Ständig gefechtsbereit.

Größe: px
Ab Seite anzeigen:

Download "Ständig gefechtsbereit."

Transkript

1 ISSN A Jahrgang Heft 70 4/2010 5,90 Dezember 2010 Zeitschrift zur kritischen Aufarbeitung der SED-Diktatur THEMENSCHWERPUNKT Ständig gefechtsbereit. In der Armee eines militarisierten Staates. Aktion Reißwolf. Die Vernichtung der SED-Mitgliederkartei. Haft am See. Das Gefängnis Berlin-Rummelsburg. Der Bunker im Wald. Das Leben eines lettischen Partisanen.

2 Deutschland Archiv Fachzeitschrift für Transformationsprozesse Deutschland Archiv reflektiert die Geschichte der deutschen Teilung, der friedlichen Re vo lution in der DDR und der Ver ei ni gung.... analysiert die Situation im vereinigten Deutschland.... diskutiert differenziert, exemplarisch und vielschichtig die Befind lich keiten, Identitäten und das zeitgeschichtliche Erbe der Deutschen.... wendet sich an ein Publikum, das an politischen, kulturellen und zeitgeschichtlichen Fragen interessiert ist. Die Fachzeitschrift für Transformations probleme. Wolfgang Thierse Deutschland Archiv Zeitschrift für das vereinigte Deutschland W. Bertelsmann Verlag (Hg.) im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung 6 Ausgaben pro Jahr Einzelheft 8,, Abo 39, Studentenabo 23,- ISSN Best.-Nr. DA wbv.de W. Bertelsmann Verlag Bestellung per Telefon per service@wbv.de

3 Impressum HORCH UND GUCK, Heft 70, ISSN Vertriebskennzeichen: A Herausgeber: Bürgerkomitee 15. Januar e.v. im Selbstverlag, Ruschestr. 103, Haus 1, Berlin, Tel./Fax: 030/ Redaktion: Peter Grimm und Benn Roolf (v.i.s.d.p.), Elena Demke, Joachim de Haas (i. V. für Rebecca Menzel), Gerold Hildebrand, Bildredaktion: Frank Hoffmeister Beirat: Edda Ahrberg, Prof. Dr. Jörg Baberowski, Johannes Beleites, Prof. Thomas Heise, Tobias Hollitzer, Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk, Dr. Ehrhart Neubert, Ulrich Schwarz, Prof. Dr. Johannes Weberling, Dr. Martina Weyrauch Anschrift: Horch und Guck, Winsstraße 60, Berlin Tel.: 030/ (Redaktion), 030/ (Vertrieb) info@horch-und-guck.info, Layout: Ilka Lange, Petra Sabert, Titel: Quelle: ADN-ZB, Bundesarchiv Bild 183-K Druck: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion ist an Themenvorschlägen, Manuskripten, Fotos u.ä. interessiert, kann aber für unverlangt eingesandte Manuskripte, Bildmaterial und Unterlagen keine Haftung übernehmen. Wir behalten uns den Abdruck sowie das Kürzen von Leserbriefen vor. Sofern wir bei einzelnen Bildern die tatsächlichen Rechteinhaber nicht ermitteln konnten, werden diese gebeten, sich bei der Redaktion zu melden. Ihre Rechte bleiben selbstverständlich gewahrt. Allen, die uns Fotos oder Textbeiträge lieferten, danken wir für die Genehmigung zum Abdruck ihrer Arbeiten. Horch und Guck erscheint vierteljährlich: am 1. März, 1. Juni, 1. September und am 1. Dezember. Das Abonnement für vier Hefte kostet 20,00 (Ausland zzgl. Versand). Es verlängert sich um weitere vier Hefte, wenn es nicht spätestens zwei Wochen nach Erhalt des jeweils vierten Heftes schriftlich gekündigt wurde. Einzelhefte können bei der Redaktion zum Preis von 5,90 (ab Heft 58, davor 4,50 ) zzgl. Versandkosten bestellt werden. Foto: ADN-ZB/Spremberg, Bundesarchiv Bild 183-N Liebe Leserinnen und Leser, gemessen an der Bedeutung des Militärischen in der DDR-Gesellschaft wie auch als Einschnitt im Leben vieler DDR-Bewohner ist die NVA recht selten Thema zeithistorischer Rückblicke. Dabei gilt manchen Historikern der SED-Staat als eine der am stärksten militarisierten Gesellschaft der neueren Geschichte. Dr. Matthias Rogg, ehemaliger Forscher beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr in Potsdam, beispielsweise hält eine solche Aussage allein schon durch einen Blick auf die nüchternen Fakten für gerechtfertigt: Die Bedeutung des Militärs für Staat und Gesellschaft der DDR wird am deutlichsten, wenn man einen Blick auf die nackten Zahlen wirft. Seit der Aufstellung regulärer Streitkräfte leisteten etwa 2,5 Millionen Männer ihren Wehrdienst bei der Volksarmee oder den Grenztruppen. Über Männer und Frauen arbeiteten als hauptamtliche Mitarbeiter in den bewaffneten Organen der Nationalen Volksarmee (NVA), der Grenztruppen (GT), des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), des Ministeriums des Innern (MdI), der kasernierten Bereitschaftspolizei, des Zolls und der Transportpolizei. Hinzu kamen Massenorganisationen, die mit einem relativ kleinen Anteil hauptamtlicher Funktionäre einen erheblichen Teil der DDR-Bevölkerung in militärische und paramilitärische Organisationen einbanden. Dazu gehörten vor allem die Gesellschaft für Sport und Technik (GST), die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die Reservistenkollektive (RK) und die Zivilverteidigung (ZV). Auf 42 DDR-Bewohner kam ein hauptamtlicher Angehöriger der Sicherheitskräfte. In unserem Schwerpunktthema wollen wir auf einige Aspekte eingehen, die zeigen, dass die NVA nicht einfach nur eine Armee wie alle anderen war. Sie war eingebunden in einen riesigen Apparat der Machtsicherung des SED-Staates. Wenn die Öffentlichkeit auf die Hinterlassenschaften des SED-Staats schaut, dann sind es meist die Stasi-Akten. Dabei blieb fast 20 Jahre verborgen, welchen wertvollen Aktenbestand die SED nahezu unbemerkt vernichten konnte: Die Mitglieder- und Kaderunterlagen der Partei. Es war ein Coup der damals von Gregor Gysi geführten PDS, denn die Vernichtung gelang nach den ersten freien Wahlen in der DDR, als die SED doch eigentlich schon entmachtet sein sollte. Der Taschenspielertrick: Die Öffentlichkeit glaubte, dieser Aktenbestand sei schon vernichtet, als er noch unangetastet im ehemaligen ZK-Gebäude lag. Herausgeber dieser Zeitschrift ist das 1991 gegründete Bürgerkomitee 15. Januar e.v. zur Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit, das hauptsächlich aus der Arbeitsgruppe Sicherheit des Zentralen Runden Tisches und ihrer Operativen Gruppe sowie dem Ost-Berliner Bürgerkomitee zur Stasi-Auflösung (dem Bürgerkomitee Normannenstraße) hervorgegangen ist. Der Name 15. Januar bezeichnet den Tag im Jahr 1990, an dem sich die Tore der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin öffneten. Dem Vorstand des Bürgerkomitees gehören an: Joachim de Haas (Vors.), Reinhard Schult (stellv. Vors.), Joachim Goertz, Christiane Schidek, Gerald Praschl. Das Bürgerkomitee 15. Januar ist als Verein eingetragen beim Amtsgericht Charlottenburg unter VR Nz und als gemeinnützig gemäß 5 Abs.1 Nr. 9 KStG anerkannt. Spendenkonto-Nr , Berliner Volksbank (BLZ ). Mit diesen und weiteren Themen wünschen wir Ihnen wie immer eine spannende und interessante Lektüre. Die Redaktion Gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Gefördert vom Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (LStU)

4 FundstückE Quelle: Gedenkstätte Museum in der Runden Ecke Wer besetzt die Arbeitsämter? Diese Frage beantworten im Juni 1990 das DDR-Innenministerium unter Peter Michael Diestel und das Arbeits- und Sozialministerium unter Regine Hildebrandt recht eindeutig: Die nicht mehr gebrauchten Kader aus Grenztruppen, Volkspolizei und Zollverwaltung. Dass einige von denen bis Anfang 1990 ihren Dienst möglicherweise noch beim MfS versahen, findet allenfalls im Nebensatz Erwähnung. Das zeigen diese beiden Schreiben, die wir der Sonderausstellung Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution, die noch bis zum 15. Januar 2011 im ehemaligen Stasi-Kinosaal der Gedenkstätte Museum in der Runden Ecke, Dittrichring 24, Leipzig zu sehen ist, entnommen haben.

5 Foto: ADN-ZB/Oberst, Bundesarchiv Bild T H E M E N S C H W E R P U N K T : S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Inhalts verzeichnis Peter Joachim Lapp Die Nationale Volksarmee: Fremdbestimmt von Anfang an 4 Michael Kubina Marschbereit in Richtung Osten 10 Klaus Storkmann Solidarität und Interessenpolitik 16 Stefan Meining Operation Aleppo 22 Michael Kobs Die vergeudeten 18 Monate 26 Peter Grimm Opposition in Uniform 30 Andreas Förster Der Abwehroffizier 33 Udo Grashoff Selbsttötungen in der NVA 36 Arno Polzin Mythos Schwedt 40 Peter Grimm Panzer und Revolution 46 Karl-Heinz Baum Hochverrat? 50 Benn Roolf Eine der besten Armeen der Welt 54 A K T U E L L U N D K O N T R O V E R S Sven Felix Kellerhoff, Uwe Müller Gregor Gysi und die Aktion Reißwolf 60 L E B E N S L Ä U F E Eckart Reichl über Modris Zihmanis Lebenslang Waldbruder? 64 T H E M E N Heike Schuler Haft am See 68 R E Z E N S I O N E N Helmut Müller-Enbergs über Wolfgang Krieger: Geschichte der Geheimdienste 74 Friederike Reininghaus Achim Walther: Die eisige Naht 76 S E R V I C E Neuerscheinungen 78

6 4 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Die Nationale Volksarmee: Fremdbestimmt von Anfang an Peter Joachim Lapp Die Nationale Volksarmee: Fremdbestimmt von Anfang an Die NVA war keine durch jahrhundertealte Traditionen getragene deutsche Armee. Sie war eine von politischen Zwecken bestimmte Neugründung, legitimiert durch die Nachkriegsziele der östlichen Siegermacht und den Willen einer Parteioligarchie Es ist bitter, vom heutigen Stand der Erkenntnis sagen zu müssen: die NVA war ein Produkt und ein Instrument sowjetischer Politik, sie wurde mit ihrem Staate überflüssig und fallengelassen, als die sowjetische Großmachtpolitik gescheitert war. Sie hat der Hegemonialmacht des sozialistischen Blocks bis zum Ende die Vasallentreue gehalten und dem SED-Regime als Stütze und Mittel seiner Politik gedient. 1 Diese Aussage aus dem Jahre 1992 stammt nicht etwa vom früheren Klassenfeind aus dem Westen, sondern von einem der höchsten Offiziere der NVA, dem Gene- 1 Joachim Goldbach: Die Nationale Volksarmee Eine deutsche Armee im Kalten Krieg, in: Detlef Bald (Hrsg.): Die Nationale Volksarmee. Beiträge zu Selbstverständnis und Geschichte des deutschen Militärs von , Baden- Baden 1992, S Peter Joachim Lapp, Dr. rer. pol., geb. l94l in Elbing. Politologe und Publizist. Kaufmännische Lehre in Rudolstadt, l politische Haft in Gera und Waldheim, freigekauft, l Studium der Politikwissenschaften, des öffentlichen Rechts und der Soziologie in Hamburg, l Redakteur im Deutschlandfunk Köln, veröffentlichte zu Militärgeschichte und Grenzregime der DDR, zuletzt: Schüler in Uniform. Die Kadetten der Nationalen Volksarmee sowie die Autobiografie: Aus deutscher Teilungszeit - beide: Aachen: Helios Lebt in ölsen/ Westerwald. SED-Generalsekretär Walter Ulbricht trifft Sowjetmarschall Iwan I. Jakubowski am Rande des Manövers Waffenbrüderschaft am raloberst Joachim Goldbach, ehemaliger Stellvertreter des Ministers für Nationale Verteidigung und Absolvent der Generalstabsakademie der Sowjetunion. Präziser lässt sich die Charakterisierung der sehr anderen deutschen Armee, die im Januar 1956 gegründet wurde, nicht auf den Punkt bringen. Fast alles, was die Nationale Volksarmee betraf, so der Ex-Chef der Politischen Verwaltung der Landstreitkräfte, Generalleutnant Werner Rothe, fünf Jahre später in seinen Erinnerungen, war wie Stärke, Struktur, Ausbildung und Bewaffnung fremdbestimmt und wurde in Moskau und Wünsdorf (Sitz des Kommandos der Westgruppe der Sowjetarmee) entschieden, es gab keine Bewegungsfreiheit und keinen eigenständigen Beitrag der DDR-Streitkräfte. Die Truppe diente lediglich der Verstärkung der Sowjetarmee, die mit mehr als Mann in der DDR stand. 2 Die operativen Aufgaben der NVA wurden im sowjetischen Generalstab erarbeitet, durch den Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte (Warschauer Pakt) übermittelt, in den NVA-Stäben aufgearbeitet, durch die DDR- bzw. SED- Spitze zur Kenntnis genommen und den Befehlshabern der Teilstreitkräfte und den Kommandeuren der Divisionen als Befehle übergeben (Joachim Goldbach). Sowjetische Generale und Offiziere 2 Werner Rothe: Jahre im Frieden. Eine DDR-Biographie, Schkeuditz 1997, S. 198 f. arbeiteten imverteidigungsministerium, in den Teilstreitkräften, den Militärbezirken und in den Divisionen sowie in den Raketenbrigaden als Berater ( Militärspezialisten ) und erfüllten vor allem Kontrollaufgaben im Sinne Moskauer Vorgaben. Von daher hatten die NVA-Soldaten bis 1990 den Status von Hilfswilligen der Sowjetmacht. Das umso mehr, weil Ansätze zu einer eigenständigen DDR-Militärdoktrin verhindert wurden und im östlichen Militärbündnis nur sowjetische Grundsätze galten. Diese waren darauf gerichtet, im angenommenen Fall einer NATO- Aggression den Krieg sofort auf das Gebiet des Angreifers zu übertragen und ihn auf seinem eigenen Territorium zu vernichten und dieses auch in Besitz zu nehmen. Die Verantwortlichen übertrieben dabei die Bedrohungssituation und unterstellten der NATO abstruse Angriffsabsichten, um das eigene Feindbild zu begründen und die Militarisierung der Gesellschaft politischideologisch abzustützen. Erst im Mai 1987 verabschiedete das Ostbündnis, zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Michail S. Gorbatschow, eine modifizierte Militärdoktrin, die eine Stärkung der Verteidigung vorsah bei gleichzeitigem Abbau der eigenen Angriffsfähigkeit. Bis Ende der achtziger Jahre bereitete das Bündnis die Truppen des Warschauer Pakts und damit auch die NVA auf einen Konter-Angriffskrieg (einschließlich der Besetzung West-Berlins) vor; für eine Foto: ADN-ZB/Koard, Bundesarchiv Bild 183-J

7 Horch und Guck 4/2010 Heft 70 5 denkbare Einnahme westlicher Gebiete prägte man bereits in der DDR Tapferkeitsauszeichnungen (Blücher-Orden) und stellte Militär- bzw. Besatzungsgeld bereit. Aus damaligen Operationsplanungen geht hervor, dass bei einem Konterangriff die Streitkräfte der Sowjets, Polens, der CSSR und der DDR die Territorien Dänemarks, der BRD, der Niederlande und Belgiens einnehmen sollten und am 13. bis 15. Tag die Grenzen Frankreichs, am 30. bis 35. Tag die Biskaya und die Grenze Spaniens erreichen sollten. Im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen für die Generalität der NVA wurden 1988/89 in Anweisungen des Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte zum operativen Einsatz der Truppen und Flottenkräfte noch immer folgende Ziele gesetzt: Ziel der Operation ist es, [ ] das Territorium der DDR und ČSSR zu befreien, die ökonomisch wichtigen Gebiete der BRD östlich des Rheins zu besetzen sowie die Bedingungen für den Übergang zum allgemeinen Angriff mit dem Ziel der Herauslösung der europäischen NATO-Staaten aus dem Krieg zu schaffen. 3 Nach offiziellem Selbstverständnis betrachtete sich die NVA als eine Armee für Frieden und Sozialismus sowie als Armee des Volkes. Auch noch sechzehn Jahre nach ihrem Verschwinden, am 50. Jahrestag ihrer Gründung, bei dem sich Hunderte von Ehemaligen im Frühjahr 2006 am Rande Berlins trafen, meinten hochrangige Ex-Offiziere, dass im Verlauf der dreieinhalb Jahrzehnte ihres Bestehens nahezu drei Millionen Menschen verantwortungsvoll und den Interessen des Volkes verpflichtet ihren Dienst in der Armee geleistet hätten. Und hoben hervor, dass die NVA getreu ihrem Verfassungsauftrag als Teil der sozialistischen Militärkoalition wesent- 3 Der Bundesminister der Verteidigung. Militärische Planungen des Warschauer Pakts in Zentraleuropa. Eine Studie, Bonn, im Januar 1992 (MS-Skript), 24 Seiten (mit Anhang), S. 8. lich zur Wahrung des Friedens in Europa beigetragen habe. 4 Ausgeblendet wurde, dass die DDR-Streitkräfte 1968 und 1981 auf Anweisung der Sowjets Drohpotenziale gegen die verbündete Tschechoslowakei und gegen das ebenfalls verbündete Polen aufbauten, um mitzuhelfen, die dortigen Reformbemühungen gewaltsam zu beenden. Und DDR- Militärberater seit den siebziger Jahren in mehreren arabischen und afrikanischen Staaten tätig wurden, um diktatorische Regime zu stützen; außerdem bildete die NVA in der DDR Offiziere aus diesen Regionen aus. Unterschlagen wurde und wird ferner nach wie vor die Tatsache, dass es seit 1961 bis Ende 1973 ein Kommando Grenze der NVA gab (ab 1974: Grenztruppen der DDR, die dem Verteidigungsminis terium unterstellt blieben), dessen Angehörige an den Grenzen zu West-Berlin und zur Bundesrepublik notfalls auf Menschen zu schießen hatten, um deren Republikflucht zu verhindern. Diese Grenzsoldaten galten zeitweise als Garde der NVA, weil sie einen Frontdienst im Frieden absolvierten, der bekanntlich Tote durch Schusswaffengebrauch und Minen einschloss. NVA-Panzer im Manöver. Man begnügte sich nicht mit defensiven Verteidigungsstrategien. Der marxistischen Ideologie vom gesetzmäßigen Sieg des Sozialismus folgend wurde auch die NVA auf den militärischen Sieg eingeschworen. Bereits nach 2 Wochen wollte man in einem Krieg die Bundesrepublik überrollt haben, nach einem Monat sollte Frankreich besetzt sein. Selbst das Besatzungsgeld für die besetzten Gebiete lag schon bereit. Es fällt schwer, vor diesem Hintergrund den DDR-Streitkräften das Prädikat Frie- 4 Armee gegen den Krieg. Militärelite der DDR beging den 50. Jahrestag der Gründung der Nationalen Volksarmee und erinnerte an den Sinn des Soldatseins im Sozialismus, in: Junge Welt vom , S. 5. densarmee zuzuerkennen. Ihre Präsenz bedrohte massiv zwei Nachbarstaaten und Soldaten des NVA-Kommandos Grenze hinderten mit Waffengewalt die eigenen Bürger am Verlassen der Republik. Armee der Einheitssozialisten In der DDR verfügte die SED über eine nahezu unbeschränkte Macht und war auch nach dem Text der zweiten Verfassung von 1968 die führende Partei. Die Partei bzw. ihre Spitze nahm für sich in Anspruch, ein Wahrheitsmonopol zu besitzen und leitete daraus ihren Führungsanspruch in allen gesellschaftlichen Bereichen ab, so auch in den Streitkräften. Bis ins Frühjahr 1962 war die neue Armee, Anfang 1956 aus der Kasernierten Volkspolizei hervorgegangen, eine Freiwilligentruppe, die einmal aus Berufssoldaten, zum anderen aus jungen Männern bestand, die sich für zwei bis drei Jahre verpflichteten. Nach der Absperrung West-Berlins am 13. August 1961 wurde eine 18 Monate dauernde Wehrpflicht eingeführt, die bis Anfang 1990 in Kraft blieb. Bei Gründung der Armee im Jahre 1956 gehörten 80 Prozent der Offiziere der SED als Mitglied (oder Kandidat) an; 1986 hatten 99,4 Prozent der Offiziere das SED-Parteibuch. Ab den sechziger Jahren konnten die vier neben der SED bestehenden Blockparteien keine Berufsoffiziere mehr stellen, sondern verfügten bis 1989 nur über eine geringe Anzahl an Zeit- und Reserveoffizieren in subalternen Diensträngen. Zuvor gab es in höheren Stäben und in Lehreinrichtungen mehrere Mitglieder der NDPD, von denen Vincenz Müller, Generalleutnant und Chef des Hauptstabes, ehemaliger Kommandierender General der Deutschen Wehrmacht, bis Anfang 1958 die wichtigste Position bekleidete. Die Verwirklichung der führenden Rolle der SED sollten die Kompaniechefs und die Bataillons- sowie die Regimentskommandeure sicherstellen, wobei militärische und Parteifunktionen eng miteinander verflochten waren. Für Truppen- und Politoffiziere Foto: ADN-ZB, Bundesarchiv Bild

8 6 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Die Nationale Volksarmee: Fremdbestimmt von Anfang an galt das Leitbild des Parteifunktionärs in Uniform, was aber in der Praxis längst nicht immer umgesetzt werden konnte: Kompaniechefs und viele Bataillonskommandeure zeigten in der Regel Pragmatismus und ein professionelles Selbstverständnis bei der Bewältigung ihrer Aufgaben, weniger ein sozialistisches Bewusstsein. Stärker der SED verpflichtet waren die Regimentskommandeure, die als politisch besonders versierte und militärakademisch qualifizierte Karrieresoldaten mehr als jeder andere Offizier in der Truppe die Einheit von politischer und militärischer Führung verkörperten. 5 Diese Einheit zeigte sich schon an der Spitze der NVA symbolhaft: der DDR- Minis ter für Nationale Verteidigung gehörte seit den frühen siebziger Jahren dem SED- Politbüro an, seine Stellvertreter, darunter alle Chefs der Teilstreitkräfte, waren seit Anfang der achtziger Jahre Mitglied oder Kandidat des SED-Zentralkomitees (ZK). Instruktionen für die Streitkräfte erklärten die Einheitspartei zur wichtigsten Quelle für die Kraft und Stärke der Armee, die alle Formationen der Truppe und Flotte mit einem Geflecht von Parteiorganisationen und Politorganen überzog. Diese garantierten, dass Parteibeschlüsse befolgt wurden und speziell ausgebildete Politoffiziere sorgten in allen Verbänden, Truppenteilen und Einheiten dafür, den Einfluss der SED im militärischen Alltag zu sichern. Der Politoffizier (amtlich: Stellvertreter 5 Frank Hagemann: Parteiherrschaft in der NVA. Zur Rolle der SED bei der inneren Entwicklung der DDR-Streitkräfte ( ). Hrsg. vom MGFA, 1. Aufl., Berlin 2002, S des Kommandeurs für politische Arbeit ) war dem jeweiligen Kommandeur, zugleich aber auch dem übergeordneten Politleiter unterstellt, verfügte also über eine eigene Führungs- bzw. Meldelinie. Zwischen den Kommandeuren und ihren Politstellvertretern bestand nach Auskunft ehemaliger höherer Offiziere der NVA ein Vertrauensverhältnis und man hatte keine Geheimnisse voreinander; beide waren Mitglied der Partei und von ihr eingesetzt worden, beide hatten grundsätzlich die gleichen Interessen und Ziele. In Konfliktsituationen dürfte allein die Möglichkeit eines eigenständigen Meldeweges der Politorgane einen gewissen SED-Chef Erich Honecker ernennt und befördert Generale. Die NVA war fest im Griff der führenden Partei : 1986 waren 99,4% der Offiziere waren SED-Mitglieder. Ihr Leitbild war der Parteifunktionär in Uniform. Eindruck auf die Kommandeure gemacht haben, um z.b. Erscheinungen des Machtmissbrauchs entgegenzuwirken. 6 Angeleitet und kontrolliert wurden SED-Parteiorganisationen und Politoffiziere durch eine Politische Hauptverwaltung (PHV), der Politische Verwaltungen in den Teilstreitkräften nachgeordnet waren. Der Chef der PHV hatte die Rechte eines Leiters einer ZK-Abteilung, war unmittelbar dem Generalsekretär der SED unterstellt und bekleidete zugleich die Position eines der stellvertretenden Verteidigungsminister. Laut Strukturdokumenten aus dem Jahre 1989 gehörten der PHV zehn Generale, 88 Oberste, 71 andere Offiziere 6 Oberst a.d. Dr. Eberhard Haueis: Die führende Rolle der SED in der Nationalen Volksarmee. Eine kritische Nachbetrachtung (April 1998), in: Was war die NVA? Studien Analysen Berichte. Zur Geschichte der Nationalen Volksarmee. Hrsg. von der Arbeitsgruppe Geschichte der NVA und Integration ehemaliger NVA-Angehöriger in Gesellschaft und Bundeswehr beim Landesverband Ost des Deutschen Bundeswehrverbandes, Berlin 2001, S.323 ff. (S. 327). Foto: ADN-ZB/Mittelstädt, Bundesarchiv Bild sowie 15 Fähnriche, 13 Berufsunteroffiziere und 92 Zivilbeschäftigte an. 7 Dieser Personalaufwand und die herausgehobene Position ihres Chefs verrät, welche Bedeutung die SED der politisch-organisatorischen Sicherstellung ihrer Herrschaft in der NVA beimaß. Alles in allem gehörten den NVA- Politorganen rund Offiziere an. Die Führungsrolle der SED in der NVA war aber nicht nur durch die Verankerung von Politorganen gegeben und unabänderlich, sondern sie funktionierte auch über den eingangs schon erwähnten hohen Anteil von SED-Genossen in den einzelnen Dienstgradgruppen: Bei Offizieren über 99 %, bei Fähnrichen (eigene Laufbahn) bei 96 %, bei Unteroffizieren etwa 33 % (Berufsunteroffiziere: 55 %) und bei Mannschaften rund 10 %. In einer Division der Landstreitkräfte gehörten rund ein Viertel bis ein Drittel des Bestandes der Partei an, in einer Division der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung und einer Flottille der Volksmarine etwa die Hälfte. Offiziersschüler sollten spätestens im letzten Studienjahr Mitglied der SED geworden sein. 8 Militärische Leitungsstrukturen Zur Umsetzung militärpolitischer Entscheidungen in staatliche Normen schuf sich die SED Anfang 1960 einen Nationalen Verteidigungsrat (NVR), der laut Statut die oberste militärische Kommandogewalt gegenüber allen bewaffneten Kräften der DDR ausübte. Vorsitzende dieses Gremiums waren nacheinander Walter Ulbricht, Erich Honecker und Egon Krenz, also die jeweiligen SED-Parteichefs. Auf politischem Gebiet war der NVR unter anderem zuständig für: die Ableitung von Schlussfolgerungen aus der gemeinsamen Militärdoktrin der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages für die DDR, die Bestimmung der Grundsätze für die Organisation der Landesverteidigung, die Festlegung der Hauptaufgaben der patriotischen Erziehung der Bevölkerung, 7 Kurt Held / Heinz Friedrich / Dagmar Pietsch: Politische Bildung und Erziehung in der Nationalen Volksarmee, in: Manfred Backerra (Hrsg.): Die NVA Ein Rückblick für die Zukunft. Zeitzeugen berichten über ein Stück deutscher Militärgeschichte, Köln 1992, S Oberst a.d. Dr. Eberhard Haueis, aao, S. 332.

9 Horch und Guck 4/2010 Heft 70 7 die Festlegung der grundsätzlichen politischen Konsequenzen und Maßnahmen, die sich aus der Besetzung des Territoriums des Kriegsgegners ergeben (vgl. Ziffer 1 des NVR-Statuts vom ). Das Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) wurde als zentrales Organ und sein Hauptstab als militärisches Planungs- und Koordinierungsorgan des NVR bezeichnet, der Anordnungen und Beschlüsse erlassen konnte. Die bekannteste Anordnung des NVR war die vom 7. September 1964 über die Bausoldaten, die es Wehrpflichtigen aus religiösen oder ähnlichen Gründen erlaubte, den Dienst mit der Waffe abzulehnen und stattdessen einen waffenlosen Wehrdienst zu leisten. In keiner anderen Armee des Ostblocks gab es Vergleichbares. Um die Verfügungsgewalt über alle Spitzenfunktionen des Militärs zu haben, entwickelte die Partei- und Armeeführung anhand des sowjetischen Modells ein System von Nomenklaturen (Personalverzeichnisse mit Entwicklungswegen und beruflichen Perspektiven), das nach Leitungsebenen geordnet war. Zur Nomenklatur des Politbüros gehörte der Minister für Verteidigung, alle Ernennungen zum General bzw. Admiral sowie die Beförderungen innerhalb dieser Dienstgrade, zur Nomenklatur des NVR zählten hohe Positionen in der 2. Reihe wie z.b. die Stellvertreter des Ministers. Und eine Abteilung für Sicherheitsfragen des ZK der SED ( Abt. S ) führte bis gegen Ende der achtziger Jahre für die eher nachgeordneten Positionen der im militärischen Bereich tätigen Genossen (das war die Mehrheit) die Nomenklatur. Politische Grundsatzfragen entschieden die Verantwortlichen weder im NVR noch im Ministerium, sondern woanders: Soweit militärische Angelegenheiten nicht zwingend von den Sowjets bzw. dem Warschauer Pakt vorgegeben waren, befand darüber das Politbüro des ZK der SED. Vorlagen der Sitzungen zu Angelegenheiten des Militärs lieferte die Abt. S, deren Tätigkeit sich unter der Oberaufsicht des Politbüromitglieds und ZK-Sekretärs für Sicherheitsfragen vollzog: Seit Ende der fünfziger Jahre war das Erich Honecker, der spätere Partei- und Staatschef, danach ab 1983 bis 1989 Egon Krenz. Eine der wichtigsten Aufgaben der ZK-Abteilung bestand darin, das leitende Militärpersonal in den Stäben und Verbänden zu beurteilen und auf die richtigen Positionen zu verteilen. Ihre Mitarbeiter, meist höhere Offiziere (Oberste), waren gehalten, mit der Abteilung Kader des MfNV in Strausberg bei Berlin eng zu kooperieren. Die ZK-Mitarbeiter der Abteilung des Sektors NVA arbeiteten nach dem Prinzip der Richtungszuständigkeit, was bedeutete, dass z.b. ein Offizier der Abt.S für die Verbindung zum Bereich Technik und Bewaffnung im Ministerium verantwortlich war, ein anderer Offizier Kontakt zum Kommando der Landstreitkräfte in Potsdam oder zum Militärbezirk III in Leipzig hielt. Für jeden Strukturbereich der NVA gab es einen verantwortlichen Offizier in der ZK-Abteilung, der für die betreffende Dienststelle zuständig war und diese beobachtete und überwachte. Diese höheren Offiziere des zentralen Parteiapparats hatten Zugang zu allen militärischen Bereichen, nahmen an Stabsübungen und Manövern teil, besuchten wichtige Dienstund Parteiversammlungen, Konferenzen und Beratungen, sammelten überall Informationen über Probleme des Dienstes in der NVA und über das Führungspersonal. Per Hausmitteilung der Abt. S gingen dem ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen ständig aktuelle Berichte zu, die diesen über alle wichtigen Vorgänge in der NVA informierten. Die Zusammenarbeit zwischen der Abt. S mit dem DDR- Verteidigungsministerium entwickelte sich aber längst nicht immer problemlos, insbesondere über Personalfragen kam es relativ häufig zu Konflikten. Das MfNV arbeitete auf der Grundlage von Beschlüssen des ZK der SED bzw. seines Politbüros, der Gesetze der DDR und der Direktiven, Anordnungen, Festlegungen und Beschlüsse des Ministerrates sowie ab 1960 des NVR. Das Haus leitete bis 1960 Willi Stoph, bis 1985 Heinz Hoffmann und danach bis zum Herbst 1989 Heinz Keßler. Dem Ministerium unterstanden die drei Teilstreitkräfte (Landstreitkräfte; Luftstreitkräfte/ Luftverteidigung; Volksmarine) und die Grenztruppen der DDR. Seit 1976 gehörte auch die Zivilverteidigung zum MfNV. Mitte der achtziger Jahre zählten die NVA-Landstreitkräfte knapp Angehörige, die Luftstreitkräfte bzw. Luftverteidigung Soldaten und die Volksmarine Uniformträger. Die Landstreitkräfte gliederten sich in zwei Militärbezirke, denen jeweils zwei Mot.-Schützendivisionen und eine Panzerdivision unterstellt waren, die Luftstreitkräfte verfügten über zwei Luftverteidigungsdivisionen und die Volksmarine über drei Flottillen. Die Raketenkräfte der NVA, deren Projektile Atomsprengköpfe tragen konnten, die die Sowjets unter Verschluss hielten, unterstanden direkt dem MfNV. Von Anfang an verfügte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) im MfNV mit der Hauptabteilung I über eine eigene, von der NVA unabhängige Struktureinheit. Im Laufe der Jahre entwickelte sich diese so genannte Verwaltung 2000 zu einem Apparat, der flächendeckend in Truppe und Flotte die inoffizielle Durchdringung der jeweiligen Verantwortungsbereiche anstrebte und ein Spitzelsystem (IM) auf allen Ebenen etablierte. Dieses war angeblich vor allem deshalb notwendig, um Geheimnisverrat und Fahnenfluchten zu Auf Kontrolle wurde auch in der NVA nicht verzichtet. Die Stasi-Hauptabteilung I etablierte ein flächendeckendes Spitzelsystem auf allen Ebenen, angeblich um Geheimnisverrat und Fahnenfluchten zu verhindern und Zersetzungsversuche westlicher Geheimdienste abzuwehren. verhindern, staatsfeindliche Hetze zu unterbinden und Zersetzungsversuche westlicher Geheimdienste abzuwehren. 9 9 Vgl. dazu u.a.: Stephan Wolf: Hauptabteilung I: NVA und Grenztruppen. MfS-Handbuch, Teil III/13, hrsg. von der BStU, Berlin Foto: ADN-ZB/Mittelstädt, Bundesarchiv Bild

10 8 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Die Nationale Volksarmee: Fremdbestimmt von Anfang an Bewaffnung Da die DDR über keine eigene Rüstungsindustrie für schweres Wehrgerät verfügte (mit Ausnahme des Kriegsschiffbaus), waren die Verantwortlichen in der SED gezwungen, den Großteil der Waffen aus der UdSSR zu beziehen, die dafür auch die Preise und den Zeitpunkt der Lieferung diktierte. Eine Abhängigkeit mehr, die offiziell nie thematisiert wurde. Aus sowjetischer Produktion stammten unter anderem Panzer, Schützenpanzer, Artillerie, Flak, Flugabwehrraketen, Kurzstreckenraketen, militärisches Fluggerät aller Art sowie Handfeuerwaffen. Letztere durfte die DDR auch in Lizenz herstellen. Von einiger Bedeutung waren darüber hinaus Reparaturkapazitäten für Waffen und Gerät. Zur Hinterlassenschaft der NVA zählten 1990 mehr als 750 Flugzeuge und Hubschrauber, 200 Boote und Schiffe, Kampfpanzer, gepanzerte Fahrzeuge, Artilleriewaffen, Handfeuerwaffen und rund Tonnen Munition. Ausbildung der Berufsoffiziere und Führungskader Ökonom), danach Einsatz als Zugführer für 2 bis 3 Jahre, dann in der Regel für weitere 2 bis 3 Jahre Verwendung als Kompaniechef. Anschließend Bataillonskommandeurslehrgang und Einsatz im Bataillon. Ohne weitere akademische Qualifikation war der Aufstieg bis auf die Ebene Regiment oder Lehreinrichtung möglich, verbunden mit der Beförderung zum Major, seltener bis zum Oberstleutnant. Besonders befähigte und als politisch zuverlässig Entgegen allen Friedensbekundungen der DDR auf der politischen Bühne: Die Erziehung zum Hass auf den Feind sei unerlässlich, dozierten 1984 zwei ranghohe NVA-Offiziere in der Zeitschrift Militärwesen. Foto: ADN-ZB/Spremberg, Bundesarchiv Bild 183-N Die Einrichtungen zur Ausbildung von Berufsoffizieren sind in der Geschichte der NVA mehrmals umgestaltet und reorganisiert worden. Ab 1983 hatten angehende Offiziere ein vierjähriges Studium an Offiziershochschulen (OHS) zu absolvieren, das mit einem Diplom in den verschiedenen Profilen beendet wurde. Die größte OHS, die der Landstreitkräfte mit Sitz in Löbau und Zittau, bot 35 Ausbildungsprofile an, unter anderem für Kommandeure von Mot.-Schützen- und Panzereinheiten, von Artillerie-Einheiten und Raketentruppen oder von Pionier-Einheiten. Die Gesamtausbildungszeit umfasste etwa Stunden, davon waren 20 % der gesellschaftswissenschaftlichen Ausbildung gewidmet (bei Politoffizieren: 50 %). Folgender Werdegang bei Ausbildung und Verwendung wurde den künftigen Offizieren in Aussicht gestellt: Beginn des Studiums an der OHS nach dem Abitur im Alter von 18 Jahren, Abschluss mit 22 Jahren (mit der Ernennung zum Leutnant und Verleihung des ersten akademischen Grades z.b. als Diplom-Ingenieur, Diplom- Gesellschaftswissenschaftler oder Diplom- geltende Offiziere, etwa 10 %, konnten an der Militärakademie in Dresden oder an sowjetischen Lehreinrichtungen ein (weiteres) Studium von 3 Jahren absolvieren und dann als Stabschef eines Regiments oder in Stäben einer Division den Dienstgrad Oberstleutnant oder Oberst erreichen. Offiziere der NVA, die für Spitzenfunktionen (Führungskader) vorgesehen waren, besuchten die Akademie des sowjetischen Generalstabs in Moskau (2 Jahre). Politische Erziehung und inneres Gefüge Die Partei- und Armeeführung führte seit den fünfziger Jahren in der Truppe eine Hass- und Feindbilderziehung ein, die trotz massiven Mitteleinsatzes ihr Ziel nie erreichte. Im Zentrum dieser Bemühungen standen Versuche, die NVA-Angehörigen von der Aggressivität des Klassengegners im Westen zu überzeugen. Die Bundeswehr warte nur auf eine Gelegenheit, die DDR zu überfallen und deren Soldaten seien antikommunistisch verhetzte Söldner, eingeschworen auf die außenpolitischen Ziele der Monopolbourgeoisie. 10 Angenommen wurden diese Feindbilder von der Mehrheit der NVA-Angehörigen nicht, auch gab es hinter den Kulissen in den Führungsgremien von Partei und Armee offenbar Meinungsverschiedenheiten über den Sinn dieser Art von Erziehung. Andererseits versuchten Mitte der achtziger Jahre Stabsoffiziere, eine stärkere Berücksichtigung des geistigen Faktors im DDR-Militärwesen durchzusetzen, die Soldaten zum Kampf- und Siegeswillen zu erziehen und ihnen eine ideologische Standfestigkeit gegenüber dem Klassenfeind zu vermitteln. Teil des geistigen Faktors sollte nach dem Willen dieser Leute der Hass auf den Feind sein, den man seit den fünfziger Jahren empfahl. Dieser Hass sei nach wie vor unerlässlich, um das geistige Potential des Sozialismus zu einem Überlegenheitsfaktor zu machen. 11 Im Herbst 1988 leugnete DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler im Interview mit der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT, dass es in der DDR bzw. in der NVA ein Feindbild oder eine Hasserziehung gebe. Im Lichte der Öffentlichkeit mochte man zur eigenen aggressiven Rhetorik nicht stehen das hätte nun überhaupt nicht zu 10 Militärgeschichte der BRD. Abriß bis zur Gegenwart. Hrsg. von einem AK unter Ltg. von Oberst Dr. sc. Tibor Dobias, 1. Aufl., Berlin(Ost) 1989, S Oberst K.-H. Licht / Oberstleutnant H.-J. Lange: Der geistige Faktor im sozialistischen Militärwesen, in: Militärwesen, 28. Jg. (1984), Heft 10, S. 38.

