Interaktives Skillstraining für Borderline-Patienten

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1 Interaktives Skillstraining für Borderline-Patienten Das Therapeutenmanual - Inklusive Keycard zur Programmfreischaltung - Akkreditiert vom Deutschen Dachverband DBT Bearbeitet von Martin Bohus, Martina Wolf-Arehult 3.Nachdruck Buch. 424 S. ISBN Weitere Fachgebiete > Medizin > Sonstige Medizinische Fachgebiete > Psychiatrie, Sozialpsychiatrie, Suchttherapie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, ebooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

2 2 Die Module des Skillstrainings Ziele dieses Moduls Dieses Modul vermittelt grundlegende Fertigkeiten zur Krisenbewältigung. Die Stresstoleranz-Skills gliedern sich in zwei Kategorien: zum einen in veränderungsorientierte Fertigkeiten, die primär unter Hochstress eingesetzt werden können, zum anderen in sehr starke akzeptanzbasierte Fertigkeiten zur Toleranz von sehr belastenden Situationen, die nicht verändert werden können. Die Patientinnen werden also lernen, wie man Zustände von intensiver Anspannung reguliert. Und sie werden dazu angehalten, das Leben, so wie es sich im gegenwärtigen Augenblick manifestiert, anzunehmen und dadurch die Anfälligkeit für die Entwicklung von Hochstress zu reduzieren. Hintergrundwissen Die theoretischen Hintergründe zur Neuropsychologie von Hochstress sind in dem Abschnitt Einführung in das Skillstraining bereits dargestellt (s. S. 55 ff). Wir gehen heute davon aus, dass unter extremem Stress die Steuerungsfähigkeit und die kognitive Variabilität von Borderline-Patientinnen erheblich eingeschränkt sind, sodass komplexere Skills, wie sie etwa zur Regulation von Emotionen häufig nötig sind, schlecht zur Wirkung kommen. In Zuständen von hoher aversiver Anspannung (auf der individuellen Spannungsskala > 70) sollten daher zunächst Fertigkeiten zur Spannungsregulation zum Einsatz kommen. Diese Skills wurden erst in den letzten Jahren von unserer Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit Marsha Linehan entwickelt, sie sind daher in ihrem Original- Manual noch nicht enthalten. Das Grundprinzip ist einfach: Unter starkem Stress führen primär starke sensorische Reize zu einer Reduktion der Anspannung. Wahrscheinlich ist die rasche stressreduzierende Wirkung von Schnittverletzungen auf eben dieses Prinzip zurückzuführen: Auch wenn die meisten sich selbst verletzenden Borderline-Patientinnen unter starker innerer Anspannung schmerzunempfindlich sind (Schmahl et al. 2006), bewirkt der Schmerz dennoch eine Aktivierung im senso-motorischen Cortex, sodass wir von einer zentralen Verarbeitung von Schmerzreizen ausgehen dürfen, auch wenn sich dies der bewussten Wahrnehmung entzieht. Die genauen neurobiologischen Mechanismen der Stressregulation durch Schmerz-Applikation sind noch unklar. Besser erforscht sind die Wirkmechanismen des Tauchreflexes. Dies ist ein phylogenetisch sehr alter Reflex, der beim Menschen durch die Berührung von kaltem Wasser um die Nase und den Mund ausgelöst wird. Er führt zu einer raschen Aktivierung des Nervus vagus und damit zu einer Abnahme der physiologischen Erregung, einer Abnahme der Herzfrequenz und zu einer rasch einsetzenden kognitiven Beruhigung (Muth et al. 2005). Borderline-Patientinnen können diesen Tauchreflex nutzen, indem sie ihren Kopf während sehr starker Erregung in ein Gefäß mit kaltem Wasser tauchen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in Einzelfällen durch den Tauchreflex Ohnmacht und auch Herzrhythmusstörungen ausgelöst werden können. Zu den wirkungsvollsten Stresstoleranz-Skills gehören sicherlich die Cool-Packs, also Eispackungen, die in den Nacken oder auf die Stirn gelegt werden, oder auch Eis- 112

