heraus entstanden», sagt die Schulleiterin zufrieden. Von der Idee bis zur Umsetzung hat das Kollegium die Schulentwicklung selbst in die Hand genommen. Wertvoll ist in den Augen von Marietheres Purtschert der Einbezug von Eltern und externen Fachpersonen. «So kann neues Wissen in die Schule einfliessen.» Inspirationen für eigene Aufgaben Interessiert lauschen die Gäste den Erläuterungen der Gastgeberin. Die Primarschule Ehret A hat vor vier Jahren auf altersdurchmischtes Lernen umgestellt. Wie kann sie den Unterricht weiter öffnen? Wie kann sie das forschende und eigenständige Lernen noch mehr fördern? Das Kollegium besucht verschiedene Schulen, um sich inspirieren zu lassen. «Man kann viel von anderen Schulen lernen», erklärt Schulleiterin Claudia Benninger. In der Primarschule Rickenbach hat sie der kleinschrittige, jedoch konsequente Wandel beeindruckt. Das ermutigt sie: «Man muss nicht alles auf einmal umsetzen. Es lohnt sich, mit einem Projekt anzufangen.» 27
3 schwerpunkt Vier Räume, viele möglichkeiten forscherraum Damit sich die Gäste ein Bild von der Arbeit mit den vier Ressourcenräumen machen können, nimmt Marietheres Purtschert sie mit auf einen Rundgang durch die Schule. «Unser Jahresmotto ist zurzeit kreative Schule», erzählt sie und blickt sich lächelnd um: Auf dem Schulhof, in den Gängen, im Treppenhaus überall sind Kunstwerke der Kinder zu sehen. An zwei Projekttagen haben die Klassen zusammen mit Kunstschaffenden gemalt, gebastelt, getöpfert und der Schule einige neue Farbkleckse verpasst. Die wechselnden Jahresmottos nehmen jeweils ein Thema der Ressourcenräume auf. Dazu finden passende Aktivitäten statt, die den Zusammenhalt stärken und identitätsstiftend wirken. Gleichzeitig vernetzen die Jahresmottos die vier Räume mit dem gesamten Schulbetrieb. Gezielt schnappen sich die Kinder Experimentierkisten aus dem Regal. Zwei Mädchen versuchen, ein Papierkügelchen in einen Flaschenhals zu pusten. Sie bleiben hartnäckig, doch es klappt einfach nicht. «Die Flasche ist nicht leer», lesen sie im Kommentar zum Experiment. In der Flasche befindet sich Luft. Soll die Kugel rein, müsste Luft raus. Andere Kinder beschäftigen sich mit der Oberflächenspannung von Wasser, tüfteln mit einem Elektrotechnik- Bausatz. Sie lassen sich von den Besuchern nicht stören, die ihnen interessiert über die Schulter schauen. Mit dem Forscherraum fing im Jahr 2006 alles an: Die Primarschule Rickenbach wollte einen Raum schaffen, in dem individuelles Lernen ebenso möglich ist wie klassenübergreifendes, altersdurchmischtes Lernen. Das ganze Schulteam packte mit an, um die Bibliothek umzugestalten. Zwischen den Bücherregalen entstanden Nischen und Arbeitsplätze, die zum Forschen, Entdecken und Experimentieren einladen. Bausätze, Spiele, Experimentierkisten und Bücher wurden im Forscherraum zusammengetragen und gut sortiert in offenen Regalen verstaut. Diese Offenheit ist in allen vier Räumen wichtig: Das Material ist sichtbar, gut sortiert und für die Kinder frei zugänglich. An drei Morgen betreut während zwei Stunden ein Elternteam den Forscherraum, experimentiert und diskutiert mit den Kindern. Wer die Klassenlernziele bereits beherrscht, kann im Forscherraum selbstständig an eigenen Projekten arbeiten. «Mit dem zusätzlichen Angebot im Forscherraum können wir Kinder neben dem Klassenunterricht individuell fördern», sagt Marietheres Purtschert. 28 Mercator Magazin
4 kreativraum Es ist mucksmäuschenstill. Konzentriert ziehen die Kinder den Pinsel über das weisse Blatt Papier, das in Augenhöhe vor ihnen hängt. Was sie malen, ist ihnen überlassen. Es wird nichts hinterfragt, nichts bewertet. Im Spiel mit den Farben sollen die Kinder ihren eigenen Ausdruck finden. Einmal im Monat öffnet der Kreativraum seine Tür: Kinder aus verschiedenen Klassen kommen zusammen, um eine Stunde lang konzentriert zu malen. Im Gegensatz zu den anderen Räumen ist der Kreativraum immer durch Betreuungspersonen begleitet. Damit aus dem Raum im Dachgeschoss ein Malatelier wurde, hat das Schulteam ihn mit einer Spanplatte unterteilt. So entstanden zusätzliche Malflächen. Ein Schreiner hat nach Vorlage einer örtlichen