11 Horch und Guck 4/2010 Heft 70 9 der nach außen gern zur Schau gestellten Friedenspolitik der SED-Spitze gepasst. Angesichts hoher Dienstzeitbelastung vor allem für Truppenoffiziere, die oft 50 bis 60 Wochenstunden in ihrer Einheit verbringen mussten, und eines Bereitschaftsgrades der NVA von 85 Prozent kostete es Mühe, die Soldaten im Sinne der Verantwortlichen zu motivieren. Das war nur zu erreichen, weil sich der größte Teil der Berufs- und Zeitsoldaten bis Mitte der achtziger Jahre mit dem politischen System weitgehend identifizierte. Insgesamt galt die Bindung der Berufssoldaten an die SED als eng und deren Einfluss auf das Denken und Verhalten als relativ stark. 12 Anders bei den Wehrpflichtigen: Sie sahen den Sinn ihres Dienstes in der NVA oft nicht ein und nahmen Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit wie z.b. das Verbot des Empfangs westlicher elektronischer Medien nur widerstrebend hin. Auch standen sie der militärischen Hierarchie oft kritisch gegenüber. Das seit Ende der siebziger Jahre eingeführte Fach Wehrerziehung in der Schule und die obligatorische vormilitärische Ausbildung in der Gesellschaft für Sport und Technik hatten die männlichen Jugendlichen zwar auf die NVA vorbereitet, aber die Umgangsformen bei der Fahne schockierten dann doch viele Einberufene. Militärischer Drill, absolute Befehlsgewalt und die berüchtigte EK-Bewegung (EK stand für Entlassungskandidat ) ließen die Ideologie und Feindbildpropaganda in den Hintergrund treten. Die wehrpflichtigen Soldaten hielten untereinander mehrheitlich zusammen, wenigstens die des gleichen Diensthalbjahres, also diejenigen, die zum gleichen Zeitpunkt eingezogen worden waren. Störend und belastend wirkte sich auf das Alltagsleben in der Kaserne die Tatsache aus, dass seit den sechziger Jahren bei den Wehrdienstleistenden eine ungeschriebene Altersrangordnung in Kraft war, in der sich die Angehörigen des 2. und 3. Diensthalbjahres Sonderrechte und Führungsfunktionen anmaßen, die das innere Gefüge der NVA schwer beschädigten und einen menschenunwürdigen Umgang etablierten. So zogen etwa die Soldaten des 12 Oberst a.d. Kurt Held: Soldat des Volkes? Über das politische Selbstverständnis des Soldaten der Nationalen Volksarmee, in: Detlef Bald (Hrsg.): Die Nationale Volksarmee, aao, S. 65 ff. (S. 68 f.). 2. und 3. Diensthalbjahres Kameraden des 1. Diensthalbjahres zu persönlichen Hilfsund Putzdiensten heran, für die es keinerlei Berechtigung gab. Auch Schikanen und Spiele ausschließlich zur Belustigung der älteren Diensthalbjahre waren nicht selten. Wehrten sich die neu eingezogenen Soldaten, konnte es zu körperlichen Misshandlungen kommen. Beim Übergang von Diensthalbjahr zu Diensthalbjahr entstanden ferner männliche Rituale, ebenso für die letzten Tage vor der Entlassung, die von Alkoholexzessen und Schlägereien begleitet waren. Diese als EK-Bewegung bezeichneten Vorgänge wurden von den Vorgesetzten oft stillschweigend geduldet, nicht zuletzt deshalb, weil sich die zusätzliche Hierarchisierung durch die tolerierten Vorrechte für dienstältere Soldaten als Erziehungshilfe und Disziplinierungsmittel eigneten. Man sprach sogar davon, dass die Vorgänge letztlich systemstabilisierend gewesen seien. 13 Die NVA im letzten Jahr der DDR Mit der Friedlichen Revolution vom Herbst 1989 veränderte sich auch die NVA. Sie verlor nacheinander die zwei wichtigsten, bei ihrer Gründung existenzstiftenden Identitätsmerkmale. Zum einen wurde der 13 Oberst a.d. Dr. Klaus-Peter Hartmann: Zu den Dienst- und Lebensbedingungen in der NVA (November 2000), in: Was war die NVA?, aao, S. 270 ff. (S. 277); Klaus-Peter Möller: Der wahre E. Ein Wörterbuch der DDR-Soldatensprache, Berlin 2000, S. 15. unter Gregor Gysi einsetzende allgemeine Rückzug der SED-PDS aus ihren Kontrollfunktionen der staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen nun auch in der Armee umgesetzt. In den ersten Monaten des Jahres 1990 wurden die Politische Hauptverwaltung und die angegliederten SED-Organisationsstrukturen in der NVA aufgelöst. Mit dem Rückzug der führenden Partei verschwand auch die ideologisch begründete Rolle der NVA als Mittel im Klassenkampf. Zum anderen wurde im Verlaufe der Entwicklungen die Fremdbestimmung durch die sowjetische Präsenz bedeutungslos. Zurück blieb eine Armee, die mit der ab März/April 1990 absehbaren Wiedervereinigung ihrer Übernahme durch den einstigen Klassenfeind entgegensah. In dieser Zeit entstand in der NVA ein neues geschichtliches Selbstverständnis nach dem man als Soldat nach bestem Wissen und Gewissen treu seinem Land gedient hätte. Mit dieser subtilen Umdeutung der Rolle 2. Oktober 1990: Am Vorabend der Übernahme der NVA durch die Bundeswehr werden die Truppenfahnen zweier Bataillone in Bad Düben eingerollt. der NVA wollte man sich nun als Soldat präsentieren, der wie alle Soldaten in westlichen Demokratien auch dem Primat der Politik unterworfen gewesen sei. Dieser Gedankengang bildete eine Brücke, über die ein Teil der Offiziere und Zeitsoldaten im Oktober 1990 anlässlich der Übernahme der NVA durch die Bundeswehr den Weg in die Streitkräfte des einstigen Feindes fand, während andere NVA-Angehörige mit dem Ende der DDR und ihrer Armee den Dienst mehr oder weniger freiwillig quittierten. PJL Foto: ADN-ZB/Gahlbeck, Bundesarchiv Bild

12 10 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Marschbereit in Richtung Osten Michael Kubina Marschbereit in Richtung Osten Die NVA und Polen 1980/ entwickelte sich in Polen aus zunächst wirtschaftlich motivierten Streiks eine breite Bewegung für nationale Selbst bestimmung und Demokratisierung. Die kommunistische Regierung musste am 31. August im Danziger Abkommen dem kurz zuvor gebildeten überbetrieblichen Streikkomitee weit reichende Zu geständnisse machen. Das wichtigste war die Zulassung der Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft, der Gewerkschaft Solidarność. Die SED-Führung erhielt seit dem 12. August 1980 mehrmals täglich Blitztelegramme aus Warschau über die dortige Entwicklung. Ab dem 18. August, dem Tag, an dem das überbetriebliche Streikkomitee mit seinen 21 Forderungen der Partei den politischen Kampf ansagte, kamen täglich Informationsberichte der Verwaltung Aufklärung der Nationalen Volksarmee (NVA) aus Warschau. Am 19. August wurde gemeldet, dass mit einer weiteren Verschärfung Dr. Michael Kubina, Dr. phil. geb. l958 in Brandenburg/Havel, Historiker und Redakteur, Studium der Theologie am Sprachenkonvikt in Ost- Berlin, der ost- und südosteuropäischen Geschichte, Slawistik und Politologie an der Freien Universität Berlin, Forschungsschwerpunkte Geschichte des Kommunismus, Geschichte der deutschen Teilung, Redaktionsmitglied bei der Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat (ZdF). Publikationen siehe: michael_kubina.html der Lage zu rechnen sei. Ziel der konterrevolutionären Kräfte sei die Beseitigung der sozialistischen Staatsordnung. Es müsse mit dem Einsatz bewaffneter konterrevolutionärer Kräfte gerechnet werden. 1 In den Berich ten wird immer wieder die Möglichkeit einer militärischen Intervention erörtert. 2 All die Berichte an die SED- und NVA- Führung lesen sich so, als sollten sie vor allem Antwort geben auf die Frage, ob die polnischen Genossen zur Niederschlagung der Streikbewe gung bereit und in der Lage sind oder nicht. Und alle diese Berichte klangen zunehmend skeptisch. Ende September legte die ZK-Abteilung Internationale Verbindungen eine umfangreiche Analyse der Lage in Polen vor, die unter anderem auch eine Vergleichende Einschätzung der Programme und Forderungs dokumente der antisozialistischen Kräfte in der VR Polen und in der ČSSR 1968 enthielt. 3 Für Honecker, dem das Politbüro darin folgte, war klar, dass die PVAP vor der Konterrevolution kapituliert hatte und eine militärische Intervention nach dem Muster von Prag 1968 in den Blick genommen werden musste. Er war fassungslos über die Entwicklung in Polen und irritiert von der Zurückhaltung Moskaus. Als am 11. November Polens Oberstes Gericht die Gewerkschaft Solidarność zuließ, ohne dass die führende Rolle der PVAP von der Gewerkschaft anerkannt 1 Information zur Lage in Polen, Militärisches Zwischenarchiv Potsdam (MZAP) Strb AZN 28895, Bl Die einstigen Akten des MZAP befinden sich inzwischen im Militärarchiv in Freiburg/Br. 2 S. beispielsweise die Information zur Lage in Polen vom , MZAP Strb AZN 28895, Bl S. Michael Kubina / Manfred Wilke (Hg.): Hart und kompromißlos durchgreifen. Die SED contra Polen 1980/81. Geheimakten der SED-Führung über die Unterdrückung der polnischen Demokratiebewegung, Berlin 1995, Dok. 6. Wird im Folgenden auf Dok. plus Nummer verwiesen, dann bezieht sich dies immer auf diesen Band. werden musste, war für ihn jenes Maß an Kapitulantentum in der PVAP erreicht, das ein Eingreifen von außen unabdingbar erscheinen ließ. 4 Zwei Tage später meinte Staatssicherheitschef Erich Mielke in einem vertraulichen Gespräch mit dem Ministerratsvorsitzenden Willi Stoph, Honecker seien die Ereignisse in Polen in die Knochen gefahren. Er hat Angst, dass es in der DDR auch zu Schwierigkeiten kommt, habe Honecker doch fest damit gerechnet [ ], dass die Sowjetunion in Polen einmarschiert. 5 Brandbrief nach Moskau Am 26. November wandte sich Honecker schließlich mit einem Brandbrief, zu dem er sich schon Ende September vom Politbüro die Vollmacht hatte geben lassen, 6 an Moskau. Er appellierte an Breschnew, dass wir uns für einen Tag in Moskau treffen gleich nach der Tagung des ZK der PVAP, 7 deren Beschlüsse, nach unserer Vorstellung, die Entwicklung der Ereignisse in Polen nicht mehr gründlich werden ändern können. Auf dem Treffen sollten kollektive Hilfe maßnahmen für die polnischen Freunde bei der Überwindung der Krise ausgearbeitet werden. Kollektive Hilfemaßnahmen stand seit Prag 1968 für die militärische Intervention. Gestern, so Honecker in dem Brief, wären unsere gemeinsamen Maßnahmen vielleicht vorzeitig gewesen, heute sind sie notwendig, aber morgen können sie schon verspätet sein. 8 Breschnew stimmte zu. 4 Siehe Fußnote 3, Dok Information über ein Gespräch zwischen W. Stoph und E. Mielke am , Werner Krolikowski, in: Przybylski, Tatort Politbüro. Die Akte Honecker, Berlin 1991, S Siehe Fußnote 3, Dok Gemeint ist das 7. ZK-Plenum am 1. und Siehe Fußnote 3, Dok. 13.

13 Horch und Guck 4/2010 Heft Wir konnten ja jederzeit losfahren Richtung Osten. Vorbereiteter NVA-Aufmarschplan 1981 Quelle: Militärisches Zwischenarchiv Potsdam (2) Für den 5. Dezember wurde eiligst ein geheimes Treffen der führenden Vertreter der Warschauer Vertragsstaaten einberufen, zwei Tage zuvor trafen sich bereits die Verteidigungsminister. In der Nacht vom 27. zum 28. November um 1.00 Uhr meldete der Militär attaché bei der DDR-Botschaft in Warschau, das PVAP-Politbüro habe beschlossen, bei Verschlechterung der Lage den Ausnahmezustand zu verkünden. Noch am selben Tag könne damit gerechnet werden. Generaloberst Fritz Streletz, Stellvertreter des DDR-Verteidigungsministers und Chef des Hauptstabes der NVA, reichte die Meldung umgehend an Verteidigungsminister Heinz Hoffmann weiter mit dem Vorschlag im Interesse einer schnellen Reaktion auf die mögliche Verkündung des Ausnahmezustandes sofort zu einer verschärften Grenzsicherung überzugehen und die stabsmäßige Formierung der zum Einsatz vorgesehenen 3 Bataillonsstäbe und 9 Grenzkompanien vorzubereiten mit dem Ziel, dass ihr Einsatz [ ] innerhalb von Stunden nach Erteilung des Befehls durch Hoffmann erfolgen könne. 9 Am Morgen trat das Politbüro zu einer Sondersitzung zusammen zum ersten und letzten Mal in seiner Geschichte im Sitz des DDR- Verteidigungsministeriums in Strausberg. Einziger Tagesordnungspunkt war die Lage in Polen. Das Politbüro bevoll mächtigte Honecker, in Abstimmung mit dem ZK der KPdSU notwendige Maß nahmen zu treffen. 10 In der folgenden Nacht avisierte Streletz gegenüber dem Chef des sowjetischen General stabs, Marschall Nikolai Ogarkow, Generaloberst Stechbarth, Ministerstellvertreter und Chef der Landstreitkräfte, als NVA-Vertreter für die Vorbereitungen der gemeinsamen Ausbildungs maßnahme so die Tarn bezeichnung für die Interventionsplanungen. Hoffmann meldete am 30. November, wieder unter Berufung auf den DDR-Militärattaché, dass führende Genossen der PVAP die Meinung vertreten, dass eine Konfrontation mit der Konter- 9 Siehe Fußnote 3, Dok Siehe Fußnote 3, Dok. 14. revolution immer unvermeidbarer werde und sie dabei Hilfe von außen erwarten. 11 Honecker konnte sich bestätigt sehen. 12 Der Gegenschlag schien unmittelbar bevorzustehen. Am 1. Dezember traf Generaloberst Stechbarth in Begleitung weiterer NVA-Offiziere mit einer Sondermaschine in Moskau ein. Noch am selben Tag wurden die Vertreter der NVA, der tschechoslowakischen und der polnischen Armee in die gemeinsame Ausbildungsmaßnahme [ ] auf dem Territorium der VR Polen eingewiesen. Die nationalen Kommandos hatten die Bereitschaft bis , Uhr, zur Teilnahme an der Übung herzustellen, die Übungsunterlagen vorzubereiten und auf Signal mit den Handlungen zu beginnen. Zur Vorbereitung auf die Übung war unter anderem die verstärkte politische Arbeit 11 Siehe Fußnote 3, Dok S. ausführlich Michael Kubina: Wollte Honecker eine militärische Intervention in Polen? Moskaus Mann im SED- Politbü ro und die Krise in Polen im Herbst 1980, in: Zeitschrift des Forschungsver bundes SED-Staat, Nr. 6/1998, S

14 12 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Marschbereit in Richtung Osten unter den Armeeangehörigen sowie die Mobilmachung bzw. Einberufung von Politstellvertretern für die Panzer kompanien, medizinischem Personal, Kräften für die Feldbäckerei kompanie und andere Sicherstellungseinheiten, juris tischem Personal für die Militärstaats anwaltschaft und das Militärgericht vorgesehen. Zudem sollten die SED-Chefs der Grenzbezirke, der Innenminister und der Chef der Volkspolizei in die Maßnahme eingewiesen werden. 13 Am 2. Dezember ließ sich Honecker vom Politbüro bevoll mächtigen, die sich aus der Situation ergebenden erforderlichen Maßnahmen zu treffen. 14 Einmarschpläne In der NVA lief nun alles auf Hochtouren, um im Ergebnis des Moskauer Treffens und nach entsprechendem Befehl nach Polen marschieren zu können. Die entsprechenden Dokumente sind in einem geschlossenen Dossier im Militärarchiv überliefert. Am 6. Dezember erließ Hoffmann den Befehl Nr. 118/80. Auf ihm beruhen alle weiteren Maßnahmen zur militärisch-operativen Vorbereitung der NVA-Truppen für eine militärische Intervention im Rahmen des Warschauer Vertrages in Polen. Auf dem Geheimtreffen in Moskau konnte sich Honecker jedoch mit seiner Forderung nach einem sofortigen militärischen Eingreifen nicht durchsetzen. Die Polen versprachen, selbst die Solidarność zu entmachten. 15 Doch Honecker traute der polnischen Führung nicht mehr. In den kommenden Monaten drängte er Moskau immer wieder zu einem entschiedeneren Vorgehen gegenüber Polen und darauf, dass Marxisten- Leni nisten die Führung der PVAP übernehmen. 16 Am 12. Mai reisten, auf Vorschlag Honeckers, der tschechoslowakische Staats- und Parteichef Gustáv Husák und er selbst zu einem geheimen Minigipfel nach Moskau. Honecker setzte seine Gesprächspartner geradezu einem Trommelfeuer an Informationen über die in seinen Augen in jeder Hinsicht katastrophale Lage in Polen und in der PVAP aus. Als die sowjetischen Genossen erklärten, dass sie ein militärisches Eingreifen in der gegenwär- 13 Siehe Fußnote 3, Dok Siehe Fußnote 3, Dok S. Kubina / Wilke: Hart und kompromißlos, S. 24 ff. 16 Ebd., S. 33 ff. tigen internationalen Lage nicht für möglich halten, meinte Honecker kleinlaut, er sei auch gegen einen Einmarsch, betonte jedoch, dass die Verbündeten laut Warschauer Vertrag das Recht dazu hätten. 17 Honecker setzte insgeheim weiter auf Intervention, deren mögliche weltpolitische Folgen für ihn anscheinend von sekundärer Bedeutung waren. Polen werde auf keinen Fall preisgegeben, versicherte er im September bei einem Kurzbesuch in Kuba gegen über Fidel Castro. Als dieser die Möglich keit einer Blockade Kubas durch die USA im Falle einer Intervention in Polen ins Spiel brachte, tönte Honecker: Dann werden wir die Blockade durchbrechen. 18 Wenige Tage zuvor hatte der 1. Landeskongress der Solidarność sich mit einer Botschaft an die Werktätigen Ost europas gewandt und ihnen Unterstützung beim Kampf um freie Gewerkschaften an geboten. In Honeckers Augen kam dies einer Kriegserklärung gleich. DDR-Botschafter Horst Neubauer protestierte auftragsgemäß in Warschau und sprach in einem Blitz telegramm nach Berlin fassungslos von Konzeptionslosigkeit und Nachgiebigkeit der polnischen Führung gegenüber einem immer frecheren Auftreten der Konterrevolution. 19 Moskau scheute trotz alledem davor zurück, sich neben Afghanistan in ein zusätzliches militärisches Abenteuer mitten in Europa zu stürzen. Nach dem, was wir heute wissen, spricht vieles dafür, dass Moskau eine militärische Intervention um fast jeden Preis vermeiden wollte und ein Einmarsch in Polen selbst bei einer Machtübernahme durch Solidarność nicht zwangsläufig war. Doch das ist letztlich Spekulation, denn die Verhängung des Kriegsrechts durch General Jaruzelski am 13. Dezember 1981 machte eine Inter vention überflüssig. 20 Henry Köhler, der Autor einer Arte- Dokumentation zum Thema, 21 an deren Entstehung der Autor dieses Beitrages 17 Siehe Fußnote 3, Dok Siehe Fußnote 3, Dok Siehe Fußnote 3, Dok Kurz und prägnant Wilfried Loth: Eine sowjetische Intervention abgewendet?, in: FAZ, Nr. 256, , S. 11. Einen guten Überblick und Links zu wichtigen Primär- und Sekundärtexten bietet der Wikipedia Artikel Soviet reaction to the Polish crisis of ( en.wikipedia.org/wiki/soviet_reaction_to_the_polish_crisis_of_1980%e2%80% (Stand )) 21 Panzer gegen Polen. Honeckers Geheimplan gegen Solidarność. Eine Dokumentation von MDR und ariane film gmbh im Auftrag von arte, Erstsendung beteiligt war, nicht jedoch an der Abfassung der befremdlichen Endfassung, ignoriert souverän und offenkundig beratungsresistent den Forschungsstand. Stattdessen lässt er völlig unhinterfragt Jaruzelski seine Geschichte erzählen, wonach er mit dem Kriegsrecht Polen vor der Intervention und möglicherweise die Welt sogar vor einem Krieg gerettet hat. Das gelingt Köhler nicht zuletzt auch deshalb, weil er Solidarność in seinem Film primär mit Chaos und nicht etwa mit Freiheit verbindet und keinen Polen zu Wort kommen lässt, der mit Solidarność auch nur sym pathisiert hat. Dazu passt, dass er es weitgehend DDR- Botschafter Neubauer überlässt, die Entwicklung in Polen zu schildern. Im Film rühmt er sich, da schon sehr dicht am Ball gewesen zu sein. Jaruzelski, auch davon kein Wort in dem Film, muss sich derzeit wegen kommunistischer Verbrechen in Polen vor Gericht verantworten. Immerhin bittet er heute um Verzeihung für das Leid und Unrecht, das vielen Menschen unter seinem Kriegsrecht zugefügt worden ist. 22 Aus der SED-Führung ist derartiges, etwa in Bezug auf Mauer und Schiess befehl, bis heute nicht zu hören. Egon Krenz kann sich an die entscheidende Politbürositzung in Strausberg angeblich nicht erinnern und fragte, auf die Interventionsplanungen angesprochen: Woher haben Sie den Witz? 23 Auch die DDR-Generalität leugnet, allen Beweisen zum Trotz, jegliche Einmarschpläne und -absichten oder hüllt sich in Schweigen. Prof. Wolfgang Markus, hochrangiger NVA-Offizier und einst für die Ausbildung von Politoffizieren zuständig, gestand jedoch bereits 1995: Dokumente und Zeitzeugen beweisen eindeutig, dass die NVA [ ] aktiv an der Vorbereitung von militärischen Interventions handlungen gegen Polen beteiligt war. 24 Nicht ein General war bereit, sich gegen über Köhler, der 22 Ich bitte um Verzeihung, in: Superillu, Nr. 42, , S , für das komplette Interview: (Stand ) 23 Zit. nach Das war die DDR Eine Geschichte des anderen Deutschland, hg. von Wolfgang Kenntemich, Manfred Durniok und Thomas Karlauf, Berlin 1996, S Wolfgang Markus: Die NVA und die Ereignisse in Polen 1980/81, in: Die Nationale Volksarmee im Kalten Krieg. Militä risches Denken und handeln an Schnittpunkten des Kalten Krieges. Zur Rolle der NVA in internationalen Krisen und Konfliktsituationen, hg. von Andreas Prüfert, Bonn 1995, S , hier S. 106 und 111.

15 Horch und Guck 4/2010 Heft durchaus über langjährige und gute Kontakte ins Milieu verfügt, vor der Kamera zu äußern. Signal Wintermarsch Außerhalb der obersten politischen und militärischen Führungen der Staaten des Warschauer Paktes wusste jedoch damals niemand etwas von der Entscheidung Moskaus vom 5. Dezember 1980, nicht einzumarschieren, und schon gar nicht davon, dass in der Moskauer Führung in den kommenden Monaten grundsätzlich die Überzeugung wuchs, dass das Problem Polen mit einer militärischen Intervention nicht zu lösen war. Die Menschen in Ost und West, auch die NVA-Soldaten, hatten Prag 1968 noch im Kopf und wenig Grund, daran zu zweifeln, dass Moskau im Falle Polens ebenso handeln würde. Es sollte auch niemand daran zweifeln. Die mili tärische Drohkulisse blieb deshalb erhalten. Der Spiegel titelte damals gar Aufmarsch gegen Polen. Unter Berufung auf ameri kanische Militärkreise meldete die US-Fernsehgesellschaft ABC, 60 Generäle und 200 Offiziere der polnischen Armee hätten in einem Schreiben an das ZK der PVAP mit Widerstand gedroht, falls NVA-Truppen in Polen einmarschieren würden. 25 In und um Polen wurde ein 25 Das wäre eine Katastrophe für Polen, in: Der Spiegel H. 50, , S Militärmanöver nach dem anderen durchgeführt und der Befehl 118/80 des DDR- Verteidigungsminis ters für die als gemeinsame Ausbildungsmaßnahme getarnte Intervention wurde nicht aufgehoben. Im Gegenteil, nach seiner Rückkehr aus Moskau erließ Honecker am 10. Dezember 1980 in seiner Funktion als Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates mit sofortiger Wirkung und bis auf Widerruf Befehl Nr. 15/80, mit dem er die Einmarschvorbereitungen durch die Militärs absegnete und sich selbst den Einsatzbefehl vorbehielt. 26 Alles war vor bereitet, um nach Erhalt des Signals WINTERMARSCH innerhalb von drei Stunden in Polen einmarschieren zu können. 27 In dem erwähnten Dossier im Militärarchiv finden sich die entsprechend General Wojciech Jaruzelski gibt im polnischen Fernsehen die Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 bekannt. vorbereiteten Befehle. Nur Datum, Uhrzeit und Unterschrift fehlen noch. Erst im April 1982 kam aus Moskau die Weisung, alle Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Lage entwicklung in der VR Polen in den Vereinten Streitkräften vorbereitet und durchgeführt wurden, aufzuheben. Erst jetzt wurde auch der Befehl 118/80 über die gemeinsame Ausbildungsmaßnahme für die NVA außer Kraft gesetzt. Trotz dieser Drohkulisse erfasste die Polen in diesen Monaten ein Freiheits- und Siegestaumel. Zehn Millionen Polen wurden 26 Siehe Fußnote 3, Dok Siehe Fußnote 3, Dok. 23. innerhalb weniger Wochen Mitglied der neuen Gewerkschaft, das war rund ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung Polens. Das ganze Land war mit Solidarność- Fahnen beflaggt und fast jede Hauswand mit Solidarność-Plakaten tapeziert. Für eine ganze Generation war die Erfahrung von Freiheit und Selbstbestimmung dieser Monate ein Schlüsselerlebnis, übrigens auch für den Autor, der im Sommer 1981 im Freiheitsrausch durch Polen reiste und für sich die Erkenntnis von der Endlichkeit des Kommunismus in die DDR mitbrachte. Bis zum 31. Oktober 1980 wurden wegen Sympathie bekundungen für Polen aber immerhin 41 Personen inhaftiert. 28 Reaktionen in der NVA Doch wie reagierten die Soldaten und Offiziere, die nach dem Willen von SED- und NVA-Führung hätten einmarschieren sollen? Auf der Basis welcher Informationen konnten sie sich ein Urteil bilden? Außerhalb der Armee war es immerhin möglich, sich über die Westmedien ein Bild von der Lage in Polen zu machen. In der Armee waren Westfernsehen oder das Hören westlicher Rundfunksender jedoch verboten. Zudem war jeder Genosse (die große Mehrheit der Berufssoldaten war SED- Mitglied) nach Ausbruch der Krise noch einmal ausdrücklich ermahnt worden, sich über die Entwicklung in Polen nur auf der Grundlage der SED-Veröffentlichungen zu informieren. Das war leichter gesagt als getan. Denn bis Ende 1980 nahm die SED aus Unsicherheit kaum selbst öffentlich Stellung zur Entwicklung in Polen, von Anfang November bis Mitte Dezember 1980 wurden in der DDR-Presse überhaupt keine eigenen Beiträge zu Polen veröffentlicht, sondern lediglich Berichte anderer Zeitungen nachgedruckt. 29 Unter solchen Bedingungen wurde der schlichte Versuch, sein Informationsbedürfnis Quelle: Privatarchiv 28 S. Monika Tantzscher: Was in Polen geschieht, ist für die DDR eine Lebensfrage! Das MfS und die polnische Krise 1980/81, in: Materialien der Enquete-Kommission Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland, hg. vom Deutschen Bundestag, 9 Bde., Baden-Baden und Frankfurt a.m. 1995, Bd. V/3, S , hier S Johannes Kuppe / Thomas Ammer: Die Haltung der SED zur Lage in Polen im Spiegel der DDR-Presse, Bonn Januar 1981, S. 26.

16 14 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Marschbereit in Richtung Osten irgendwie zu befriedigen, schnell zu einer partei- und staatsfeindlichen Handlung, etwa wenn in einer NVA-Flottenschule Offiziere deutsch sprachige polnische Zeitungen vervielfältigten und verbreiteten, offizielle wohlgemerkt, keine Samisdat-Produkte. Nichtsdestoweniger galten diese Zeitungen nunmehr in der DDR faktisch als lllegal. Die beiden Hauptbeteiligten wurden wegen schwankender Haltung zur Politik der Partei und grober Verletzung der Parteidisziplin aus der SED ausgeschlossen. In der Regel zogen Parteiausschlüsse auch berufliche Konsequenzen nach sich. Bei häufigen Manövern rollten NVA-Panzer schon in Polen. Gefechtsübung am 14. August 1981 Zur Jahreswende 1980/81 kam im Marinehubschraubergeschwader 18 ein Arzt nur deshalb ins Visier der Parteikontrolleure, weil er die unzureichende Berichterstattung der DDR-Medien über Polen kritisiert hatte. Im Sommer 1981 mussten sich etliche Offiziere und Unteroffiziere der Küstenraketenabteilung 18 und der Politabteilung der 6. Grenzbrigade wegen Verletzung der revolutionären Klassenwachsamkeit einem Parteiverfahren aussetzen, da sie eine handgeschriebene Übersetzung der Thesen der PVAP zum IX. außerordentlichen Parteitag gelesen hatten. Dies alles war kein widerständiges, höchstens ein nonkonformistisches Verhalten, und es war trotzdem die absolute Ausnahme. Nichtsdestoweniger wurde es von der SED sofort geahndet. Aus der SED flog auch, wer es wagte, Kritik an der Grenz schließung nach Polen zu üben. 30 Im Großen und Ganzen konnten SED- und NVA-Führung aber ganz beruhigt sein. Auch in der NVA verloren die Streikenden schnell an Sympathien, sofern sie denn überhaupt vorhanden gewesen waren. In einem Auswertungsbericht zu einer Übung der NVA mit der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte (GSSD) im Februar 1981 im Raum Cottbus unweit der Grenze nach Polen heißt es: Besonders hervorgehoben werden muss die hohe politische und militärische Einsatzbereitschaft der kurzfristig einberufenen Reservisten [ ]. Ein großer Teil der Reservisten brachte zum Ausdruck, dass sie die überraschende Einberufung auf eine mögliche Hilfeerweisung der Deutschen Demokratischen Republik gegenüber der Volksrepublik Polen zurückführen, die sie begrüßen würden. 31 Die politische Arbeit wurde in den kommenden Wochen intensiviert, die Soldaten und Offiziere ideologisch für einen Kampfeinsatz in Polen konditioniert. In einem politischen Führungs dokument vom 20. März 1981, als sich die Krise in Polen abermalig verschärfte, wurde den Polit-Offizieren die Aufgabe gestellt, den Armeeangehörigen und Reservisten [ ] den Ernst der zugespitzten 30 S. Rüdiger Wenzke: Zwischen Prager Frühling 1968 und Herbst Protestverhalten, Verweigerungsmuster und politische Verfolgung in der NVA der siebziger und achtziger Jahre, in: ders. (Hg.): Staatsfeinde in Uniform? Widerständiges Verhalten und politische Verfolgung in der NVA, Berlin 2005, S , hier S. 312 ff. 31 Schreiben von Verteidigungsminister Hoffmann an Honecker MZAP VA 32641, Bl. 29. Foto: ADN-ZB/Gahlbeck, Bundesarchiv Bild 183-Z militärpolitischen Lage [ ] überzeugend zu erläutern und bewusstzumachen. Wer der Feind war, den es zu schlagen galt, war für jeden klar. Solidarność stand in den DDR-Medien längst für Konterrevolution. Solidarność griff den Sozialismus an und jeder Angriff auf den Sozialismus war als Angriff auf die DDR zu werten. 32 Angst vor dem Widerstand In der für den Einmarsch vorgesehenen 9. Panzerdivision war das Selbst verständnis ganz im Sinne der SED- und NVA-Führung. Man sah sich als Eliteeinheit, die von der Führung die Aufgabe übertragen bekommen hatte, im Ernstfall in Polen den Sozialis mus zu retten. Überlegenheitsgefühle gab es nicht nur gegenüber anderen NVA-Truppenteilen und -Einheiten, sondern auch gegen über den Polen. Hans-Joachim Jentzsch, damals junger NVA-Offizier, inzwischen Offizier der Bundeswehr, erinnert sich an ein Gespräch mit einem Soldaten, der meinte: Jetzt reicht s, jetzt gehen wir da rein. Die Polen müssen mal merken, was Ordnung ist. Das sei in seinen Augen schon heftig hart gewesen. Aber auch er sah sich als Elitesoldat, war bis 1989 überzeugt vom Sozialismus und seiner Aufgabe als Soldat. Zwar erinnert er sich an ein mulmiges Gefühl angesichts der Gefahr eines Partisanenkrieges. In Polen gäbe es ja noch Leute, die wüssten wie das gehe. Ethische oder moralische Bedenken, etwa in Anbetracht der Tatsache, dass deutsche Truppen 1939 schon einmal unter einem Vorwand in Polen einmarschiert waren, plagten ihn aber kaum. Belastender waren da schon die andauernden Ausgangsbeschränkungen. Jentzsch sorgte sich um seine hoch schwangere Frau, für die er nicht da sein konnte, aber nicht um Polen und dessen Freiheit. Auch Thomas Meier, Hubschrauberpilot, verspürte damals angesichts der Ungewissheit ein gewisses Gefühl von Angst, hatte er doch für seine Aufklärungsflüge seinen Kampfsatz an Munition ausgehändigt bekommen. Doch als junger Mensch habe er cool bleiben wollen und sich gesagt, das kriegen wir doch in den Griff hier. Die Anspannung blieb erhalten, da die Befehle nicht aufgehoben wurden: 32 S. Markus: Die NVA und die Ereignisse in Polen, S. 109.

17 Horch und Guck 4/2010 Heft Wir konnten ja jederzeit losfahren Richtung Osten. Jentzsch spricht noch heute flapsig von losfahren, nicht etwa davon, dass ein Krieg begonnen worden wäre. Soldaten sprache als Verdrängungshilfe. 33 Trotz intensiver politisch-ideologischer Arbeit in der Armee und besonders im Einsatz verband war die Einsatzbereitschaft aber wohl nicht durchgehend vorhanden. Generaloberst Heinz Kessler, damals stellvertretender Verteidigungsminister und Chef der Politischen Hauptverwaltung, musste im November 1981 vor NVA-Führungs kräften einräumen: Bei einem geringen Teil unserer Soldaten und Unteroffiziere gibt es hinsichtlich der Bereitschaft, ein Bruderland gegen Konterrevolution militärisch zu unterstützen, noch Vorbehalte. Sie sehen in solchen Handlungen eine Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Länder, die einen neuen Weltkrieg auslösen können. Deshalb, so meinen sie, solle die DDR nur mit friedlichen Mitteln Solidarität üben. Solche Auffassungen verdeutlichen, dass wir in der internationalistischen Erziehung die militärischen Konsequenzen des proletarischen Internationalismus noch wirksamer propagieren müssen. 34 Ausgehend von einer soziologischen Untersuchung unter Jagd fliegern wird geschätzt, dass es unter Offizieren bei etwa einem Viertel solche Vorbehalte gegeben hat, unter Unteroffizieren und Soldaten bei etwa einem Drittel. 35 Expliziter Widerspruch gegen eine mögliche Intervention war allerdings die absolute Ausnahme, zumindest unter den Offizieren. Bis heute sind ganze vier Fälle bekannt, in denen Offiziere sich gegen die SED-Politik gegenüber Polen und vor allem die Interventionsplanungen aussprachen. Ein Offizier des Aufklärungsbataillons der 9. Panzerdivision erklärte sogar, Befehle zur Erfüllung von Gefechtsaufgaben an der Grenze zu Polen zu verweigern. Alle vier wurden zum Soldaten degradiert und sofern sie 33 S. die Interviewpassagen in: Panzer gegen Polen 34 Zit. nach Markus: Die NVA und die Ereignisse in Polen, S. 110 f. 35 Ebd., S. 110 auch SED-Mitglied waren, aus der Partei ausgeschlossen. 36 Exemplarisch ist der Fall von Oberstleutnant Klaus Wiegand 37. Er war 1956 Soldat geworden und in die SED eingetreten. In der NVA machte Wiegand eine Bilderbuchkarriere. Zuletzt lehrte der Diplom-Historiker an der Militär politischen Hochschule in Grünau. Er schildert sich selbst als einen damals der Sache des Sozialismus treu ergebene[n] Offizier. Im Frühjahr 1981 erkannte er im Rahmen der Übung Sojuz-81, dass offenkundig Vorbereitungen für eine militärische Lösung der Krise in Polen getroffen wurden. Er war entsetzt, hätte eine Intervention aus seiner Sicht doch einen Dritten Weltkrieg auslösen können. 38 Hinzu kam, dass er in der Solidarność-Bewegung nicht in erster Linie die Konterrevolution erblickte, sondern sie als legitime Demokratiebewegung verstand. Wiegand wollte an der Hochschule über seine Besorgnis reden, setzte, wie er sagt, auf das kritische Denken anderer Offiziere, wollte ihnen vor Augen führen, wohin diese Eskalation steuern würde. Dass er sich Nach der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen kommen ab Mitte Dezember 1981 Lebensmittellieferungen mit Propagandabegleitung als sozialistische Hilfe aus der DDR. dabei auf die Klassiker des Marxismus/ Leninismus berief, machte die Sache offenbar noch schlimmer. Ein Offizier rief Verrat und kurz darauf wurde er aufgefordert, seine Waffe abzugeben und vom 36 Wenzke: Zwischen Prager Frühling, S. 316 ff. 37 Nicht zu verwechseln mit dem Generalmajor gleichen Namens. 38 Dietrich Mevius: Vom Oberstleutnant zum Soldaten, in: Volker Koop (Hg.): Erbe NVA. Eindrücke aus ihrer Geschichte und den Tagen der Wende, Waldbröl, 1993, S ; Werner H. Krause: Rebellion in der NVA-Hochschule Grünau, in: Junge Freiheit, Nr. 33, archiv99/339yy36.htm (Stand ). Dienst suspendiert. Offiziere, mit denen er jahrelang freundschaftlich verkehrt hatte, grüßten ihn nicht mehr. Jene Offiziere, die seine Lehrveranstaltungen besucht hatten, wurden einer Überprüfung durch die Staatssicherheit unterzogen. Es folgten demütigende Prozeduren, sein Parteiausschluss und am 10. Juli 1981 die Degradierung zum Soldaten wegen kapitulantenhafter Einstellung gegenüber der Entwicklung in Polen. Er verlor seine Lehrberechtigung und wurde aus der NVA ausgeschlossen. Erst nach mehr monatiger Arbeitssuche fand er eine Anstellung im Zivilbereich, als Lagerarbeiter im VEB Getränkekombinat in Berlin-Weißensee. Wiegand blieb unter MfS-Beobachtung wurde er rehabilitiert, gebracht hat es ihm nicht mehr viel. Dafür wurde er durch einen Staatssekretär aus dem Rainer Eppelmann unterstehenden Ministerium für Abrüstung und Verteidigung, da er sein Verhalten dem seiner Offiziers kameraden gegenübergestellt hatte, am 6. Juni 1990 folgendermaßen belehrt: Eine pauschale Verurteilung derer, die sich und ihre Dienstpflichten in einem insgesamt untauglichen Gesellschaftssystem verwirklicht haben, muss ich [ ] zurückweisen. Pensionsansprüche, so teilte ihm später das Bundesverteidigungsministerium mit, habe er nur für die tatsächlich geleisteten NVA-Dienstjahre. Wäre er der SED treu geblieben bis zum Schluss, wie fast alle NVA-Offiziere, hätte er vielleicht wie Hans- Joachim Jentzsch seine Karriere noch in der Bundeswehr fortsetzen können 40 und bezöge jetzt eine auskömmliche Pension. 41 Foto: ADN-ZB/Bartocha, Bundesarchiv Bild 183-Z Wenzke: Zwischen Prager Frühling, S. 318 f. 40 Er ist jetzt Nachschubstabsoffizier und Dezernatsleiter des Logistikzentrums der Bundeswehr in Wilhelmshaven, S. Hohe DDR-Militärs chaotisch wie das Politbüro. Interview von Norbert Wahn mit Hans-Joachim Jentzsch, in: Nordwest-Zeitung NWZ-online, ( 74/%26bdquo%3BHohe+DDR-Milit%E4rs+chaotisch+wie+d as+politb%fcro%26ldquo%3b.html (Stand )) 41 Volker Koop: Abgewickelt. Auf den Spuren der Nationalen Volksarmee, Bonn 1995, S. 75 f. MK

18 16 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Solidarität und Interessenpolitik Klaus Storkmann Solidarität und Interessenpolitik Militärhilfen der DDR für die Dritte Welt Erich Honecker begrüßt den Generalsekretär des ZK der Arbeiterpartei Äthiopiens, Vorsitzender des Provisorischen Verwaltungsrates und Oberkommandierender der Revolutionären Streitkräfte des Sozialistischen Äthiopien, Mengistu Haile Mariam 1984 in Ost-Berlin. Das Hamburger Magazin Der Spiegel zeigte im April 1980 auf seinem Titel NVA-Soldaten in Großaufnahme und schrieb dazu im Stil eines Wehrmachtsärmelbandes Honeckers Afrika-Korps. Mit dieser Schlagzeile berichtete das Magazin in seiner Titelgeschichte über die militärischen Aktivitäten der DDR-Streitkräfte in der Dritten Welt, speziell auf dem schwarzen Kontinent: DDR-Militärberater seien in Afrika im Einsatz, davon allein in Angola und in Mosambik Die Spiegel-Titelgeschichte ist nur eine von zahlreichen Pressemeldungen der siebziger und frühen achtziger Jahre über DDR-Militärhilfen für die Dritte Welt. Der Berliner Tagesspiegel druckt im Dezember 1978 die Meldung, allein in Angola befänden sich Soldaten der DDR-Armee, vor allem Elitetruppen wie etwa Fallschirmjäger von ihnen seien gegenwärtig bei 1 Wir haben euch Waffen und Brot geschickt, in: Der Spiegel, 10, 1980, S und Titel. Dr. Klaus Storkmann, Major Dr., geb. l976 in Magdeburg, Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) in Potsdam und Redakteur der Zeitschrift "Militärgeschichte" einer Offensive im Einsatz 2. Im Dezember 1979 zitierte der Tagesspiegel eine dpa- Meldung, es befänden sich schätzungsweise rund Soldaten aus der DDR in Äthiopien 3. Im Februar 1980 gab Die Welt die Gesamtzahl der DDR-Militärexperten in Afrika gar mit rund an 4. War die NVA tatsächlich in Afrika mit tausenden, ja zehntausenden Soldaten im Einsatz? Wie sah die DDR-Militärhilfe wirklich aus? Heute sind die einst geheimen Akten der NVA für die Forschung zugänglich und ergeben neue Einsichten. Ausländische Bitten an den SED-Generalsekretär Staats-, Partei- und Armeechefs aus den Entwicklungsländern wussten um die Affinität Erich Honeckers zur Dritten Welt. Sie suchten und nutzten den persönlichen Kontakt zu ihm, um sich dadurch neue oder zusätzliche militärische Hilfe der DDR zu sichern. Während seines Besuchs in Ost-Berlin im Dezember 1974 und seiner Gespräche mit Honecker bat der Präsident der mosambikanischen Befreiungsbewegung FRELIMO und spätere Staatschef 2 Strauß berichtet von DDR-Soldaten in Angola, Der Tagesspiegel, In Äthiopien sollen sich DDR-Soldaten befinden, Der Tagesspiegel, Honeckers Afrika-Korps ist Mann stark, Die Welt, Foto: ADN-ZB/Franke, Bundesarchiv Bild Samora Machel eindringlich um nichtzivile materielle Hilfe, Berater und Experten 5. Nichtzivil war der gängige DDR-regierungsinterne Ausdruck für militärische Hilfe. Solche Hilfe erwartete auch der Chef der angolanischen Befreiungsbewegung MPLA, Agostinho Neto. Im harten Kampf um die Macht in Angola vor der für November 1975 geplanten Unabhängigkeitserklärung wandte sich Neto in einem Schreiben an Honecker persönlich. Die im August 1975 von Honecker bestätigte militärische Soforthilfe der DDR für die MPLA sah unter anderem vor: Maschinenpistolen (MPi) mit 10 Millionen Schuss Munition, Handgranaten, Splitter- und Hohlraumgranaten, dazu Stahlhelme und Uniformen 6. Nicht weniger schnell reagierte Honecker im November des gleichen Jahres auf einen erneuten dringenden Appell Netos an das ZK der SED vom 31. Oktober. Netos Liste umfasste diesmal u.a. 15 Geschütze, acht Mörser, mehrere tausend Granaten und 1,4 Millionen Schuss Kalaschnikow-Munition 7. Der Führer der namibischen Befreiungsbewegung SWAPO, Sam Nujoma, wandte sich 1979 mit seiner Bitte um Ausrüstungshilfe ebenfalls direkt an Honecker. Konkret bat er um Uniformen und LKW für neu aufzustellende Bataillone. Honecker gab sein Einverständnis und bat Nujoma, Details über die DDR-Botschaft in Luanda zu klären 8. Erich Honecker kümmerte sich nicht selten bis ins Detail um militärische Lieferungen. Er nahm sich insbesondere der Wünsche aus Äthiopien persönlich und mit Priorität an. Bis in die letzten Monate 5 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, Berlin (SAPMO-BArch), DY 30/J IV 2/3A/2618, hier Bl SAPMO-BArch, DY 30/IV B 2/12/55, Bl. 141 f. 7 Bundesarchiv, Berlin (BArch), DC 20/12853, Bl SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/2.035/146, Bl