3 würfel, die in den Mund genommen werden. All dies bewirkt sehr starke, intensive Reize, ähnlich wie Chilischoten oder Sushipaste. Die meisten Patientinnen sind sehr erfinderisch, wenn ihnen das Prinzip erklärt worden ist. Man sollte jedoch nicht versäumen, von Anfang an darauf hinzuweisen, dass diese Stresstoleranz-Skills lediglich zur Reduktion von Hochstress dienen, also keinesfalls anstelle von Problemlösungs-Skills oder Fertigkeiten zur Emotionsregulation eingesetzt werden sollen. Das zweite große Set an Fertigkeiten zur Stresstoleranz dient in erster Linie dazu, die Fähigkeit zur Akzeptanz zu fördern. Wir haben es also mit zwei sehr widersprüchlichen Skillspaketen zu tun, die einer sorgfältigen Differenzierung bedürfen. Beide haben jedoch gemeinsam, dass sie zur akuten Bewältigung von Krisen hilfreich sind. Die Fertigkeiten zur Akzeptanz sind eine konsequente Fortsetzung der Fertigkeiten zur Steigerung der Achtsamkeit, insbesondere des nicht-bewertenden Akzeptierens. Auch hier spielt das Begriffspaar Innere Bereitschaft/Mit dem Kopf durch die Wand (willingness/ willfullness) eine bedeutsame Rolle. Innere Bereitschaft ist ein Begriff aus der Achtsamkeit, der die stufenweise Annäherung an eine vollständige Bejahung des Lebens mit all seinen Facetten beschreibt und damit die schrittweise Aufgabe der Überschätzung der eigenen Bedeutsamkeit, um ein Teil zu werden im großen Prozess des Lebens. Kopf durch die Wand bezeichnet die gegenteilige Haltung, also ein Verharren im Konjunktiv ( Die Dinge sollten eigentlich anders sein. Gerechter, friedlicher, und insbesondere sollte die Welt sich nach meinen Bedürfnissen organisieren. ). Dass diese Haltung zwar häufig nachvollziehbar ist, aber eben auch häufig zu Wut, Ärger und Kränkung führt, ist evident. So bereitwillig die Skills zur Krisenbewältigung angenommen und geübt werden, so schwierig ist es, die Skills zur Akzeptanz zu vermitteln. Man sollte sich Zeit nehmen, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Annehmen einer Situation nicht mit Billigung von Unrecht gleichzusetzen ist, sondern dass sich gerade revolutionäre Bewegungen aus der tiefen Kraft der Akzeptanz von revolutionären Prozessen speisen. Didaktisches Vorgehen Grundsätzlich empfiehlt es sich auch in diesem Modul, den Patientinnen zu raten, das Kapitel zunächst einmal eigenständig innerhalb der Software anzuhören und durchzuarbeiten. Man sollte sich vergewissern, ob die Info- und Arbeitsblätter zur individuellen Erfassung der inneren Anspannung (Einführung in das Skillstraining) durchgearbeitet und verstanden wurden. Anderenfalls sollte dies zu Beginn des Moduls Stresstoleranz wiederholt werden. Die Patientinnen sollten in der Lage sein, den jeweiligen momentanen Anspannungsgrad zu erfassen. Es hat sich als hilfreich erwiesen, in der Einführung bereits auf die ausführliche Skillssammlung hinzuweisen, die von der Software (Einführung in das Skillstraining Aufgaben Skillssammlung) ausgedruckt werden kann. Hier findet sich eine Vielzahl von Skills, die aus dem Bereich des Alltagslebens stammen und sicherlich zum Teil von den Patientinnen schon eingesetzt werden, ohne dies als Skill zu erkennen. Weisen Sie Ihre Patientinnen darauf hin, sich diese Sammlungen auszudrucken und sorgfältig zu prüfen, welche Skills von ihnen bereits angewandt werden. 113

4 2 Die Module des Skillstrainings Info- und Arbeitsblätter: Didaktik Infoblatt Stresstoleranz 1: Einführung in das Modul Stresstoleranz Das Infoblatt ist weitgehend selbsterklärend. In jedem Fall sollte man auf die beiden unterschiedlichen Pole Stressbewältigung und Vorbeugung hinweisen. Infoblatt Stresstoleranz 2: Skills zur Krisenbewältigung Dieses Infoblatt ist vollständig selbsterklärend. Infoblatt Stresstoleranz 3: Sich ablenken Diese Skills zielen darauf, die Fokussierung auf die je eigene Befindlichkeit in Krisensituationen zu unterbrechen. Ziel ist, einen anderen kognitiven oder faktischen Kontext herzustellen, um die Perspektiven zu wechseln und auf andere Gedanken zu kommen. An dieser Stelle sollte man darauf hinweisen, dass Krisen bisweilen die Tendenz haben, sich selbst zu verstärken: Nicht-lösbare Probleme aktivieren die Erinnerung an andere Situationen, denen man ohnmächtig gegenüberstand, und dies wiederum löst ein tiefgreifendes Gefühl der Hilflosigkeit aus die Gedanken drehen sich, man sieht keinen Ausweg. In diesen Situationen sind die Stresstoleranz-Skills Sich ablenken angebracht auch im Sinne von Entgegengesetzt handeln. Infoblatt Stresstoleranz 4 und 5: Sich ablenken: Körperempfindungen (1 und 2) Starke sensorische Reize sind in hervorragender Weise geeignet, eine hohe Anspannung rasch zu reduzieren. Die Patientinnen sollten sich aus diesen Vorschlägen einige wenige Skills aussuchen und diese im Notfallkoffer (s. Arbeitsblatt Stresstoleranz 13 ) deponieren. Infoblatt Stresstoleranz 6: Sich beruhigen mit Hilfe der 5 Sinne Im Gegensatz zu den Skills Sich ablenken basieren die Skills Sich beruhigen ausschließlich auf Achtsamkeit: Die gesamte Aufmerksamkeit wird auf eine einzige Sinnesmodalität gerichtet. Alle anderen Informationen werden kurz zur Kenntnis genommen, um sich dann wieder bewusst zu konzentrieren. Diese Skills erfordern also ein gewisses Training in Achtsamkeit, bevor sie unter Stress oder in Krisensituationen eingesetzt werden können. Für manche Patientinnen aber sind sie hocheffektiv. Ein besonderer Vorteil besteht darin, dass diese Skills meist eingesetzt werden können, ohne die Situation zu verlassen oder große Vorbereitungen zu treffen. Die Patientinnen sollten ermuntert werden, einige für sie passende Skills zur Beruhigung auszuwählen und diese in ihren Notfallkoffer bereitzulegen. 114