Künstlerin zwei Malerpaletten gebaut, in denen Becher mit 14 verschiedenen Farben stecken. Der Kreativraum ist der einzige der vier Ressourcenräume, für den ein Gruppenraum der Schule aufgegeben wurde. Für die Schulleiterin eine Investition, die sich lohnt: «Wir beobachten einen künstlerischen Entwicklungsprozess.» Das zeigt ihr, dass man Kreativität fördern kann wenn man ihr freien Lauf lässt. Gleichzeitig habe das Malen eine entspannende Wirkung. Die Kinder werden ruhiger und lernen, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Musikraum «Musizieren braucht Platz», sagt die Schulleiterin. Denn Musik bedeute auch Bewegung. Deshalb ist der Musikraum in der Aula der Schule untergebracht. Ein Flügel ruht in der Ecke unter einem schwarzen Bezug. An den Wänden stehen offene Regale mit durchsichtigen Boxen. Darin verstaut sind gut sortiert verschiedene Instrumente: Rasseln, Schellenkränze, Klangstäbe, Glockenspiele... und auch ganz alltägliche Gegenstände, die für Rhythmik, Klang- und Geräuschgestaltung genutzt werden können. Mitten im Raum steht der Stolz der Schule, den sie sich vom Gewinn des LISSA- Preises gekauft hat: ein Klangfenster, das als mehrteiliges Rhythmus- und Percussiongerät dazu anregt, Klänge spielerisch zu entdecken. Lehrpersonen nutzen den Musikraum zusammen mit ihren Klassen. Kinder treffen sich dort, um gemeinsam Musik zu machen. «Wir hatten hier schon richtige Jamsessions», erzählt die Schulleiterin. Das Erleben der Musik steht im Zentrum dieses Raums. Kinder sollen die Musik als Ausdrucksmöglichkeit erfahren und ihre musikalischen Fertigkeiten weiterentwickeln können. In einer Ecke des Musikraums sitzt Prikli, das Schulhausmaskottchen. Die gelbe Figur entstand in einem Zeichenwettbewerb, genäht hat sie eine Lehrerin. Zusammen mit dem selbst komponierten Schulhaussong sorgt Prikli, der bei allen wichtigen Ereignissen dabei ist, für eine Identifikation mit der Schule. Der Name steht übrigens für Prima Klima, einem Schulprojekt zur Förderung des respektvollen Miteinanders. 29
5 Bewegungsraum Schon auf der Stufe zum Keller hört man: Hier wird getobt. Ein Junge schlägt auf den roten Boxsack, der in einer Ecke von der Decke hängt. Eine Gruppe Mädchen versucht, auf Balance-Geräten das Gleichgewicht zu halten. Andere zielen auf die Dartscheibe oder jonglieren mit drei Bällen. Es wird gelacht, gequietscht, herumgealbert. Der Bewegungsraum ist mit Teppichboden und Turnmatten ausgelegt. Eine Sprossenwand lädt zum Klettern ein, ein Minitrampolin zum Hüpfen. Grosse und kleine Spielgeräte fördern Koordination, Gleichgewicht, Motorik, Körperhaltung, Ausdauer, Beweglichkeit und mehr. «Kinder haben viel Energie, sie wollen sich bewegen», erklärt Marietheres Purtschert. Die Schule wollte die körperliche Aktivität als Ausgleich und Basis fürs Lernen fördern und richtete den Bewegungsraum ein. Das Team hat den Keller entrümpelt und in frischen Farbtönen gestrichen. Die Lehrer sammelten Sportmaterial zusammen, klebten Vorschläge für Geschicklichkeitsübungen an die Wände. Wer im Unterricht nicht mehr still sitzen kann, schnappt sich eine Eieruhr, stellt sie auf zehn Minuten und verschwindet zum spontanen Toben im Bewegungsraum. Darüber hinaus können die Kinder den Bewegungsraum nach Unterrichtsschluss besuchen. profilq Die Verbände Lehrerinnen und Lehrer Schweiz sowie Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz haben profilq gemeinsam ins Leben gerufen. Mit drei zentralen Angeboten will die Initiative eine professionelle schulinterne Qualitäts- und Unterrichtsentwicklung stärken: Eine Website sammelt Wissen rund um Schule und Unterricht. Erfahrungen von Schulen und bewährte Instrumente sind dort ebenso zu finden wie wissenschaftliche Daten und gesammelte Informationen zur Entwicklung von Qualität. An Dialogveranstaltungen diskutieren Interessierte aus Wissenschaft, Schulpraxis und Verwaltung aktuelle Bildungsthemen. Und im Rahmen von Schulvisiten stellen Schulen erfolgreiche Konzepte vor, mit denen sie Antworten auf pädagogische Herausforderungen und gesellschaftliche Ansprüche entwickeln Mercator Magazin
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