19 Horch und Guck 4/2010 Heft seiner Herrschaft forcierte der SED-Generalsekretär Waffenlieferungen und Abgaben von Munition, Militärtechnik und Ausrüstungen an Äthiopien. Staatschef Mengistu Haile Mariam erhielt noch 1989 rund 100 Panzer des Typs T-55 samt Munition und Ersatzteilen. Die Panzer wurden ab Ende April im Seetransport verschifft, ein Teil der Munition wurde auf dringende Bitte Mengistus bereits vorab im März mit einer Sondermaschine der Interflug transportiert 9. Ablehnung von Kampfeinsätzen Ich möchte Sie [ ] noch einmal um Hilfe und Unterstützung auf militärischem Gebiet ersuchen. Wir benötigen insbesondere dringend die Unterstützung ihrer Genossen, die als Militärberater zu uns kommen sollten., schrieb Sambias Präsident Kenneth Kaunda an Erich Honecker im März Verhandlungen mit DDR- Verteidigungsminister Heinz Hoffmann hätten noch zu keiner Lösung geführt, beklagte Kaunda 10. Kaunda und sein Verteidigungsminister Gray Zulu hatten bereits 1979 um Einsätze der NVA in ihrem Land gebeten. Konkret sollten NVA-Piloten mit ihren Maschinen den sambischen Luftraum schützen. Armeegeneral Hoffmann lehnte sofort ab: Der Gedanke der sambischen Seite zum Einsatz von Piloten mit ihrer Kampftechnik musste jedoch als nicht realisierbar zurückgewiesen werden, meldete 9 SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/2.039/200, Bl und Bl. 101 f. 10 Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.br (BA-MA), AZN 32640, Bl der Minister im Juni 1979 an Honecker 11. Ebenfalls 1979 äußerte der Vorsitzende der simbabwischen Befreiungsbewegung ZAPU, Joshua Nkomo, bei seinem Besuch in der DDR den Wunsch nach dem Einsatz von NVA-Offizieren ( militärische Kader ) in den ZAPU-Camps in Sambia. In seinem Bericht an Honecker hob Armeegeneral Hoffmann hervor, unmissverständlich habe [er] dargelegt, dass eine Entsendung von militärischen Kadern der NVA politisch nicht vertretbar ist 12. In der Ablehnung von Berater- und Ausbildereinsätzen zeigte sich über die Einzelfälle Sambia und Simbabwe hinaus eine generelle Linie der Zurückhaltung der DDR-Streitkräfte. Aus den überlieferten Aktenbeständen geht hervor, dass die DDR Bitten und Anfragen um Entsendung von militärischem Personal in Drittstaaten oft reserviert gegenüberstand. Die DDR-Führung agierte vorsichtig: Eine direkte Beteiligung von NVA-Soldaten oder gar Einheiten an Kampfhandlungen hätte vermutlich weitreichende Folgen haben können politische wie militärische. Dieses hohe Risiko gingen die DDR und ihre Streitkräfte nicht ein. Hinweise auf Kampfeinsätze der NVA finden sich in umfangreichen ausgewerteten Aktenbeständen aus dem ZK der SED, Verteidigungsministerium und der Staatssicherheit nicht. Die NVA war nicht Honeckers Afrika-Korps. Dennoch waren die DDR-Streitkräfte vereinzelt im Ausland präsent. 11 SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2A/2237: Politbürositzung , TOP 11, Anlage BA-MA, AZN 32638, Bl Militärberater und Experten in Ländern der Dritten Welt Bereits 1964 wurden zwei Militärberater in die junge ostafrikanische Inselrepublik Sansibar entsandt. Bis 1970 sind weitere 15 Unteroffiziere und Offiziere der Volksmarine zum Aufbau der Küstenverteidigung nach Sansibar entsandt worden entsandten die DDR-Streitkräfte eine Spezialistengruppe unter Leitung eines Generalleutnants für mehrere Wochen nach Angola, um beim Aufbau des Funk- und Nachrichtenwesens zu helfen /81 bildeten NVA-Offiziere in nicht genannter Anzahl Kampfschwimmer im Irak aus. Von 1980 bis 1987 halfen Spezialisten dort in ebenfalls nicht genannter Zahl beim Aufbau eines Übungsplatzes des chemischen Dienstes 15. Trotz dieser und anderer Beispiele: Bei der Entsendung von NVA-Beratern agierte die DDR vorsichtig. Auch hierin sah die SED-Spitze ein großes Risiko, wie aus den DDR-Akten hervorgeht. Die angesichts der eingangs erwähnten westlichen Pressemeldungen überraschend geringe Präsenz der DDR-Streitkräfte vor Ort muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass nichtzivile Hilfen nicht nur durch die NVA geleistet wurde. Die Ministerien für Staatssicherheit (MfS) und des Innern (MdI) waren mit Experten vor Ort. Das MfS führte ebenfalls militärische Schulungen durch. Geschätzt waren in den Nehmerländern auch DDR-Techniker, die sich um den Ausbau der Infrastruktur kümmerten und wichtige Reparatur- und Wartungsarbeiten durchführten. Einer der wichtigsten Empfänger militärischer Hilfe der DDR war Mosambik. In dem südafrikanischen Land tobten über drei Jahrzehnte hinweg Kriege und Bürgerkriege. Im Dezember 1984 töteten oppositionelle Guerillakämpfer neben anderen Ausländern auch acht zivile Entwicklungshelfer aus der DDR. In Reaktion darauf entsandte die NVA 1985 mehrere Gruppen von zum Teil hochrangigen Offizieren aus NVA und MfS Quelle: US-Verteidigungsministerium 13 BA-MA, DVW 1/114478, Bl.70 f. 14 BA-MA, DVW 1/ BA-MA, DVW 1/43753, Bl W50-LKW aus der DDR und ein sowjetischer Panzer aus Beständen der irakischen Armee, zerschossen im ersten Golfkrieg 1991

20 18 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Solidarität und Interessenpolitik darunter zwei NVA-Generale ins Land, um im Generalstab und in Kommandos, Stäben und Einheiten vor Ort zu beraten. Primäre Aufgabe der Offiziere war die Verbesserung des Schutzes der rund 700 im Land verbleibenden zivilen DDR-Entwicklungshelfer, die in der Landwirtschaft, als technische Berater in Industrie und Bergbau, als Lehrer und als Regierungsberater arbeiteten. In den Akten finden sich zudem Hinweise auf eine in Mosambik eingesetzte Minis terratsgruppe aus Mitarbeitern des MfS und des MdI. Belege für oder gar DDR- Soldaten in Äthiopien sowie für den in westlichen Pressemeldungen mehrfach konkret benannten Einsatz des Fallschirmjägerregiments Willi Sänger zur Bekämpfung der aufständischen Eritreer konnten in den überlieferten Unterlagen der NVA, des ZK der SED und des MfS bislang nicht gefunden werden. Auch die internen Berichte des MfNV geben keine Hinweise auf im Land eingesetzte NVA-Militärberater, Ausbilder oder gar Kampfeinheiten. Bereits 1964 wurden erstmals ausländische Militärs in der DDR ausgebildet aus Sansibar. An der Flottenschule in Parow wurden zwischen 1964 und 1968 jährlich Besatzungen von Patrouillen- beziehungsweise Torpedobooten geschult 17. Die reguläre Ausbildung ausländischer Militärs begann in den frühen siebziger Jahren. An der Offizierhochschule der Landstreitkräfte Ernst Thälmann im sächsischen Löbau wurden (nord-)vietnamesische Offizierschüler zu Offizieren der Fachrichtungen Panzerdienst und Mot.-Schützen 18 ausgebildet. Mosambikanische FRELIMO-Angehörige wurden in den Grenztruppen der DDR geschult. Die Technische Unteroffizierschule Erich Habersaath in Prora auf der Insel Rügen bildete ab 1976 Offizierschüler und 17 Manfred Judersleben, Ausländerausbildung in Parow, in: Die Flottenschule in Parow, Stralsund 2002 (Schriftenreihe Marinemuseum Dänholm, 8), S Mot.-Schützen entsprechen in der Bundeswehr den Panzergrenadieren. Unteroffizierschüler der Volksrepublik Kongo aus 19. Seit Oktober 1978 bildete die Offizierhochschule der Volksmarine Karl Liebknecht in Stralsund libysche Offizierschüler und Unteroffiziere aus 20. Eigens für die Ausländerausbildung baute die NVA 1980 die Offizierhochschule Otto Winzer in Prora auf. Die dortige militärische Ausbildung der Offizierschüler dauerte in der Regel zwei bis vier Jahre, ihr vorgeschaltet wurde ein Jahr Deutschausbildung. Ausgebildet wurden Offiziere der Mot.-Schützen für Panzer-, Artillerie-, Pionier- und Nachrichteneinheiten 21, auch Politoffiziere sowie Offiziere des Chemischen Dienstes, des panzertechnischen Dienstes, des Kfz-technischen Dienstes, des waffentechnischen Dienstes und der Rückwärtigen Dienste. Neben diesen regulären Ausbildungsgängen führte die NVA auch Sonderlehr- 19 BA-MA, DVH 8-13/ und U.a. BA-MA, AZN 32638, Bl Nachrichtenoffiziere waren Offiziere der Fernmeldetruppe und nicht etwa des Geheimdienstes. Ausbildung in der DDR Statt wie von den Regierungen in Brazzaville, Maputo, Lusaka oder Tripolis gewünscht afrikanische Soldaten vor Ort zu trainieren, bot die NVA Ausbildungsleistungen in der DDR an. Die NVA hat insgesamt rund Militärs aus 22 Nationen, davon aus 19 regulären Streitkräften und drei bewaffneten Forma tionen beziehungsweise Parteiarmeen, ausgebildet. Das größte Kontingent stellte die Volksrepublik Kongo (424 Militärs), gefolgt von Vietnam (390). Syrien ließ 355 Militärs in der DDR ausbilden, Nikaragua 329, Libyen 283 und Mosambik 281. Alle anderen Partner folgten mit deutlich geringeren Zahlen 16. Militärhilfen der NVA für die Dritte Welt Die Karte wurde erstellt aus Berichten des DDR-Ministeriums für Nationale Verteidigung über die geleistete Unterstützung an Entwicklungsländer und progressive nationale Befreiungsbewegungen, Quelle: BA-MA, AZN 32673, Blatt 3-5, Blatt 46-48, Blatt Anmerkung der Redaktion: In der Karte sind ausschließlich Empfänger unentgeltlicher Militärhilfen aufgeführt. Eine vollständige Liste der Empfänger von Militärmaterial (Waffengeschäfte) und sons tiger Leistungen kann gegenwärtig nicht erstellt werden. Durch die zeitliche Einschränkung auf die Jahre fehlen auch große Empfänger von Militärhilfe wie beispielsweise Ägypten und Libyen. Ebensowenig enthält die Karte Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit und des Ministeriums des Innern. El Salvador Nikaragua Kuba 16 Einer Ende Juli 1990 erarbeiteten Bilanz zufolge wurden seit ausländische Militärs in Lehreinrichtungen der NVA, seit 1980 zudem an denen der Grenztruppen der DDR, ausgebildet. Die dafür bis Juli 1990 angefallenen Kosten beliefen sich auf 144,8 Millionen Mark. (BA-MA, AZN 32325, o. Pag.) Im Juli 1990 befanden sich noch 620 ausländische Militärs zur Ausbildung in der DDR. Unter Berücksichtung aller nach umfangreichen Quellenrecherchen zur Verfügung stehenden Angaben summiert sich die Gesamtzahl der in den DDR- Streitkräften ausgebildeten ausländischen Militärs auf rund Waffen- und Materiallieferungen Ausbildung Medizinische Leistungen

21 Horch und Guck 4/2010 Heft gänge unterschiedlicher Dauer durch, vor allem für die nikaraguanischen Streitkräfte. Keine einheitliche Regelung gab es für die Finanzierung der anfallenden Kosten. Die Spanne reichte von der vollen Begleichung in Devisen durch die Entsendestaaten bis hin zur vollständigen Übernahme aller Kosten durch die DDR. Nur Libyen und Syrien zahlten voll für die Ausbildung ihrer Militärs in US-Dollar. Anteilig zahlte auch Tansania. Für die anderen Staaten und Organisationen übernahm die DDR die Kosten für Ausbildung, zumeist auch für Taschengeld und sonstige Beihilfen. Für einige Staaten, wie Afghanistan, Laos, Kambodscha und Nikaragua, übernahm die DDR auch größtenteils die Kosten für die Flüge. Einer Information des Hauptinspekteurs der NVA vom März 1990 zufolge trug die DDR-Regierung 86 Prozent der gesamten Ausbildungskosten BA-MA, AZN , o. Pag. Motive und Ziele der DDR Scharfe Schwarz-Weiß-Schemata reichen für die Analyse der DDR-Militärhilfen nicht aus. Die notwendige differenzierende Analyse fördert ein komplexes Geflecht an Motivationslagen zu Tage. Die Militärhilfen waren bei weitem keine alleinige Angelegenheit der NVA. Vielmehr wurden sie von den außenpolitischen Zielen und ideologischen Grundsätzen der Staats- und Parteiführung determiniert und zuweilen bis ins Detail bestimmt. Die Streitkräfte handelten im klaren Auftrag der Parteiführung. Sowohl Machtfragen als auch eigene Interessenüberlegungen standen auch hinter den Entscheidungen, wem Militärhilfen gewährt wurden. Die militärische Unterstützung von Partnern in der Dritten Welt ordnete sich in erster Linie in das Denkmuster der Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West ein. Darin eingebettet war auch der Solidaritätsgedanke eine wichtige Motivation der DDR-Führung. Die Selbstverpflichtung zur Solidarität wurde sowohl aus der Ideologie als auch aus politischen Überzeugungen heraus geboren und am Leben gehalten. Der vorherrschende Tenor sei gewesen: Wir müssen helfen, Wir müssen was tun, erinnerte sich ein früherer Militärattaché der DDR in Maputo. Die DDR-Führung betrachtete die afrikanischen Befreiungsbewegungen als natürliche Verbündete. In dieser Einschätzung trafen sich Ideologie und außenpolitisch-strategische Überlegungen. Die DDR-Führung sah in den Leistungen für die Dritte Welt nicht zuletzt ein bedeutendes Instrument ihrer Außenpolitik, ein Mittel zur Steigerung ihres internationalen Ansehens und Gewichts. Insbesondere die frühen Militärkontakte zu Ägypten, Irak, Syrien und anderen arabischen und asiatischen Staaten standen im Zeichen des Ringens der DDR um diplomatische Anerkennung. Adressat der DDR-Militärdiplomatie war aber nicht nur das Ausland. Zugleich sollte die eigene Bevölkerung erreicht werden. Die Reisen der NVA-Spitze und Guinea PLO Syrien Irak Afghanistan Nordkorea Nordjemen Südjemen Vietnam Laos Guinea-Bissau VR Kongo Angola SWAPO Äthiopien Uganda Tansania Sambia Mosambik Kambodscha Simbabwe

22 20 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Solidarität und Interessenpolitik der Empfang ausländischer Militärs sollten die internationale Anerkennung der DDR unterstreichen und dokumentieren. Der Besuch war für die DDR oftmals bereits ein Wert an sich. Insofern hatten die militärischen Auslandsbeziehungen für die DDR auch eine nicht zu unterschätzende innenpolitische Dimension. Eine ausschließlich ideologiezentrierte Wahrnehmung der DDR-Politik wird der Vielschichtigkeit der Motive und Ziele Ost-Berlins dennoch nicht gerecht. Sie negiert die realpolitischen Zwänge. Neben den außenpolitischen sowie ideologischen Motiven kristallisierte sich auch der enge Zusammenhang von militärischen Lieferungen und handelspolitischen Interessen deutlich heraus. Die DDR versuchte quasi auf dem Nebengleis der solidarischen Hilfe ökonomische Vorteile zu erzielen. Sie agierte dabei wie auf anderen Politikfeldern auch ambivalent. Auf der einen Seite gab man hohe Summen für die solidarische (unentgeltliche) militärische Unterstützung der Partner aus, auf der anderen Seite erwirtschafteten militärische Ausbildungsleistungen und der spezielle (militärische) Außenhandel dringend benötigte Devisen. Rückblickend führen nahezu alle früher in der DDR Verantwortung Tragenden die Devisenknappheit als treibendes Motiv für ein dunkles Kapitel der DDR-Auslandsbeziehungen an: Waffengeschäfte, die über das MfSkontrollierte Firmennetzwerk Alexander Schalck-Golodkowskis getätigt wurden. Ein früherer SED-Bezirkschef räumte in seinen Erinnerungen ein: Dadurch pausenlos zur Suche nach Auswegen genötigt, haben wir auch falsche gewählt und Fehler begangen. 23 Besondere Aktivität entfaltete Schalck-Golodkowski Anfang der achtziger Jahre gegenüber Irak und Iran, immer mit Rückendeckung des für Wirtschaftsfragen Die NVA hilft der Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams. Für die Kamera werden hier 1966 in Ost-Berlin allerdings nur 12 Fahrräder aus Spenden übergeben. 14 Mio. Schuss Munition ausrichten. Das iranische Verteidigungsministerium nahm die Offerte gern an. Mit der zugehörigen Munition summierte sich der Auftrag für die DDR auf 2,9 Mio. US-Dollar 26. Die DDR verfügte mit Ausnahme des Kriegsschiffbaus nicht über Produktionsstätten für schweres Wehrgerät. Schalck bot vor allem das an, was die heimische Produktion selbst herstellen konnte, z.b. Kalaschnikow-Maschinengewehre. Dazu gehörten auch LKW des Typs W-50, die einen Schwerpunkt der Lieferungen ausmachten 27. Für 1982 bilanzierte Schalck für die Lieferungen der W-50 einen Anteil von 62 Prozent an den Geschäften mit den iranischen Streitkräften; Waffen- und Munitionslieferungen beliefen sich auf 38 Prozent. Der Gesamtumfang der Lieferungen Schalcks an das iranische Verteidigungsministerium belief sich auf 198,2 Mio. Valutamark, die Lieferungen an die iranischen Revolutionsgarden auf 194,6 Millionen Valutamark 28. Wichtig bleibt festzuhalten, dass Schalck-Golodkowski nicht unabhängig, sondern nur mit Rückendeckung der SED-Spitze handeln konnte. Die DDR handelte ambivalent neben der reinen Lehre von Ideologie und Solidarität gab es Waffengeschäfte und Interessenpolitik. Foto: ADN-ZB/Krueger, Bundesarchiv Bild 183-E zuständigen ZK-Sekretärs Günther Mittag. Der vom Irak 1980 begonnene Krieg gegen Iran bot Schalck große Möglichkeiten für Verkäufe von Militärtechnik, Waffen und Munition an beide kriegführenden Seiten 24. Im Oktober 1980 richtete der in harten und verlustreichen Verteidigungskämpfen stehende Iran erstmals Wünsche nach Lieferung von Waffen und Munition auch an die DDR. Über den DDR-Militärattaché bat Teheran dringend um Luftabwehr- und Panzerabwehrwaffen, Geschoßwerfer, 122 mm-geschütze und entsprechende Munition. Notwendig sei Sofortlieferung, die Bezahlung würde ebenfalls sofort erfolgen 25. Über die Botschaft in Teheran ließ Schalck-Golodkowski ein Angebot zur Lieferung von MPi Kalaschnikow mit 23 Werner Eberlein, Geboren am 9.November. Erinnerungen, 2. Aufl., Berlin 2009, hier S Dazu bereits ausführlich: Harald Möller, Gemeine Waffenlieferungen der DDR im ersten Golfkrieg an Iran und Irak Eine Dokumentation, Berlin SAPMO-BArch, DY 30/3176, Bl. 218 f. Bilanzen und Statistiken In den achtziger Jahren bilanzierte das Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) jährlich seine Aufwendungen für die antiimperialistische Solidarität und meldete diese an Erich Honecker. Die Bilanzen beinhalteten sowohl das jeweils abgeschlossene Jahr als auch die Summe aller Ausgaben seit Der Verteidigungsminister bezifferte beispielsweise die durch die NVA geleistete unentgeltliche Unterstützung von Entwicklungsländern und Befreiungsbewegungen für das Jahr 1985 auf insgesamt 35,7 Millionen Mark, davon 27,8 Millionen für Kampftechnik, Bewaffnung und Ausrüstung, 6,1 Millio- 26 Vereinbart wurde ein Stückpreis von 110 US-Dollar je MPi. Die Anreise der kleinen Verhandlungsdelegation würde mit einer Boeing 747 der Iran Air nach Schönefeld erfolgen, um die erste Lieferung sofort abtransportieren zu können. SAPMO-BArch, DY 30/3176, Bl Wiederum: Möller, Gemeine Waffenlieferungen. 28 SAPMO-BArch, DY 30/3177, Bl Weitere interessante Dokumente in: Möller, Geheime Waffenlieferungen.

23 Horch und Guck 4/2010 Heft nen für Ausbildung ausländischer Militärkader und 1,8 Millionen für medizinische Betreuung. Im Gesamtzeitraum 1973 bis Dezember 1985 habe die NVA insgesamt rund 798 Millionen Mark für unentgeltliche Unterstützungsleistungen aufgewendet, davon für Bewaffnung und Ausrüstungen rund 696 Millionen 29. Die Zahlenwerte erscheinen sehr gering. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass es sich zumeist um reine Rechengrößen für gebrauchtes NVA-Material handelte. Bis Juli 1990 summierte sich nach Angaben aus Strausberg der Gesamtwert der NVA-Leistungen seit 1965 insgesamt auf ca. 950 Millionen Mark. Davon entfielen ca. 800 Millionen auf materielle Lieferungen, 145 Millionen auf Ausbildungsleistungen und fünf Millionen auf die medizinische Betreuung ausländischer Verwundeter oder Kranker in medizinischen Einrichtungen der NVA 30. Die DDR-Streitkräfte leisteten vielfältige Unterstützung. Ihre Möglichkeiten waren aber begrenzt. Für die ökonomisch ohnehin schwachbrüstige DDR bedeuteten die erbrachten Militärhilfen eine zusätzliche Belastung. Für Ost-Berlin stellte sich die Frage der Prioritätensetzung: Wie viel von dem, was ohnehin sehr knapp war, konnte noch an die Dritte Welt abgegeben werden? Gemessen an ihren eigenen Verhältnissen leistete die DDR erstaunlich viel im Blick auf die Ausgaben und Leistungen anderer Staaten aber vergleichsweise wenig. Die Wertung bleibt auch in diesem Punkt nicht ohne Widersprüche: Auch wenn die NVA mehrfach an die Grenzen des Machbaren gegangen zu sein scheint, war zumindest der aus offiziellen Statistiken herauszuarbeitende finanzielle Aufwand überraschend niedrig. Offene Fragen zu MfS und MdI Zur notwendigen Einordnung der untersuchten Themenkreise in den wissenschaftlichen Gesamtkontext gehört der Hinweis auf noch nicht abschließend recherchierte, ähnlich gelagerte Aktivitäten der Ministerien für Staatssicherheit und des Innern. Neben der NVA führten auch sie Ausbildungen in der DDR durch. Teilnehmer dieser Lehrgänge kamen nach MfS-Angaben unter anderem aus Südjemen, Angola, Tansania, Äthiopien, Mosambik sowie aus 29 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2.039/196, Bl BA-MA, DVW 1/43753, Bl Foto: ADN-ZB/Zimmermann, Bundesarchiv Bild der PLO, der namibischen SWAPO und aus dem südafrikanischen ANC. Einige dieser Ausbildungen trugen explizit militärischen Charakter, ohne dass sich Hinweise auf eine Beteiligung der NVA finden lassen. Durch sein Wachregiment war das MfS in der Lage, militärische Ausbildungen in eigener Regie, mit eigenen Kräften und mit eigenem Material durchzuführen. Hinweise auf weitere Aktivitäten des MfS oder des MdI vor Ort in Afrika, Nahost und Lateinamerika sind ebenfalls von großer Relevanz. Hierzu bedarf es noch weiterer Forschungsarbeit. Globaler Kalter Krieg? Die Entscheidungen ausschließlich unter DDR-eigenen oder DDR-internen Gesichtspunkten zu bewerten, hieße die historischen Zusammenhänge des Kalten Krieges zu verkennen. Die Auseinandersetzung der Supermächte wurde bekanntermaßen auch in der Dritten Welt geführt. Aus der Logik der Blockkonfrontation befeuerte der Ost- West-Konflikt des Nordens somit die Kriege des Südens. Die dortigen Konfliktparteien positionierten sich mehr oder weniger eng an der Seite einer der beiden Supermächte. Der norwegische Historiker Odd Arne Westad sieht den Ost-West-Konflikt gar primär in der Dritten Welt ausgetragen und spricht vom globalen Kalten Auch beim Besuch des IFA-Automobilwerks Ludwigsfelde, Hersteller der W 50 Lkw, geht es militärisch zu. Für Mosambiks Präsident Joaquim Alberto Chissano ist im Mai 1989 die Kampfgruppe angetreten. Krieg 31. Im Kontext der Supermächte agierten auch deren Verbündete wenngleich mit eigenem Spielraum und eigenen Interessen. Die DDR-Außenpolitik stand im Gravitationsfeld des Ost-West-Konflikts, fest angebunden an die Politik der östlichen Supermacht. Von daher waren die Beziehungen zu Entwicklungsländern und deren militärische Unterstützung ebenfalls Teil dieses Gravitationsfeldes. Grundsätzlich stimmte die DDR ihre Aktivitäten in der Dritten Welt mit der Führung in Moskau ab. Oberste Entscheidungsinstanz war in diesen Fällen nicht der Generalsekretär der SED sondern das sowjetische Verteidigungsministerium. Auf die Darstellung und Analyse der Rolle der UdSSR im Entscheidungsprozess musste aufgrund des begrenzten Umfangs dieses Aufsatzes verzichtet werden. Eine demnächst erscheinende umfangreiche Studie des MGFA zu den Militärhilfen der DDR wird der Abstimmung mit Moskau besondere Aufmerksamkeit widmen und somit weitere Mosaiksteinchen zur Erforschung der Abläufe im östlichen Bündnis beitragen. KS 31 Odd Arne Westad, The Global Cold War. Third World Interventions and the Making of Our Times, Cambridge 2007, hier S. 396.

24 22 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Operation Aleppo Stefan Meining Operation Aleppo Die geheime Beteiligung der DDR am Oktober-Krieg 1973 Quelle: Privatarchiv Begehrt in Syrien, geliefert aus der DDR, die MiG 21 Die DDR war dank der ausgezeichneten Beziehungen mit der damaligen Vereinigten Arabischen Republik Ägypten (VAR) und Syrien früh über die Kriegsplanungen der beiden arabischen Länder informiert. Im März 1971 empfing beispielsweise der Vizepräsident der VAR, Ali Sabri, eine DDR-Delegation. Sabri ließ die Ostdeutschen wissen, die Möglichkeiten einer politischen Lösung wären erschöpft, die VAR müsse zu militärischen Aktionen übergehen. Dabei sei nicht an einen totalen Krieg gedacht, der auf die Vernichtung Is raels zielt, sondern auf eine begrenzte Aktion auf der Halbinsel Sinai (bis zu 40 km tief auf dem Ostufer des Suez-Kanals). 1 Eine solch begrenzte militärische Operation würde einerseits eine neue, für die VAR günstigere Lage schaffen, und könnte zudem vor einem Eingreifen der Großmächte im wesentlichen durchgeführt sein. Damit würde auch die Gefahr der Ausweitung in einen Weltkrieg vermindert werden. 2 Ähnlich äußerte sich der syrische Außenminister, Abdel Halim Khaddam, im Juli 1971 bei einem Besuch in der DDR. Syrien hielt eine Konfrontation mit Israel auf allen Gebieten für erforderlich. Eine Lösung des Nahostkonflikts, so der syrische Spitzen diplomat, wäre nur durch 1 Bericht über die Tätigkeit der Delegation des ZK der SED vom bis in der VAR. Arbeitsprotokoll des PB, SAPMO-BA ZPA J IV 2/2A/ Ebd. Dr. Stefan Meining geb. l964, ist Mitglied der Forschungsstelle Deutsch- Jüdische Zeitgeschichte bei Prof. Michael Wolffsohn und seit l995 Redakteur der ARD-Sendung Report München. Krieg möglich. 3 Indirekt deutete Khaddam seinen ost deutschen Gesprächspartnern zudem an, dass die Planungen für einen neuen Nahost- Krieg bereits voll im Gange wären. Eine politische Lösung des Konflikts würde zu lange dauern und zwangsläufig zum Sturz der progressiven Regime im Nahen Osten führen. Deshalb bestünde mit der VAR und Libyen die Übereinstimmung, dass die politische Lösung in eine Sackgasse geraten und die militärische Konfrontation notwendig wäre. Im Gegensatz zum sehr pragmatisch argumentierenden Sabri dachte Khaddam dabei nicht an einen begrenzten Konflikt mit Israel. Die Resolutionen des UN- Sicherheitsrates lehnte Syrien ab. Zudem bekräftigte Khaddam die bekannte Position seiner Regierung, dass Syrien weiterhin die Liquidierung des Staates Israel anstrebt und daher den Rückzug der israelischen Truppen von den 1967 okkupierten arabischen Gebieten nicht für ausreichend hielt. Laut Gesprächsvermerk übten weder DDR-Außenminister Otto Winzer noch der Vorsitzende des DDR-Ministerrates und stellvertretende Vorsitzende des Staatsrats, Willi Stoph, Kritik an den syrischen Kriegsplanungen, die letztendlich eine Vernichtung des Staates Israel zum Ziel hatten. Im Gegenteil: Laut Protokoll führte Stoph mit Khaddam auch einen Meinungsaustausch über Fragen des nichtzivilen Bereichs. Danach forderte Syrien Waffen zur Führung eines Angriffskrieges gegen Israel. Im Gegenzug versprach Khaddam sich einzusetzen, dass auch Libyen und andere arabische Staaten diplomatische Beziehungen zur DDR herstellten. 3 Bericht über den Besuch des syrischen Außenministers, Abdel Halim Khaddam, in der DDR vom Arbeitsprotokoll des PB, SAPMO-BA ZPA J IV 2/2A/1534. Die militärische Zusammenarbeit der DDR mit den arabischen Staaten erreichte damit eine neue Qualität. Nach dem Juni-Krieg 1967 forderten die arabischen Staaten von der DDR noch Waffen, um sich vor Angriffen Israels verteidigen zu können hatte sich die Situation komplett gewandelt. Syrien plante zusammen mit der VAR einen Angriffskrieg gegen den jüdischen Staat. Das schien die SED- Führung nicht zu stören. Die DDR beschloss, die bilateralen Beziehungen zu Syrien weiter auszubauen. Die Israel-Politik der DDR Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland lehnte es die DDR stets ab, Wiedergutmachung an den jüdischen Staat und die Überlebenden des Holocaust zu leisten. Stattdessen verfolgte die DDR seit Ende 1952 im Gleichklang mit den sozialistischen Staaten eine aggressiv antizionistische Politik. Im Suez-Krieg von 1956 wie auch beim Juni-Krieg 1967 stellte sich die DDR bedingungslos auf die Seite der arabischen Staaten. Allein aus diesem Grund war an eine Aufnahme diplomatischer Be ziehungen zwischen der DDR und Israel nicht zu denken. Doch obwohl die DDR palästinensische Terrorgruppierungen wie auch die PLO unterstützte, bestritt der SED- Staat das Existenzrecht Israels nicht. Diese eingeschränkte Anerkennung Israels führte zwangsläufig zu einer Dauer konfrontation. Wie feindselig das Nichtverhältnis der DDR mit Israel spätestens seit dem Juni-Krieg 1967 war, zeigte sich im Vorfeld der Aufnahme der Bundesrepublik wie auch der DDR in die Vereinten Nationen. Anders als die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges lehnte Israel die UNO-Mitgliedschaft der DDR ab. Israels Premierministerin Golda Meir begründete damals die Entscheidung ihrer Regierung

25 Horch und Guck 4/2010 Heft in einem Zeitungsinterview. Entscheidend war hierbei das Verhalten der DDR in der Wiedergutmachungsfrage wie auch die einseitige Positionierung im Nahostkonflikt. Laut Meir hätte die DDR im Gegensatz zur Bundesrepublik ihre Verantwortung für den Nationalsozialismus nicht anerkannt. Hinzu käme, dass die DDR seit jeher gegenüber Israel eine Politik härtester Feindschaft verfolgte. 4 Ost-Berlin sah sich einer israelischen Hetzkampagne ausgesetzt. Keinesfalls war die DDR gewillt, Wieder gutmachung zu zahlen. Die Forderungen Israels wären weder unter sogenannten moralischen noch historischen noch rechtlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt, stellte ein DDR-Positionspapier fest. Erwartungsgemäß versuchte Israel die einstimmige Aufnahme der DDR durch die Beantragung einer Abstimmung zu verhindern. Der Vertreter Israels bei der UNO ergriff das Wort und warf der DDR vor, sich ihren Verpflichtungen gegenüber dem jüdischen Volk zu entziehen. Zudem würde Ost-Berlin arabische Terrororganisationen unterstützen. 5 Die Aufnahme der DDR konnte Israel indes nicht verhindern und so wurde die DDR am 18. September 1973 wie auch die Bundes republik Vollmitglied der UNO. Die DDR und der Krieg Das Ministerium für Staatssicherheit war über den Angriffsbeginn der Armeen Syriens und Ägyptens informiert. Am 5. Oktober 1973 meldete das MfS, in den heutigen Nacht- bzw. in den Morgenstunden wäre mit militärischen Handlungen gegen Israel zu rechnen. 6 Wenige Stunden später begannen am 6. Oktober die Angriffe der arabischen Streitkräfte am Suezkanal und auf den Golanhöhen. Während syrische Soldaten und 600 Panzer gegen die israelischen Stellungen anrannten, schrieb Syriens Staatschef Hafez al-assad einen Brief an Willi Stoph. Erneut 4 Zitiert nach Peter Dittmar: DDR und Israel. Ambivalenz einer Nichtbeziehung, Teil II, in: Deutschland-Archiv, S , hier S Vgl. Hans Lindemann, Ost-Berlin und die Wiedergutmachung an Israel, in: DA 6(1973), S Arbeitsprotokoll des PB, SAPMO-BA ZPA J IV 2/2A/1722. Vgl. Information für die Mitglieder des ZK der SED, SAPMO-BA ZPA IV 2/1/ Meldung des MfS, MfS Z hätten die Aggressionstruppen Israels einen Angriff auf syrisches Territorium entfesselt. Da Syrien sein legitimes Recht auf Selbstverteidigung verwirklichte, erwartete es nun die Unterstützung aller Völker, die die Freiheit, die Gerechtigkeit und den Frieden liebten. Dazu zählte für Assad auch die DDR. Auf dieser Grundlage, hieß es weiter in dem Schreiben Assads, erwartete Syrien die Hilfe des SED-Staates. 7 Die Reaktionen der DDR waren trotz der MfS-Meldung vom 5. Oktober an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. Dies galt für die Politik von Staat, Partei und besonders offensichtlich für die DDR-Medien. Am Tag nach dem Beginn des syrisch-ägyptischen Angriffs titelte das Neue Deutschland wahrheitswidrig: Schwere Angriffe Israels auf Ägypten, Syrien und Libanon. Hafez al-assad gilt immer noch als ein Symbol des Kampfes gegen Israel, bzw. der Solidarität mit Palästina Nachdem klar war, dass die VAR wie auch Syrien ihre Brückenköpfe im Sinai und auf dem Golan behaupteten, verschärfte die SED ihre Kampagne. Das Politbüro ordne te auf Initiative von Erich Honecker an, antiisraelische Protestversammlungen in Betrieben und an DDR-Universitäten mit arabischen Studenten durchzuführen. Und das Politbüro gab Anweisung, die in Ägyp- 7 Hafez al-assad an Willi Stoph, Arbeitsprotokoll des PB, SAPMO-BA ZPA IV 2/2A/1721. Quelle: Privatarchiv ten und Syrien tätigen DDR-Spezialisten sollten vordringliche Unterstützung bei der Wiederinstandsetzung lebenswichtiger Objekte leisten. 8 Etwas ganz anderes waren die geheimen militärischen DDR-Hilfsleistungen, die noch während des Kriegs stattfanden. Die geheime DDR-Militärhilfe Die völkerrechtswidrige Militärhilfe der DDR an Syrien während der heißen Phase des Krieges und in den ersten Tagen nach dem höchst instabilen Waffenstillstand war höchstwahrscheinlich eine direkte Folge des Kriegsverlaufes. Streitkräften der israelischen Armee gelang der Durchbruch im Golan an der Nordfront des Krieges. Wie im Juni 1967 bedrohten israelische Streitkräfte die syrische Hauptstadt Damaskus. Zudem musste die syrische Armee enorme Verluste an Mensch und Material hinnehmen. Etwa zur gleichen Zeit erteilte Erich Honecker dem Minister für Nationale Vertei digung der DDR, Armeegeneral Heinz Hoffmann, den Auftrag, die Bereitstellung von Kampftechnik und Munition aus Beständen der Nationalen Volksarmee zur Unterstützung der ägyptischen und syrischen Streitkräfte zu prüfen. Am 13. Oktober schickte Hoffmann an Honecker eine umfangreiche Liste mit Waffen, die den kriegführenden arabischen Ländern Syrien und Ägypten zur Verfügung gestellt werden könnten. Darunter befand sich neben 62 Panzern vom Typ T-54, Munition und Technik für 3 Flugabwehrraketen abteilungen auch eine Staffel Jagdflugzeuge des Typs MiG-21 F 13. Nur einen Tag später, am 14. Oktober, stimmte Honecker mit seinem markanten, handschriftlichen EH Einverstanden den Vorschlägen zu. 9 Währenddessen geriet im Sinai der ägyptische Vormarsch ins Stocken. Am 14. Oktober scheiterte die ägyptische Offensive. Ägypten verlor eine der größten Panzer schlachten der Geschichte. Einen Tag später überquerten israelische Panzer den Suez-Kanal. Auf der Sitzung vom 16. Oktober bekräftigte das SED-Politbüro seine proarabische Haltung ein weiteres Mal. 8 Beschluss des Politbüros zur Lage im Nahen Osten. Reinschriftenprotokoll des PB, SAPMO-BA ZPA J IV 2/2/ Armeegeneral Heinz Hoffmann an Erich Honecker, Bundesarchiv Militärarchiv DVW 1/

26 24 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Operation Aleppo Reste des einstigen Militärflugplatzes Marxwalde in Neuhardenberg Wichtigster Beleg für die umfangreiche Militärhilfe, die die DDR Syrien im Oktober 1973 gewährte, ist neben dem Hoffmann- Schreiben vom 13. Oktober ein persönlich unterzeichneter Brief von Erich Honecker an Hafez el-assad vom 3. November Der Brief wurde in den Unterlagen des Büros von Hermann Axen ( ) entdeckt. Hermann Axen, zu dessen Verantwortungsbereich die internationalen Beziehungen der SED gehörten, zählte zu den wenigen Vertrauten von Erich Honecker. In diesem Schreiben bestätigte Erich Honecker umfangreiche Waffenlieferungen der DDR an Syrien. 10 Zur Unterstützung ihres gerechten Freiheitskampfes, teilte Honecker Assad mit, wäre unter anderem folgende Militärtechnik zur Verfügung gestellt worden: 62 mittlere Panzer vom Typ T-54 AM mit 3 Kampfsätzen Munition; des weiteren 300 Panzerbüchsen RPG-7 mit 4 Kampfsätzen Munition ( Schuss), Granaten sowie Panzerminen vom Typ TM Zudem bestätigte Honecker in dem Schreiben die Übergabe von 12 Abfangjagdflugzeugen des Typs MiG-21 mit dazugehöriger Bodenausrüstung, 3 Kampfsätzen Munition und Flugzeugraketen an Syrien. Auffallend ist: Die Entsendung von 12 Piloten sowie rund dreißig weiteren Solda ten als technisches Personal der NVA erwähnte Honecker nicht. Ausgangs- und Endpunkt dieser Operation, die in mehrfacher Hinsicht internationales Kriegsrecht brach, war der östlich von Berlin gelegene Militärflughafen Marxwalde heute wieder Neuhardenberg. In der riesigen Luftwaffenbasis mit der langen Landebahn waren drei Staffeln MiG sowie das Regierungsfliegergeschwader der DDR stationiert. Im Oktober 1973 wurde in Marxwalde Gefechtsalarm ausgelöst. Allen Anwesenden war klar: Es handelte sich nicht um eine Übung. Der Flugplatz wurde hermetisch abgeriegelt. Die Soldaten durften das Kasernengelände nicht mehr verlassen. Eine Kontaktaufnahme zu den Familien war verboten. Verblüfft stellten die Soldaten fest: Weitere Aufträge wurden zunächst nicht erteilt. 12 Dann hieß es unvermittelt: Zwölf MiG-21 Flugzeuge wären zu zerlegen, die Hoheitsabzeichen sowie sämtliche deutschsprachige Schriften abzubeizen und anschließend zum Transport vorzubereiten. Die Techniker wussten: Bei den MiG-21 Maschinen in Marxwalde handelte es sich um Exportversionen, die gleichen Typen wurden auch von verbündeten Streitkräften der Sowjetunion außerhalb des Warschauer Quelle: Privatarchiv Paktes geflogen. Dazu zählten Anfang der siebziger Jahre auch Staaten wie Syrien oder Ägypten. Bei den MiG-21 handelte es sich um sehr robuste Flugzeuge. Für einen Transport mussten lediglich die Flügel sowie das Heck wie auch Heckflügel abgeschraubt werden. Die komplette Demontage wäre für ein gut eingespieltes Team leicht an einem Tag zu bewerkstelligen gewesen. Warum und wieso eine Staffel MiG 21 demontiert wurde, erfuhren die beteiligten Soldaten der Luftstreitkräfte nicht. Für einen kleinen Kreis aus gewählter Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere des Jagdfliegergeschwaders 8 wurde ein Antreten befohlen. Selbst als der Kommandeur der Einheit vor einer Karte des Mittleren Ostens stehend ankündigte, Soldaten für einen Einsatz im Ausland zu suchen, wurden keine weiteren Details mitgeteilt. Dennoch: Es meldeten sich sofort genügend Männer, die bereit waren, an der geheimen und selbst ihnen noch unbekannten Operation teilzunehmen. 13 Die endgültige Auswahl der Sol daten erfolgte offensichtlich nach Kriterien, die das Risiko einer Flucht oder gar eines Überlaufens in den Westen möglichst gering halten sollte: Keine West verwandtschaft, verheiratet und Kinder sowie politische Zuverlässigkeit waren unabdingbare Voraussetzungen für die Teilnahme an der Geheimmission. Eine endgültige Bestätigung erfolgte durch das Ministerium für Staatssicherheit. Die ausgewählten Soldaten legten ihre NVA-Uniformen ab und erhielten im Gegenzug Phantasieuniformen, die in etwa den Anzügen der zivilen DDR- Handels marine entsprachen. Zur Selbstverteidigung wurden sie mit Pistolen ausgestattet. Im Speisesaal erläuterte der Chef des LSK/LV (Luftstreitkräfte/Luftverteidigung), Generalmajor Wolfgang Reinhold, an einer Landkarte die militärische Lage in Nahost. Den Soldaten wurde mitgeteilt, es handelte sich um eine Hilfsaktion. Konkrete Angaben aber wurden wiederum nicht gemacht. 14 Nun konnte der entscheidende Teil der Mission beginnen: Nacheinander lande- 10 Erich Honecker an Hafez al-assad, SAPMO-BA ZPA IV 2/2.035/ Ebd. 12 Sofern nicht vermerkt stützt sich dieser Absschnitt auf Interviews mit den Zeitzeugen und NVA-Veteranen Brucke, Richter und Hoth am 6. August und 23. September 2008 in Neuhardenberg. 13 Dietbert Lang, Horst Materna: Der Flugplatz Neuhardenberg-Marxwalde-Neuhardenberg. Vom geheimen Einsatzhafen des Dritten Reichs zum Regierungsflughafen der DDR, Berlin 2004, S. 45 u Ebd., S. 45.