5 Infoblatt Stresstoleranz 7: Den Augenblick verändern Dieses Infoblatt vermittelt primär kognitive Skills, die allerdings sorgfältig geübt sein wollen. Die meisten dieser Skills basieren auf dem Konzept der Stress- oder Emotionsmodulation durch Aktivierung entgegengesetzter Handlungen. Dieses Konzept wird im Modul Emotionsregulation ausführlich erklärt. Man kann jedoch bereits an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die meisten Krisen dadurch entstehen, dass man entweder über die Vergangenheit nachgrübelt oder sich Sorgen bezüglich der Zukunft macht. Die Konzentration auf den gegenwärtigen Moment sowie andere Bewertungen u. Ä. verändern unsere Blickrichtung und entlasten daher. Wichtig ist, immer wieder darauf hinzuweisen, dass sich diese Skills in der Krise nicht aufdrängen, sie erscheinen eher als nicht-stimmig also kontraintuitiv und daher unsinnig. Gerade dies aber, so muss vermittelt werden, ist der Schlüssel zum Erfolg. Botschaften: In Krisensituationen ist es schon hilfreich, die Situation nicht zu verschlimmern. In Krisen ist es oft hilfreich, gegen den ersten Handlungsimpuls zu handeln. Infoblatt Stresstoleranz 8: An das Pro und Contra denken Wie andere Menschen auch haben Borderline-Patientinnen die Tendenz, unter Hochstress impulsiv zu reagieren und bisweilen damit Schaden anzurichten. Es ist daher wichtig, ein zielorientiertes, d. h. ein auch langfristig sinnvolles Handeln zu verstärken. Die Pro-&-Contra-Listen zu Problemverhalten und entsprechenden Alternativen sind als 4-Felder-Tafeln aufgebaut. Sie können auch zur Klärung im Bereich der Problemlösung herangezogen werden. In diesem Fall wird als Problemverhalten die dysfunktionale Bewältigung von Hochstress definiert (z. B. suizidale Kommunikation, Hochrisikoverhalten, Selbstverletzungen, Drogeneinnahmen etc.). Arbeitsblatt Stresstoleranz 9: Pro-&-Contra-Liste Man sollte darauf achten, dass tatsächlich jeweils alle vier Felder ausgefüllt werden. Wenn die Felder zu klein sind, sollen die Patientinnen sich die vier Felder auf jeweils einem Blatt Papier skizzieren. Erfahrene Therapeuten raten ihren Patientinnen, durchaus alle Argumente für die Aufrechterhaltung dysfunktionalen Verhaltens aufzuschreiben und auch gründlich über die Argumente gegen adaptives Verhalten nachzudenken. Je transparenter die verdeckten Motive gemacht werden, desto weniger Probleme gibt es später bei der Umsetzung. Es ist ein häufiges Missverständnis, dass Therapeuten ihren Patientinnen raten, unter Hochstressbedingungen Pro-&-Contra-Listen zu entwickeln. Dies ist in den meisten Fällen nicht möglich, da die kognitiven Fertigkeiten unserer Patientinnen unter Hochstress eingeschränkt sind. In derartigen Krisensituationen geht es um Erinnerung und Vergegenwärtigung von bereits ausgefüllten Pro-&-Contra-Listen. Für viele Patientinnen ist es hilfreich, sich die grau unterlegten Felder des Arbeitsblattes auszuschneiden, auf kleine Kärtchen zu kleben und im Notfallkoffer mitzutragen. 115