Doppeljob in Zug und Büro

Transkript

1 Doppeljob in Zug und Büro #Arbeit #Kunde #Zugpersonal #Arbeitsportrait #Kundendialog Nicole Cholewa tanzt auf zwei Hochzeiten: In den ungeraden Monaten ist sie als Reisezugbegleiterin unterwegs, in den geraden arbeitet sie im Kundendialog des Service- Centers Einnahmen. Ihre Mission an beiden Stellen: die Kunden verstehen /9

2 So wars nicht geplant. Die Tour an jenem verregneten Donnerstag im März hätte Nicole Cholewa (28) eigentlich von Luzern nach Erstfeld, dann nach Zürich, Zürich-Flughafen, Zürich und wieder zurück nach Luzern führen sollen. Wegen einer Stellwerkstörung kommt es nun anders. Sie fährt stattdessen zurück nach Luzern, dann nach Basel, später nach Zürich. Abweichungen vom Dienstplan bringen die 28-Jährige nicht aus der Ruhe. Seit 2009 arbeitet sie als Reisezugbegleiterin und bewältigt aussergewöhnliche Situationen routiniert. Gleich nach der Abfahrt in Luzern beginnt Nicole Cholewa, die in Luzern aufgewachsen ist und vor der Ausbildung zur Reisezugbegleiterin eine KV-Lehre gemacht hat, mit der Billettkontrolle. An diesem Nachmittag sitzen nicht viele Menschen im Zug. Alle haben ein gültiges Billett bis auf jene Frau in der ersten Klasse, die lediglich ein Billett für die Reise in der zweiten Klasse vorweisen kann. «Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen einen Klassenwechsel verkaufen», bietet ihr Nicole Cholewa an. Die Kundin nimmt das Angebot zwar an, hat aber nicht genügend Bargeld oder eine Kreditkarte dabei, um den Klassenwechsel sofort bezahlen zu können. Die Zugbegleiterin muss darum ein Formular ausstellen das sogenannte «F7000». Nun beläuft sich die Rechnung auf 40 statt 10 Franken für die Bearbeitung dieser Situation mittels Formular fallen nämlich Kosten von 30 Franken an. Der Kundin ist der Unmut darüber anzusehen /9

3 Abfahrbefehl zu Dienstbeginn in Luzern: Nicole Cholewa mag es, durch die Schweiz zu reisen. Haben alle ein gültiges Billett? Als Zugbegleiterin vertritt Nicole Cholewa auch die Interessen der SBB /9

4 Nicole Cholewa schätzt den direkten Kontakt mit den Kunden, wenn sie unterwegs ist. Hier gibt sie auf dem Perron einem Reisenden Auskunft über eine Verbindung. Nicole Cholewa kann das nachvollziehen. «Natürlich ist das für die Kundin ärgerlich», sagt sie, als sie bereits durch den nächsten Wagen geht. Doch in einem solchen Fall ein Auge zuzudrücken, liege nicht drin: «Bei allem Verständnis: Letztlich muss ich die Interessen der SBB wahren.» Darum, so Nicole Cholewa weiter, hafte dem Zugpersonal immer noch das Image des Polizisten an. Sie selbst sehe sich hingegen als Gastgeberin /9

5 Nicht immer sind die Kundinnen und Kunden höflich: Gerade, wer beim Reisen ohne gültigen Fahrausweis erwischt wird, reagiert zuweilen ungehalten. Die Kundin fährt in der ersten Klasse, hat aber ein Billett für die zweite Klasse. Weil sie den Klassenwechsel nicht bar bezahlen kann, erfasst Nicole Cholewa ihre Daten. Die Rechnung wird dann nach Hause geschickt /9

6 Fahrdienstliche Aufgaben gehören für die Zugbegleiterin zum Job. Nicole Cholewa sieht sich aber vor allem als Gastgeberin. Die Kunden verstehen: Das ist für Nicole Cholewa auch an ihrem zweitem Arbeitsplatz zentral: Nach einem Monat als Reisezugbegleiterin arbeitet sie jeweils einen Monat im Service-Centers Einnahmen in Zürich Altstetten das frühere Inkassocenter. Dort werden alle «F7000» verarbeitet, die das Zugpersonal den Kunden ohne gültigen Fahrausweis ausgestellt hat. Könnte es also vorkommen, dass Nicole Cholewa im Zug einem Kunden einen Zuschlag verlangt und dieser Kunde später im Service-Center Einnahmen anruft, um beispielsweise um einen Zahlungsaufschub zu bitten und zufälligerweise Nicole Cholewa am Draht hat? «Theoretisch könnte das sein», sagt die 28-Jährige, «aber es ist bisher noch nie vorgekommen.» /9