27 Horch und Guck 4/2010 Heft ten in Marxwalde insgesamt vier mal vier zivile sowjetische Transportmaschinen vom Typ Antonov An-12. In jeweils drei An-12 wurde eine zerlegte MiG-21 geladen, in die vierte AN-12 die Ausrüstung und Personal. Die als zivil gekennzeichneten An-12 flogen zunächst nach Budapest in Ungarn. Erst hier erfuhren die Soldaten, wohin und mit welchem Auftrag sie reisten. Laut der Erinne rung eines Zeitzeugen war das vermutlich am 22. oder 23. Oktober An diesen Tagen wurde in Nahost noch gekämpft. Nach dem Zwischenstopp flogen die rund 40 Männer aus Neuhardenberg, darunter auch die zwölf Piloten, weiter Die SED bot sich den arabischen Staaten schon jahrelang als Verbündeter an. Walter Ulbricht besucht Luxor bei einem Staatsbesuch in Ägypten nach Aleppo im Norden Syriens. Kurz zuvor war der Flughafen von israelischen Jets an gegriffen worden. Gleich bei ihrer Ankunft sahen die Soldaten aus der DDR die Überreste eines ausgebrannten Transportflugzeugs. 15 Die NVA-Soldaten in Ihren Marineuniformen wurden außerhalb der Basis in einem Hotel in Aleppo untergebracht. Ein Bus brachte sie jeden Morgen in die Basis der syrischen Luftwaffe. Am Abend hatten die ostdeutschen Soldaten Ausgang. Jeder erhielt 20 Dollar 15 Ebd., S. 50. Handgeld, genug Geld um in der Altstadt von Aleppo zu bummeln und in der DDR kaum erhältliche Mitbringsel für die Familie zu kaufen. Einige schrieben sogar Postkarten nach Hause. Die Reise nach Aleppo war für die Beteiligten eine unverhoffte Abwechslung vom Alltag. Welch unvorstellbare politische Folgen ihre Mission haben könnte, war den Soldaten damals nicht bewusst. Der Zusammenbau und die technische Überprüfung der MiG-21 dauerten zwei bis drei Tage pro Flugzeug. Anschließend, so die Erinnerungen eines Zeitzeugen, erhielten die 12 MiG-21 Jets einen sandfarbenen Anstrich mit syrischen Hoheitszeichen. Als die Maschinen einsatzbereit waren, schwiegen an der Golan- und der Suez-Front vermutlich bereits die Waffen. Doch die militärische Lage war nach wie vor höchst angespannt. Jederzeit konnten Kampfhandlungen aufs Neue ausbrechen am Boden und in der Luft. In dieser höchst gefährlichen Situation bestiegen die NVA-Piloten ihre Maschinen für einen Überprüfungsflug. Leicht hätte es in dieser Situation zu einem Luftkampf mit israelischen Phantom-Jets kommen können. Die MiGs waren vollständig bewaffnet, inklusive Raketen. Hierbei handelte es sich um einen weiteren Bruch des Kriegsvölkerrechtes. Zuvor lernten die Piloten noch einige Brocken arabisch, vermutlich aus Gründen der operativen Absicherung vor vermuteten feindlichen Abhörversuchen. Die Probeflüge funktionierten ohne Probleme. Schließlich wurden die Flugzeuge an syrische Piloten, die perfekt russisch sprachen, so ein Zeitzeuge, übergeben. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um Angehörige der Roten Armee. Anschließend kehrten die NVA- Soldaten über Budapest an Bord einer Antonov An-12 nach Marxwalde zurück. Der Flugplatz war noch immer hermetisch abgeriegelt. Geschätzte acht bis zehn Tage waren seit dem Abflug der Maschinen vergangen. Foto: ADN-ZB/Kohls, Bundesarchiv Bild 183-D Anders als in Aleppo herrschte hier noch immer strikte Geheimhaltung. Die zurückgebliebenen Soldaten wussten noch immer nichts über den Zielort der geheimen Operation. Erst allmählich sprach sich unter den Luftstreitkräften herum, warum zwölf MiG-21 Flugzeuge demontiert und abtransportiert worden waren. Das Selbstbewusstsein der SED- Führung kannte im Herbst 1973 keine Grenzen. Trotz der Entsendung von Waffen wie Militär nach Syrien rechnete die DDR sogar damit, Soldaten für die UN-Friedenstruppe zu stellen. Am 30. Oktober beauftragte das Politbüro Verteidigungsminister Heinz Hoffmann, entsprechende Vorbereitungen zu treffen. 16 Eine groteske Vorstellung: NVA-Soldaten auf dem Golan. Niemals hätte die israelische Regierung der Stationierung von deutschen Soldaten an der Demarkationslinie zu Syrien zugestimmt. Sechs Tage später, am 6. November 1973, brachte ein Bus die Teilnehmer der geheimen Operation nach Strausberg. Als Zeichen der Anerkennung erhielten die Soldaten im Namen des Ministerrates der DDR die Medaille der Waffenbrüderschaft in Gold und Silber. Kein militärischer Vorgesetzter, kein Verantwortlicher in Staat und Partei klärte die Freiwilligen jemals darüber auf, dass ihr Einsatz in mehrfacher Hinsicht ein klarer Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht war. Die Phantasie uniformen der Soldaten, der Transport von Militärgerät in zivilen Flugzeugen, die Entfernung der NVA-Zeichen an den MIGs diese Maßnahmen sollten die Anwesenheit der NVA im Kriegsgebiet verschleiern. Viele Details dieser militärischen Operation blieben bis heute unbekannt. Befehlsketten und Entscheidungs verläufe auf militärischer wie auch politischer Ebene konnten bislang nicht im Detail rekonstruiert werden. Dies gilt insbesondere für die Rolle der Sowjetunion. Nur so viel ist heute klar: Ohne es zu wirklich zu begreifen, unterstützten deutsche Soldaten 28 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einen Angriffskrieg gegen den jüdischen Staat. Und das mit voller Rückendeckung der SED, die am syrischen Kriegsziel der Vernichtung Israels offenbar nichts Verwerfliches finden konnte. 16 Reinschriftenprotokoll des PB, SAPMO-BA ZPA J IV 2/2/1474. SM

28 26 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Die vergeudeten 18 Monate Michael Kobs Die vergeudeten 18 Monate Quelle: Michael Kobs Michael Kobs (stehend) mit Kameraden. Die Maßbänder zeigten an, wie viele Tage die Betreffenden noch bei der NVA ausharren mussten. Täglich wurde 1cm abgeschnitten. Ich war 19 und brauchte eine Unterschrift vom Wehrkreiskommando, um mich für ein Studium bewerben zu dürfen. Darauf können Sie lange warten, war die Antwort. Das Studium hat sich abgegessen, dachte ich. Der Grund: Ich spielte in einer Punkband und sah auch so aus. Drei Monate später hatte Stasi-Chef Mielke die Nase voll. Er befahl, gegenüber Häwi Mietells, Punks und Ski-Händs die Samthandschuhe auszuziehen. 1 Republikweit wurden die Proberäume politisch unangenehmer Bands aufgebrochen. Und wer Beweismaterial, wie ein Textheft, hatte liegen lassen, der kam per Schnell verfahren in den Knast. Ich hatte unser Textbuch sicher unter der Hellerau-Schrankwand meines Kinderzimmers versteckt. Aus Mangel an Beweisen wurden 150 Punks und wir stattdessen zum Ehrendienst eingezogen. Wenigstens der Weg zum Studium war frei, dachte ich etwas schadenfroh. So fuhr ich im November 1983 nach Prenzlau, um mich dort an der Roten 1 OV Namenlos, BStU, MfS, BV Berlin AOP 4425/84, Bd.3, Bl. 96. Michael Kobs, geb. l963, ab l992 Regie-Studium an der HFF Babelsberg, heute freiberuflicher Drehbuchautor. Kaserne zu melden. Am Tor begrüßte mich ein Major mit der Gestalt eines Mäuse menschen. Für diese Spezies völlig un typisch er lächelte. Schön, dass Sie jetzt bei uns sind, Herr [...] Er kannte meinen Namen. Kein Zweifel, er war DIE STASI in Prenzlau. Mir standen die Haare zu Berge. Er zeigte mir, wo ich geschoren werde. Es war der Kultursaal des Pionier- Bataillons 32. Und das war in vielerlei Hinsicht ein verdammtes Glück. Erstens hatten die Schulterstücke der Pioniere einen schwarzen Rand. Ich war also beim Ausgang nicht gezwungen mit Weiß, Himmelblau oder gar Rosa herumzulaufen. Zweitens waren so viele Punks eingezogen worden, dass es in meiner Kompanie schon zwei davon gab, neben mir auch Roger. Drittens bestand die gesamte Kompanie ausschließlich aus Glatten 2. Kein E 3 würde mich tyrannisieren können. Und viertens war das Pionier-Bataillon dafür gedacht, im Ernstfall verheizt zu werden. Der Bataillonschef war Alkoholiker. Die Offiziere waren samt und sonders strafversetzt. Die Hälfte der Soldaten war bei einem Fluchtversuch an der Grenze erwischt worden. Und nun auch noch Punks. Wir Pioniere würden im Ernstfall im Rücken des Feindes Brücken sprengen. Das würde aber eine Menge radioaktiven 2 Ein Glatter war Soldat des ersten Diensthalbjahres. 3 Der E oder EK war das Kürzel für Entlassungskandidat. Staub aufwirbeln, dachte ich mir und hielt die Klappe. Die Grundausbildung nahm ihren Lauf. Im Wesentlichen oblag dieser langweilige Job jenem Dienstgrad, der sich vom Klang eines Bäuerchens herzuleiten schien, dem Uffz. 4 Wir hatten drei Uffze, welche in naher Vollendung die heilige Dreifaltigkeit der Wehrtüchtigkeit verkörperten. An das Gesicht von Uffz 1 kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern, da ich sechs Monate lang eigentlich nur sein glatt rasiertes Kinn zu sehen bekam. Er verstand es, eine tellergerade NVA-Mütze so zu verbiegen, dass das Eichenlaub samt Emblem erst dann lotrecht zum Erdmittelpunkt wies, wenn ihm der Schirm bereits am Nasenrücken klebte. Es war die Art eine Mütze zu tragen, die er bei Sturmbannführer Erik Dorf 5 im West-Fernsehen gesehen hatte. Schon zwanzig Jahre bevor der SS-Fetish- Style die schrille Modewelt von Harajuku 6 erobern sollte, hatte Uffz 1 ihn bereits zur Vollendung getrieben. Der Schnitt der NVA-Uniform war von der Wehrmacht übernommen 7 und wo auf der rechten Brust einst der Adler thronte, dort gab es nun die Quali-Spange in gleicher Form und Größe. 4 Unteroffizier. 5 Rolle in der TV-Serie Holocaust. 6 Japanisches Modezentrum. 7 Bis 1974 war deren Schnitt sogar nahezu identisch.

29 Horch und Guck 4/2010 Heft Stasi-Meldung über Michael Kobs 8 Strafmaßnahme Toilettenreinigung. Eine abgebrochene Radioantenne diente Uffz 1 als eine Art Camping-Reitpeitsche, die er entgegen dem starren Nazi- Original jederzeit mit sich führen konnte. Im ausgezogenen Zustand ließ sich damit hervorragend die Zahl der Liegestütze in den Handteller klatschen oder es ließ sich mit einem Minimum an körperlichem Einsatz in jene Richtung weisen, in welcher der Urinstein 8 zu suchen war. Dann schob er das Ding zusammen und ließ es auf Bleistift länge geschrumpft in die Brusttasche gleiten. Die leeren Hände vor dem Anus bequem zum V gefaltet, konnte er gemessenen Schrittes und locker wie der Führer die Truppe abschreiten. Ein Soldat furzte. Der lässige Gang von Uffz 1 erstarrte im Standbild. Die Uhren der Roten Kaserne tickten nicht mehr. Sogar die Krähen von Prenzlau hatten aufgehört zu singen. Die weißen Uffz-Finger tasteten nach der Brusttasche, zogen mit unheilvoller Langsamkeit die Antenne aus und das polierte Kinn unterhalb des undurchdringlich schwarzen Schirms begann zu zucken. In den Liegestütz vorlinks fallen! schallte eine eher helle Stimme über den Flur. Der nackte Stein warf sie tausendfach zurück und verwandelte den zackig deutschen Befehl zu den Enden des Flures hin in eine wabblig wohlige Klangwolke. Ihehih- stühfhohihfahehhhhhhh! Es war wie Gregorianischer Gesang. Es war angenehm feminin. Die Aufgabe der militärischen Grundausbildung bestand nun darin, diesen Befehl präzise aufzunehmen und so widerspruchslos wie synchron auszuführen. Hierbei stellte sich die physikalisch bedingte Schallgeschwindig- keit als Hürde für die Landesvertei- digung heraus. Das Glied der Soldaten kippte wie eine Reihe badebekappter Synchronschwimmerinnen zu Boden. Dort unten angekommen, ließ uns der Uffz eine gute Weile verharren, da es galt, die akkurate Ferse-Schulter-Po-Linie von 120 Soldaten einzeln zu begutachten und gegebenenfalls mit der Antenne zu korrigieren. Man musste schon besonders blöd sein, um ausgerechnet jetzt schlapp zu machen. Uffz 2 hatte rote Haare und eine schwere Sturmbrille. So waren auch seine Augen nur winzig am Ende jener kreisrunden Tunnel auszumachen, welche durch die Lichtbrechung unweigerlich erzeugt wurden. Da Uffz 2 vermutlich wenig sah, hatte er sich auf die Ausbildung einer erstschlagtauglichen Sprache spezialisiert. Stillgestanden verkürzte er zum kehligen Stüh Stah! Und dieser Umgang mit Sprache war Programm. Nach nur wenigen Wochen der Grundausbildung bemerkte ich ein unglaubliches Phänomen. Es war egal wen man etwas fragte oder wem man etwas erzählte. Unabhängig vom Inhalt der gesagten Worte gab es auf alles und jedes genau drei Antworten. Diese Antworten waren Ich wollt s nicht sagen oder Logomotion! oder Hast e günstig. Hatte man seinen Genossen selbst nichts mitzuteilen, so konnte man mit diesen drei Antworten die soldatische Konversation während der 18 Folgemonate durchaus bestehen ohne aufzufallen. Foto: MfS, BU , Band 1 Meine Frau lässt sich scheiden! Hast e günstig. Ich sollte mir das Leben nehmen. Ich wollt s nicht sagen. Ich tu s wirklich. Logomotion. Hast du mal ne Kippe? Logomotion. Hast du mal ne Kippe? Ich wollt s nicht sagen. Hast du mal ne Kippe? Hast e günstig. Hörst du mir überhaupt zu? Logomotion. Der ausbilderische Erfolg von Uffz 2 war also psychologischer Natur und entfaltete seine Wirkung eher unbemerkt und schleichend, dafür umso nachhaltiger. Uffz 3 wirkte äußerlich ganz normal. Er hatte braune Augen und hieß Micha. Er brachte uns bei, wie man bei Minus Zehn Grad mit einer Ponton-Ramme Brückenpfähle in den Schlamm eines reißenden Flüsschens rammt. Wir mochten ihn, unsere Truppe war gut, nur die Gummihosen waren NE und NE hieß soviel wie Nicht Einsatzbereit. Wir sprangen in das eiskalte Wasser und diese Hosen füllten sich von den Füßen her bis unter die Achseln langsam mit Wasser. Der Umkehreffekt beim Verlassen des Flüsschens sah recht erheiternd aus, nur dieser Spaß lag noch acht Stunden in der Zukunft. Wir standen im reißenden Wasser und versuchten die Pontons der Ramme zusammenzuziehen, um sie zu einer Ramm-Insel zu verbinden. Bis wir es geschafft hatten, waren wir alle pitschnass. Dann wurde die Schiene hochgeklappt, an der ein tonnenschwerer Rammbock hing. Der Rammbock wurde hochgezogen. Ein gewandter Kletterer musste sodann an der Schiene nach oben klettern und mit einem Hammer auf den Nippel hauen, bis ihm der Diesel ins Gesicht spritzte. Sobald der Vorschläger wieder unten war, zog ein anderer am Seil und der Rammbock sauste runter. Vom Eigengewicht zündete der Diesel und der Rammbock flog wieder nach oben. Das war der Moment wo die Zeit gestoppt wurde. Nach acht Stunden im eiskalten Wasser hatten wir derart die Schnauze voll, dass wir jeden bisherigen Rekord brachen. Es gab nichts mehr zu lernen und wir durften einrücken. Zumindest fast, denn zuerst mussten die Pontons wieder auf die LKWs verladen werden. Diese russischen Eisenschweine vom Typ Kras hatten den Vorteil, dass sie mit Speiseöl fahren konnten und

30 28 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Die vergeudeten 18 Monate angeblich in keinem Schlamm der Welt hängen blieben. Der Nachteil war, dass das grobschlächtige Getriebe ein ebenso grobes Spiel hatte. Mit anderen Worten, ein Eisenschwein stand rückwärts am steilen Ufer und es war gänzlich unmöglich, einen Kras am Hang so anzufahren, dass er nicht zuerst ein Stück zurück rollt. Aber darüber machte sich niemand ernsthaft Gedanken. Wir zogen mittels Seilwinden die Pontons aus dem Wasser und über mächtige Stahlrollen auf die Ladefläche. Plötzlich schrie jemand Halt! Soldat Telchow war irgendwie zwischen Kras und Ponton geraten und stand nun da. Gelände der NVA in Prora auf der Insel Rügen: FKK streng verboten. Michael Kobs (rechts) beim heimlichen Baden am Ostseestrand. Auf die sogenannte UE (Unerlaubte Entfernung von der Truppe) standen teils drastische Strafen. Die Stahlrolle drückte auf sein Brustbein, der Ponton stand in seinem Rücken. Er war bereits so eingequetscht, dass man ihn unmöglich herausziehen konnte. Das armdicke Stahlseil ließ sich lockern aber davon rutschte der Ponton keinen Millimeter zurück. Jemand musste das eiserne Ungetüm auf der Böschung so anfahren, dass es keinen Millimeter zurückrollt. Anderenfalls würde die Stahlrolle Telchows Herz wie eine Erbse zerdrücken. Während Telchow sein Leben vorbeiziehen sah, entschloß sich Gnubbel das Unausweichliche zu wagen. Gnubbel war nur 1,50 Meter groß, war bis zur Eichel tätowiert und rauchte die erste Karo bevor er morgens die Augen auftat. Zu diesem Zweck hatte er stets Karoschachtel und Feuerzeug unter dem blauweißen Kopfkissen. Hahe hohanni Hhauhhehhh hallte über den Flur und hieß Ganze Kompanie Aufstehen! Gnubbels Körper lag reglos da. Nur seine Hand fuhr unter das Kopfkissen, steckte ihm die Karo in den Mund, holte das Feuerzeug und zündete. Mit dem ersten tiefen Zug schlug er die Augen auf und starrte an die Decke des Kasernen zimmers. Ich lag unter ihm. Nur einen Augenblick später waren wir den Doppelstockbetten entsprungen. Es war Winter befohlen. Und so schlüpften wir in rote Turnhosen, gelbes Feinripp und streiften den braunen Elastikanzug über, welcher erst viele Jahre nach uns zum heiß begehrten Modeartikel avancieren sollte. Die braunen Trainingsjacken ließen sich hervorragend mit Küchentapetenmuster und falsch herum getragenen Frisuren kombinieren und machten so als Britpop-Stil Furore. Modisch unserer Zeit um Dekaden voraus warteten wir auf das allmorgendliche Hhühhohh. Wenn der Ruf zum Frühsport über den Flur hallte, trabten wir in einer Reihe den Gang entlang, die Treppe herunter und scherten im Erdgeschoß un gesehen zu den Klos aus. Von dort aus sahen wir durchs Fenster den anderen beim Frühsport zu. Gnubbel rauchte seine zweite Karo, ich meine erste Cabi. Sobald die anderen verschwitzt und halb erfroren die Treppe zurück nach oben krochen, reihten wir uns im sportlich leichten Trab wieder ein. Im Feldlager war jedoch alles anders. Gnubbel startete den Kras, schlug den Gang rein und trat brutal aufs Gas. Die Maschine brüllte auf und fuhr vorwärts. Telchow stand immer noch kreidebleich vor dem Ponton und konnte nicht begreifen, wie Gnubbel das einfach so tun konnte. Nach dieser Erfahrung meldete sich Telchow freiwillig und wollte für mindesten 10 Jahre Wehrdienst unterschreiben. In diesem Zustand wollte ihn nicht mal die NVA haben. Wir schmissen die Gummihosen von uns, zogen die vollgesaugten Wattehosen aus und hatten nicht die Bohne Lust unsere Bestzeit zu feiern. Ein halbes Jahr später würden unsere Nachfolger das Spiel wiederholen. Der Uffz unserer Nachfolger würde mit allen Mitteln unsere Bestzeit schlagen wollen. Quelle: Michael Kobs (5) Er würde persönlich an der Schiene nach oben klettern. Er würde selbst mit dem Hammer auf den Nippel schlagen, bis er den Diesel schmecken konnte. Er würde Los schreien. Ein Soldat würde perplex am Seil ziehen. Der Rammbock würde an der Schiene nach unten sausen. Im selben Moment würde der Uffz realisieren, daß jene Schiene ihm gleichzeitig als Leiter diente. Er würde realisieren, dass die Sprossen jener Leiter zu schmal waren, um bequem darauf zu stehen. Ihm würde einfallen, dass sein Fuß zur guten Hälfte vorn aus der Leiter heraussteht. Einen weiteren Augenblick später würde er zusehen, wie das überstehende Stück seines Fußes nebst der zugehörigen Stiefelspitze ins Wasser plumpst und auf den Wellen eilig davonschwimmt. Aber all das sollte erst im Frühjahr passie ren. Noch war Winter und wir waren die Besten. Zur selben Zeit marschierte Roger im Postenbereich auf und ab. Er sollte unser winterliches Zeltlager vor dem Amerikaner schützen. Inzwischen dämmerte es. Der Schnee unter seinen Stiefeln knirschte grau. Die Schatten schwanden. Nur wenige Meter von Rogers Posten entfernt feierten unsere Stabsoffiziere mit den höheren Dienstgraden der russischen Freunde ein kleines Besäufnis. Wohlig brannte das Licht im Fenster des beheizten Bauwagens. Leise klang die Musik herüber. Unvermittelt flog die Tür auf. Man hatte sich lallend darauf geeinigt ein kleines Wettschießen mit der Maschinenpistole zu veranstalten. Rechts und links von Roger schlugen die Kugeln in die Bäume. In Splittern flog die Borke von den Stämmen. Schreien nützte nichts. Sollte er zurückschießen? Hatte er das Recht zurück zu schießen und dieses verdammte Besäufnis ein für alle Mal aufzulösen? Bevor er sich die Frage selbst beantworten konnte, war es schon vorbei. Jemand hatte fetten Heilbutt besorgt. Die Tür vom Bauwagen flog zu. Es wurde weiter gefressen und weiter gesoffen und wie durch ein Wunder war Roger unversehrt. Gegen Ende der Grundausbildung gab es noch einmal einen Gewaltmarsch. Hardy hatte keinen Bock auf den Scheiß. Er war völlig betrunken und eisern ent schlossen, sich von mir einen Irokesenschnitt schneiden zu lassen. Aus Respekt vor den Konsequenzen, in welche ich Hardy stürzen würde, lehnte ich ab. Hardy schnappte seinen Rasierer und legte selbst Hand an

31 Horch und Guck 4/2010 Heft Die vier Mitglieder der Punkband auf Stasi-Fotos, Michael Kobs (mit Gitarre) wurde bei einem Konzert in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) aufgenommen. sich. In kürzester Zeit hatte er sich eine ganze Anzahl von Schnitten in die Kopfhaut gehackt und blutete wie ein Schwein. Es war nicht mit anzusehen. Ich gab nach und schnitt ihm das Ersehnte. Er sah gut aus. Am nächsten Morgen wurde er vor dem Bataillon von der Gefechtsübung ausgeschlossen. Für zwei Wochen sollte sich Hardy um die Rosenbeete vor dem Stabsgebäude kümmern. Der Rest unserer Kompanie rückte in den Stadtpark. Dort ging es mal im Entengang, mal im Krebsgang, mal im Dauerlauf mal sonst wie immer um das Fußballfeld. Dann war Pause. Alle rauchten. Nach einer halben Zigarettenlänge brüllten Uffz 1, Uffz 2 und Uffz3 Gaaaaas! Danach rannten wir unter Vollschutz und mit vollem Sturmgepäck immer im Kreis durch den Stadtpark bis sich die Reihe dezimierte. Meine Mitsoldaten fielen einfach um und blieben liegen. Einige kotzten in ihre Gasmaske. Wer helfen wollte wurde an geschrieen. Irgendwann kam ich ins Ziel. Ich hatte durchgehalten. Allerdings war meine Haut von Kopf bis Fuß von seltsamen roten Pusteln übersäht und juckte wie die Hölle. Ich ging damit zum Med-Punkt. Der Doktor hatte keine Ahnung. So was hatte er noch nie gesehen. Vielleicht eine Schweißallergie gegen den ei genen Schweiß vermutete er. Mehr konnte er nicht für mich tun. Für uns war die Grundausbildung vorbei. Es kam die Zeit der Ausgänge. Die Zeit der Ausgänge war die Zeit der besoffenen Heimkehrer. Die Zeit der besoffenen Heimkehrer, war die Zeit der vollgepissten Betten. Wer im Doppelstockbett oben schlief, der hatte schon gewonnen. Unsere ganze Kompanie wurde nach Prora auf Rügen verlegt. Dort hatten wir keinen Stahlhelm, sondern einen Bauhelm. Vom Staat waren wir abgestellt, um in Saßnitz einen Hafen zu bauen. Und vom Stab waren wir abgestellt, um für die Offiziere Datschen zu bauen. Es gab Kies und Beton und Steine im Überfluss. Es gab schwere Baufahrzeuge. Es gab gelernte Maurer und Schlosser und Tischler und Kraftfahrer. Es war ein Schlaraffenland für Offiziere. Ein Wochenende auf der Datsche brachte ein Wochenende Sonderurlaub. Wir fuhren alle zwei Wochen nach Hause. Mein lieber Freund Lade, der Sänger unserer alten Band, schrieb mir einen Brief. Er hatte es deutlich schlechter abgegriffen. Er war im Land der drei Meere: Sandmeer, Wassermeer, gar nichts mehr. Kein Offizier wollte dort eine Datsche bauen. Er hatte keinen Tag Sonderurlaub. Und er hatte unter der E-Bewegung reichlich zu leiden. Er wünschte sich nur eines: dass danach alles so weitergeht, wie es vorher war. Ich versprach es. Ich hatte keine Ahnung, dass der wirkliche Irrsinn der Armee noch vor mir lag. Ich hatte keine Ahnung, dass man beim Laufen einschlafen konnte. Ich hatte keine Ahnung, dass man Schnee grün anstreichen konnte. Und ich hatte keine Ahnung, dass aus einer Kompanie von Glatten knallharte E s hervorgehen konnten. Ich würde mein Bett einem heulenden Glatten anbieten. Er hatte schon zwei Nächte nicht geschlafen. Man hatte sich bei den Schikanen abgewechselt. Der Glatte war gerade halb ohnmächtig eingeschlafen, als der Gefreite Mutz in unsere Stube polterte und Wo ist mein persönlicher Glatter? brüllte. Mutz war E wie ich. Ich kannte ihn seit dem ersten Tag in Prenzlau. Ich bot ihm Prügel an. Nein, ich sagte ihm, wir werden ihm gemeinschaftlich die Fresse eintreten, wenn er den Jungen in meinem Bett auch nur wecken würde. Und diesbezüglich waren wir uns in unserer 12-Mann-Stube einig. Es endete damit, dass Mutz heulend bei uns am Tisch saß. Er hielt das alles nicht mehr aus, weil seine Frau mit den Kindern usw. usf. Logomotion. Hast e günstig. Ich wollt s nicht sagen. Lade hatte ich versprochen, dass danach alles so weitergeht. Aber daraus wurde nur bedingt etwas. Nach den vergeudeten 18 Monaten bewarb sich Lade an der Schauspielschule. Er wurde Schauspieler. Auch mich hatte die Armeezeit so ver ändert, dass ich keinen Drang mehr verspürte, das ursprünglich einzig mögliche Studium anzutreten. Ich bewarb mich ebenfalls an der Schauspielschule, aber nicht um Schauspieler zu werden, sondern beim Regie-Institut. Mit diesem Ansinnen war aus Stasi-Sicht selbst ein Gedienter noch gefährlich. Was ich damals nicht wusste: Die Stasi schaute sich jede Bewerbung genau an und sortierte unliebsame Kandidaten aus. Durch die Überprüfung vom in der DDE Abt. ROEM 12 wurde bekannt, dass der Kobs, Michael für Ihre DE erfasst ist. Der K. hat sich an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Regie Institut beworben. Da es sich bei diesem Objekt um einen operativen Schwerpunkt handelt und durch unsere DE Einfluß auf die Immatrikulierung genommen werden soll, bitten wir um schnellste Information der Gründe der Erfassung. Um telefonische Vorausmeldung an den Hptm. Kramer wird gebeten. BV Berlin Abt. ROEM 20 Häbler/ Oberst 9 Das war s dann. MK 9 MfSAU /86, Bd.1.

32 30 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Opposition in Uniform Peter Grimm Opposition in Uniform Verbotene Texte im Heizungskeller der Grenztruppen der DDR vervielfältigen, das schaffte eine kleine Bausoldatengruppe zwischen 1976 und Als Rudolf Keßner im Herbst 1976 zum eineinhalbjährigen Grundwehrdienst einberufen wird, trennen ihn nur wenige Monate von seinem 27. Geburtstag. Der Einberufungsbefehl kam also zum nach DDR-Gesetz spätestmöglichen Termin. Für Bausoldaten war das nichts Ungewöhnliches. Sie wurden üblicherweise erst so spät wie möglich einberufen. Eine zusätzliche Schikane für die Waffendienstverweigerer. Das geschah nicht nur, weil ein solcher Einschnitt wie der Armeedienst dann besonders unangenehm war. Die Waffendienstverweigerer konnten sich bis zu diesem Zeitpunkt nie sicher sein, ob sie zum nächsten der halbjährlichen Einberufungstermine geholt werden. Und mit jedem Halbjahr, in dem das nicht geschah, stieg mit der Wahrscheinlichkeit, bald dran zu sein, auch die Hoffnung, vielleicht doch einfach davonzukommen. Aber es wurde so gut wie nie einer vergessen. Auch Rudolf Keßner wird mit dieser Hoffnung enttäuscht. Dabei hatte er sich schon einen guten Wein besorgt, mit dem er die Nicht-Einberufung gefeiert hätte. Stattdessen tritt nun Bausoldat Keßner seinen Dienst an. Gerade in jenem Jahr beginnt die NVA den Umgang mit den Bausoldaten zu verändern. Bis dahin hatte man sie als Hilfstruppe den Baupionieren zugeteilt. Nun werden die Bausoldatenkompanien nach der Grundausbildung aufgelöst und in kleinen Gruppen von zehn bis zwanzig Mann auf verschiedene Standorte in der ganzen DDR verteilt. Peter Grimm, geb. l965, ist Journalist, Autor von Dokumentarfilmen und seit 2007 auch "Horch und Guck"-Redakteur Die Bausoldaten von Pätz Sie sollen so eingesetzt werden, dass sie möglichst wenig Kontakt zu anderen Wehrpflichtigen bekommen. Die NVA-Führung sorgt sich um die zersetzende Wirkung, die von den Waffendienstverweigerern ausgeht. Denn die sind zumeist kritische Geister, die dafür, dass sie für den Sozialismus nicht mit der Waffe in der Hand eintreten wollen, ihre weitere Bildungs- oder Berufskarriere aufs Spiel setzen. Rudolf Keßner kommt mit neun anderen Bausoldaten nach Pätz bei Königs Wusterhausen in das dort stationierte Kommando der Grenztruppen der DDR. Die meisten Bausoldaten werden hier als Heizer eingesetzt. Gleich am Anfang bemerkt Keßner, dass er es mit seinen Kameraden ganz gut getroffen hat. Es ist eine sehr politische Gruppe, in der viele sehr interessante Gespräche möglich sind. Nur einer ist besonders fromm und will der militärischen Obrigkeit keinen Ärger machen. Und zwei Bausoldaten tun sich mit dem frechen, aufmüpfigen Ton der kleinen Truppe anfangs etwas schwer, doch sie gewöhnen sich daran. Die anderen sehen sich bald herausgefordert, mehr zu tun, als nur zu diskutieren. Ihre Grundausbildung in Zeithain beginnt mit einer Nachrichtensperre. Das bedeutet in diesem Fall, die Bausoldaten sollen keine Nachrichten von draußen erreichen. Welche Nachrichten sie nicht erreichen sollen, erfahren sie nach der Verlegung nach Pätz von den dortigen Zivilangestellten: Wolf Biermann ist ausgebürgert worden und die SED hat gerade alle Hände voll tun, die allerorten aufkeimenden kritischen Stimmen nieder zu halten. Den meisten in der kleinen Bausoldatengruppe geht es wie Keßners Kameraden Reinhard Schult, der später zu einer zentralen Person der Opposition wird: Sie kennen Biermanns Lieder nicht. Schult sagt, ihn hatte Biermann nicht besonders interessiert, aber nun nach der Ausbürgerung müsse man ihn doch kennenlernen und die verbotenen Texte verbreiten. Von einer Freundin leiht er sich einen Tonband- Mitschnitt des Kölner Biermann-Konzerts. Die Bausoldaten schreiben die Texte ab und vervielfältigen sie mit Schreibmaschine und Durchschlagpapier. Doch bei den Biermann-Texten bleibt es nicht. Viele Bücher und Autoren sind verboten in der DDR und was die Gruppe Quelle: Rudolf Keßner (4)

33 Horch und Guck 4/2010 Heft Staats- und Parteichef Walter Ulbricht dar. Es sind Fotos, Malereien und Zeichnungen, die seinerzeit noch in unzähligen Büros, Speiseräumen und Mehrzweckzim- mern gehangen haben. Nachdem Walter Ulbricht aus diesen Räumen verschwinden musste, sollen nun auch die Bilder selbst vernichtet werden. beschaffen kann, vervielfältigt sie auch, wie Texte von Reiner Kunze oder Gerulf Pannach und die Gedächtnisprotokolle von Jürgen Fuchs. Mit so viel Unverfrorenheit im Kommando der Grenztruppen rechnet offenbar niemand, auch wenn die Bausoldaten in Pätz den Offizieren schon als aufmüpfige Sonderlinge gelten. Allein dass es ihnen am Beginn ihrer Pätzer Dienstzeit gelungen ist, drei Schreibmaschinen mit in die Kaserne zu bringen, ist ungewöhnlich. Keßner kann sich noch an die Diskussion mit einem Offizier erinnern, als er mit seiner Schreibmaschine in die Kaserne wollte. Der neue Bausoldat argumentierte mit den Vorschriften, in denen nichts von einem Verbot von Schreibmaschinen stehe. Außerdem müsse er als selbstständiger Handwerker auch während seiner Dienstzeit bei der NVA so manche Geschäftskorrespondenz erledigen und das könne er nicht handschriftlich tun. Dieses Argument öffnet das Kasernentor für seine Schreibmaschine. Allerdings muss nun auch das benötigte Papier besorgt und die fertigen Texte müssen aus der Kaserne geschmuggelt werden. Allein die Papierbeschaffung ist ja in der DDR ein Problem, zumal für einen Soldaten, der kaum aus der Kaserne e kommt. Doch Keßners Tante besitzt ein Schreibwarengeschäft und daher kann er viel von dem benötigten Durchschlagpapier besorgen. Für den Transport der Texte nach draußen ist es hilfreich, dass ein Bausoldat auch die medizinischen Einrichtungen des Kommandos zu beheizen hat und die liegen außerhalb der Kaserne. Doch auch wenn die Bausoldaten mal Ausgang haben, nehmen sie Blätter mit. Wichtiger Anlaufpunkt draußen ist das Pfarrhaus von Königs Wusterhausen. Hier haben viele der Pätzer Bausoldaten verbotenerweise Zivilsachen deponiert. Eigentlich dürfen sie im Ausgang die Gegend nicht verlassen, doch Reinhard Schult fährt in Zivil nach Hause nach Berlin. Das Risiko, bei einer Ausweiskontrolle erwischt zu werden, ist für ihn gering, denn er hat seinen Personalausweis nicht abgegeben, obwohl dies Vorschrift ist. Aber keiner beschwert sich darüber. Und so kommen in der Kaserne vervielfältigte Texte auch regelmäßig nach Ost-Berlin. Die anderen Bausoldaten verteilen sie ebenso bei ihrem Heimaturlaub. Da die verbotene Vervielfältigung zunächst nicht auffliegt, machen sie immer weiter bis zum Ende ihrer Dienstzeit. Die Pätzer Bausoldaten treffen sich auch regelmäßig zu Andachten und Gesprächen in ihrer Baracke. Weil sie dabei auch stimmgewaltig Choräle singen, fühlen sich die benachbarten Unteroffiziere bald gestört und der Kommandeur verbietet ihnen das fromme Treiben. Also versammeln sich die Bausoldaten fortan im Heizungskeller. In diesen Runden kommt es zu vielen interessanten Gesprächen und Keßner empfindet sie auch als eine Art kleiner Heizungskeller-Akademie, denn man kann immer etwas voneinander lernen. Diese Runden fallen natürlich auf, vor allem weil die Bausoldaten-Gruppe ihre Vorgesetzten auch mit allerlei anderen Aufsässigkeiten piesackt. Manches ist harmlos, wie die Grüße an die Postkontrolleure, die man frech in die Briefe schreibt. Einige der Eingaben und Beschwerden liegen den Vorgesetzten dagegen schon schwerer im Magen. So protestieren die Bausoldaten gegen die miserable Qualität des Politunterrichts. Sie wollten nicht nur Passagen aus dem Neuen Deutschland vorgelesen oben: Bausoldat Schult in der Kaserne rechts: Eingezogen zum letztmöglichen t li Zeitpunkt: Mit 26 zum Grundwehrdienst Bausoldat Rudolf Keßner. bekommen, sondern erwarten etwas Niveauvolleres, schreiben ausgerechnet die Waffendienstverweigerer in einer Beschwerde. Eine klare Provokation, doch wie sollen sich die Vorgesetzten en verhalten? Die Formulierungen der Eingabe geben nichts Staatsfeindliches her. Ohne zu antworten, entscheiden sich die Offiziere für eine ganz pragmatische Lösung: Es findet einfach kein weiterer Politunterricht mehr statt. Niemand hätte geahnt, dass man sich dieser öden Stunden so einfach würde entledigen können. Gerade die Unteroffiziere hatten es schon schwer mit uns sagt Keßner heute. Zum einen sind sie jünger als die Bausoldaten, die sie zu befehligen haben. Dann sind ihnen die meisten nicht nur an Lebenserfahrung, sondern auch an Bildung überlegen. Diskussionen gehen die Vorgesetzten also möglichst aus dem Wege. Immerhin bleiben ihnen mit den Bausoldaten andere Probleme erspart. Es gibt weder exzessive Trinkgelage noch Prügeleien wie in so mancher normalen NVA-Einheit. Stattdessen kümmern sie sich um Kontakte zu anderen Bausoldaten. Schon bei der Grundausbildung haben sie Adressen gesammelt und knüpfen nun mittels Rundbriefen ein kleines Netzwerk. Zuweilen sorgen aber auch die Aufgaben im Heizungskeller des Grenztruppenkommandos für absurde Situationen sollen einige Pätzer Bausoldaten einen großen Haufen Bilder in ihren Öfen verbrennen. Es sind nicht irgendwelche Bilder. Alle stellen auf unterschiedliche Weise den vier Jahre zuvor verstorbenen früheren

34 32 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Opposition in Uniform Verbotene Fotos vom Tatort : Im Kommando der Grenztruppen in Pätz Doch statt die Werke zu verheizen hängen die Bausoldaten die einstige Staatskunst im Heizungskeller an die Wände. Es entsteht eine skurrile Ausstellung, über die zunächst auch der Offizier lacht, der sie bei einem Inspektionsgang als erster r Vertreter der Obrigkeit sieht. Ein anderer ist kurze Zeit später viel humorloser. Das sei eine Verleumdung von Repräsentanten der DDR, brüllt er und droht mit Konsequenzen. Allerdings lässt sich diese Argumentation nur schwer durchhalten, wenn die angeblich verleumderisch aufgehängten Ulbricht-Bilder befehlsgemäß hätten verfeuert werden sollen. Also begnügt sich auch dieser Offizier damit, dafür zu sorgen, dass die Bilder nun tatsächlich in den Ofen kommen. Das Treiben dieser Bausoldatengruppe weckt selbstverständlich den Argwohn der Stasi. Also wird ein Spitzel geschickt. Der IM mit dem Decknamen Norbert Schöne wird als Bausoldat von der Offiziersschule der Grenztruppen in Plauen nach Pätz kommandiert. Gegen Keßner und Schult ermittelt die Stasi seit 1977 im Operativen Vorgang (OV) Ketzer. IM Norbert Schöne ist nicht die einzige Informationsquelle. Die Stasi installiert auch Abhörtechnik im Heizungskeller des Kommandos der Grenztruppen, um die Bausoldaten zu belauschen. Eigentlich hätte man sie verhaften können, doch die Stasi verzichtet aus politisch-operativen Gründen darauf, wie es in den Akten des OV Ketzer heißt versucht die SED, die Kirche ein wenig zu umwerben. Erich Honecker trifft sich öffentlichkeitswirksam mit Bischof Albrecht Schönherr, da könnten Verhaftungen von Männern, die als engagierte Christen gelten, nur stören. Im Frühjahr 1978 sind auch die eineinhalb Jahre vorbei. Nur Rudolf Keßner muss noch zwei Tage im Strafarrest nachdienen. Er hatte einen Smiley-Aufkleber auf die Bausoldat Schult im Heizungskeller des Grenztruppenkommandos Quelle: Rudolf Keßner (2) Plastikhülle seines Wehrdienstausweises geklebt über das DDR-Staatswappen. Das, befand der Kommandeur, sei eine Verunglimpfung staatlicher Symbole und mit Strafarrest zu ahnden. Während nun die anderen aus der Gruppe nach Hause fahren wird Keßner nach Berlin in die Kaserne am Kupfergraben gebracht. Die stundenlangen Übungen, wie die, mit einem Panzerkettenglied in der Hand über den Kasernenhof zu hüpfen, sind quälend. Nach dieser Schikane ist er körperlich am Ende und macht sich nach der Entlassung zuerst auf den Weg zu Reinhard Schult, der ja in Ost-Berlin lebt. Der kann sich noch erinnern, wie schwer es Keßner nach der Übungs-Tortur gefallen ist, die wenigen Treppenstufen bis zu seiner Wohnung zu schaffen. Anderthalb Jahre später schlägt die Stasi dann doch zu. Es gibt Festnahmen und Hausdurchsuchungen. Reinhard Schult wird verhaftet. Angeklagt ist er u.a. wegen der Verbreitung staatsfeindlicher Schriften. Und für den Prozess ist Rudolf Keßner fest mit einer belastenden Aussage eingeplant. In Verhören versucht die Stasi, ihn unter Druck zu setzen. Er soll gegen Schult aussagen. Zum Prozess wird er als Zeuge vorgeladen. Keßner sitzt wartend im Gerichtsflur und der Häftling Schult wird durch den Gang geführt. Und dieser Häftling muntert den vorgeladenen Zeugen mit einer kleinen Handbewegung auf. Keßner kann sehen, der Schult ist nicht gebrochen. Das macht es ihm leichter, nun am Verhandlungstag die Prozess-Regie zu durchkreuzen. Unüberhörbar bestreitet er alle Angaben, mit denen er angeblich die Anklageschrift untermauert haben sollte. Und diesen Auftritt kann das Gericht nicht ignorieren. Zumal er in diesem Prozess nicht der einzige Belastungszeuge ist, der sich der Prozessregie widersetzt. Ein anderer, der Schult wegen Beihilfe zur Republikflucht belasten sollte, widerruft seine Aussage. Das Urteil fällt daraufhin vergleichsweise milde aus: Wegen Öffentlicher Herabwürdigung wird Schult zu acht Monaten Haft verurteilt. Die hatte er zu diesem Zeitpunkt mit der Untersuchungshaft so gut wie abgesessen. Rudolf Keßner sieht seine Bausoldaten- Zeit auch im Rückblick als außerordentlich wichtig und lehrreich. Für seine spätere Zeit in der DDR-Opposition hat er viel gelernt. PG

35 Horch und Guck 4/2010 Heft Andreas Förster Der Abwehroffizier Nein, Angst sei es nicht, weshalb sein Name nicht genannt und sein Gesicht nicht gezeigt werden soll. Mir lauert schon keiner in einer dunklen Seitenstraße auf, scherzt er. Aber er lebe ja nicht allein, er habe Familie, Freunde. Und die anderen sind immer noch mächtig hier. Die hauen Dir nicht auf den Kopf, aber sie haben wie früher die Verbindungen, um Dir zu schaden. Wir sitzen in einem leeren Hotel am Stadtrand von Brandenburg/Havel. Werner Schmidt nennen wir ihn so will dieses Gespräch nicht in seinem Haus führen. Zu viele alte Kollegen ringsherum, die zu neugierig sind, sagt er. Die alten Kollegen waren bis vor zwanzig Jahren so wie Schmidt Offiziere des DDR-Staatssicherheitsdienstes. Für Schmidt aber sind sie inzwischen die anderen weil sie es ihm krumm nehmen, dass er offen und kritisch über seine frühere Arbeit spricht und sich dem Schweigegebot widersetzt. Wie offen Schmidt in unserem Gespräch wirklich ist, lässt sich schwer nachprüfen. Die Akten, die seine fast drei Jahrzehnte währende Arbeit für die Stasi-Hauptabteilung I widerspiegeln könnten, sind weitestgehend vernichtet. Auch deshalb muss man mit der nötigen Skepsis seine Aussagen bewerten. Für ihn spricht, dass er von sich aus das Gespräch gesucht hat und anders als viele andere ehemalige Stasi-Offiziere seine frühere Tätigkeit nicht rechtfertigen will und sie kritisch reflektiert. Andreas Förster, geb. l958, Journalist und Buchautor, Berliner Journalisten-Preis "Der lange Atem" 2009, Publikationen u.a.: Auf den Spuren der Stasi- Millionen, Berlin l998; Schatzräuber - die Suche der Stasi nach dem Gold der Nazizeit, Berlin Auf 20 Soldaten sollte bei den Grenztruppen mindestens ein IM kommen. Wehrpflichtige werden hier 1976 in den Grenzdienst eingewiesen. Es ist auch nicht das erste Mal, dass sich Werner Schmidt öffentlich zu seiner Vergangenheit bekennt. Im März 2010 hatte er eine Veranstaltung des CDU- Kreisverbandes Brandenburg besucht. Die Debatte drehte sich um den Umgang mit der DDR-Geschichte. Da war er aufgestanden und hatte sich als früherer Stasi-Offizier zu erkennen gegeben. Es müsse eine offensive Aufarbeitung des Stasi-Unrechts in der Havelstadt geben, forderte er und bot seine Mitarbeit an. Als eine Zeitung darüber berichtete, riefen ihn ehemalige MfS- Mitarbeiter an. Fünf Mann, erinnert sich Schmidt. Zum Teil hatte ich die seit der Wende nicht mehr gesprochen. Sie sagten mir, sie seien entsetzt, wie könne ich so etwas machen. Nach zwanzig Jahren sei es doch besser, alles endlich ruhen lassen. Aber Schmidt will die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Weil auch sie ihn nicht ruhen lässt, wie er sagt. Deshalb will er darüber reden, was seine Aufgabe war bei der Überwachung von Wehrdienstleistenden in der NVA und bei der Steuerung ganzer Kompanien Inoffizieller Mitarbeiter in der Truppe. Es war vieles wichtig und richtig, was ich als Abwehroffizier gemacht habe, betont er zwar. Damit übernimmt er die Verteidigungslinie vieler Stasi-Offiziere, die ihr eigenes Handeln als notwendig und korrekt verteidigen. Gleichwohl geht Schmidt weiter. Ich war auch ein Täter, gibt er zu. Zwar habe er so stellt es Schmidt zumindest dar keine strafbaren oder menschenrechtswidrigen Handlungen vollzogen. Aber ich gehörte als Offizier zu einem Apparat, der Menschen unterdrückte und sie unrechtmäßig behandelte, sagt er. Das habe ich geduldet, das ist meine Schuld. Werner Schmidt, Jahrgang 1939, kam 1961 zur Stasi. Bis zum Ende des MfS arbeitet er als Abwehroffizier in der Hauptabteilung I, deren Hauptaufgabe die operative Absicherung der DDR-Streitkräfte und Grenztruppen war. Bis 1977 erledigte Schmidt diesen Job als Angehöriger der sogenannten Verwaltung 2000 direkt in der Truppe. Ich gehörte als Abwehroffizier zwar zur Regimentsführung, aber mit dem Dienstgrad Leutnant lag ich natürlich viel tiefer, was die leitenden Offiziere mir auch zu verstehen gaben, sagt er. Die Verbitterung darüber schwingt noch heute mit, was auf das tief sitzende Elitenbild der Stasi- Foto: ADN-ZB/Reiche, Bundesarchiv Bild 183-R

36 34 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Der Abwehroffizier Mitarbeiter schließen lässt. So erzählt er noch immer empört, dass er damals nur ein winziges Dienstzimmer hatte und sich sein Fahrzeug mit dem Stabschef teilen musste. Schmidt war zunächst im Panzerregiment Eggesin eingesetzt, 1968 kam er zum Mot.-Schützen-Regiment nach Brandenburg/Havel. Im Schnitt gab es pro Möglichst über jeden Wehrpflichtigen sollte es einen IM-Bericht geben, bevor er einem Truppenteil zugeordnet wurde. Grenzsoldaten in einer Übungspause Regiment 50 IM, auf die ich zurückgreifen konnte, um Informationen über Offiziere und Soldaten zu bekommen, erzählt er. Dazu hätten auch archivierte IM gehört, deren aktive Zusammenarbeit bereits beendet worden war, auf die er aber jederzeit zurückgreifen konnte. Neben der Stimmung in der Truppe und der politischen Zuverlässigkeit der Soldaten, über die ihn regelmäßig und sehr detailliert die Politoffiziere ins Bild gesetzt hätten, habe er auch immer Korruption und Mauscheleien unter den Offizieren nachspüren sollen. Das gab es bis ganz nach oben, bis zu den Regimentskommandeuren und dem Chef des Militärbezirks, erinnert sich Schmidt. Da wurden Ferienplätze, Wohnungen und Autos rumgeschoben, immer ging es um so was. Einmal habe er in dieser Zeit einen Regimentskommandeur ertappt, der beim Abriss einer Kaserne mitkassiert hatte. Ich habe meine Erkenntnisse an den vorgesetzten Abteilungsleiter vom Militärbezirk 5, einem Oberst, weitergegeben. Der hat sich die Sachen angesehen und zu mir gesagt: Eigentlich müsste ich Sie bestrafen. Das war s, passiert ist dem Kommandeur nichts. Ein Tabu war auch die EK-Bewegung in der Truppe. Da gab es unglaubliche Vorgänge, Misshandlungen, Demütigungen, bis hin zu Selbstmorden, sagt Schmidt. Aber das durfte es ja nicht geben in der NVA. Also wurde sehr viel totgeschwiegen. Das führte natürlich zu großem Frust bei mir und den IM, die darüber berichtet hatten. Du hast Dich gefragt, wozu arbeite ich eigentlich wird Schmidt aus der Armee abgezogen und quasi in den Innendienst versetzt. Er kommt nach Berlin-Oberschöneweide, in die Schnellerstraße, wo die Abteilung Territorialverteidigung (HA I/TV) sitzt. Er wird dort stellvertretender Referatsleiter und für die Anleitung der Abwehroffiziere in den Bezirksverwaltungen (BV) und Kreisdienststellen zuständig, die die Wehrkommandos überwachen. Deren Aufgabe war es so formulierte es der frühere Chef der HA I, Manfred Dietze, in dem vor ein paar Jahren erschienenen Propagandawälzer Die Sicherheit 1 recht euphemistisch darauf Einfluss zu nehmen, dass bei der Vorauswahl von Offiziersschülern, Soldaten auf Zeit, Angehörigen der Grenztruppen die Sicherheitskriterien eingehalten wurden. Schmidt ist nun ständig unterwegs. Jedes Jahr fährt er 50 der insgesamt 215 DDR-Wehrkreiskommandos an, um dort an Beratungen teilzunehmen. Daneben schult er die Abwehroffiziere in den Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen und klärt mit ihnen diffizile Fälle, etwa von Wehrdienstverweigerern und aus Sicht der Stasi auffälligen Jugendlichen, deren Einberufung bevorsteht. Die Wehrkreiskommandos waren ja keine Einrichtung des MfS, aber was die Einberufungen anging, lief nichts Foto: ADN-ZB/Reiche, Bundesarchiv Bild 183-K Reinhard Grimmer, Werner Irmler, Willi Opitz, Wolfgang Schwanitz (Hg): Die Sicherheit, Zur Abwehrarbeit des MfS, Berlin 2003 ohne uns, sagt er. So hätten die Abwehroffiziere der Kreisdienststelle die Sicherheitsüberprüfung der Wehrdienstleistenden erledigt, insbesondere bei Grenzern, Offiziersschülern, Piloten, Kampftauchern und Spezialkräften. In den Kreisdienststellen gab es ein eigenes Referat Sicherheitsüberprüfung, das die Einberufungskandidaten ringsum aufklärte, erzählt Schmidt. Diese Referate hatten je nach Größe des Kreises drei bis vier Mitarbeiter und einen Leiter. Sie hatten Zugriff auf alle IM der Kreisdienststelle (KD) in Betrieben, Schulen und Wohngebieten. Über alle Kandidaten seien Handakten angelegt worden, die beim Abwehroffizier in der KD lagerten. Darin musste mindestens eine IM-Einschätzung enthalten sein. Protokolliert wurde in der Handakte, wie die Einberufung vorbereitet wurde, wie die politische Zuverlässigkeit der jungen Leute, ihrer Familien und Freunde einzuschätzen ist, welche charakterliche Eignung sie haben und ob es Westverbindungen in der Familie gibt. Besonders viel Augenmerk wurde natürlich auf die künftigen Grenzsoldaten gelegt. Vor jeder Einberufung gab es drei Sitzungen im Wehrkreiskommando, in denen es ausschließlich um die Auswahl der Grenzer ging, sagt Schmidt. Die letzte Entscheidung darüber, ob ein junger Mann tatsächlich zu den Grenztruppen kam, hatte dabei der Abwehroffizier von der Kreisdienststelle. Bei den Grenztruppen gab es zudem eine MfS-interne Vorschrift, wonach im Durchschnitt auf 20 neue Soldaten ein IM der HA I/Grenztruppen kommen sollte. Diese IM mussten laut Schmidt schon im Vorfeld der Einberufung von den Kreisdienststellen geworben werden. Insgesamt habe es damit pro Einberufung 450 bis 500 IM bei den Grenzern gegeben. Ziel war es, dass bei Streifen an den Westgrenzen immer mindestens ein IM dabei war. Um das umzusetzen, wurden auch die Kompaniechefs, die die Streifen einteilten, in die IM-Arbeit einbezogen. Auf höherer Ebene als den Wehrkreisund -bezirkskommandos wurde zwischen NVA-Führung und Stasi das Thema Wehrdienstverweigerer beraten. Wie Schmidt sagt, habe es vor jeder Einberufungsrunde Gespräche gegeben über die Listen A und B, also Bausoldaten und Totalverweigerer. Pro Halbjahr seien es zwischen 50 und 100 Verweigerer gewesen, nur die gerings te

37 Horch und Guck 4/2010 Heft Zahl von ihnen wurde einberufen oder inhaftiert. Wer inhaftiert werden sollte, wurde halbjährlich vor den Einberufungsterminen festgelegt, weil man ja Haftplätze brauchte. Die letzte Entscheidung darüber traf in jedem Fall Mielke, sagt Schmidt. Das habe ja auch immer von der politischen Lage abgehangen, ob etwa Parteitage oder andere politische Höhepunkte anstanden, oder ob sich bei der SED-Führung offiziel le Besucher aus dem Westen angekündigt hatten. Vor diesen Entscheidungen gab es auch Abstimmungen des MfS mit dem damaligen Konsistorialpräsidenten Manfred Stolpe, behauptet Schmidt. Stolpe habe es dann hinterher als Erfolg verkaufen können, wenn er Leute vor der Haft bewahrt habe. Das konnte ja auch in unserem Interesse sein, sagt Schmidt. Zu den Aufgaben der Abwehroffiziere in den Kreisdienststellen gehörte auch die operative Bearbeitung der Mitarbeiter in den Wehrkreiskommandos. Schließlich lagerten in den Räumen der Wehrkreiskommandos Dokumente zur Mobilmachung und Landesverteidigung im Kreis, weshalb die Stasi sicher gehen wollte, dass der Feind dort keinen Fuß in die Tür bekam. Jedes Wehrkreiskommando hatte im Schnitt zwischen 15 und 20 Mitarbeiter. Zu deren Überwachung strebte die Stasi mindestens vier IM in jeder Einrichtung an. Da war zunächst die oberste Leitungsebene, wo in der Regel der Stabschef angeworben wurde. Weitere IM führten die Kreisdienststellen üblicherweise in den Bereichen Mobilmachung, VS-Stelle und Auffüllung. In letztgenanntem ging es auch darum, bei der Einberufung dafür zu sorgen, dass ausgewählte IM in bestimmte Truppeneinheiten möglichst unauffällig geschleust werden. Nicht immer aber, so schränkt Schmidt ein, sei es gelungen, den angestrebten Bestand von vier IM je Wehrkreiskommando zu erreichen. Die Überwachung der rund 230 Wehrbezirks- und -kreiskommandos durch die Stasi führte laut Schmidt durchschnittlich zu fünf Operativ- Vorgängen (OV) und über 200 Operativen Personenkontrollen (OPK) pro Jahr. Dabei ging es um den Verdacht von Spionage, Geheimnisverrat oder ungenehmigten Westverbindungen. Nur ganz vereinzelt aber endeten diese OV auch mit Festnahmen. Offenbar hatte der Westen vielleicht auch aus einer Fehleinschätzung heraus kein großes Interesse an den Wehrkommandos. Schmidt sei als eine Art Oberaufseher stets über die OV und OPK informiert worden. Daher weiß er auch, dass die Stasi- Untersuchungen deutlich mehr Ergebnisse zutage förderten, wenn es um Korruption und Vetternwirtschaft ging. Die Leute waren doch alle miteinander verbandelt im Kreis, man kannte sich und schob sich gegenseitig dies und das zu, erzählt Schmidt. Offiziere aus den Wehrkreiskommandos (WKK) hätten Soldaten auf ihren Datschen arbeiten lassen oder sie an ihre Kumpels vermittelt. Es sei auch vorgekommen, dass Funktionärskinder bei der Einberufung bevorzugt wurden. Nur politische Verfehlungen habe es bei WKK-Offizieren nicht gegeben, sagt Schmidt. Nach der Auflösung der Stasi habe seine Abteilung viele ihrer Akten vernichtet. Unsere Akten wurden in Krampnitz, auf dem Schießplatz der Russen, verbrannt und verbuddelt, sagt er. Im Februar 1990 musste er in der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg erscheinen. Dort in der Ruschestraße erhielt er seine Entlassung und ein Übergangsgeld von Mark. Ich war damals Major, hatte ein Monatsgehalt von Mark. Da frage ich mich schon, was die höheren Chargen an Entlassungsgeld bekommen haben, sagt er. Schmidt ist heute 71 Jahre alt und Rentner. Nach der Entlassung aus dem MfS arbeitete er kurzzeitig als Zivilangestellter bei der NVA und dann der Bundeswehr, bis man mitbekam, dass er bei der Stasi war. Er wurde Fahrlehrer, dann Krankenwagenfahrer. Er lebt immer noch in Brandenburg/ Havel, wo er sich ein Haus gebaut hat. In der Stadt hier kenne ich keinen einzigen Mitarbeiter der Kreisdienststelle, der sich öffentlich zu seiner früheren Arbeit bekannt hat, sagt er. Offenbar haben sie alle gemeinsame Leichen im Keller, weil sie damals ihre Datschen mit Schwarzgeldern renovierten und sich gegenseitig Autos und Westsachen zuschoben. Und dann gebe es da noch den Fall Eigendorf: 20 der 50 KD-Mitarbeiter seien über Jahre hinweg damit befasst gewesen, die Familie des in den Westen geflüchteten und später dort unter mysteriösen Umständen tödlich verunglückten BFC-Fußballers zu überwachen. Die sollten herausfinden, wo Lutz Eigendorf im Westen lebt, wann er sich wo aufhält, sagt Schmidt. Damit haben die alle ihren Anteil am Tod Eigendorfs, deswegen halten sie alle das Maul. Nein, er trifft sich schon seit vielen Jahren nicht mehr mit den alten Kollegen, sagt Schmidt noch. Ich suche auch nicht den Kontakt. Die Chefs von früher hingegen machten nach wie vor ihre Traditionstreffen, auch hier in Brandenburg. Das Gerade im Grenzdienst wollte die Stasi am liebsten in jeder Streife einen IM haben. Ausbildung von Grenzsoldaten 1981 sind dieselben, die schon damals zusammen Weihnachten feierten in den Stasi- Ferienheimen, die für die einfachen Mitarbeiter verschlossen waren, sagt Schmidt verbittert. Wer damals nicht dazugehörte, tut es heute auch nicht. AF Foto: ADN-ZB/Schaar, Bundesarchiv Bild 183-Z

38 36 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Selbsttötungen in der NVA Udo Grashoff Selbsttötungen in der NVA Ich könnte mit dem Schädel gegen die Wand laufen, mich besaufen, berauschen, die eisige kalte Nacht genießen, aus flippen, irgendwo allein verrecken, schrieb ein Wehrpflichtiger im Oktober 1984 in sein NVA-Tagebuch. 1 Ein anderer notierte: Denke an Selbstmord. Ein legitimes Mittel, sich diesem System zu entziehen? 2 Viele private Aufzeichnungen von Wehrpflichtigen deuten eigene Verzweiflungssituationen an, oder sie berichten über Suizid versuche von Kameraden. Suizidale Gedanken und Handlungen sind Teil der kollektiven Erinnerung ehemaliger NVA-Soldaten, wobei sie zumeist als Chiffre fungieren, die schmerzvolle eigene Erfahrungen verdeutlichen soll. Über die tatsächlichen Hintergründe von Selbsttötungen ist in den meisten Fällen nichts bekannt. Für die Annahme, dass suizidale Handlun gen auf die eine oder andere Weise durch den Wehrdienst bei der NVA verursacht sein konnten, gibt es Belege in den 1 Wulf Bender: 542 Tage. Die Aufzeichnungen eines ostdeutschen Wehrpflichtigen, Kiel 1999, S Joerg Waehner: Einstrich Keinstrich. NVA-Tagebuch, Köln 2006, S. 50. Dr. Udo Grashoff, geb. l966, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Zeitgeschichte der Universität Leipzig, arbeitet an einer Habilitation über Verrat im kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Publikationen u.a.: In einem Anfall von Depression... Selbs ttötungen in der DDR, Christoph Links Verlag Berlin 2006, Schwarzwohnen in der DDR, erscheint bei Vandenhoeck & Ruprecht im Frühjahr 20ll. Protokoll einer Verzweiflungstat. Wegen mehrfachem unerlaubtem Entfernen (UE) von der Truppe hätten dem Soldaten nach 255 StGB bis zu drei Jahre Haft gedroht. Akten der Staatssicherheit. So fügte sich ein Soldat kurz vor Weihnachten 1977 mit einer Rasierklinge Verletzungen am Unterarm zu, nachdem er von Angehörigen des zweiten Diensthalbjahres kollektiv ge demütigt worden war: Der junge Soldat war nach dem Abendessen von 15 Kameraden gezwungen worden, auf einen Schrank zu steigen und zu bellen. 3 Dokumentiert ist in den MfS-Akten auch der Versuch eines Unteroffiziersschülers, sich im Herbst 1980 das Leben zu nehmen, nachdem er in zwei Abschiedsbriefen als Grund für sein Handeln die ständigen Schikanen durch einen Unteroffizier angegeben hatte. Bei der Untersuchung des Falles bestätigten sich die Vorwürfe, so war der 20-Jährige offenbar grundlos für längere Zeit an einem Mast festgebunden worden. Die Vorgesetzten reagierten auf die gestörten sozialistischen Beziehungen, indem sie den Unteroffizier degradierten und den Unteroffiziersschüler in eine andere Einheit versetzten. Bei der Untersuchung kam aber auch heraus, dass sich die 3 Vgl. BStU, MfS, HA I, Nr. 7, Bd. 2, Bl. 599 f. Situation für den jungen Unteroffiziersschüler durch zwei familiäre Todesfälle innerhalb von zwei Tagen zugespitzt hatte: Seine Großmutter war gestorben, und ein Cousin hatte sich das Leben genommen, um auf diesem Wege dem Wehrdienst zu entgehen. 4 Dass Suizidversuche und -drohungen zumindest teilweise durch Drangsa lierungen verursacht wurden, blieb der Armeeführung nicht verborgen. So vermerkte ein Protokoll des Kollegiums, des obersten Führungsgremiums der NVA, am 15. Juni 1978, dass in nicht wenigen Einheiten [...] eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit bei jüngeren Soldaten und Unteroffizieren bestehen würde. Die Reaktionen würden bis zu Selbsttötungsgedanken reichen. Die dem Ideal einer sozialistischen Menschengemeinschaft hohnsprechenden Zustände waren den Offizieren bekannt, wurden aber weithin toleriert: Bedenklich und zugleich politisch verantwortungslos ist, daß neben einem Teil der Soldaten und Unteroffiziere auch Vorgesetzte, Politoffi- 4 Vgl. BStU, MfS, HA I, Nr. 5998, Bl. 81, 83. Quelle: BStU/MfS HA IX 10710, Bl. 157

39 Horch und Guck 4/2010 Heft ziere und Partei mitglieder die Störungen kennen und als nicht veränderbar hinnehmen. [...] Begünstigend wirkt, daß Vorgesetzte ungerechtfertigte Forderungen von Soldaten und Unteroffizieren des letzten Diensthalbjahres tolerieren, weil sie darin ein Mittel der selbstregulierenden Disziplinierung sehen. 5 In den meisten Fällen, bei denen Drangsalierung oder ungerechte Behandlung Suizidversuche auslösten, wurden die Soldaten gerettet. Es sind jedoch auch Fälle in den Akten des MfS dokumentiert, die tödlich endeten, wenngleich nur wenige. So enthielt eine Analyse der NVA-Suizide im Jahr 1979, die Motive von 32 Suizidfällen auflistete, einmal die Angabe: wurde drangsaliert. 6 Auch Disziplinarmaßnahmen durch Vorgesetzte lösten in einigen Fällen Selbsttötungen aus. So erschoss sich im August 1982 ein Soldat, der als Militärkraft fahrer abgelöst und zum Wachdienst versetzt worden war. Offiziell erfolgte die Versetzung, weil das Fahrzeug technische Mängel aufwies und unzureichend gewartet war. Der Soldat hingegen fühlte sich ungerecht behandelt. Er werde durch seine Vorgesetzten fertiggemacht und müsse un sinnige Befehle ausführen, schrieb er im Abschiedsbrief an seine Freundin. 7 Zu den dienstlichen Ursachen von Suiziden gehörten zudem auch ethischmoralische Konfliktsituationen, wie sie insbesondere im Grenzdienst durch den Schießbefehl entstanden. Ein solcher Fall ereignete sich am 21. August 1979 in einer Grenzeinheit im Bezirk Suhl. Ein 19-jähriger Wachposten hatte am Tag zuvor auf einen Flüchtling geschossen, der versucht hatte, die Grenzsperren zu überwinden. Erschüttert von den Konsequenzen des eigenen Handelns schrieb der junge Soldat in Briefen an seine Freundin und an seinen Vater, dass ihm der Grenzverletzer leid tun würde, da dieser so schwer an den Beinen verletzt wurde. In seiner Einheit sah der junge Soldat keine Möglichkeit, jemandem seine Schuldgefühle mitzuteilen. Beim nächsten Wachdienst erschoss er sich. 8 Ein weiteres Konfliktfeld, das Verzweiflungs taten auslöste, waren Bezie- 5 BA-MA Freiburg, DVW 1, 55608, Bl. 79 f. 6 Vgl. BStU, MfS, HA I, Nr. 5911, Bl Das MfS wertete die ersten acht Monate des Jahres aus. 7 BStU, MfS, HA I, Nr , Bl. 512 f. 8 Vgl. BStU, MfS, HA I, Nr. 5003, Bl. 434 f. hungsprobleme, die durch den Wehrdienst verschärft wurden. Ein Unteroffizier auf Zeit, der seit fünf Monaten bei der Fahne war, erschoss sich Anfang August 1989, nachdem sich bereits die zweite Freundin während der Armeezeit von ihm getrennt hatte. 9 Ein anderer Soldat nahm sich im Juni 1980 das Leben, weil er Probleme mit seiner Freundin hatte, aber wegen einer Pflichtverletzung nicht in den Urlaub fahren durfte. 10 Zahllose Fälle? Obwohl es vielfach nicht gelang, ein Motiv zu ermitteln, steht wohl außer Zweifel, dass die Lebensumstände in den NVA-Kasernen ursächlich oder verschlimmernd für suizidale Konfliktlagen sein konnten. Die Frage ist jedoch, ob der Kreis derer, die auch in zivilen Konfliktsituationen suizidal reagiert hätten, durch die totale Institution Armee spürbar erweitert wurde. Viele Soldaten der NVA vermuteten das. Beispielsweise schrieb Peter Tannhoff in seinem NVA- Erinnerungsbuch Sprutz : Immer wieder hörte ich von zahllosen Fällen (bezogen auf die gesamte NVA), in denen jungen Rekruten den Freitod wählten. Sie waren dem gigantischen Druck durch Boiler [Offiziere; U.G.] und EK-Bewegung, den permanenten Erniedrigungen, den Angriffen auf die Persön lichkeit und der Freiheitsberaubung nicht gewachsen. 11 Statistische Angaben enthalten zwei militärhistorische Abhandlungen zur Frühphase der NVA, die sich in der Bewertung auf Walter Ulbricht berufen, dem die Suizidzahlen kurz nach Gründung der NVA unerhört hoch erschienen. 12 Um jedoch einschätzen zu können, ob 41 Selbsttötungen pro Jahr viel oder wenig sind, muss man diese Zahl auf die Truppenstärke beziehen. Für das Jahr 1958 zum Beispiel ergibt sich dann für die NVA eine Selbsttötungsrate von 44,6 Suiziden pro Personen. In der Gesamtbevölkerung lag 9 Vgl. BStU, MfS, HA I, Nr , Bl. 355 f. 10 Vgl. BStU, MfS, HA I, Nr. 5998, Bl. 216 f. 11 Peter Tannhoff: Sprutz. In den Fängen der NVA, Kiel 2003, S. 51. Vgl. auch die Internetseite: de/html/archiv_bis_2007.html (zuletzt eingesehen am 15. August 2010), dort besonders der Eintrag von Tim Krüger ( ). 12 Vgl. Frank Hagemann: Parteiherrschaft in der NVA. Zur Rolle der SED bei der inneren Entwicklung der DDR-Streitkräfte ( ), Berlin 2002, S. 124; Daniel Giese: Die SED und ihre Armee. Die NVA zwischen Politisierung und Professionalisierung , München 2002, S die Selbsttötungsrate in diesem Jahr bei 36,7, womit der Eindruck einer erhöhten Suizidrate in der Armee bestätigt wird. Allerdings änderte sich das zu Beginn der sechziger Jahre und galt nicht mehr im Jahr 1962, als die Wehrpflicht eingeführt wurde. Eine genaue Ermittlung der Selbsttötungsrate bei der NVA ist zwar nicht durchgängig möglich, da sowohl Angaben zu Todesfällen von Soldaten als auch Statistiken zur Truppenstärke nicht lückenlos vorhanden sind. Immerhin aber kann sowohl für Anfang der sechziger Jahre als auch für Ende der achtziger Jahre eine genaue Selbsttötungsrate berechnet werden. Mitte 1963 bis Mitte 1964 wurden 25,5 Selbsttötungen pro NVA-Angehörige pro Jahr registriert. Dieser Wert lag deutlich unter der Rate der männlichen Bevölkerung im Alter von Jahren, die zur gleichen Zeit etwa 37 betrug. 13 Ein ähnliches Resultat ergibt sich für den Zeitraum Mitte 1984 bis Mitte Für diese Zeit sind 220 Selbsttötungen ausgewiesen. 15 Das entspricht einer durchschnittlichen Selbsttötungsrate von 20,2, die der männlichen DDR-Bevölkerung in der Altersgruppe Jahre lag dagegen bei ca. 30. Da in der NVA auch 1970 bis 1984 keine vom langjährigen Durchschnitt ab weichenden Zahlen registriert wurden, kann angenommen werden, dass die Selbsttötungsrate in der NVA außer in den Jahren vor Einführung der Wehrpflicht unter dem Wert der vergleichbaren Bevölkerungs gruppe lag. Gilt dieses etwas überraschende Er gebnis auch für die Grenztruppen? Auch hier gibt es nur bruchstückhafte Zahlen, eine Stichprobe ist jedoch möglich. So enthält der Aktenbestand der Grenztruppen Meldungen über 21 Suizidversuche im Zeitraum vom bis zum ; 13 Die Sollstärke betrug zum 1. Dezember 1964 für Grenztruppen und NVA zusammen Mann. Vgl. BA-MA Freiburg, VA-01/ Für die achtziger Jahre ist eine Gesamttruppenstärke von NVA und Grenztruppen von ca anzunehmen. Matthias Rogg: Armee des Volkes? Militär und Gesellschaft in der DDR, Berlin 2008, S Zahlen aus Kollegiumsprotokollen der NVA: BA-MA Freiburg, DVW 1, 55636, 55641, 55647, 55654, Zur DDR allgemein: Werner Felber / Peter Winiecki: Suizide in der ehemaligen DDR zwischen 1961 und 1989 bisher unveröffentlichtes Material zur altersbezogenen Suizidalität, in: Suizidprophylaxe 25 (1998) 2, S

40 38 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Selbsttötungen in der NVA Harter Drill, ständige Gefechtsbereitschaft, kaum Ausgang oder Urlaub es gab viele Gründe, um am NVA-Dienst zu verzweifeln. neun endeten tödlich. 16 Zwei weitere Todesfälle sind in den MfS-Akten dokumentiert. Daraus ergäbe sich bei einer Trupenstärke der Grenztruppen von ca Mann eine Selbsttötungsrate von 22, was etwas über dem Durchschnittswert der NVA, aber ebenfalls unter der Selbsttötungsrate der vergleichbaren Altersgruppe der Zivilbevölkerung liegt. Vertuschung als Unfall? Aber kann man den Zahlen überhaupt trauen? Gab es möglicherweise in größerem Umfang Vertuschungen oder Fälschungen der Statistiken? Zwei voneinander unabhängige Aktenbestände dokumentieren Selbsttötungen in der NVA: Zum einen die Protokolle des Kolle giums der NVA, zum anderen die Akten der Hauptabteilung I des MfS. Auch wenn kein exakter Vergleich möglich ist, da sich die Bezugszeiträume unter scheiden, liegen die Zahlen des MfS und der NVA- Führung für die Zeit ab 1970 etwa in der gleichen Größenordnung. Das ist ein starkes 16 Vgl. BA-MA Freiburg, GT-Ü , Bl Indiz dafür, dass die überlieferten Angaben relativ zuverlässig sind. Dennoch ist, trotz strenger Meldeordnung, eine Untererfassung nicht auszuschließen, da es innerhalb der NVA eine Regelung gab, dass man in unklaren Fällen (das heißt, wenn kein Motiv und keine Selbsttötungsabsicht zu ermitteln war) als offizielle Todes ursache Unfall angeben konnte. Ein solcher Fall ereignete sich im Frühjahr In einer Grenzkompanie hatte sich ein Unteroffizier in Gegenwart von drei Soldaten mit der Pistole des Diensthabenden Offiziers erschossen. Vorausgegangen war dieser Tat der Anruf einer, wie es in einer MfS-Information hieß, unbekannten weiblichen Person. 17 Der Inhalt des Telefonats und das Motiv der Selbsttötung, die offenbar im Affekt erfolgte, konnten nicht geklärt werden. Und so bewerteten die MfS-Bezirksverwaltung Gera und die Militär staatsanwaltschaft des Grenzkommandos Süd den Todesfall zunächst übereinstimmend als selbstverschuldeten Unfall. Die nächsthöhere Instanz, der Militär oberstaatsanwalt des Kommandos Grenztruppen, schloss sich 17 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2072, Bl. 21. Foto: dpa/picture alliance, Jürgen Saupe (2) dieser Einschätzung nicht an und sprach von Selbsttötung. Im Gegensatz dazu hieß es dann aber im abschließenden Bericht zu dem Todesfall im September 1988: Die Untersuchungen ergaben, daß ursächlich ein Unfall geschehen zum Tod des o.g. Unteroffiziers führte. Die Eltern sind von diesem Sachverhalt in Kenntnis gesetzt worden. 18 Dass Verschleierungen dieser Art in so großer Zahl stattfanden, dass sie statistisch ins Gewicht fielen, ist jedoch unwahrscheinlich; vielmehr wurden bei der NVA zahlreiche Selbsttötungen, bei denen das Motiv nicht geklärt werden konnte, auch als solche registriert. Ihr Anteil an den registrier ten Selbsttötungen lag im Jahr 1978 bei 14 Prozent, im Jahr 1979 bei knapp 19 Prozent. 19 Zivile Motiv statistiken enthielten ganz ähnliche prozentuale Anteile von Suiziden mit nicht geklärtem Motiv. 20 Auch die MfS-Akten, die ja teilweise der Kontrolle der Ermittlungen der Militärstaatsanwaltschaft dienten, lassen den Schluss zu, dass die Umklassifizierung von Selbsttötungen nur in wenigen Ausnahmefällen erfolgt ist. Die internen statistischen Angaben der NVA, die der strengen Geheimhaltung unterlagen, sind somit als relativ zu verlässig einzuschätzen. Damit kann mit großer Wahrscheinlichkeit festgestellt werden: Die Selbsttötungsrate der Wehrpflich tigen in der NVA war nicht höher als die der vergleichbaren Bevölkerungsgruppe, im Gegenteil, sie war sogar etwas geringer. 18 Vgl. BA-MA Freiburg, GT-Ü , Bl BStU, MfS, HA I, Nr. 5911, Bl Prozent Suizide ohne klares Motiv registrierten z.b. G. Wessel / W. Koch: Über das Suizidgeschehen im Kreise Quedlinburg, in: Zeitschrift für die gesamte innere Medizin 18 (1963) 15, S , hier 681.

41 Horch und Guck 4/2010 Heft Vergleich mit der Bundeswehr Wie ist dieses Ergebnis zu interpretieren? Welcher Bewertungsmaßstab ist angemessen? Eine Möglichkeit wäre ein Vergleich mit der Bundeswehr, wo die Selbsttötungsrate Anfang der achtziger Jahre nur halb so hoch war wie in der Bevölkerungsgruppe der Männer zwischen 20 und 24 Jahren. Komplementär dazu war die Suizidrate von Zivildienstleistenden überdurchschnittlich hoch, wie der Deutsche Bundestag im Jahr 1984 auf Anfrage der Grünen feststellte. 21 In der DDR lag die Selbsttötungshäufigkeit in der Armee zwar auch niedriger im Vergleich zur Zivilgesellschaft, aber die Differenz war etwas geringer als in der Bundesrepublik. Woran könnte die geringere suizidmindernde Wirkung der NVA gelegen haben? Bekannt ist, dass in der Bundeswehr die Entlassung als Maßnahme zur Verminderung der Selbsttötungen relativ großzügig gehandhabt wurde, insbesondere im Zeitraum 1977 bis In der NVA hingegen musste man ernsthafte gesundheitliche Schäden nachweisen, um ausgemustert zu werden. Zudem könnten auch die im Vergleich zur Bundeswehr restriktiveren Bedingungen für Ausgang und Urlaub im Einzelfall das Gefühl der unentrinnbaren Einengung verstärkt haben. Generell aber endete in beiden Armeen die Mehrheit der Suizidversuche nicht tödlich. Hier könnte sich auch die gemeinschaftliche Unterbringung ausgewirkt haben so ist aus Untersuchungen zu Suiziden in Gefängnissen bekannt, dass gemeinschaftliche Haft die Suizidrate erheblich absenkt, weil eine Rettung wahrscheinlicher ist. Unklare Todesintention Bei einer Sichtung von überlieferten Zeitzeugenberichten und Akten fällt auf, dass die meisten Suizidversuche in Reaktion auf den Schock der Kasernierung, den Drill der Grundausbildung und die Schikanen der EK-Bewegung nicht tödlich endeten. Dass hier in vielen Fällen offenbar keine ein deutige Todesabsicht vorlag, lässt oftmals schon die Wahl der Mittel vermuten. Beispielweise im Fall des eingangs geschilderten Soldaten, der von seinen Kameraden zum Bellen auf einem Schrank gezwungen worden war. Er schnitt sich die Pulsadern so auf, dass keine Anfang 1970 ist ein Anstieg von Selbstmorden und Selbstmordversuchen zu verzeichnen. Stasi-Information über den Suizid in der NVA Lebensgefahr bestand. Bei einer späteren Befragung gab der junge Mann an, dass er auf sich aufmerksam machen wollte. 23 Wie hier dürften zahlreiche Suizidversuche eher nonverbale Hilfeschreie gewesen sein als eindeutige Versuche, sich zu töten. Möglicherweise war die Wehrdienst-Zeit zu kurz, um unerträgliche Situationen als absolut ausweglos zu empfinden, zumal man sich nur die ersten sechs Monate auf der untersten Stufe der Rangordnung befand; dann wandelte sich mancher der drangsalierten Frischen zu einem auf seine Privilegien pochenden EK. Insgesamt verdoppelte sich die Zahl der suizidalen Handlungen in der NVA von 1963 bis 1977, ohne dass die Zahl der Todesfälle anstieg. Die nicht tödlich verlaufenen Suizidversuche scheinen mehrheitlich eher panische Verzweiflungstaten mit ambivalenter Motivation gewesen zu sein, wobei teilweise auch die Hoffung eine Rolle spielte, nach der medizinischen Behandlung ausgemustert zu werden. So nahm ein Soldat im November 1983, eine Woche nach seiner Einberufung, 30 Tabletten eines Beruhigungsmittels. Ein inoffizieller Mitarbeiter, der ihm im Krankenhaus begegnete, berichtete an das MfS: Er betrieb im Krankenhaus offen Werbung und Propaganda für die Friedensbewegung. Hat eine absolute Abneigung gegen die NVA. Ihm wäre jedes Mittel recht um entlassen zu werden, er würde sogar bis zur Selbstverstümmelung gehen, so seine eigenen Worte. Er war auch sehr stark auf Simulantentum eingestellt, was ihm zum Teil auch gelang. 24 Ungeachtet dieses denunziatorischen IM-Berichts wurde der Soldat im Januar 1984 ausgemustert. Quelle: BStU/MfS HA I 13241, Bl253 Jenseits der Statistiken Die bevorstehende Einberufung machte vielen jungen Männern Angst. Die Aussicht auf eine mindestens 18-monatige Trennung von Freundin oder Ehefrau, auf permanentes Eingesperrtsein, Drangsalierungen und zwischenmenschliche Härte sowie die bevorstehende Ausbildung zum Töten erschien manchem Wehrpflichtigen schrecklicher als der Tod. Und so finden sich in den Akten der Kriminalpolizei der DDR Belege dafür, dass junge Männer vor der Einberufung zur NVA ihrem Leben ein Ende setzten: Im März 1981 zum Beispiel erhängte sich in Nauen ein 19-jähriger Arbeiter, nachdem er eine Postkarte mit der Aufforderung zur Musterung erhalten hatte. Und im November 1982 nahm sich ein 23-jähriger Elektromonteur in Berlin das Leben, weil er Angst vor der NVA hatte und davor, während dieser Zeit seine Freundin zu verlieren. Unmittelbar vor dem Einberufungstermin sprang er vor eine fahrende S-Bahn. 25 UG 24 BStU, MfS, HA I, 5974, Teil 1, Bl. 306f., 309, zit Vgl. Klaus-Jürgen Preuschoff: Suizidales Verhalten in deutschen Streitkräften, Diss. Regensburg 1988, S Vgl. M. Heuser / J. Scherer: Prävention von Suizid und Suizidalität in der Bundeswehr, in: G. A. E. Rudolf / R. Tölle, Prävention in der Psychiatrie, Berlin u.a. 1984, S Vgl. BStU, MfS, HA I, Nr. 7, Bd. 2, Bl. 599 f. 25 Vgl. BLHA, Rep. 471/15.2, BdVP Potsdam, Nr und 1285, n. pag.