7 Wenn Nicole Cholewa das Büro in Zürich-Altstetten verlässt, bleibt auch das rüpelhafte Benehmen einiger Kunden zurück. Die meisten sind aber freundlich und auch einsichtig. Als Mitarbeiterin beim Kundendialog im Service-Center Einnahmen sieht sich Nicole Cholewa als «Rückfallebene». Zum Beispiel wenn ein Kunde kein Billett lösen konnte, weil der Automat am Bahnhof defekt war. Der Zugbegleiter kann von unterwegs nicht überprüfen, ob diese Behauptung stimmt und stellt ein «F7000» aus. Die Mitarbeiter im Service-Center Einnahmen klären dann ab, ob der Automat zum besagten Zeitpunkt tatsächlich defekt war. Hat der Kunde die Wahrheit gesagt, entfällt der Zuschlag es wird nur der Fahrpreis nacherhoben. Die Bezahlung erfolgt dann bequem mit Kreditkarte oder über eine Rechnung /9

8 Am Telefon lässt sich Nicole Cholewa vom Kunden die Situation erklären. Liegt der Fehler bei der SBB (zum Beispiel ein defekter Billettautomat), kann dieser nun ausgebügelt werden. Nicht immer sind die Sachverhalte so klar und auch einfach zu überprüfen. Nicole Cholewa hört den Anrufenden zu und macht sich ein Bild der Situation. Hilfreich sei es, wenn ihr das Zugpersonal Notizen auf dem Formular hinterlässt. Sie versuche, so objektiv wie möglich zu sein. «Mein Ziel ist es, die Situation, wie sie sich im Zug abgespielt hat, nachvollziehen zu können und mit dem Kunden zu klären.» Ihr Ziel: Die Kundinnen und Kunden haben bei Ende des Gesprächs Verständnis und sind zufrieden sind. Nicht immer gelingt das: Zwar gibt es sehr höfliche Anrufer, die sich für ihr Fehlverhalten entschuldigen und dankbar Tipps entgegen nehmen, wie sich Fehler künftig vermeiden lassen. Doch sind da immer mal wieder auch Rüpel, die nicht mit Kraftausdrücken sparen. Nicole Cholewa nimmt es gelassen: «Das kenne ich schon aus dem Zug, dort ist es meist noch schlimmer.» Sie könne damit umgehen. Wenn sie die Uniform ausziehe oder im Büro den Computer herunterfahre, lasse sie auch die Beleidigungen hinter sich /9

9 Fälle, die heikel oder unklar sind, bespricht Nicole Cholewa mit einem Arbeitskollegen. Zusammen mit Michael Dütschler einigt sie sich auf eine Lösung. Über ihr erstes Jahr mit dem Doppeljob bei der SBB zieht sie denn auch eine positive Bilanz: «In den Monaten als Zugbegleiterin bin ich in der ganzen Schweiz unterwegs. Und in den Büromonaten habe ich regelmässige Arbeitszeiten, was dem Familienleben zu Gute kommt.» Die Familiengründung war denn auch der Grund für ihre Stelle beim Service-Center Einnahmen: Weil sie während der Schwangerschaft nicht im Zug arbeiten durfte, wurde ihr diese Stelle angeboten. Aus dem temporären Einsatz hat sich eine Dauerstelle ergeben. Nun arbeitet sie im Monatswechsel im Büro und als Zugbegleiterin. Beide Jobs ergeben zusammen ein 60-Prozent-Pensum. Die Montage und Dienstage hat sie jeweils frei; sie gehören der Tochter, die mittlerweile eineinhalb Jahre alt ist. Das kleine Mädchen hält Nicole Cholewa ebenso auf Trab wie die Kundinnen und Kunden im Zug und am Telefon /9