42 40 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Mythos Schwedt Arno Polzin Mythos Schwedt Jahrzehntelang gab es nur viele Gerüchte und kaum gesicherte Erkenntnisse. Zwischenergebnisse eines laufenden Forschungsprojektes zur Disziplinareinheit Schwedt und dem MfS die DDR-Postleitzahl von Schwedt wurde auf den Bandmassen der NVA-Soldaten, die in den letzten 5 Monaten ihres Wehrdienstes ihre Tage herunterzählten, hinter Gitter gemalt. Dieses Symbol galt der Angst, denn: Dafür kommen Sie nach Schwedt war die mehr oder weniger direkt erfahrene Bedrohung für viele Soldaten. In der DDR war nur sehr wenig über Schwedt zu erfahren und auch heute noch herrscht nicht nur inhaltliche Unkenntnis. Es ist z. T. noch immer nicht bekannt, wo welche Akten lagern oder wohin sie verschwunden sind. Diese Unkenntnis war Anlass, auch die relevanten Bestände des MfS dahingehend durchzusehen. Im folgenden werden ein kurzer Überblick über das Projektvorhaben und den Forschungsstand gegeben, die bisherigen Kenntnisse zu den unterschiedlichen Aktenlagen und den Verankerungen des MfS in Schwedt vorgestellt und letztlich ein Einblick in die Vor-Ort-Verhältnisse von Schwedt geboten. 1 Das Projekt mit dem Titel Militärgefängnis/Disziplinareinheit Schwedt und die Rolle des MfS läuft seit 2008 in der Forschungsabteilung der BStU. Der Autor ist der Projektdurchführende. Es ist geplant, das Projekt mit der Herausgabe einer Monographie/Dokumentation im Jahr 2012 abzuschließen. Arno Polzin, geb. l962 in Ost-Berlin. Dipl.- Ing. (FH). Seit l990 Mitarbeiter der BStU, seit 2003 in der dortigen Abt. Bildung und Forschung. Letzte Veröffent lichung (mit Werner Theuer): Aktenlandschaft Havemann. Berlin, Entstanden in Kooperation mit der und zu beziehen über die Robert- Havemann-Gesellschaft. Wachturm und Mauer des ehemaligen NVA-Gefängnisses in Schwedt Schwedt war über Jahrzehnte bis 1990 der Standort des einzigen Militärgefängnisses der DDR. 2 Dort wurden drei unterschiedliche Strafarten verbüßt: 1. der Militärstrafvollzug für militärgerichtlich verurteilte Personen mit Strafdauer bis zu zwei Jahren 2. der ebenfalls gerichtlich verfügte kürzere Strafarrest von erst bis zu drei, ab 1977 bis zu sechs Monaten (ohne Eintrag im Strafregister) 3. der Dienst in der Disziplinareinheit Schwedt, der ab 1982 durch die Regiments- bzw. Divisions-Kommandeure der NVA verhängt werden konnte und strafrechtlich ebenfalls nicht als Vorstrafe galt. Schon 1962 wurde im Wehrpflichtgesetz geregelt, dass die verbüßte Strafzeit den Wehrdienst entsprechend verlängerte. Dies galt dann später auch für die mit Dienst in der Disziplinareinheit Schwedt Bestraften. Dies dürfte schon eine wesentliche Ursache für den Mythos um Schwedt sein: Auf die Haftzeit folgte nur der Wechsel in die normalen NVA- Strukturen von Befehl und Gehorsam. Das führte vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Schwedt schnell zu angepasstem Verhalten, insbesondere wenn die Entlassung aus Schwedt vorzeitig, aber auf Bewährung erfolgte. Die anderen Soldaten nahmen aber wahr, was die Strafe offensichtlich bewirkt hatte. Und schon das wirkte disziplinierend. Die Zuständigkeit für den Militärstrafvollzug lag bis Ende 1982 beim Ministerium des Innern (MdI), dann übernahm 2 Zuvor war von das Haftarbeitslager Berndshof im Kreis Ueckermünde für Strafen an Militärangehörigen genutzt worden. sie das Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV). Das hier vorzustellende Forschungsprojekt der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes untersucht das Zusammenspiel von MfS, MdI und MfNV bei der Sicherung des Militärstrafvollzugs, dessen Insassen und der dort beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Angesichts der bisher nur marginalen Kenntnisse über den Gesamtkomplex ist eine zusätzliche Beschreibung der dortigen Verhältnisse nötig. Hierzu erfolgen auch Recherchen im Bundesarchiv, im Militärarchiv und im Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Maßgeblich wären die ehemaligen Unterlagen aus Schwedt: Die Verwaltungsvorgänge, die Gefangenen- und die Personalakten. Material aus diesen Bereichen liegt bisher nur sehr unvollständig bzw. gar nicht vor. Die relevanten MfS-Überlieferungen betreffen diverse personenbezogene Vorgänge zu Bediensteten und Insassen in Schwedt und einige wenige Sachakten. Sie sind für sich allein nur bedingt geeignet, ein historisch-konturiertes Bild von Schwedt zu rekonstruieren. Genaue Zahlen zu den Insassen von Schwedt liegen bisher nur für einzelne Zeitabschnitte vor, nicht jedoch für den gesamten Zeitraum. Für die achtziger Jahre ist von über 800 Militärstrafgefangenen und rund Disziplinarbestraften in Schwedt auszugehen. Die häufigsten Vergehen waren unerlaubte Entfernung bzw. Fahnenflucht, Angriff oder Widerstand gegen andere Armeeangehörige, Körperverletzung und auch Sittlichkeitsvergehen oft in Mischformen und in Verbindung mit Alkohol. Wegen rein politischer Delikte wie staatsfeindliche Hetze oder Staats-

43 Horch und Guck 4/2010 Heft Foto: dpa/picture alliance/bernd Settnik/lbn verleumdung kam schätzungsweise ein Viertel der Bestraften nach Schwedt. Forschungsstand Eigenständige Publikationen sind rar: Es gibt bisher drei autobiografische Bücher von Stefan Wachtel und Paul Brauhnert zu ihrer Strafverbüßung in den achtziger Jahren sowie von Klaus Auerswald, der 1969 nach Schwedt kam; 3 außerdem eine Fernsehdokumentation von Reinhard Joksch und Stefan Starina über das Militärgefängnis Schwedt. 4 Die Bücher von Wachtel und Brauhnert enttäuschen wegen der nur knappen Darstellung der Verhältnisse in Schwedt in jeweils nur einem kleinen Teil des Gesamtbuches. Gelungener dagegen ist das Buch von Auerswald, das neben der Schilderung des eigenen Schicksals (Verurteilung wegen kritischer Äußerungen zum Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen 1968 in Prag) diverse Einzelheiten zur Organisation des Militärstrafvollzugs enthält. 5 Die Filmdokumentation wurde unter Beteiligung von vier ehemaligen Insassen und einigen Bediensteten bzw. Funktionären gedreht und seit dem Jahr 2000 mehrfach im Fernsehen ausgestrahlt. Jenseits der eigenständigen Publikationen berührt die Literatur zur NVA und der Militärjustiz das Thema Schwedt nur gelegentlich. Besonders erwähnenswert ist jedoch Rüdiger Wenzke vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) mit mehrfachen Ausführungen zum Thema, darunter z. B. in zwei Bänden der vom MGFA herausgegebenen Reihe zur Militärgeschichte der DDR. 6 3 Stefan Wachtel: Delikt 220. Bestimmungsort Schwedt. Gefängnistagebuch. Greifenverlag zu Rudolstadt Paul Brauhnert: Sag dein letztes Gebet. Books on Demand GmbH; Norderstedt Klaus Auerswald: sonst kommst du nach SCHWEDT! Greifenverlag zu Rudolstadt & Berlin Armeeknast Schwedt Das Straflager der NVA. Von Reinhard Joksch und Stefan Starina. MDR Vgl. hierzu Rezension in: Horch und Guck 2010/3, Heft 69, S Vgl. Rüdiger Wenzke: Zwischen Bestenabzeichen und Armeeknast. Wahrnehmungen und Forschungen zum Innenleben der DDR-Volksarmee. in: Militär, Staat und Gesellschaft der DDR, hrsg. von Hans Ehlert und Matthias Rogg, Ch. Links Verlag, Berlin 2004, S. 515 ff.; Ders.: Zwischen Prager Frühling 1968 und Herbst Protest verhalten, Verweigerungs muster und politische Verfolgung in der NVA der siebziger und achtziger Jahre. in: Ders. (Hrsg.): Staatsfeinde in Uniform? Widerständiges Verhalten und politische Verfolgung in der NVA, Ch. Links Verlag, Berlin 2005, S. 356 ff. In einem neueren Beitrag findet sich auch eine ausführlichere Darstellung der Vorgeschichte von Schwedt und der strukturellen bzw. institutionellen Grundlagen. 7 Als Beispiele für eine überraschend marginale Behandlung des Themas seien genannt: Eine Regionalstudie von Philipp Springer aus dem Jahr 2006 über die sozialistische Industriestadt Schwedt, die sich trotz ihrer 800 Seiten nur auf drei Seiten dem Militärstrafvollzug widmet 8 und Birger Dölling, der in seinem Werk über Strafvollzug zwischen Wende und Wiedervereinigung noch 2009 konstatierte, dass die Überlieferungslage zum Militärstrafvollzug sehr dürftig sei, weswegen er diesen bis auf einige verstreute Hinweise in seiner Arbeit ausklammere. 9 Auch in der Kunst spielt Schwedt bislang nur eine randständige Rolle. Uwe Tellkamp lässt z. B. in seinem 2008 erschienenen Roman Der Turm eine seiner Romanfiguren eine Strafe in Schwedt absitzen und das Film- und Romanprojekt NVA von Leander Haußmann unter Mitarbeit von Thomas Brussig zeigt in einer Figur recht eindrücklich, wie sich ein damaliger Soldat durch seine Zeit in Schwedt veränderte und anschließend angepasst funktionierte. 10 Auch diverse Internetseiten haben sich inzwischen mit diesem Thema beschäftigt. Hier sind insbesondere die Homepage sowie das dazugehörige Forum erwähnenswert. Dort tragen über 370 Nutzer, darunter viele ehemalige Insassen von Schwedt, ihren Wissensstand zusammen. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt der Archäologe Torsten Dressler mit einem Projekt zur Liegenschaft Schwedt, bei 7 Vgl. Ders.: NVA-Soldaten hinter Gittern. "Schwedt" und der militärische Strafvollzug in der DDR, in: Silke Klewin, Herbert Reinke und Gerhard Sälter (Hrsg.): Hinter Gittern. Zur Geschichte der Inhaftierung zwischen Bestrafung, Besserung und politischem Ausschluss vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2010, S. 219 ff. 8 Philipp Springer: Verbaute Träume. Herrschaft, Stadtentwicklung und Lebensrealität in der sozialistischen Industriestadt Schwedt. Ch. Links Verlag, Berlin Birger Dölling: Strafvollzug zwischen Wende und Wiedervereinigung. Kriminalpolitik und Gefangenenprotest im letzten Jahr der DDR; Ch. Links Verlag, Berlin Uwe Tellkamp: Der Turm. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2008 bzw. Leander Haussmann: NVA. Kiepenheuer & Witsch, Köln dem es um die Archäologische Bestandsdokumentation der baulichen Zeugnisse und Spuren für die Nutzung zwischen 1964 und 1990 geht. 11 Materialgrundlagen Auch wenn sich keine geschlossenen Bestände zu Schwedt finden, so existieren doch einige Materialien, die letztlich eine historische Rekonstruktion und Dokumentation erlauben werden. Allerdings findet sich auf der Internetseite vom Militärarchiv-Bundesarchiv (MA) sofort der desillusionierende Hinweis: Akten zum Dienstbetrieb und zu den Strafgefangenen sowie den Arrestanten liegen nicht vor 12. Dennoch lassen sich Spuren zu Schwedt finden; z. B. eine von der Disziplinareinheit selbst erstellte Chronik von 1982 bis 1990, Material zur Übergabe an das MfNV und eine Urteilssammlung der Militärgerichte mit über Strafverfahrensakten der Militärstaatsanwaltschaften. Die Urteile betreffen aber überwiegend Vorgänge, die nichts mit Schwedt zu tun haben. Der jüngste Fund sind 18 im Sommer 2010 aufgefundene Akten zu Schwedt. Sie stammen aus dem Zeitraum und betreffen z. B. die Vorbereitung für die Schaffung der Disziplinareinheit, dortige Inspektionen, Kontrollberichte, aber auch Eingaben, einzelne Personalia und Beurteilungen sowie Auflösungsprotokolle. Darunter befindet sich ein Protokoll vom 31. August 1990 zur Übernahme von über 820 Gefangenenakten der achtziger Jahre durch das Ministerium für Verteidigung und Abrüstung meiner Kenntnis nach die aktuellste und chronologisch letzte Spur zum Verbleib der Vollzugsakten. Im Bundesarchiv Berlin findet sich ebenfalls wenig relevantes, darunter Material zur Vor-, Gründungs- und Baugeschichte aus den sechziger Jahren und die Zentrale Gefangenenkartei des DDR- Innenministeriums, die auch Daten der Militärstrafgefangenen enthält. Inhaltliche Aussagen zum Dienstbetrieb in Schwedt sind hieraus jedoch nicht möglich. 11 Archäologiebüro ABD-Dressler; Beständeübersicht; Gliederungspunkt

44 42 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Mythos Schwedt Das Brandenburgische Landeshauptarchiv bietet acht Signaturen mit Schwedt- Relevanz bis maximal 1982; z. B. aus der Planungs- und Bauphase des Komplexes sowie Pläne, Einschätzungen und Protokolle (in jeweils unvollständiger Überlieferung). Selbst in der Erfassungsstelle Salzgitter befand sich lediglich ein nur zwei Blatt umfassender Vorgang mit Erkenntnissen aus 1970 und 1987 mit zwei Aussagen über Stockschläge und andere körperliche Misshandlungen. Neben den MfS-Akten sind hier auch Akten der Arbeitsrichtung K I der Volkspolizei von Belang, da diese bis 1982 eine eigene Zuständigkeit hatte. Relevante Diensteinheiten des MfS sind aus der MfS- Zentrale die HA I (zuständig für NVA und Grenztruppen), HA VII (Volkspolizei und Strafvollzug) und HA IX (Untersuchungsführung) bzw. die Bezirksverwaltung Frankfurt/Oder wegen des Standorts Schwedt im dortigen Bezirk. In Sachakten fanden sich z. B. grundsätzliche Dokumente und in entsprechenden Sammelakten der HA I und HA IX Zufallsfunde zu besonderen Vorkommnissen. Personenbezogene Akten sind sowohl zu einzelnen Bediensteten als auch zu einzelnen Insassen zu finden, wenn deren Personalien für die entsprechenden Recherchen bekannt sind. Für beide Personengruppen sind jeweils Operative Personenkontrollakten (OPK/OV) als auch IM-Vorgänge vorhanden, für die Insassen zudem auch Untersuchungsvorgänge (AU). Aber: Die Akten zu den dann später mit Schwedt bestraften Personen erlauben keinen Einblick in dortige Verhältnisse, da sie mit der Übergabe an die Militärstaatsanwaltschaft bzw. mit der Urteilsverkündung enden. Oft ist nicht einmal erkennbar, von wann bis wann die Betreffenden in Schwedt waren. Als besonders ergiebig erwiesen sich bisher die Akten folgender Personen: Heinz Colberg: Offizier für Kontrolle und Sicherheit (OKS) in der MdI-Zeit mit einer mehrfachen Anbindung er war der Zuständige für Sicherheitsfragen im regulären Dienstbetrieb; darüber hinaus viele Jahre als Führungsoffizier für zahlreiche IM der K I tätig und letztlich auch noch beim MfS als IM Johannes verpflichtet. Manfred Riesbeck: MfS-Offizier im besonderen Einsatz (OibE) auf der ab 1983 eingerichteten Stelle des Oberoffiziers für Ordnung und Sicherheit. Wolfgang Bailleu: Offizier für politische Schulung und Parteisekretär sowie von unter dem Decknamen Arnold inoffiziell für das MfS tätig und damit wohl längster und dienstältester IM in Schwedt. Verankerung von MfS und K I Bisher zeichnen sich drei Ebenen des offiziellen Wirkens von K I und MfS in Schwedt ab: 1. Zwischen der Strafvollzugseinrichtung Schwedt und den MfS-Diensteinheiten HA I, BV Frankfurt/Oder als auch der K I und dem MfNV gab es organisatorisch-praktische Verabredungen, die beispielsweise die Nutzung von Räumen, Karteispeichern und die Abstimmung der Arbeit mit IM betrafen. 2. Ab November 1982 wurden zwei Hauptamtliche Mitarbeiter der HA I/ MfNV/Unterabteilung Hauptstab als für Schwedt verantwortliche Sonderoffiziere der HA I eingesetzt: Major Ronald Krugenberg und Hauptmann Siegfried Knobelsdorf. Deren Status dürfte dem der Mitarbeiter der Verwaltung 2000 in den regulären NVA-Einheiten ähneln. 3. Mit der Übernahme des Militärstrafvollzuges Schwedt durch das MfNV Ende 1982 wurde im MfNV eine Planstelle Oberoffizier Sicherheit und Ordnung der Disziplinareinheit geschaffen, mit der die vorherigen Aufgaben der Arbeitsrichtung K I realisiert werden sollten. Aus MfS-Sicht war diese Stelle mit einem OibE zu besetzen, was ab mit Hauptmann Manfred Riesbeck auch erfolgte. Trotz der regulären Einbindung dieses Offiziers in den Dienstbetrieb vor Ort gibt es diverse Hinweise auf Unstimmigkeiten zwischen ihm, dem Kommandeur und den MfS-Mitarbeitern insbesondere was Informationsflüsse und Bearbeitung besonderer Vorkommnisse betraf. Bei der inoffiziellen Arbeit ist zu unterscheiden zwischen der der K I und der des MfS, bzw. nach den IM im Personal und unter den Insassen. MfS und K I waren unter den Bediensteten von 1964 bis 1989 durchgängig vertreten. Bei den Insassen waren immerhin in mehr als 75 Prozent der Zeit inoffizielle Mitarbeiter aktiv. Die Gesamtzahl der bisher bekannt gewordenen IM in Schwedt liegt bei über 100. Im Stammpersonal (Verwaltung und Vollzugsdienst) waren zeitweise bis zu fünf Personen gleichzeitig inoffiziell tätig, im separaten Wachzug bis zu vier. So konnten K I und MfS sich einen guten Überblick über die direkten Belange aller Bereiche verschaffen. Unter den Militärstrafgefangenen waren bis zu acht IM gleichzeitig für K I und MfS tätig. Probleme gab es mit der Wahrung der Konspiration unter den Strafvollzugsbedingungen. Treffs waren nur selten möglich, auf schriftliche Berichte des IM bekam dieser erst Foto: dpa/picture alliance/bernd Settnik Die Zellen im früheren DDR-Militärgefängnis Schwedt, 2010

45 Horch und Guck 4/2010 Heft viel später eine Rückmeldung und die IM unter dem Personal mussten in das Verbindungswesen eingebunden werden beschrieb Führungsoffizier Krugenberg die Verbindung zwischen ihm und einem IM wie folgt: Das Verbindungssystem wird wie bei allen IM unter Militärstrafgefangenen vorrangig über den Postverkehr im Strafvollzug realisiert. Der Kandidat wurde angehalten, seine schriftlichen Berichte immer dann zu verfassen, einzutüten und über das Postfach des Kompaniechefs weiterzuleiten, wenn er als Diensthabender eingesetzt ist und nachts Zeit zum Schreiben hat. [...] Persönliche Treffs finden höchstens aller 5-6 Wochen statt. 13 Der Verbindungsweg mit verschlossenen Umschlägen war wohl der häufigste. Für die Abgabe solcher Briefe gab es Postfächer bzw. Briefkästen der Erzieher, der Kompaniechefs bzw. früher auch des OKS. Für die seltenen direkten Treffs zwischen IM und Führungsoffizier wurden in den achtziger Jahren mindestens drei Möglichkeiten genutzt: Das Dienstzimmer eines als IM verpflichteten Kompaniechefs, ein Vernehmungszimmer und später auch ein konspirativ genutztes Zimmer im Stabsgebäude. Für die Treffs waren zusätzliche Legenden erforderlich, um den IM aus dem Arbeitsprozess oder dem Verwahrraum herauszulösen. Dies erforderte oft die Einbeziehung von IM unter dem Personal. Auch diese Regeln hatten ihre Vorläufer in der Arbeit der K I. Andere Herausforderungen bei der Organisation der inoffiziellen Arbeit waren die Prämien und Auszeichnungen. Zur Wahrung der Konspiration konnte eigentlich nur auf die im Strafvollzug üblichen Erlaubnisse und Vergünstigungen zurück gegriffen werden. Dies reichte immerhin von der Übergabe kleinerer Geldbeträge bis zur Gewährung von Ausgang während der Besuchszeit. Bei den IM unter den Disziplinarbestraften galten die gleichen Schwierigkeiten zur Aufrechterhaltung der Konspiration wie bei den Militärstrafgefangenen. Erschwerend kam hinzu, dass deren Anwesenheit in Schwedt auf max. drei Monate begrenzt war. Sonderfälle waren die Personen, die schon vorher als IM verpflichtet worden waren. 13 BStU, MfS, AIM 1534/85 Teil I Bl. 49 f. Foto: dpa/picture alliance/bernd Settnik Bisherige Erkenntnisse zum Innenleben Für die Zeit ab 1982 sagen die Ordnung über den Dienst in der Disziplinareinheit bzw. die Militärstrafvollzugsordnung mit ihren zahlreiche Regelungen einiges über den Dienstbetrieb und die Unterschiede zwischen Militärstrafgefangenen und Disziplinarbestraften aus. Dort ist jedoch nur ein theoretisch gewünschter Zustand beschrieben. Den nachfolgenden Schilderungen liegen zusätzliche Bestätigungen durch MfS-Akten und das Schriftgut aus der Disziplinareinheit zugrunde. Tagesablauf Grundsätzlich war der Tag durch schwere Arbeit und zusätzliche Ausbildung und Schulung geprägt, wobei die Disziplinarbestraften mehr Druck im Tagesablauf hatten. Für eine vereinfachte Darstellung wird hier auf die Unterschiede zwischen Militärstrafgefangenen und Disziplinarbestraften nicht allzu detailliert eingegangen. Der Wochenrhythmus sah wie folgt aus: Montag Freitag: überwiegend Arbeit, aber auch militärische Ausbildung Samstag: ganztägig militärische Ausbildung Sonntag: Arbeit im Objekt und einige Stunden Freizeit. Je nach Arbeit im Schichtsystem gab es Varianten mit z. B. Frühsport um 3:45 Uhr und Nachtruhe um 20 Uhr oder mit Arbeit bis Mitternacht. Bisher sind diverse Arbeitsstätten bekannt. Der größte Unterschied war der zwischen Innen- und Außenarbeitskommandos. Je nach Straftat, Strafhöhe und vermuteter Zuverlässigkeit wurde einzeln entschieden, ob ein Einsatz in einem Außenkommando erfolgte. Arbeitsstätten waren beispielsweise das Bau- und Montagekombinat, der Leuchtenbau Eberswalde, das Erdölverarbeitungswerk, das Instandsetzungswerk Pinnow und die Papier- und Kartonwerke Schwedt. Für einzelne der Betriebe galt Zwei- und Drei-Schicht-Einsatz. Für die Arbeit gab es Normen, die aber offenbar sehr unterschiedlich waren: Es gibt einerseits Berichte, dass in bestimmten Bereichen die Tagesnorm nach nur drei bis fünf Stunden geschafft wurde, anderswo wurde in den Pausen durchgearbeitet, um die Norm zu erfüllen. Innerhalb des Objektes gab es zusätzliche Hausarbeitsstellen als Tischler, Schuhmacher, in der Gefangenenbücherei, der Wäschekammer oder als HO-Verkäufer. Militärstrafgefangene und Disziplinarbestrafte wurden weiterhin militärisch ausgebildet. Dies erfolgte täglich für eine bis zu drei Stunden und ganztägig am Samstag. Dazu gehörte das übliche militärische Programm mit Exerzieren, Schutztraining, langen Märschen und täglichem Frühsport. Außerdem gab es 14 Stunden politische Schulung im Monat; des Weiteren tägliche Zeitungsschau und politisches Pflichtfernsehen, konkret die Aktuelle Kamera. Für die Freizeit gab es schon in den frühen siebziger Jahren am Wochenende Kino- und TV-Angebote, die jederzeit vom Die vergitterten Fenster an diesem Plattenbau in Schwedt zeugen noch von seiner Nutzung als Militärgefängnis.

46 44 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Mythos Schwedt Personal gestrichen werden konnten. Sie galten schließlich als Vergünstigung. Die Filme wurden genau ausgewählt: Krimis und Filme mit intimen Szenen waren nicht erlaubt, die Unterhaltungssendung Da liegt Musike drin schon. Zusätzlich gab es die Möglichkeit des organisierten Radioempfangs über eine hausinterne Sendeanlage. Als weitere Angebote gab es die Bücherei, den Bezug von Zeitungen, Kartenspiele, Schach, Tischtennis und einige Sportmöglichkeiten. Versuche von Militärstrafgefangenen, mit eigenständigen Kulturprogrammen aufzutreten oder Singegruppen zu bilden wurden vom Personal schnell unterbunden. Blick in eine Zelle des früheren DDR-Militärgefängnisses in Schwedt 2010 Post und Besuch Wer hierher schreiben wollte, richtete seinen Brief an ein Postfach in 133 (später 1330) Schwedt. Formal waren die Kontakte nach außen in der Militärstrafvollzugsordnung bzw. der Ordnung über den Dienst in der Disziplinareinheit geregelt, allerdings mit diversen Kann-Bestimmungen. Briefe waren am Sonntag in der wenigen Freizeit zu schreiben. Wie viele Briefe an welche Empfänger der Schwedt-Insasse schreiben durfte, war auch davon abhängig, ob man ihn belohnen oder bestrafen wollte. Darüber entschied das Personal. Ebenso war es mit der Erlaubnis Pakete zu empfangen. Den Disziplinarbestraften war allerdings ohnehin kein Paketempfang erlaubt. Grundsätzlich wurde ein- und ausgehende Post kontrolliert, danach manchmal einfach einbehalten oder nur auszugsweise vorgelesen. Verbotene Inhalte waren Details aus dem Strafvollzug, Ausreisepläne, andere Kontaktpersonen und ihre Adressen etc. Der OibE Manfred kümmerte sich ebenfalls um die Post, in dem er viele Abschriften von Briefen fertigte, die dann in den MfS-Akten der Betreffenden abgelegt wurden. Auch über Anzahl und Häufigkeit von Besuchen entschieden die Bediensteten. Sie bestimmten, wer kommen durfte, ob Geschenke überreicht werden durften oder der Besuch bei unerwünschten Gesprächsinhalten einfach abgebrochen wurde. Bei vorherigen Disziplinverstößen wurden Besuche für einen bestimmten Zeitraum vollkommen verboten. Bei gutem Gesamtverhalten war Besuch ohne Aufsicht oder sogar Ausgang während der Besuchszeit möglich. Für die Disziplinarbestraften waren Besuche nicht gestattet. Strafen und Schikanen Strafen waren formal geregelt, z. B. in der Militärstrafvollzugsordnung. Es gab u.a.: Tadel/(strengen) Verweis Einschränkung des Verfügungssatzes beim Einkauf Nichtgenehmigung/Einschränkung der persönlichen Verbindungen (Post, Paket, Besuche) Arrest/Einzelunterbringung/Sicherungsverwahrung. Über die Strafen hinaus gab es diverse Formen schikanöser Behandlung. Manche waren schon in der Struktur des Vollzugs angelegt, andere gingen eher von den Bediensteten aus. So wurden den Insassen überlagerte Lebensmittel gegeben und defekte Toiletten im Gefangenentrakt längere Zeit nicht repariert. Den Gefangenen wurde gesagt, sie sollten doch während der Arbeit in ihrem Betrieb zur Toilette gehen. Auch das Isolieren der Gefangenen hatte Methode. Wurden beispielsweise zwei Insassen wegen des gleichen Delikts bestraft, erhielten sie unterschiedliche Strafen, um Misstrauen zu säen. Bei kleinsten Anlässen, beispielsweise wenn die Arbeitsnormen nicht erfüllt wurden, drohte Strafexerzieren oder man wurde bis zur völligen körperlichen Erschöpfung über die Sturmbahn gejagt. Schikanös waren auch die gelegentlichen Wechselspiele mit Warm- und Kalt-Wasser beim Duschen. Regelrecht entwürdigend war die Vorgabe einer Kleiderordnung zum Schlafen: Langes Unterhemd ohne Hose. Im weiteren Sinne kann man auch die zuweilen befohlene selbständige An- und Abfahrt am Beginn und am Ende der Haftzeit mit Dienstauftrag und Militärfahrkarte als Schikane betrachten. Strukturelles In Schwedt existierten zunächst drei, später bis zu sechs Kompanien je nach Belegungssituation. Manchmal gab es Unregelmäßigkeiten in der Nummerierung. So wurde 1973 und 1984 jeweils die 1. Kompanie (wieder) eröffnet; die 4. Kompanie soll nie existiert haben. Die Gefangenen wurden nach Strafdauer und Delikten, aber auch nach Arbeitsstellen sortiert und auf die Baracken aufgeteilt sah diese Aufteilung beispielsweise so aus: 1. Kompanie Strafdauer bis zu zwei Jahren: Fahnenflüchtige kamen als Hausarbeiter zum Einsatz, die anderen Gefangenen im Außenarbeitskommando Betonwerk Eisenbiegeplatz 2. Kompanie Strafen bis zu einem Jahr: Tiefbaukombinat, Papierfabrik Schwedt 3. Kompanie Strafarrestanten: Tiefbaukombinat. Zur Organisation des Dienstbetriebes als auch auf den Arbeitsstellen wurden Gefangene in verschiedenen Funktionen eingesetzt (z. B. Gehilfe des Kompaniechefs/ Zug-/Gruppenführers; Brigadier, Kompanie- oder Lagerältester), was auch zu Auseinandersetzungen untereinander führte ( Selbsterziehung ). An die Funktionen

47 Horch und Guck 4/2010 Heft waren zuweilen Vergünstigungen gekoppelt, wie finanzielle Zulagen, eine zusätzliche Paketerlaubnis, Unterbringung in einem geringer belegten Zimmer. In reduzierter Variante galt ähnliches für die Disziplinarbestraften aber offenbar ohne zusätzliche Vergünstigungen. Die Zellen waren sechs bis 25 Quadratmeter groß und mit fünf bis 18 Mann belegt. Teilweise entschieden Funktion oder Arbeitseinsatz darüber, wer in welche Zelle zog. Das Personal wurde unterteilt in Verwaltung, Vollzugsdienst und den Wachzug. Für unterschiedliche Zeiträume sind diverse Bezeichnungen für Feinstrukturen der dahinter stehenden Organisationseinheiten bekannt geworden, wie z. B. Vollzugsgeschäftsstelle, Abt. Operative Dienste, Sachgebiet Ökonomie und Eigengeld oder Krankenrevier. Offenbar gab es auch mehr als eine Parteiorganisation für das Personal. Zusätzlich wurde dessen gesellschaftliche Tätigkeit und Freizeit in Armee-Sportgruppen und der FDJ-Organisation organisiert. Der Stellenplan für 1982 verweist auf vier Stellvertreter des Kommandeurs (Stabschef, Vollzugsdienst, Politische Arbeit und Rückwärtige Dienste), je drei Kompanien für Freiheitsentzug und Disziplinararrest, einen Stab (inkl. Züge für Wache, Transport und Versorgung) sowie ein Lager. Das Gelände lag am Rande des Erdölverarbeitungswerkes also eher außerhalb der Stadt. In der Konzeptionsphase 1964 waren 5 Baracken (zwei für Gefangene, Verwaltung, Wachmannschaft, Küchen- bzw. Sozialbaracke), Garagen und Hundezwinger mit Umzäunung und Postentürmen vorgesehen. 1982/83 wurden u.a. das Wirtschaftsgebäude, das Unterkunftsgebäude für die Disziplinarbestraften, die Objektmauer, ein Mehrzweckgebäude (Stab), das Wachgebäude mit Besuchertrakt und die Arrestanstalt neu fertig gestellt. Parallel dazu wurde eine Produktionshalle für den Innenarbeitseinsatz errichtet. Foto: dpa/picture alliance/bernd Settnik/lbn Zahlen Durchgängige Zahlen zur Anzahl der Insassen und der Bediensteten liegen nicht vor nur momentane Einschätzungen, die durch unterschiedliche Zeiträume, Systematiken und Begrifflichkeiten nicht ohne weiteres zusammen gefasst werden können. Insassen NVA-eigene Angaben weisen für den Zeitraum November 1982 bis Dezember 1989 u.a. folgendes aus: Militärstrafgefangene; 2524 Disziplinarbestrafte Rückfälligkeitsquote von 0,9 Prozent bei den Militärstrafgefangenen bzw. 2,6 Prozent bei den Disziplinarbestraften 43 Prozent vorzeitige Entlassungen bei den zu Freiheitsstrafen Verurteilten Verlängerung der Strafzeit bis zu vier Wochen bei 2,5 Prozent der Disziplinarbestraften. Bedienstete Der Stellenplan für 1982 verweist auf insgesamt 190 Soll-Stellen (darunter 35 für die Führung, 90 für die Kompanien der Insassen und 40 für den Wachzug) bei angenommenem Bestand von bis zu 600 Insassen. Trotz Auflösung der Disziplinareinheit ab sind ihr Ende August 1990 noch 95 Personen, darunter 14 Offiziere, zugeordnet. Besondere Vorkommnisse Gerade aus der Sicht des MfS rücken die besonderen Vorkommnisse in den Blickpunkt. Diese betrafen sowohl Insassen als auch Bedienstete. Bei den Insassen war zunächst das interessant, was das MfS auch draußen interessierte, also alle Arten von Demonstrativhandlungen wie Disziplinlosigkeiten, Arbeits- und Befehlsverweigerungen, Hungerstreiks, Ausreiseanträge, Gruppenbildung und politische Hetze. Weiterhin registrierte das MfS genau: illegale Schleusungen von Post, Lebensmitteln, Rauchwaren, Alkohol und Geld Handel mit Gegenständen Verbindungen zu Zivilpersonen Unterlaufen der Einschränkungen in der Kommunikation Schwarzarbeit homosexuelle Handlungen Glücksspiele körperliche Übergriffe untereinander Diebstähle Tätowierungen. 14 trend (NVA-Wochenblatt und Nachfolger der Volksarmee ) Heft 5/1990, S. 4 (April 1990) Bei den Bediensteten ging es u.a. um: Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften und Wachsamkeit Verlust von Gefangenenakten Fehlbeträge bei der Verwaltung der Gefangenengelder Übergriffe und Schikanen unerlaubte Kontakte zwischen Personal und Insassen. Fluchten Bisher sind Hinweise auf 14 Fluchten bekannt, darunter sechs namentlich. Die Flüchtigen sind jeweils nach wenigen Stunden, spätestens am nächsten Tag wieder aufgegriffen worden. Manche von ihnen wurden mit Verlängerungen in Schwedt bestraft; andere wurden aus der Armee entlassen und zur weiteren Verbüßung inkl. Folgebestrafung in den zivilen Vollzug verlegt. Resüme Dieser erste Einblick in den Komplex Militärstrafvollzug Schwedt ist nur ein vorläufiger. Insofern ist es auch noch zu früh für Vergleiche mit dem allgemeinen Strafvollzug in der DDR oder mit der Praxis von Militärstrafen in der deutschen Geschichte. Die weiteren Recherchen werden sowohl auf das Verständnis des Innenlebens von Schwedt als auch auf die Durchdringung und Einflußnahme durch das MfS ausgerichtet sein. Ergänzende Forschungsfelder werden dabei u.a. sein: Sicherungsvorkehrungen Krankenbehandlung Umgang mit Ausreiseanträgen Auswirkungen von Amnestien/Bewährungsentlassungen offizielle Außenkontakte (Patenschule, -regiment, GST in Schwedt) erste Erkenntnisse zur Unrechtmäßigkeit der Strafe Dienst in der Disziplinareinheit in 1989 Probleme bei der Rehabilitierung nach Mit den am MGFA sowie bei der BStU laufenden Forschungen wird in den nächsten Jahren ein weißer Fleck in der Wissensund Forschungslandschaft über die DDR getilgt werden können. Schon jetzt zeichnet sich dabei ab, dass einige Legenden über Schwedt als solche überführt, andere Erkenntnisse aber das harte innere Regime bestätigen werden. AP

48 46 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Panzer und Revolution Peter Grimm Panzer und Revolution Dienst bei der NVA im Herbst 1989 NVA-Dienstausweis von Rainer Wahls Du wirst Panzerkommandant. Das hört Rainer Wahls nach seiner Einberufung 1987 zu seinem dreijährigen Armeedienst. Er kommt aus einem SED-treuen Elternhaus und dass er statt der eineinhalbjährigen Wehrpflicht die NVA-Uniform für drei Jahre anziehen würde, das stand eigentlich nie in Frage. Das war kein Wohlverhalten, um beispielsweise einen der heißbegehrten Studienplätze zu bekommen nein, Wahls war einfach überzeugt, das Richtige zu tun. Der Vater arbeitet im Außenhandel und hatte vor geraumer Zeit seinem Sohn noch gesagt, er werde seinen Dienst beim MfS- Wachregiment Feliks Dzierzynski leisten. Doch dann erleidet der Vater einen Karriereknick und wie die Genossen mit einem der ihren umgehen, der in Ungnade gefallen ist, das bringt Rainer Wahls zum Nachdenken über die DDR. Zwar tritt er der SED bei, doch gleichzeitig sucht er Kontakte ins oppositionelle Milieu. Er ist auf den Blues- Messen in der Ost-Berliner Erlöserkirche ebenso zu finden wie in Diskussionszirkeln. Er will mitnichten das SED-Regime Peter Grimm, geb. l965, ist Journalist, Autor von Dokumentarfilmen und seit 2007 auch "Horch und Guck"-Redakteur bekämpfen, aber er will offen debattieren können und sich nicht mit engen ideologischen Grenzen abfinden. Noch glaubt er, das mit seinem Engagement für diese DDR und auch mit seiner Parteimitgliedschaft gut verbinden zu können. Nun soll er also Panzerkommandant werden und kommt zur Ausbildung ins vorpommerische Eggesin. In Eggesin befindet sich zu dieser Zeit die größte Unteroffiziersschule der NVA und hier ist auch die 9. Panzerdivision stationiert. Mindestens Soldaten tun ihren Dienst in Eggesin. Rainer Wahls hat das Militärgelände als riesig und unübersichtlich in Erinnerung, so dass er nur einen Teil überhaupt kennenlernen konnte. Und um das NVA- Gelände herum herrscht die Ödnis, die der Soldatenspruch vom Land der drei Meere Waldmeer, Sandmeer, gar nichts mehr recht treffend beschreibt. Hier nun soll aus Rainer Wahls ein Panzerkommandant gemacht werden. Auch die künftigen Unteroffiziere erfahren zuerst die Schikanen der Grundausbildung in der NVA. Es geht nur darum, Deinen Willen zu brechen, Maschinen aus uns herzustellen, denkt sich Wahls und will das System begreifen, um hier zu überleben. Keine Minute ist man allein, 30 Mann teilen sich ein Zimmer, nach drei bis vier Wochen sind alle soweit, sich zu zerfleischen. Dann gibt es den ersten Wochenendurlaub. Er lernt schnell, dass jede Schikane System hat. Dass die drei Arten von Ausbildern das Arschloch, der sachliche Fachmann und der, der völlig Zerstörte wieder aufbaut System haben. Als seine Vorgesetzten erwägen, ihn auch als Ausbilder in Eggesin einzusetzen, klingt das für ihn wie eine Drohung. Schließlich wird er nach dem halben Jahr in Eggesin nach Drögeheide in ein Panzerbataillon versetzt, das einem einige Kilometer weiter stationierten Motorisierten Schützenregiment zugeordnet ist. Hier wird er oft beim Regimentsstab eingesetzt und lernt viel über die Zusammensetzung des Offizierskorps. Er lernt die unzuverlässigen und menschenverachtenden Offiziere kennen, aber auch fachlich kompetente und in den Grenzen der NVA verantwortungsbewusste Befehlshaber. Es ist auch die Zeit, in der ihm immer stärker bewusst wird, für welchen Einsatz sie hier eigentlich üben. Im sogenannten Ernstfall würden sie an vorderster Front verheizt. Darüber möchte man eigentlich nicht nachdenken. Über die Missstände innerhalb der Armee aber schon. Rainer Wahls hat mehrfach Glück. In dem Panzerbataillon und später im Regiment gibt es andere Unteroffiziere, mit denen er über solche Fragen diskutieren kann. Auch in der NVA gibt es viele Unzufriedene mit immer stärkeren Zweifeln am System. Die finden im Schach- und Go- Zirkel der Kaserne einen Raum, in dem nicht nur gespielt, sondern auch viel geredet wird. Bald findet sich ein engerer Kreis zusammen, den Wahls fast schon als eine verschworene Gemeinschaft von Unteroffizieren empfindet ein stiller Tabubruch, verstößt doch allein schon die Existenz einer solchen Gruppe gegen die ungeschriebenen Gesetze des totalen Gehorsams gegenüber der politischen Führung. Foto: Rainer Wahls

49 Horch und Guck 4/2010 Heft Die Themen dieser Runde sind brisant, geht es doch beispielsweise um die Forderung, die Armee dem direkten Einfluss der Partei zu entziehen, so wie es im gerade im Umbruch befindlichen Ungarn umgesetzt wurde. Aber sie wollen die inneren Zustände der NVA manchmal auch ganz konkret und handfest verändern. Manches im NVA- System hatte Wahls selbst nicht erleiden müssen, wie die Drangsalierungen der frisch Einberufenen durch die EKs, die Entlassungskandidaten, jenen dienstälteren Soldaten also, die die letzten Monate ihrer Dienstzeit absolvieren. Ob es das bei den Unteroffizieren nicht so ausgeprägt gab oder ob es nur daran lag, dass mit ihm mehr Längerdienende als sonst für Panzerbesatzungen eingezogen wurden Wahls weiß es nicht. Als er und seine Unteroffiziers- Freunde aber mitbekommen, dass in ihrer Kompanie zukünftige EKs beginnen, Neulinge zu quälen und sie zu entwürdigenden Spielchen zwingen, da greifen sie ein. Wir sind einfach reinmarschiert und hätten das im Zweifel mit Gewalt geklärt. Wir waren einfach im Nahkampf besser ausgebildet, erinnert sich Wahls. Die kleine Unteroffiziers-Gruppe lernt zudem, wie man im Einzelfall Entscheidungen beeinflussen kann und tut dies auch. Sie erreichen damit keine großen Veränderungen, aber sie lernen, mit welchen Offizieren sich vernünftig reden lässt, denn auch dort gibt es Männer, die an der Zukunft des SED-Regimes in der damaligen Form zweifeln. Nach Wahls Eindruck sind es vor allem die Moskau-Kader, also die, die in der Sowjetunion an einer Offiziershochschule studiert haben und dort die ersten Perestroika-Diskussionen erlebt hatten 1988 geht es dann von Drögeheide in den Braunkohletagebau rund um Schwarze Pumpe, dem Standort des gleichnamigen Kombinats mit Kraftwerk und Gasgewinnung. Die NVA muss bei der Kohleförderung helfen. Der allgemein steigende Unmut über die Zustände in der DDR findet auch in der Truppe, die hier im Tagebau arbeitet, seinen Niederschlag. Zu den Kommunalwahlen 1989 sollen alle Soldaten, die aus der ganzen DDR kommen und nun in Schwarze Pumpe arbeiten, im Wahlkreis Eggesin abstimmen. Das Kopfschütteln über diesen Unsinn sensibilisiert so manchen, auch die Aktivitäten der Opposition bei dieser Wahl wahrzunehmen. Als die die Wahlfälschungen nachweisen kann, führt das auch im Tagebau zu Diskussionen. Die Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz und der demonstrative Beifall dafür von der SED führen schon zu etwas erregteren Debatten. Die Bilder der rollenden Panzer in Peking machte den Panzerbesatzungen klar, dass sie durchaus in eine ähnliche Lage kommen könnten. Das wollten die meisten nicht. In dieser Stimmung zeigen sich auch im Offizierskorps schon erste Auflösungserscheinungen. Gerade zu dieser Zeit werden Wahls und seine Kameraden zu einer politischen Propagandaveranstaltung befohlen. Die systemtreuen Offiziere wollen sich vor den anwesenden Vertretern des Zentralkomitees der SED und des Braunkohlekombinats profilieren, fordern mehr sozialistische Arbeitsmoral in der Winterschlacht ein. Im wirklichen Alltag haben sie sich nie um die tatsächlichen Arbeitsbedingungen und die miserable Versorgung der Soldaten gekümmert. Die verlogene Moralisierung war der Funke für eine emotionale Abrechnung. Einer der Unteroffiziere redet nun Klartext: Wenn wir unsere Arbeit besser machen sollen, dann macht ihr eure und schafft die Voraussetzungen, dass wir besser arbeiten können! Eure Kommandoökonomie ist das Problem und nicht Teil einer Lösung. Die hohen Genossen wurden so öffentlich vorgeführt. Das konnte eigentlich nicht ohne Konsequenzen bleiben. Als sie am nächsten Tag zur Schicht im Tagebau erscheinen, holte sie der Meister, um ihnen zu sagen, dass ihre Offiziere sie aus der Schlosserbrigade abziehen wollten, doch er habe dem widersprochen, schließlich bezahle das Kombinat die NVA ja für ihren Arbeitseinsatz. Nun werden die Unteroffiziers-Freunde aktiv und beantragen ein SED-satzungskonformes Parteiverfahren gegen den Bataillonskommandeur wegen Unterdrückung von Parteikritik. Das ist eigentlich eine Kampfansage, aber wiederum nicht offen umstürzlerisch. Letztlich werden sie nicht bestraft, stattdessen wird der Bataillonskommandeur degradiert und ausgewechselt. Wahls und andere erhalten zeitversetzt den Dienstgrad eines Feldwebels. Ein Jahr vorher wäre ein solcher Vorgang undenkbar gewesen. Als die Kompanie aus Schwarze Pumpe abgezogen und zum Kraftwerk Lübbenau verlegt wird, kommt der kleine Unteroffiziers-Kreis unter die direkte Aufsicht eines Polit-Offiziers. Aber eigentlich hätten sie uns Quelle: Rainer Wahls Beförderung statt Parteistrafe. Rainer Wahls (4. von rechts) feiert mit anderen die Beförderung zum Feldwebel.

50 48 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Panzer und Revolution damals richtig abstrafen müssen, glaubt Rainer Wahls. Zu diesem Zeitpunkt erlebt er allerdings überall, dass die Offiziere in zwei Gruppen zerfallen, die Scharfmacher und diejenigen, die keine Lust mehr haben, Proteste gegen ein starrsinniges Regime zu unterdrücken. Nach außen zeigt sich das allerdings so gut wie nicht, die NVA scheint wie eh und je zu funktionieren und einsatzbereit zu sein. Mitte September 1989 werden die Panzerbesatzungen aus dem Tagebau und dem Kraftwerk zurückgeholt nach Drögeheide. Sie sollen ihre Panzer wieder einsatzbereit machen. Offiziell heißt es, sie würden zur Parade am 40. Jahrestag der DDR in Ost-Berlin fahren. Als die Panzer einsatzbereit sind, gibt es keine weiteren Paradevorbereitungen, sondern einen Arbeitseinsatz: Bäume fällen in der Nähe von Wolgast. Anfang Oktober 1989 geht es wieder zurück nach Drögeheide. Nun scheint es ernst zu werden, denn jetzt herrscht absolutes Ausgangsverbot und totale Urlaubssperre. Vor allem kommen keine Nachrichten von draußen mehr rein. Tagelang ist der Radioempfang gestört. Die Panzer sollen jederzeit einsatzbereit sein. Jetzt wird mobil gemacht heißt es, man werde entschieden gegen die Konterrevolution vorgehen. Als sie von allen Nachrichten abgeschnitten wurden, waren den Soldaten die anhaltende Fluchtbewegung, die besetzten Botschaften und die Demonstrationen draußen wohl bewusst. Sie sollen nun annehmen, dass sich die Lage weiter verschärft, durch die Konterrevolution chaotische Zustände herrschen und Ordnung geschaffen werden müsse. Dass die SED das Vorhaben, die Proteste gewaltsam niederzuschlagen, am 9. Oktober in Leipzig im Angesicht der Masse aufgeben muss, bekommen die Soldaten hier nicht mit. Sie warten weiter auf ihren Einsatz. Es ist eine Atmosphäre voller Angst, Anspannung und Aggression. Wie sich das auflöst, bekommt Rainer Wahls zunächst nicht mit, denn er muss wegen einer Verletzung ins Lazarett nach Ueckermünde verlegt werden. Diese Zeit in der Kaserne beschreibt auch Lars Schmidt, der in jenen Tagen in Schwerin beim Fla Raketenregiment 8 dient: Unheimlich werden mir und den Ausgang in Uniform. Freizeit nach der Arbeit in Lübbenau 1989 anderen Soldaten dann auch die Tage nach dem 7. Oktober. Nun herrscht absolute Ausgangs- und Urlaubssperre. Die Wachen werden verstärkt, die Waffenkammern noch stärker kontrolliert als es ohnehin schon üblich ist. Käme der Einsatzbefehl, die Polizei beim Vorgehen gegen Demonstranten in Schwerin zu unterstützen, wäre das benachbarte Motorisierte Schützenregiment ausgerückt und wir hätten deren Nachhut übernommen. So viel wissen wir. Dass Erich Honecker am 26. September den Geheimbefehl Nr. 8/89 erlassen hatte, laut dem DDR-feindliche Krawalle von vornherein zu unterbinden seien, wissen wir dagegen nicht. Die Stimmung in meiner Einheit ist angespannt. Die Angst, den Befehl zu erhalten, auf das eigene Volk zu schießen, ist groß. Doch alle Einheiten bleiben in den Kasernen. Als wir am 18. Oktober per Befehl zum Anschauen der Aktuellen Kamera, der DDR-Hauptnachrichtensendung vergattert werden, ahnen wir, dass etwas im Gange ist. Und richtig: Egon Krenz verkündet den Rücktritt Honeckers und übernimmt dessen Posten. Auch die geschichtsträchtige Pressekonferenz mit Günter Schabowski am 9. November wird live im DDR-Fernsehen übertragen. Die aber sehen wir nicht. Es gab schließlich keinen Befehl dazu und freiwillig schauen wir diese Art von Sendungen nie. 1 Rainer Wahls hört in Ueckermünde viel von den unglaublichen Veränderungen der letzten Tage. Er selbst hatte sich ja immer so gut es ging informiert. Im Gegensatz zu vielen Kameraden kannte er auch den Aufruf des Neuen Forum aus dem Septem- 1 (Stand ) ber und fühlte sich davon angesprochen. Doch in welchem Maße sich die SED- Führung inzwischen zu Zugeständnissen gezwungen sah, bekommt er erst jetzt in vollem Umfang mit. In einem NVA-Lazarett im DDR-Fernsehen die Übertragung der Demonstration vom 4. November 1989 auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz zu sehen ist unter diesen Bedingungen ein revolutionäres Erlebnis. Anfang November wird Wahls aus dem Lazarett entlassen und in Drögeheide sofort in den Regimentsstab kommandiert. Dass sich hier eine Gruppe gebildet hat, die Wahls als eine Art Unteroffiziers-Opposition beschreibt, davon wusste ein Teil der Regimentsführung, da ist er sich sicher. Sonst hätte er hier kaum höchst eigenartige Befehle empfangen. Da ist zunächst die Ernennung zum Polit-Stellvertreter der Kompanie. Eine solche Funktion gibt es gar nicht, aber über diesen Einwand gehen die Offiziere einfach hinweg, Der junge Unteroffizier wird zu einer Dienstbesprechung auf Militärbezirksebene geschickt. Er bekommt einen Dienstwagen und soll sich sofort auf den Weg machen. Was er in dieser Runde soll, fragt er sich nicht mehr, als er angekommen ist. Denn hier agitieren Scharfmacher ihre Offizierskameraden. Es sind Grusel-Geschichten von der Konterrevolution, von Frauen und Kindern von Genossen, die angeblich bedroht werden und darüber, wie gefährlich das Neue Forum ist. Wahls stört diese Stimmungsmache, fragt in die Runde, wer denn den Aufruf des Neuen Forum eigentlich kenne selbstverständlich niemand und erzählt davon. Ein solcher Dialogaufruf, der nur den realen Zustand des Landes beschreibt, kann auch bei etlichen Offizieren nicht mehr die große Empörung hervorrufen. Das Einschwören auf den einmütigen Willen zum Losschlagen misslingt. Wahls hat damit offenbar das getan, was man in der Regimentsführung von ihm erwartete, nämlich die Stimmung in der Offiziersrunde zu beeinflussen. Auch wenn dort nichts entschieden werden konnte und sollte, waren doch die Stimmungsbilder wichtig. Die meisten Offiziere im Regimentsstab konnten sich nur zu gut vorstellen, dass es Pläne gab, das SED-Regime doch noch mit einem Militäreinsatz zu Quelle: Rainer Wahls

51 Horch und Guck 4/2010 Heft retten. Und davor hatten sie Angst. Allerdings hatten sie auch Angst davor, sich mit allzu offenen Worten in solchen Runden Ärger zu machen. Und so, denkt Wahls, hatte man einfach einen vorgeschickt, den man einer Unteroffiziers-Opposition zuordnete. Die NVA schlägt nicht zu, sondern wird im Verlauf des Herbstes 1989 selbst von der Unruhe erfasst. Viele der am 1. November Einberufenen haben die Atmosphäre des Aufbruchs in eine Tag für Tag größer werdende Freiheit genossen, als sie in die strenge Kasernenhofatmosphäre der NVA kommen. Die wollen sie nicht, wie die Soldatengenerationen vor ihnen, einfach widerspruchslos hinnehmen. Die Offiziere wiederum sind schwer verunsichert. Sie wagen kaum noch, die Neuen zu schikanieren. Vollkommen deutlich wird diese Verunsicherung für Wahls, als die Nachrichtentechniker in Drögeheide ihren Dienst verweigern und kurz darauf 40 Mann mit einem Transparent zur ersten Montagsdemonstration in einer Kaserne durch den Standort ziehen. Gleichzeitig versammeln sich die Unteroffiziere, die etwas verändern wollen, aus allen Teilen des Regiments zu einem informellen Treffen. Doch es bleibt kein informelles Gespräch, denn die Runde beschließt spontan, einen Soldatenrat als Interessenvertretung zu gründen. Die FDJ musste sich zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Armee zurückziehen, die SED wird bald folgen. Der Soldatenrat beginnt seine Arbeit mit ganz praktischen Forderungen nach Verbesserung der Zustände in der Kaserne. So sind beispielsweise die sanitären Einrichtungen völlig desolat. Die Lösung ist ganz einfach: Der miltärische Dienstbetrieb wird eingestellt und die Soldaten bauen und reparieren stattdessen in Eigenregie, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. So weit sind im Spätherbst 1989 noch nicht alle Truppenteile. Es braucht Zeit, sich vom NVA-Geist des unbedingten Gehorsams Angst vor einem Einsatz wie in Peking. Die Junge Welt 1989 mit einem Propagandaartikel über die Niederschlagung der Demokratiebewegung zu lösen. Wahls erinnert sich noch an einen Besuch von Vertretern anderer Soldatenräte in Drögeheide. Einige bitten darum, sie sollten doch nicht so radikal sein, denn wir wollen doch nicht gegen Euch eingesetzt werden. Doch die Zerfallsprozesse des SED- Staates sickern immer stärker in die NVA hinein. Das Verteidigungsministerium kündigt eine Reform in der Armee an und hofft, damit erst einmal Ruhe in der Truppe zu haben. Nun geht es nicht mehr darum, ob die Soldaten eventuell zur Machtsicherung der SED eingesetzt werden könnten. Jetzt geht es darum, die Armee selbst vor dem Zerfall zu retten. Zwar gibt es die gröbsten Schikanen nicht mehr und manche Unannehmlichkeit verschwindet. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten: Beispielsweise wird das Westfernsehen in der Kaserne erlaubt und mancherorts der Frühsport abgeschafft. Die Anrede Genosse ist nicht mehr obligatorisch und bald bekommen die Soldaten auch ihre Ausweise zurück, die bislang während der gesamten Wehrdienstzeit einbehalten wurden. Seit Ende November werden auch etliche Soldaten zur Arbeit in zivile Betriebe abkommandiert. Aber immer noch gibt es kaum Ausgang und Urlaub. Verglichen mit der zivilen Welt hat sich beim Militär noch nicht so viel verändert. Der Unmut in der Truppe wächst. Silvester 1989 spitzt sich die Lage in Drögeheide zu. Die Stimmung unter den Soldaten, die keinen Urlaub bekommen haben und nun am Ende dieses besonderen Jahres in der Kaserne sein müssen, ist schlecht. Es ist viel Alkohol vorhanden, denn auch die rigiden Kontrollen von früher gibt es in dieser Form nicht mehr. Im Verlauf des Abends kommt es vor der Kommandantur zu einem Auflauf. Es sind angetrunkene Männer, die sich zu einem spontanen Protest versammeln. Doch keiner hat die Situation in der Hand und weiß, wie sie ausgeht. Immerhin ist der Standort voller Waffen. Wahls sucht mit einigen Freunden einen Ausweg. Zuerst ist es ihnen wichtig, die Waffenkammer unter Kontrolle zu bringen und dann dafür zu sorgen, dass keiner der Offiziere oder der Protestierenden durchdreht. Ein geordnetes Verfahren muss her. Die Offiziere sind einigermaßen hilflos und wissen nicht, was sie angesichts einer protestierenden Masse tun sollen. Verhandeln? Aber wie? Noch formulieren die Aufrührer ja keine konkreten Forderungen. Und wie erklärt man das, was da vor sich geht, den eigenen Vorgesetzten? Die Lösung: Aus dem spontanen Protestauflauf muss eine zielgerichtete Demonstration werden. Wahls formuliert mit dem Soldatenrat schnell zehn konkrete Forderungen: Es geht um die Dienstzeiten, mehr Urlaub und Ausgang. Jetzt kann auch verhandelt werden und es kommt zu einer Einigung, bei der auch die Regimentsleitung das Gesicht wahren kann. Eine Vollversammlung des Regiments wählt Tage später eine Delegation, die mit dem Forderungskatalog nach Strausberg ins Ministerium für Nationale Verteidigung fahren soll. Zu Beginn des Jahres 1990 kommt es dann fast überall in den NVA-Kasernen zu Protesten und Streiks. Was noch ein paar Monate zuvor augenblicklich mit der Inhaftierung im berüchtigten Militärgefängnis in Schwedt bestraft worden wäre, ist nun alltäglich geworden. Die Forderungen sind überall ähnlich. Die Soldaten verlieren ihre Angst und die Offiziere ihre Macht. Quelle: Rainer Wahls PG

52 50 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Hochverrat? Karl-Heinz Baum Hochverrat? Wie der Adjutant des letzten DDR- Verteidigungsministers 1990 zum politischen Flüchtling wurde. Die Entlassungspapiere wegen der zu frühen Kontakte zum früheren Feind. Diese Szene vergisst Rainer Eppelmann sein Leben nicht. Es ist kurz vor Mitternacht, Sonntag 22. April Schon von weitem sieht der frisch gebackene Minister für Abrüstung und Verteidigung der ersten frei gewählten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière (CDU), dass vor dem Mietshaus in der Samariterstraße 27 ein Polizeiwagen steht. Dort ist im dritten Stock seine Wohnung. Was können sie von ihm wollen? Die DDR-Polizisten sprechen ihn höflich an, bitten ihn einzusteigen. Er werde dringend im Ministerium erwartet. Eini- Karl-Heinz Baum, geb. l94l, von l977 bis l990 Korrespondent der Frankfurter Rundschau in der DDR, bis 2003 FR-Redakteur in Berlin, seit 2003 freier Journalist und Autor. germaßen beruhigt ist Eppelmann erst, als die Blaulichtfahrt Richtung Strausberg geht, eine Kleinstadt östlich Berlins, wo das Ministerium seinen Sitz hat. Dass es gleich um seinen Kopf als Minister gehen wird, an seinem sechsten Tag im Amt, ahnt er nicht im Geringsten. Das Ministerium ist außerhalb Berlins, weil es nach dem Besatzungsrecht der vier alliierten Mächte (USA, Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion) nach dem Zweiten Weltkrieg in der ganzen Stadt nur alliierte Militärs geben darf. Die Bestimmung selbst hatte die DDR mit sowjetischer Billigung längst unterhöhlt, etwa mit der Stadtkommandantur am Brandenburger Tor. Auf der Fahrt nach Strausberg denkt der neue Minister an sein erstes Auftreten vor der DDR-Generalität drei Tage zuvor. Da fuhr er mit seinem Adjutanten Oberst Hans-Werner Weber vor und alle standen stramm: vom Admiral der Nationalen Volksarmee (NVA), Theodor Hoffmann, seinem Vorgänger, bis zu den Unteroffizieren: Sie standen stramm vor Bausoldat Eppelmann; sie standen stramm vor dem, der 1966 den Fahneneid auf die DDR verweigerte und deshalb acht Monate im Militärknast saß. Ein süffisantes Lächeln kann sich Eppelmann beim Gedanken an das Bild nicht verkneifen. In Strausberg ist nachts um eins am Montag die Spitze des Ministeriums versammelt. Eppelmann sieht sofort: einer Quelle: Quelle: Archiv Archiv Karl-Heinz Karl-Heinz Baum Baum fehlt: Sein Adjutant. Seltsam, haben sie den nicht erreicht? Die auf ihn Wartenden sind in heller Aufregung. Sie unterrichten ihren neuen Dienstherrn militärisch knapp. Am Morgen werde die Junge Welt erscheinen und von einer Verschwörung in der NVA 1 berichten. Die Junge Welt hatte sich gerade vom Organ des Zentralrats der FDJ zur linken sozialistischen Tageszeitung umbenannt. Der Sachverhalt sei dieser: Eine Gruppe von Obristen, einer davon gar aus dem Ministerium hätten sich laut Junge Welt vor einigen Wochen mit einem zweiseitigen Schreiben an BRD-Verteidigungsminister Stoltenberg gewandt, da sie in den Kommandoverhältnissen der NVA eine Gefahr für die nationale Einheit sahen und ein Engagement der Bundeswehr wünschten. Die Junge Welt war sechs Tage nach der Bestellung einer demokratisch gewählten Regierung noch überzeugt, die Verwirklichung dieser Idee wäre wohl auf demokratischen Wege nicht machbar gewesen und fragte geheimnisvoll: Dachte man etwa an einen Handstreich? Denn dagegen seien die Regierung der DDR, das Verteidigungsministerium und die Alliierten, besonders die Sowjetunion, die sich eine Stationierung auf dem heutigem DDR- Territorium ausdrücklich verbittet. Das war im April noch so. Allerdings verschwieg die Junge Welt vier wichtige Worte aus dem Brief. Als es um die Übernahme (der NVA) durch das Bundesheer geht, steht im Brief zwischen Übernahme und durch in Gedankenstrichen: nach weiteren politischen Entscheidungen. Das kann nur heißen: im Fortgang des friedlichen und demokratischen Einigungsprozesses. Das Blatt zitiert richtig, dass sich die Obristen für Vorbereitungen für die Bundeswehr auf 1 Verschwörung in der NVA? in Junge Welt vom 23. April 1990

53 Horch und Guck 4/2010 Heft dem ehemaligen (!) Territorium der DDR aussprechen, bemerkt aber nicht, dass ehemalig nur bedeuten kann: nach dem erfolgreichen Abschluss der Einheit, wie immer sie geregelt sein wird. Das sieht nicht nach Handstreich aus. Festzuhalten ist, was die Junge Welt kaum aus Platzgründen auch noch wegließ, etwa den Satz: Wir sind Berufssoldaten in leitender Funktion, welche sich ihrer Verantwortung bei der bisherigen Militärpolitik der Regierung der DDR bewußt sind und aus patriotischer, nationaler und soldatischer Verantwortung heraus den totalen Bruch mit dem bisherigen politischen System vollzogen haben. Das hörte man im noch vor kurzem SED-nahen Blatt gewiss nicht gern. Das Blatt empörte besonders die Sorge der Obristen, die Kommandoverhältnisse der NVA könnten sich als Gefahr für die Einheit erweisen. Begründet hatten sie es mit unseren Erfahrungen bei der Auflösung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit, also mit dem Versuch, Stasioffiziere und Mannschaften einfach in die Armee zu übernehmen. Das war für die Junge Welt nicht berichtenswert. Auch die Sorge der Obristen über das oftmals noch fehlende Demokratieverständnis bei Vorgesetzten und Unterstellten war keine Zeile wert. Eppelmann wusste in jener Nachtsitzung nicht, dass es einen solchen Brief an Stoltenberg (Datum 27. Februar) tatsächlich gab und dass einer der Autoren sein gerade ernannter Adjutant war. Der einstige DDR-Minister erinnert sich, dass sehr schnell Worte von Hochverrat und Landesverrat fielen, Worte, die ich in diesem Fall nur in Anführungszeichen benutzen mag. Damals hätten ihn die Anwesenden ausdrücklich darauf hingewiesen, die DDR sei noch immer ein selbständiger Staat und sie sei es vor wenigen Wochen auch gewesen und da sei das dann eben Verrat. Eppelmann begreift, obwohl er den Brief nicht kennt, dass der Zeitungsbericht vor allem ihm an den Kragen gehen soll. Aus Bonn erhält er die Auskunft, ein solcher Brief habe dem Minister nie vorgelegen, wie es in seiner ersten Presseerklärung heißt. Darin wertet das Ministerium den Artikel der Jungen Welt als reine Verunsicherungskampagne. Eppelmanns Erklärung spricht von einem zweifelhaften journalistischen Stil, eine Verschwörungstheorie aufzubauen, ohne Recherche im Ministerium und ohne Rücksprache beim Adressaten des Briefs. 2 Dass Eppelmann nicht hinzufügte und ohne Rücksprache bei den Absendern lag wohl daran, dass er den Brief da noch für eine Fälschung hielt. Erst am Nachmittag übersandte die Junge Welt die Kopie des Briefes mit den Namen, allerdings fehlen darauf die Unterschriften. Im Briefkopf finden sich neben Hans- Werner Weber die Namen von zwei Militärbezirksärzten aus Schwerin und Halle/ Saale. Wie kam es zu dem Brief? Weber und die beiden Militärärzte waren im Februar gleichzeitig zur Kur im sächsischen Bad Elster. Sie wussten voneinander, kannten sich aber nicht persönlich. Sie sprachen darüber, dass die DDR-Staatssicherheit versucht hatte, an die tausend hauptamtliche Mitarbeiter in die Armee zu überführen und waren froh, dass dieser Stasicoup vergebens war. Allen dreien sei klar gewesen, erinnert sich Weber, dass der DDR-Zug in Richtung Einheit inzwischen längst Fahrt aufgenommen hatte so hatte der damalige DDR-Regierungschef Hans Modrow (seit 13. November 1989) schon Anfang Februar unmittelbar nach der Rückkehr aus Moskau von Deutschland einig Vaterland gesprochen. Die in drei Wochen anstehenden freien Wahlen würden zudem der Herrschaft der SED, die sich inzwischen PDS nannte, gewiss ein Ende bereiten; dazu bedurfte es keiner Sehergabe. In Bad Elster offenbart sich Weber unter vermeintlich Gleichgesinnten, er habe Kontakt zum Bürgerrechtler Rainer Eppelmann. Als Weber 1955 in jungen Jahren zur Kasernierten Volkspolizei (KVP) dem Vorläufer der DDR-Armee kam, war er überzeugter Kommunist. Je höher er im Militärapparat aufstieg, umso größer wurden seine Zweifel. In Bad Elster ist er auf dem Weg ein Demokrat zu werden. Als er nach dem Mauerfall bemerkt, Stasileute drängen mit Macht und Unterstützung offizieller Stellen in die Armee, ist er fest überzeugt, so ein vermeintlich kluger Schachzug werde, komme es zur Einheit, jedem DDR- Soldaten den Weg in die Bundeswehr versperren. Dann werde das vereinte Deutschland die NVA einfach auflösen. Nach dieser Überlegung fasst Weber im Dezember 1989 einen schwerwie- 2 Erklärung des Ministers für Abrüstung und Verteidigung vom genden, für ihn nicht ungefährlichen Entschluss. Er geht eines Abends zu Rainer Eppelmann, einen Mann, dessen Namen er kennt, nicht zuletzt weil ihn die DDR als einen der schlimmsten Staatsfeinde ansieht. Weber berichtet von den Vorbereitungen der Modrow-Regierung, Stasileute in die Armee zu überführen. Eppelmann fragt ihn an diesem Abend, ob Gespräche zwischen DDR-Militärs und den revolutionären Kräften überhaupt möglich seien. Weber: Der Dialog hat doch gerade begonnen! Eppelmann: Da haben Sie recht! Die beiden treffen sich in den nächsten Wochen mehrfach, natürlich immer konspirativ. Dass Eppelmann später der für die Armee zuständige Minister werden könnte, ahnen beide nicht. Weber steckt Eppelmann bald darauf, dass es in der Armee am Tag nach dem Mauerfall Bestrebungen gab, die Mauer mit militärischer Gewalt wieder zu schließen. Rainer Eppelmann, Pfarrer der Samariterkirche in Berlin, ist bekannt durch seine Bluesmessen und viele andere Veranstaltungen, die hunderte Ost-Berliner anziehen. Er sitzt von Dezember 1989 bis März 1990 als Ersatzmann für den Demokratischen Aufbruch am Runden Tisch, dem Gremium, das der nicht legitimierten DDR-Regierung unter Hans Modrow (PDS) bis zur ersten freien Wahl wenigstens den Anschein von Legitimität geben soll. Eppelmann kommt nur zum Zug, wenn einer der beiden nominierten DA-Leute Wolfgang Schnur und Ehrhardt Neubert verhindert ist. Dann fragt er gezielt nach die Armee betreffenden Sachverhalten und erhält, wie gewohnt, ausweichende oder negative Antworten. Weber sieht im Ministerium die Direktübertragung des DDR-Fernsehens vom Runden Tisch. Seine Mitseher reagieren bei Eppelmanns Fragen empört: Woher weiß er das denn schon wieder? Ende Januar beruft Regierungschef Modrow Eppelmann zum Sonderminister ohne Geschäftsbereich. Bei der Wahl am 18. März gehört Eppelmanns Partei Demokratischer Aufbruch zum vom westdeutschen Kanzler Helmut Kohl geschmiedeten Wahlbündnis Allianz für Deutschland. Der DA schafft vor allem wegen der Enttarnung des Spitzenkandidaten und Anwalts Schnur als Stasispitzel gerade 0.9 Prozent oder vier Sitze. Er war der schwächste der drei Allianz-Partner CDU, DSU und DA. Nach der Wahl fragt Regierungschef de Maizière Eppelmann,

54 52 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Hochverrat? ob er sich vorstellen könne, den Posten des Verteidigungsministers zu übernehmen. Antwort: Nur wenn es Ministerium für Abrüstung und Verteidigung heißt. De Maizière stimmt zu. Es ist ziemlich logisch, Der Adressat des Briefes in Strausberg. Rainer Eppelmann empfängt im Mai 1990 Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg in seinem Amtssitz. dass Eppelmann Weber zu seinem Adjutanten macht, also zu seinem Büroleiter. Seinen Vorgänger Theodor Hoffmann ernennt er zum Chef der DDR-Streitkräfte. Ende Februar in Bad Elster kommen die drei Obristen bei ihren Gesprächen auf den Gedanken, ihre Überlegungen für eine ordentliche Abwicklung der NVA im vereinten Deutschland in einem Brief an den Bonner Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg zu schicken. Dabei stützen sie sich auf Überlegungen Webers, die er sich zu einer möglichen Militärreform der NVA gemacht hat. Er erinnert sich, die Idee zu dem Brief, der inzwischen als Stoltenberg- Brief in die Geschichte einging, habe der Schweriner Militärarzt gehabt. Dieser entpuppt sich später als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) Erwin Mahler. Auch wenn die DDR-Staatssicherheit im Februar 1990 nicht mehr richtig arbeiten kann seit Dezember sind die Dienststellen von Bürgerrechtlern besetzt manch alte Verbindung funktioniert vielleicht noch. Die Junge Welt berief sich jedenfalls darauf, am Freitag (also zwei Tage nach Eppelmanns Amtsantritt) von einem Informanten aus Schwerin die Briefkopie erhalten zu haben. Das nicht unterschriebene Exemplar war als Beweis eigentlich wertlos. Jeder der drei Obristen hatte ein Exemplar eingesteckt und mitgenommen. Vor dem Druck informierte die Junge Welt offenbar alte Vertraute im Ministerium. Foto: ADN-ZB/ Grimm, Bundesarchiv Bild Der einzig unterschriebene Brief sollte nach Bonn gehen. Was mit ihm geschah, lässt sich nicht mehr klären. Die drei hatten verabredet, gemeinsam an die Grenze zu fahren. Dort wollten sie ihn einer offiziellen Stelle, etwa dem Bundesgrenzschutz, mit der Bitte um Weiterleitung übergeben. Doch ein Schneesturm tobte den ganzen Tag über in Bad Elster. Einer der Militärärzte übernahm es, den Brief der DDR- Post anzuvertrauen, was er getan haben will. Ob noch irgendwelche Stasieinheiten den Brief anhielten, ob er auf dem Postweg verschwand oder ob ein anderer Grund vorliegt, steht dahin. Minister Stoltenberg versicherte auch Jahre später, diesen Brief mit den Unterschriften nie gesehen zu haben, auch nicht nach der Affäre in Ost-Berlin. Oberst Hans-Werner Weber erfährt erst nach Eppelmanns Ernennung zum Minister am Mittwoch dem 18. April, er solle künftig als Adjutant das Ministerbüro leiten. Am Donnerstag begleitet er den Minister in sein neues Amt, wo alle stramm stehen. Am Freitag machen der Kommandeur der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) Boris A. Snetkow und einer seiner Vorgänger Pjotr G. Luschew ihren Antrittsbesuch in Strausberg. Unmittelbar danach fährt Eppelmann zum DA- Parteitag nach Schwerin; wird zum neuen Vorsitzenden gewählt. Eppelmann: Ein Problem lag darin, dass ich den Brief nicht kannte und von ihm keine Ahnung hatte. Wäre es anders gewesen, hätte ich vielleicht etwas machen können. So aber musste ich mich der Aufregung beugen. Weber dazu: Natürlich war es ein Fehler, dass ich Rainer Eppelmann nicht gleich von diesem Brief erzählt habe. Aber zwischen meiner Berufung am Mittwoch und seiner Abreise nach Schwerin hatten wir keine freie Minute. Konnte ich ahnen, dass eine Briefkopie als gewetztes Messer in einer Schweriner Schublade lag? Vor allem, dass ausgerechnet der später als IM enttarnte Oberst den Anstoß zum Schreiben des Briefes gab, lässt Weber annehmen, dies sei eine der letzten von der Staatssicherheit eingefädelten Intrigen. Auch er glaubt, dass Eppelmann und nicht er selbst als Opfer ausersehen war. Obwohl alle Signale in Richtung Einheit zeigen, steht die Führungscrew im Ministerium in Treue fest zur DDR. Im Februar hätte man einen solchen Brief nicht schreiben dürfen. Eppelmanns damaliger Staatssekretär im Ministerium Werner E. Ablaß, auch vom DA, verwies seitdem mehrfach darauf, im Februar seien noch nicht einmal die 2+4-Verhandlungen eingeleitet gewesen. Deshalb bleibe es für ihn Hochverrat. Das erklärt jemand, der von sich sagt, er sei immer für die deutsche Einheit gewesen. Es war weder Hoch- noch Landesverrat: selbst nach DDR-Recht nicht, das die frei gewählte Volkskammer bereits wenige Wochen nach der Affäre um den Stoltenbergbrief wesentlich entschärfte. Hochverrat ( 96 StGB DDR) beging, wer es unternahm, die sozialistische Staats- oder Gesellschaftsordnung durch gewaltsamen Umsturz oder planmäßige Untergrabung zu beseitigen oder in verräterischer Weise die Macht zu ergreifen. Hochverrat hätte auch begangen, wer das Gebiet der DDR einem anderen Staat einverleiben oder einen Teil derselben loslösen wollte. Außerdem beging Hochverrat, wer einen Angriff auf Leben und Gesundheit eines führenden Repräsentanten verübte oder wer mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt die verfassungsmäßige Tätigkeit führender Repräsentanten unmöglich machen oder behindern wollte. Keines dieser Tatbestandsmerkmale trifft auf die Autoren des Briefs zu, konnte mit so einem Brief gar nicht erreicht werden. Bliebe Landesverrat. Das war in der DDR ein Gummiparagraf, nachdem so gut wie jede Weiterleitung von Nachrichten unter Strafe stand. Im Strafgesetzbuch der DDR, das Ende April 1990 noch galt, wurde bestraft, wer Nachrichten oder Gegenstände, die geheimzuhalten sind, zum Nachteil der Interessen der Deutschen Demokratischen Republik für eine fremde Macht, deren Einrichtungen oder Vertreter oder für einen Geheimdienst oder für ausländische Organisationen oder deren Helfer sammelt, an sie verrät, ihnen ausliefert oder zugänglich macht. Da hätte der Inhalt des Briefs schon darunter fallen können. Doch eine absolute Bedingung, um solches Tun als Straftat zu charakterisieren, war im DDR-Recht, dass ein Nachteil für die DDR eintreten muss! Wo wäre der Nachteil gewesen, zumal die Folgen erst nach dem Ende der DDR eintreten sollten? Die Zeit, da die Stasi entsprechende Geständnisse erpresste und DDR-Richter diese Paragrafen meilenweit auslegten,

55 Horch und Guck 4/2010 Heft war im April 1990 vorbei. Wahrscheinlich hatten jene, die die Verfasser des Briefs derart beschuldigten, noch die juristische Praxis, nicht aber das gedruckte DDR- Recht im Kopf. Der Minister entlässt seinen Vertrauten Weber und beide Militärärzte per Befehl vom 30. April 1990 aus dem aktiven Dienst: Der Inhalt des Briefes richte sich gegen die Verfassung der DDR. Damit werde das Ansehen der NVA geschädigt und die Ehre und Würde des Offiziercorps verletzt. Derartige Handlungen laufen dem Erneuerungsprozeß der Streitkräfte und dem Wachsen von Vertrauen unter den Armeeangehörigen und ihrer Führung sowie zwischen Volk und Armee zuwider. Kein Wort von Hoch- oder Landesverrat. Eppelmann begründet die Entlassung heute damit, die Spitzen des Ministeriums hätten ihn vor die Wahl gestellt: Entweder Weber oder wir. So hat es auch Weber in Erinnerung, er habe seinem Dienstherrn gesagt: Da steht die Sache vor der Person. Nach dem Rauswurf fährt das Ehepaar Weber erst einmal zu einem Familienfest in den Westen, aber durchaus auch, weil die DDR-Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Landesverrats einleitet. Die Verwandten veranlassen Weber, sich wenigstens bei der Erfassungsstelle Salzgitter zu melden, jener Stelle, die die westdeutschen Justizminister bald nach dem Mauerbau einrichteten, um DDR-Verbrechen, vor allem tödliche oder verletzende Schüsse an der Grenze, für eine spätere Strafverfolgung zu dokumentieren. Weber trifft sich dort mit Hans-Otto Plumeyer, der ihm rät, im Interesse der eigenen Sicherheit vorerst im Westen zu bleiben. Noch müsse er mit Verhaftung rechnen. Plumeyer leitet Weber an die Deutsche Gesellschaft für Sozialbeziehungen weiter, die gerade dabei ist, ihre Arbeit einzustellen. Der Name war ein Tarnname wurde sie als gemeinnütziger Verein gegründet, um geflüchteten DDR-Soldaten, den Leuten von der anderen Feldpostnummer, bei der Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland zu helfen. Weber ist ihr letzter Betreuungsfall. In einem Verwaltungsgerichtsverfahren nach der Einheit erreicht Weber einen Vergleich. Er stellt ihn so, als wäre er vor dem 3. Oktober nicht aus der NVA entlassen worden. So kann ihn die Bundeswehr übernehmen; 1991 findet er eine neue Anstellung als leitender Angestellter im Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz. Ortwin Buchbender, ehemals Leitender Wissenschaftlicher Direktor der Akademie der Bundeswehr für Information und Kom- munikation in Strausberg und der inzwischen verstorbene Bundeswehroberst Rolf Rothe, langjähriges Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Sozialbeziehungen, schreiben Ende 2009: Alle bisherigen Recherchen weisen darauf hin, dass Oberst Weber einer hochintelligent eingefädelten Intrige zum Opfer gefallen ist, die eigentlich auf den Sturz Rainer Eppelmanns gerichtet war. Der Brief wurde im Februar 1990 gezielt initiiert und die Kopie des Initiators für den Fall zurück gehalten, dass Weber in die Nähe von Rainer Eppelmann gerät. Erst dann wurde das Papier genutzt, um Eppelmann gezielt zu Fall zu bringen und gegen eine evtl genehmere Person auszutauschen. Diese Rechnung ging jedoch nicht auf. Rainer Eppelmann entließ Weber und die beiden anderen Obristen aus der NVA und ging gestärkt aus dem Angriff auf seine Person hervor. 3 Über Weber wird man sagen können: Er handelte nicht als Landes- oder Hochverräter sondern aus staatspolitischer Verantwortung für alle betroffenen Soldaten. 3 Ortwin Buchbender, Rolf Rothe: Hilfe für geflüchtete Soldaten aus der DDR Die Deutsche Gesellschaft für Sozialbeziehungen e.v , Deutschlandarchiv 6/2009, KB Quelle: Archiv Karl-Heinz Karl-Heinz Baum Baum Der Brief, der nie seinen Adressaten erreichte, aber in Ost-Berlin für Wirbel sorgte.

56 54 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Eine der besten Armeen der Welt Benn Roolf Eine der besten Armeen der Welt Im Internet kämpfen die NVA-Veteranen um die Deutungshoheit über die DDR-Armee. Mit Erfolg? Der ehemalige Funkmessobermaat Roberto Roth, vier Jahre bei der DDR-Volksmarine im Dienst, betreibt heute eine umfangreiche Internetseite und hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg: Die Nationale Volksarmee darf wohl ohne Hochmut als eine der besten Armeen der Welt bezeichnet werden. Gerade im vereinten Kampfe mit unseren Brüdern der Volksrepublik Vietnam gegen die US-Imperialisten wurden glorreiche Siege erfochten und erstmals bewiesen, daß diese verbrecherischen Eindringlinge keinesfalls unbesiegbar sind! 1 Sie siegen also nicht immer, die Imperialisten. Trotz aller martialischer Selbstbeweihräucherung sieht sich Roth gern als sozialistischer David, der es mit dem mächtigen imperialistischen Goliath aufnimmt. Doch der einstige Feind wird auch bewundert. Nur ein paar Klicks weiter finden wir auf seinem Internetauftritt ganze Bildergalerien über das US-Schlachtschiff IOWA. Angesichts dieses technischen Wunderwerkes ist alle Ideologie von der Überlegenheit des Sozialismus schnell vergessen. Aus den Begleittexten quillt die Bewunderung für das größte Schlacht- 1 Seite Geschichte der Nationalen Volksarmeee, Benn Roolf, geb. l964 in Berlin, l Mitgründer und -herausgeber der Samisdat-Zeitschrift KONTEXT, seit l99l Betreiber einer Werbeagentur, seit 20l0 Redakteur bei "Horch und Guck" Neue Medien Alte Gesinnung: Geschichte darstellen, Traditionen pflegen und mit Stolz auf die Vergangenheit blicken der Traditionsverband der NVA im Internet schiff der Welt nur so hervor. In bester Militaria-Begeisterung wird detailliert die Bewaffnung dargestellt, von den Gatling- Revolverkanonen bis hin zu den SH-60 Seahawk-Hubschraubern. Verdienstvoll ist auch Roths Offenheit beim Erläutern der NVA-Soldatensprache. Hier erfahren wir, dass mit Dachs oder Glatter die neu eingezogenen Soldaten gemeint waren. Erläuterung Unteroffizier Roth: durfte alle arbeiten verrichten ;-). Der E oder EK hingegen war der Entlassungskandidat, interner Chef. Die EK s veranstalteten nun mit den Glatten allerlei demütigende Spielchen. Beispiel Staubsauger : Der Dachs musste die Schutzmaske mit Schlauch ohne Filter aufsetzen, Schlauch wurde für längere Zeit zugedrückt [Luftzufuhr blockiert] und über einem vollen Aschenbecher wieder geöffnet. 2 Gefährlich wurde es beim Spiel Musikbox : Dabei wurde ein Soldat in den Spind gesperrt und von älteren Soldaten wurde ihm befohlen zu singen. Tat er das nicht, wurde der Spind angekippt und nötigenfalls auf den Boden fallen gelassen. Sang der Soldat dann noch immer nicht, wurde er mit dem Spind aus dem Fenster geschoben, sogar aus oberen Stockwerken. 3 NVA-Offiziere waren vor 1989 nicht gerade für das öffentliche Äußern eigener 2 Seite Schlachtschiff USS IOWA, Allgemein, Seite Armeezeit, Soldatensprache,

57 Horch und Guck 4/2010 Heft Meinungen bekannt. Strenge Geheimhaltung war verordnet. Um so redseliger zeigen sich heute ehemalige Offiziere und Soldaten. Zahlen, Daten, Fakten, Erlebnisberichte werden ausführlich über unzählige Internetseiten angeboten. Ein Traditionsverband Nationale Volksarmee, unterstützt von etlichen ehemaligen Generalen, will die NVA-Geschichte darstellen und Traditionen pflegen 4. Die Videoplattform Youtube ist gut bestückt mit NVA-Filmmaterial und aktuellen Videoproduktionen. Der übergroße Anteil der Internetangebote zum Thema NVA wird von Ehemaligen der NVA selbst gestaltet. Zeithistorische Beiträge aus dem wissenschaftlichen Umfeld sind äußerst selten anzutreffen. Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam, glaubt die Gründe dafür zu kennen, warum die NVA weder in der universitären Lehre noch in der offiziellen Gedenkkultur eine Rolle spielt: Es mangele am Skandalisierungspotenzial. Die NVA habe weder einen Krieg geführt noch sei sie anderweitig öffentlichkeitswirksam negativ in Erscheinung getreten. Der Einmarsch in die ČSSR 1968, in Polen 1980/ 81 oder die gewaltsame Niederschlagung der Friedlichen Revolution 1989 diese Aktionen waren zwar vorbereitet, blieben letztlich aber virtuell. Ein weiterer Grund für die geringe Forschungsintensität sei die kulturelle Entmilitarisierung der letzten Jahrzehnte. Unser Zeitgeist akzeptiert das Militärische als politisches Instrument, aber nicht mehr als soziale Lebensform Martin Sabrow: Der Stellenwert der NVA-Geschichte für die DDR-Geschichte, Documents/Sabrow/sabrow_nva.pdf Auch journalistische Beiträge in Zeitungen, Radio und Fernsehen gibt es vergleichsweise wenige, insbesondere im Vergleich zur Unmenge an Veröffentlichungen zur Stasi ist der Anteil der von unabhängigen Autoren verfassten NVA-Literatur verschwindend gering. Da die Medienredaktionen wenig Interesse an der NVA zeigen, emigriert das Thema ins Internet und wird weitgehend den Zeitzeugen überlassen. Wer soll über die NVA berichten wenn nicht wir? fragen die Macher der Internetseite auf ihrer Startseite. Es darf also nicht verwundern, wenn die Deutungshoheit zu diesem Start einer taktischen Rakete bei Gefechtsübungen der NVA-Landstreitkräfte 1978 Thema im Internet fest in der Hand ehemaliger NVA-Offiziere liegt. Für die politische Bildung in unserem Land ist das ein unbefriedigender Zustand, informieren sich doch gerade Schüler und Studenten in steigendem Maße über das Internet. Hier treffen sie auf Anbieter, die einerseits oft sachlich Daten und Fakten zur NVA berichten, andererseits aber subtil oder auch ganz offen geschichtliche Wahrheiten leugnen und heute immer noch die alten ideologieschweren Plattitüden aus dem marxistisch-leninistischen Politunterricht wiederholen. So finden wir beispielsweise in dem Bericht eines damaligen Offiziersschülers über seine persönlichen Erlebnisse im Jahre 1990 die folgenden Sätze: Bekannt sind den meisten Menschen auf der Welt die Vorgänge in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens, über die man selbst nach so vielen Jahren unterschiedliche Meinungen zum Vorgang selbst haben kann. [...] Unbestritten gab es 7000 Tote, von denen jeder ein Toter zuviel war. [...] Die meisten von ihnen waren wohl Staatsdiener, sprich: Soldaten, die von der aufgebrachten Menge getötet wurden. 6 Die DDR-Flüchtlinge sind für den Ex-Offiziersschüler Möchtegern- BRD-Bürger und weiter lesen wir, dass 1989 die Konterrevolution ihren Schlag gegen den Sozialismus vorbereitete. 7 Hier erübrigt sich jeder Kommentar. Die folgenden Beispiele illustrieren die Spannbreite der Aktivitäten von NVA-Ehemaligen im Internet. ADN-ZB/Franke, Bundesarchiv Bild 183-T Chroniken Viele Internetauftritte dokumentieren die Entwicklung einzelner Truppenteile und darüber hinaus auch Waffengattungen. Wer sich also für die Geschichte der NVA-Verbindungsfliegerstaffel 14 interessiert oder wissen will, wo es in der DDR Militärflugplätze gab, findet unter detaillierte Informationen bis hin zu einer Liste der einzelnen Kommandeure. bietet auch Chroniken zu den verschiedenen Einheiten der NVA-Luftstreitkräfte, von den Jagdfliegergeschwa- 6 Thomas Hietschold: Die Wende aus Sicht des Offiziersschülers, Ebd.

58 56 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Eine der besten Armeen der Welt dern über Hubschraubereinheiten bis zu Offiziershochschulen. Die Startseite des Panzerregiments 4 erklärt, warum die NVA-Veteranen im Internet präsent sein müssen:... wenn es sich gar um deutsche Geschichte der DDR oder der NVA handelt, versagen alle Informationsmechanismen. Deshalb ist die Redaktion der Domain bestrebt, die Geschichte des PR-4 umfassend darzustellen. Sie stellt wertfrei, wenn auch manchmal emotional, eine, wenn auch erst kurz vergangene Geschichte eines Truppenteils der NVA dar. 8 Hier und da erfahren wir auch für den militärischen Laien Interessantes: So forderte beispielsweise die ständige Gefechtsbereitschaft von 85 Prozent Personal und Technik einen hohen persönlichen Tribut: Nicht nur die Berufskader und Soldaten auf Zeit, sondern auch die Wehrpflichtigen, waren über Wochen von ihren Angehörigen getrennt. Dies erforderte natürlich viel Verständnis der Ehefrauen, Lebensgefährtinnen und Freundinnen. Obwohl wir sehr viel getan haben, um das Verständnis der Frauen zu wecken und auszuprägen, war in der NVA die höchste Scheidungsrate von allen Bevölkerungsgruppen zu verzeichnen. 9 Einige Kameradschaften bleiben lieber unter sich und bieten außerhalb des passwortgeschützten Bereichs kaum Informationen an. So erklärt die NVA-Fallschirmjägerkameradschaft Leipzig dem Leser zwar mit bunten Bildern, was für sie Kamerad view=article&id=48:nva&catid=37:nva&itemid=53&limitstart=1, Plakat aus den Gründertagen der NVA So sehen sich viele NVA-Ehemalige noch heute. schaft ist z.b. mit Stolz die alten Uniformen tragen, doch mehr erfährt der Leser nicht. Zu vielen Einheiten aller Bereiche (Land-, Luft-, Seestreitkräfte) gibt es Angebote. Auch die Online-Enzyklopädie Wikipedia bietet viele Informationen und Links, erstellt vermutlich von NVA-Ehemaligen. Über den Wahrheitsgehalt solcher Informationen lässt sich bestenfalls spekulieren. Hier sind überwiegend ehemalige Soldaten und Offiziere am Werk, deren Aufarbeitung der eigenen Geschichte natürlich keine wissenschaftlichen Ansprüche erfüllen kann. Überdies machen etliche Macher kein Geheimnis aus ihrer unveränderten marxistisch-leninistischen Weltsicht und einer geradezu reflexhaften Abneigung gegen die freiheitlichen Grundwerte westlicher Gesellschaften. Vereine Deutlich unaufgeregter als auf kämpferischen Webseiten geht es bei der Gemeinschaft der 13er, e.v. zu. Es handelt sich um die Ehemaligen vom Fliegerabwehr-Raketenregiment 13 aus Parchim, Mecklenburg- Vorpommern. Ihre Chronik 10 und auch die Vereinszeitung Der Kanonier 11 sind im Internet verfügbar. Die Zeitung erscheint 3-4 mal jährlich und wird in einer Auflage von 100 Exemplaren gedruckt. Wehmut durchzieht die Zeilen des Gedichtes zur Vereinsfahne: Die Truppenfahne hat man uns genommen die wir für unsere Mühen bekommen. Die Vereinsfahne ist dafür kein Ersatz, für uns aber ein würdiger Schatz. 12 Ansonsten führt man ein eher beschauliches Vereinsleben: Stammtische, jährlicher Grillabend, Vereinsreise nach Berlin und Dampferfahrt auf der Spree. 13 Recht gemütlich geht es auch bei der Pionierkameradschaft Schwerin zu, deren Mitglieder hauptsächlich aus der der 8. NVA-Mot.-Schützen Division stammen: 14 Kegelabende, Kameradschaftstreffen und Pflege des Mudra- Gedenksteines, der an den preußischen Infanteriegeneral Bruno von Mudra erinnert. Von Mudra war 1925 erster Ehrenvorsitzender des Waffenringes Deutscher Pioniere, dem Vorläufer des heutigen Bundes Deutscher Pioniere. Im Unterschied zu anderen NVA-Ehemaligen-Vereinen hat die Pionierkameradschaft Schwerin Anschluss an gewachsene Bundeswehrstrukturen gesucht und gefunden. Man feiert beim Havel-Biwak des Führungsunterstützungsbatail- Quelle: Bundesarchiv, Plak home.snafu.de/veith/frr-13.htm, home.snafu.de/veith/kanonier.htm, Der Kanonier, Nr. 42, S Der Kanonier, Nr. 47, S

59 Horch und Guck 4/2010 Heft lons 382 und anderer Bundeswehreinheiten mit und ist Mitglied im Bund Deutscher Pioniere (BDPi), einem durch die Bundeswehr geförderten Verein, in dem aktive und ehemalige Pioniere und Pionierkameradschaften zusammengeschlossen sind. Dass das Zusammenwachsen von Ost und West nicht ohne Probleme verläuft, zeigt eine Kontroverse im Bund Deutscher Pioniere. Auslöser ist die Kurmärkische Pionierkameradschaft Storkow. Im Juni 2009 fand in dem kleinen Ort südöstlich von Berlin ein Tag der Offenen Tür des Bundeswehr-Führungsunterstützungsbataillons 381 statt. Mit von der Partie waren auch die NVA-Ehemaligen, die an diesem Tage ihre neue Fahne vorstellten. Im Feldgottesdienst, der den Tag der Offenen Tür für die Soldaten eröffnete, wurde die Idee geboren, die Anwesenheit des Geistlichen zu nutzen, um die Fahne der Kurmärkischen Pionierkameradschaft durch ihn segnen zu lassen. schrieb der Vorsitzende der Pionierkameradschaft Oberst a.d. Ernst-Georg Krohm in der Vereinszeitung des BDPi. 15 Und weiter: Dank seines unkomplizierten Eingehens auf diesen spontanen Wunsch kam es zu einem nicht alltäglichen Erlebnis: Der Vorsitzende der Storkower Pionierkameradschaft erklärte den umstehenden Gästen und Besuchern die Bedeutung der unterschiedlichen Symbole [der Fahne Anm. der Red.], des sozialistischen der Ostdeutschen Pioniertruppe, sowie des heute allen deutschen Pionieren gemeinsamen Symbols der stilisierten Brücke und des Eisernen Kreuzes, das seit Jahrhunderten für Tapferkeit und den Dienst deutscher Soldaten steht. Der Geistliche segnete diese Fahne Soviel Nähe zur NVA-Tradition war den Verantwortlichen im BDPi dann doch zu viel. In einem Grußwort an die Mitglieder stellte der Präsident des BDPi, Generalleutnant a.d. Dr. Klaus Olshausen klar, dass die NVA als Armee eines sozialistischen Einparteienstaates nicht traditionsbildend für die Bundeswehr des vereinigten Deutschlands sein kann. 17 Brigadegeneral Wolfgang Krippl, aktiver General der Pioniere fordert schließlich die Kurmärkische Pionierkameradschaft in einem Brief auf, ihre Fahne so zu ändern, dass sie den Traditionsrichtlinien der Bundeswehr entspricht, weil sonst eine Unterstützung durch den BDPi und die Bundeswehr nicht mehr möglich sei. Daraufhin änderten die Storkower Kameraden ihre Fahne und ersetzten das NVA-Symbol. 18 Geschichtstourismus Einige Internetauftritte gehören zu kleinen Museen oder teils sehr verschiedenen geschichtstouristischen Angeboten. Erinnerungsarbeit ohne Büßerhemd verspricht die KulturKunststatt Prora auf der Insel Rügen. 19 Auf rund 5000 qm Fläche sind 5 Militärgeld: Obwohl die NVA angeblich nur den Sozialismus verteidigen sollte, lag das Militärgeld für den Fall der Besetzung Westdeutschlands schon bereit. Museen versammelt, darunter ein NVA- Museum mit 40 original rekonstruierten Räumen. Noch mehr Ostalgie bieten die Motorradwelt DDR und die Technikausstellungen mit Kamerararitäten, alten Schreib- und Nähmaschinen. Zur Erinnerungsarbeit ohne Büßerhemd gehört auch das KdF-Museum mit einer 18-Meter- Modellanlage des Nazi-Kraft durch Freude- Seebades Prora. 20 Geschichte zum Erleben verspricht das Luftfahrtmuseum Finowfurt nördlich von Berlin. Auf dem ehemaligen sowjetischen Militärflugplatz werden Flugzeuge, Hubschrauber und auch zwei Wracks ausgestellt. Angegliedert ist ein Abenteuerspielplatz für große und kleine Kinder, die mit Elektroautos, Quads, Kettenfahrzeugen und original Militär-LKWs über das Gelände fahren können. Es fehlt auch nicht der Ostalgie-Flohmarkt mit entsprechenden Angeboten. Die Museumsmacher haben dabei auch an die weibliche Zielgruppe gedacht: Gleich hinter der bewährten Technik aus DDR-Zeiten werden die Damen bei den Haushaltswaren fündig. 21 DDR-Grenzer im Internet Viele NVA-Veteranen beschwören oft einen militärischen Ehrenkodex und halten sich zu Gute, dass sie ihre Waffen nie gegen Zivilisten gerichtet hätten. Im Gegensatz dazu ist der Ruf der DDR-Grenzer schon allein dadurch ramponiert, dass diese sehr unsoldatisch auf unbewaffnete Flüchtlinge zu schießen hatten. In den einschlägigen Webseiten werden solche Fragen nur ungern thematisiert. In einem Forum zum Thema DDR-Regime trat Menschenrechte mit Füßen bittet ein ehemaliger Grenzer, ihm mit solchen Themen nicht auf der Seele herumzutrampeln: Tu s bitte nicht so oft, besser noch: hör ganz damit auf, es erzeugt bei mir, und offensichtlich auch bei anderen, nur das Gefühl der Kränkung und schafft neue Verletzungen. 22 Statt sich mit unangenehmen Fragen zu beschäftigen, wird lieber kräftig verdrängt: DJ HJM aus Berlin betreibt das Grenzradio911, den Soldatensender mit Social Community 23. HJM ist Ehemaliger und zeigt sich in seinem Profilbild lässig in DDR-Uniform. An drei Tagen in der Woche wird für einige Stunden grenzenlos gute Musik durchs Internet gestreamt vermutlich fehlen da die vertrauten DDR-Klassiker nicht. Ansonsten sind die 238 angemeldeten Mitglieder aber etwas maulfaul geworden. Der letzte Quelle: Privatarchiv 15 Pioniere, Mitteilungsblatt Bund Deutscher Pioniere e.v., Heft 2, September Ebd. meinschaften-und-firmen-im-bdpi/berichte-aus-den- pionierkameradschaften/122-die-pionierkameradschaft- storkow-berichtet.html, Menschenrechte-mit-Fuessen-1.html,

60 58 S T Ä N D I G G E F E C H T S B E R E I T Eine der besten Armeen der Welt Eintrag in der größten Forengruppe ist inzwischen einen Monat alt: außer Heino und Heintje find ich nix in meiner PL für morgen, macht mal Vorschläge *sfg 24 Deutlich besser besucht ist das Forum DDR Grenze 25 In Forengruppen wie Mein Grenzer Tagebuch, So war das Leben in der DDR oder Der Mythos DDR und DDR-Grenzer bei der Friedenssicherung Grenze: was war richtig und was nicht? erfahren wir von den Eingeweihten, was sie für die wirklich ganze Wahrheit halten. Da geht es nicht nur um Geschichten aus dem Todesstreifen. Man kann auch über Fragen und Antworten zum SED-Regime oder über die Stasi debattieren. Hin und wieder schleichen sich ein paar westliche Querdenker ohne marxistisch-leninistische Vorbildung in die Foren und es kommt zu kontroversen Diskussionen über Schuld und Verantwortung. Neben den ideologiefesten Ehemaligen finden sich überraschenderweise selbst unter den Veteranen einige, die inzwischen eher nachdenklich schreiben. Unverfälschte SED-Gesinnung ist dagegen auf Peter Veith s Webseite nachzulesen Ihm sind vor allem die Grenzer wichtig, die in Ausübung ihres Dienstes zu Tode kamen grenzradio-fans/, Ein Ehrenhain erinnert an die verdienten Genossen 26, ergänzt durch Vorwürfe an die bundesdeutsche Justiz, die die Täter nicht hart genug bestraft hätte. Folgerichtig verteidigt er auch die nach 1990 verurteilten Todesschützen: Diese Grenzsoldaten seien nur wegen ihres Schutzes der Staatsgrenze verurteilt worden. Die Grenztruppen der DDR haben auch ihre eigene Domain Hier geht es den Genossen um ihre Deutungshoheit. Zuerst beklagen sie sich auf der Startseite noch als Märtyrer des SED-Staats: Die ehemaligen Angehörigen der Grenztruppen und Kundschafter der DDR sind die Personengruppe, die von der politischen Strafverfolgung der BRD- Justiz am stärksten betroffen ist. Doch kurz darauf wird der Kampfauftrag an der Online-Front klar beschrieben: Worum geht es? Wir wollen durch die Historie ein objektiveres Bild von den Grenztruppen der DDR geben, als es gegenwärtig durch die Medien darzustellen versucht wird. Es geht um die Darstellung der Geschichte der Grenztruppen der DDR. 27 Die Seite liest sich wie eine ständige Selbstvergewisserung. Für erschossene Flüchtlinge sind wahlweise der Kalte Krieg, die Sowjetunion oder die Fluchtwilligen selbst verantwortlich, denen das Risiko ja bewusst gewesen sei. Der Umgang mit der eigenen Vergangenheit ist denkbar simpel: Schuld sind immer die anderen. Unfreiwillige Einsichten 2008 hatten die Militärexperten Hans Rühle und Michael Rühle in einem Beitrag für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) anhand neuer Archivquellen gezeigt, dass der Warschauer Vertrag entgegen aller Friedensrhetorik einen Angriffskrieg nicht nur mit konventionellen, sondern auch mit Kernwaffen geplant hatte. Die NATO hatte jahrzehntelang ausschliesslich die Defensive geübt, während der Warschaupakt unentwegt Offensivoperationen einstudierte. 28 In den Webauftritten der NVA-Ehemaligen finden sich handfeste Hinweise auf die offensive Ausrichtung der NVA. So erfahren wir auf der Seite des FRR-11 (Flak- Raketenregiment), was bei der Truppenübung Attacke-76 im September 1976 einstudiert wurde: Organisation und Führung des Angriffsgefechtes zu Beginn eines Krieges ohne und mit Einsatz von Kernwaffen. 29 BR Quelle: US-Verteidigungsministerium Die NVA lebt weiter: Als Motiv auf dem Ostpils 28 plante_den_nuklearen_ueberfall_auf_westeuropa_ html, Foto: Peter Grimm

61 Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Jetzt in 2. Auflage! 296 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag 24,90 Euro ISBN Seiten ungekürzte Studienausgabe 24,00 Euro ISBN Dezember-Ausgabe zum Thema Zeitalter der Unsicherheit Bundestagsabgeordneter, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Landesvorsitzender und Oppositionsführer der SPD in Baden-Württemberg, Lehrer, Schriftsteller Eppler hatte viele»professionen«im Laufe seines Leben, die er immer mit Leidenschaft ausübte. Denkverbote akzeptierte er nicht. Für die einen ein Quälgeist, der aussprach, was nur wenige hören wollten, ist er für die meisten ein Vor- und Querdenker, der seiner Zeit oft voraus war. Je älter er wird, desto mehr hört man ihm zu. Renate Faerber-Husemann erzählt Erhard Epplers spannendes Leben, in dessen Mittelpunkt sein Engagement für mehr Freiheit und Gerechtigkeit steht. Der deutsche Sozialstaat gilt als Erfolgsmodell. Die Beiträge dieses Bandes betrachten die Alterssicherung, das Gesundheitswesen, die Sozialhilfe und die Mitbestimmung in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern und analysieren neue Herausforderungen. u. a. mit Volker Gerhardt. Ziel der Sicherheit Johano Strasser. Sicherheit als öffentliches Gut und privates Geschäft Thomas Meyer. Im Zeitalter der Unsicherheit sowie Oskar Negt. Der politische Mensch Daniela Heimpel. Die Generation flexibel auf dem Arbeitsmarkt Kostenloses Probeheft! Tel. 0 30/ erscheint zehnmal jährlich, davon zweimal als Doppelheft Verlag J. H. W. Dietz Nachf. Dreizehnmorgenweg Bonn Tel. 0228/ Fax 0228/

62 60 A K T U E L L U N D K O N T R O V E R S Gregor Gysi und die Aktion Reißwolf Sven Felix Kellerhoff, Uwe Müller Gregor Gysi und die Aktion Reißwolf Vor 20 Jahren vernichtete die PDS die Mitgliederkartei der SED. Interne Dokumente zeigen, wie trickreich die Partei in die Demokratie startete. Gregor Gysi nach dem SED-Sonderparteitag im Dezember 1989 in Ost-Berlin als frisch gewählter Vorsitzender der SED-PDS Wer seine Spuren verwischt, hat dafür Gründe. Wer dabei trickst und täuscht, selbst höchste Repräsentanten im Staat zum Narren hält, will unter allen Umständen verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Zwei Jahrzehnte nach der friedlichen Revolution und der Einheit Deutschlands versucht die Linkspartei, sich als moderne sozialistische Kraft zu präsentieren. Doch das Erbe der SED hat sie nicht abschütteln können vor allem, weil die Partei die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit weiterhin scheut, allen ihren Lippenbekenntnissen zum Trotz. Vor gut 20 Jahren, im Frühjahr des ereignisreichen Jahres 1990 inszenierte die gerade in PDS umbenannte SED ein Schur- Sven Felix Kellerhoff, geb. l97l in Stuttgart, Studium der Neueren und Alten Geschichte, des Medienrechts und der Publizistik, überwiegend an der Freien Universität Berlin, Seit 2003 leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte in der Welt und der Berliner Morgenpost. Autor verschiedener zeithistorischer Sachbücher, u.a. "Die Stasi und der Westen. Der Kurras-Komplex", Hamburg 20l0 Uwe Müller, geb. l957 in Wiesbaden, Studium der Soziologie und Volkswirtschaftslehre an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. l987 bis l989 Redakteur in der Handelsblatt- Verlagsgruppe. Noch vor der Wiedervereinigung ging er l990 für Die Welt als Ostdeutschland-Korrespondent nach Leipzig. Seit 2002 ist er Reporter der Zeitung. kenstück, in dem der damalige Partei chef Gregor Gysi eine Hauptrolle spielte und dessen Dramaturgie sich erst nach zwei Jahrzehnten in ihren Einzelheiten rekonstruieren lässt. Mit der Wahl zur Volkskammer am 18. März 1990 hatte sich die DDR in eine parlamentarische Demokratie verwandelt. Die neuen Verhältnisse begrüßte offiziell auch die vormalige Staatspartei. In einem Positionspapier von Anfang Dezember 1989 übte sie sich in Demut: Die Delegierten des Sonderparteitages sehen es als ihre Pflicht an, sich im Namen der Partei gegenüber dem Volk aufrichtig dafür zu entschuldigen, dass die ehemalige Führung der SED unser Land in diese existenzgefährdende Krise geführt hat. Wir sind willens, diese Schuld abzutragen. 1 Doch gleichzeitig mit der Demokratisierung der DDR begann die PDS klammheimlich ein Vorhaben, das zu solchen Beteuerungen schlecht passte. Unter konspi rativen Umständen nämlich vernichtete die Partei systematisch Berge von Dokumenten, mehr als 100 Tonnen ins gesamt. Entsorgt wurden nicht irgendwelche Papiere, sondern Akten von historisch unschätzbarem Wert, darunter vor allem die Mitgliederunterlagen der SED. Rund 45 Jahre zuvor, im April 1945, hatten NSDAP-Funktionäre die Mitgliederkartei der Hitler-Partei in eine Papiermühle bei München gebracht, um sie zu zerstören. Der Plan misslang. US-Truppen konnten die Unterlagen vor ihrer endgültigen Vernichtung konfiszieren. Erhalten geblieben sind 50 Tonnen Schriftgut, gut vier Fünftel des einstigen Gesamtbestandes, darunter mehr als zehn Millionen Karteikarten von ehemaligen Pgs, also Parteige- 1 Positionspapier zum Außerordentlichen Parteitag der SED/PDS; zit. nach Andreas Malycha / Peter Jochen Winters: Die SED. Geschichte einer deutschen Partei. München 2009, S nossen. Diese Unterlagen gehören zu den bis heute im Bundesarchiv Berlin und in Form einer Mikrofilmkopie in den amerikanischen National Archives in College Park (Maryland) meist nachgefragten Beständen. Ohne dieses Material wäre die Aufklärung über Täter und Mitläufer des NS-Regimes noch schwerer gefallen, als sie es ohnehin war. 2 Einen ähnlichen Fehler wollten die frisch gewendeten Einheitssozialisten nicht machen, die selbstverständlich nicht mit den Nazis gleichgesetzt werden können; aber sie gingen gründlicher zur Sache. Gregor Gysi, der als erster PDS-Chef die politische Verantwortung dafür trägt, hat es lange versäumt, zur Wahrheitsfindung über die Aktion Reißwolf beizutragen. 20 Jahre waren offenbar nicht lang genug, um sich der eigenen Geschichte zu stellen. Das verrät viel über das Demokratieverständnis der Partei. Nun aber hat ein ehemaliger SED-Funktionär sein Schweigen gebrochen und brisante Schriftstücke zu einem der größten Aktenvernichtungsfeldzüge in der deutschen Geschichte öffentlich gemacht. Die Briefe, Vermerke und Rechnungen zeigen, dass die PDS noch immer wie eine kommunistische Kaderpartei tickte, als in der DDR längst der Frühling der Demokratie angebrochen war. Bisher vermuteten Historiker, die SED- Mitgliederkartei sei bald nach dem Antritt des Ministerpräsidenten Hans Modrow Mitte November 1989 beseitigt worden. Die Stiftung Archive der Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv, die alle erhaltenen Bestände der SED verwahrt, vertritt diese These: In den Phasen des demokratischen Umbruchs im November und Dezember 1989 vernichteten Funktionäre gezielt Dienstschriftgut in den akten- 2 Vgl. Sven Felix Kellerhoff: 50 Tonnen politischer Sprengstoff. In: Wolfgang Schäche / Sabine Weißler (Hg.): Daten-Reich im Verborgenen: Das Berlin Document Center in Berlin- Zehlendorf. Marburg 2010.

63 Horch und Guck 4/2010 Heft Foto: ADN-ZB/Mittelstädt, Bundesarchiv Bild führenden Stellen im ZK-Gebäude. Diesen Aktionen fielen auch die zentrale Mitgliederkartei der SED und fast die gesamte Überlieferung der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe aus den siebziger und achtziger Jahren zum Opfer. 3 Zu ähnlichen Schlüssen kamen auch die beiden Enquetekommissionen des Bundestages, die in den neunziger Jahren die SED-Diktatur sezierten. Allerdings fand sich nie eine schriftliche Vernichtungsanweisung, weshalb der Bundestag sogar ein Gutachten in Auftrag gab. Es hält zu der irregulären Kassation fest: Die zentrale Gesamtmitgliederkartei wurde von der Abteilung Parteiorgane verwaltet und Ende 1989 vernichtet. 4 Ähnlich sah das auch der Historiker Hubertus Knabe, der die Zerstörung der Mitgliederkartei auf den Jahreswechsel 1989/90 datierte und von einem Vernichtungsfeldzug sprach. 5 In diesem Punkt kann die Geschichtsschreibung jedoch korrigiert werden. Überraschend ist in privaten Beständen eines mit der Angelegenheit befassten früheren Mitarbeiters des PDS-Parteiapparates das Schlüsseldokument zu der Geheimoperation aufgetaucht. Es handelt sich um eine Vorlage für das Präsidium des Parteivorstandes, datiert auf den 5. März 1990, bestimmt für den innersten Zirkel der PDS und deshalb nur in 23 Exemplaren ausgefertigt. 6 Zu der Vorlage gehörte eine Anlage, die genau auflistete, worum es ging: die Zentrale Registratur mit den Aufnahmeunterlagen von Mitgliedern und Kandidaten der SED mit rund drei Millionen Fragebogen, außerdem die Nachweis karten über jede seit 1951 bestätigte Mitgliedschaft bzw. Kandidatur in der ehemaligen SED mit rund zehn Millionen Karten und wei- 3 Online-Beständeübersicht des Bundesarchivs, Einleitung zum Bestand Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, zit. nach barch/midosasearch/bestaendeuebersicht/index.htm?kid =20923F C638E66874A3931BDB6 4 Wolfgang Triebel: Aktenvernichtungen im Zentralen Parteiarchiv der SED, Verbleib von Filmen von vor oder nach der Wende vernichteten SED-Akten (insbesondere ZK- Abteilungen Kader, Verkehr) und Versuche zur Verlagerung von SED-Akten ins Ausland. In: Deutscher Bundestag (Hg.): Materialien der Enquetekommission Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit. Baden-Baden 1999, Bd. VI, S , hier S Hubertus Knabe: Honeckers Erben. Die Wahrheit über Die Linke. Berlin 2009, S Vorlage für das Präsidium des Parteivorstandes, , Betrifft: Vernichtung von Kader- und Regstraturunterlagen der ehemaligen SED, die im Bereich der Kommission Organisation und Parteileben lagern (Kopie im Archiv der Verf.). teres Material. 7 Anfang März 1990 lag also die vollständige Mitgliederkartei der SED offensichtlich noch unversehrt vor, die übrigens ähnlich aufgebaut gewesen zu sein scheint wie die NSDAP-Mitgliederkartei, zu der ebenfalls Nachweiskarten und die archivierten Aufnahmeanträge gehörten. 8 Kurz darauf beschloss das Präsidium in Anwesenheit des Parteivorsitzenden Gregor Gysi genau das, was in der Betreffzeile der Vorlage stand: Die Vernichtung von Kader- und Registraturunterlagen der ehemaligen SED. Ausgenommen werden davon sollten nur die Unterlagen von ehemaligen Mitgliedern und Kandidaten des Zentralkomitees, der Zentralen Parteikontrollkommission und der Zentralen Revisionskommission. Auch alle im Zentralen Parteiarchiv abgelegten Parteiakten und Sicherheitsfilme mit biografischen Angaben über die ehemaligen Nomenklaturkader sollten unbrauchbar gemacht werden. Das könne, so die Parteiführung, entweder über die Sekundärrohstofferfassung oder durch kontrollierte Fremdvernichtung geschehen. In letzterem Fall sei ein Kostenvoranschlag vorzulegen. 9 Vom Beschluss bis zu seiner Umsetzung aber dauerte es noch mehrere Wochen. Der erste Akt fand im NSW statt, im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet. Hier hatte sich die SED schon immer besorgt, was die Kombinate und Volkseigenen Betriebe in der DDR nicht oder nicht in ausreichender Qualität herstellen konnten. Sechs Tage nach der Volkskammerwahl am 18. März 1990 bestellten Beauftragte des PDS auf der Messe Cebit in Hannover nach Erkenntnissen der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR gleich zwei Exemplare der größten Aktenvernichtungsmaschine mit angeschlossener Papierpresse, die damals europaweit auf dem Markt war. Der Hersteller, eine süddeutsche Maschinenfabrik, sollte die beiden Geräte vom Format eines Kleinwagens fix bis zum 6. April 1990 liefern, zusammen mit speziellen Plastiksäcken, in denen sich Kilo Papierschnipsel gepresst abtransportie- 7 Anlage zur Vorlage vom : Zu den Registraturunterlagen gehören (Kopie im Archiv der Verf.). 8 Vgl. Berlin Docuemnt Center (Hg.): The Holdings of the Berlin Document Center. A Guide to the collections. Berlin 1994, S Vorlage für das Präsidium des Parteivorstandes (wie Anm. 6). ren ließ, was rund prall gefüllten Aktenordnern entspricht. Als Käufer der entmachteten Staatspartei trat ein Kfz- Instandhaltungsbetrieb aus dem Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg auf. Der Kaufpreis von West-Mark wurde sofort an Ort und Stelle bezahlt bar aus einem Koffer. 10 Dieses anrüchige Geschäft wurde bereits 1998 publik. Unklar blieb jedoch, wofür die Hochleistungsreißwölfe an geschafft worden waren. Denn seinerzeit glaubte man ja, die SED-Mitgliederunterlagen seien bereits vor der Volkskammerwahl vernichtet worden. Dem war aber nicht so. Und auch nach der Lieferung der Super-Schredder kam das Zerstörungswerk nur langsam vorwärts. Angesichts der schieren Masse an Papier war auch die kapitalistische Technik überfordert. Bereits vor dem Ausflug nach Hannover hatte die für die Aktion direkt zuständige Kommission Organisation und Parteileben, die Gysis Stellvertreter Wolfgang Pohl unterstand, vor zu viel Optimismus gewarnt: Der Zeitraum, der für die vorgesehene Vernichtung benötigt wird, kann sich je nach Mitarbeiterinnenzahl und zur Verfügung stehender Verkollerungskapazität bis auf ein halbes Jahr belaufen. 11 Laut der Übersicht vom März 1990 muss ten rund 15,9 Millionen einzelne Dokumente zerkleinert werden. Dazu zählten die Nachweiskarten aller Kandidaten und Mitglieder der SED seit 1951, Fragenbögen und Lebensläufe, Beschlussunter lagen über die Erteilung und Löschung von Parteistrafen sowie die Zentrale Kaderregistratur mit Akten ehemaliger oder aktiver Nomenklaturkader. Erschwert wurde die Vernichtung durch die Art der Aufbewahrung; die drei Millionen Aufnahme anträge der SED-Mitglieder zum Beispiel wurden jeweils einzeln in einer Klarsichtfolie ge lagert. Die Papiere mussten von Hand aus ihren Hüllen genommen werden, bevor sie zerfetzt werden konnten, denn Plastik in dieser Menge hätte die für Papier ausgelegten Reißwölfe außer Gefecht setzen können. Unter den Genossen im Apparat der PDS machte sich Unruhe breit. 10 Bericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR. Bundestags-Drucksache 13/11353 ( ), S Anlage zur Vorlage vom (wie Anm. 7).

64 62 A K T U E L L U N D K O N T R O V E R S Gregor Gysi und die Aktion Reißwolf Im zweiten Akt betrat Gregor Gysi erneut die Bühne. Die SED-Mitgliederunterlagen lagerten in den weiträumigen Tiefkellern der ehemaligen Reichsbank. Das Gebäude am Werderschen Markt in Berlin-Mitte, heute Teil des Auswärtigen Amtes, hatte das Zentralkomitee der SED im Jahr 1959 bezogen. Nach dem politischen Umbruch wurden hier Büros für die demokratisch gewählten Abgeordneten der Volkskammer eingerichtet die Immobilie hieß nun Haus der Parlamentarier. Ungeachtet dessen gingen die Aktenvernichter der PDS in den unterirdischen Etagen weiter ihrer Arbeit nach. Ihnen dämmerte jedoch, dass sie überfordert waren. Nun schritt die PDS-Parteiführung ein. Man erhoffte sich Hilfe vom höchsten Offizier der DDR, dem werten Herrn Admiral Theodor Hoffmann. Auch bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten sei man nicht in der Lage, die Tresore im Haus der Parlamentarier von den dort lagernden Materialien kurzfristig selbst zu räumen, schrieb die PDS an den Übergangschef der Nationalen Volksarmee (NVA). Das aber sei zwingend geboten: Denn unaufhaltsam nahe die Währungs union, und für das neue Geld würden sichere Lagerplätze von der Bundesbank der BRD und der Staatsbank der DDR benötigt. Daher ersuchte die PDS um Hilfe: Wir bitten Sie deshalb im Interes se der Durchführung der notwendigen Maßnahmen zur Währungsunion ganz herzlich um Ihre dringende Unterstützung. Das Schreiben auf offiziellem PDS-Briefpapier, auf das per Schreibmaschine das Wort Vorsitzender hinzugefügt wurde, ist maschinenschriftlich mit G. Gysi gezeichnet; handschriftlich unterschrieben hat es i.v., also in Vertretung sein Vize Pohl. 12 Doch Admiral Hoffmann war bereits die falsche Adresse, denn zu entscheiden hatte inzwischen Rainer Eppelmann. Der Pfarrer und Waffendienstverweigerer gehörte seit dem 12. April 1990 als erster Abrüstungsminister der Weltgeschichte zum Kabinett de Maizière. Doch an den vormaligen Staatsfeind wandte sich die PDS mit ihrer delikaten Bitte um Unterstützung lieber doch nicht direkt. Stattdessen brachte man die Präsidentin der Volkskammer, die CDU-Politikerin Sabine Bergmann-Pohl, dazu, einen mit dem Schreiben von Gysi weitgehend identischen Brief an Eppelmann aufzusetzen. Das Schriftstück brachte ein Parteifunktionär persönlich ins Büro des Ministers. Der PDS wurde daraufhin gestattet, auf rund 60 NVA-Pioniere und 40 Mann der inzwischen fast funktionslosen DDR-Grenztruppen sowie auf schweres 12 Gregor Gysi (unterzeichnet von Wolfgang Pohl): Brief an Admiral Theodor Hoffmann, o. D. (Kopie im Archiv der Verf.) Die bislang unbekannte Beschlussvorlage zur Vernichtung der Kader- und Registraturunterlagen Gerät zurückgreifen zu können. Eppelmann kündigte jedoch an, die Partei solle sich auf eine gepfefferte Rechnung für diese Unterstützung gefasst machen. Weder er noch die Parlamentspräsidentin Bergmann-Pohl ahnten, um welche Unterlagen es ging und dass sie insgeheim für die Vernichtung der SED-Mitgliederkartei eingespannt wurden. Zeitgleich mit den Personal unterlagen sollte das Zentrale Parteiarchiv der SED abtransportiert werden, das in einer anderen Etage des besonders gesicherten Tiefkellers lagerte. Anders als die Mitglieder kartei wollte die PDS diese Materialien allerdings unbedingt erhalten. Nach Erinne rung der Parteiarchivarin Inge Pardon konnte man die Volkskammer und die Bundesbank davon überzeugen, dass eine Räumung nicht im Hauruck-Verfahren möglich sei. Die Archivalien blieben im Keller und wurden erst im Herbst 1990, drei Monate nach Einführung der D-Mark in der DDR, verpackt und abtransportiert. Heute können Forscher dieses Material im Bundesarchiv einsehen. Genau dorthin sollten die Personalpapiere der SED gerade nicht gelangen. Also nutzte die PDS die Chance, die heiklen Unterlagen loszuwerden. Im dritten Akt ging es hektisch zu und es floss viel Schweiß. Der zuständige Abteilungsleiter der PDS-Kommission Organisation und Parteileben, nach SED-Manier Sekretär genannt, berichtete am 31. Mai 1990 ausführ- lich über die Fortschritte bei der Auslagerung von org.- technischen Materia lien der PDS aus dem Haus der Parlamentarier. 13 Die Solda- ten schufteten vom 31. Mai bis zum 2. Juni und nach einer Pause für die Pfingst- tage am 5. und 6. Juni im Akkord. Laut dem Leistungsnachweis der NVA leisteten die rund 100 Uniformierten an diesen fünf Tagen insgesamt Mannstunden Arbeit, um aus den Tresoren rund 100 Tonnen Papier ballen, 130 Tonnen Klarsichtfolien und 180 Tonnen weiteres Material 13 Sekretär der Kommission Organisation und Parteileben: Bericht, (Kopie im Archiv der Verf.).

65 Horch und Guck 4/2010 Heft zu räumen. 14 Der Parteisekretär war glücklich: Da im Schichtrhythmus Tag und Nacht mit einem hohen körperlichen Einsatz geräumt wird, ist nach Abschluss der Arbeiten eine Prämierung vorgesehen. Schwere Armee fahrzeuge, darunter Lastwagen des Typs Tatra 815 Sattel (20 t), transportierten das Material ab und legten dabei Kilometer zurück. Das entspricht zehn Mal der Strecke von Hamburg nach München und zurück. Allerdings wurden die Unterlagen zunächst nur in den Bezirk Cottbus verfrachtet. Dort, im Ort Schlieben, unterhielt die Ost-Berliner Firma Werterhaltung- und Instandsetzungs GmbH (WIG) ein Zwischen lager. Die Gesellschaft, ein ehemals zur SED gehörender Baubetrieb, war von der PDS mit einem Darlehen von 26 Millionen DDR-Mark bedacht worden. Doch diese Vermögensverschiebung gehört zu einem anderen Schurkenstück: dem Verstecken von Parteivermögen, um es vor dem Zugriff der zuständigen Behörden zu schützen. Mit dem Einsatz der WIG begann das Finale. Ihr Hauptgeschäftsführer Wolfgang Teichmann stellte dem Vorstand der PDS im Juni 1990 eine Rechnung über ,88 Mark vor allem als Lagermiete und einen Kostenvoranschlag über ,06 Mark. Auf dem Dokument mit dem höheren Betrag steht: Wir bestätigen Ihre Erweiterung unserer Verein barung vom zur Vernichtung diverser Archiv- und org.-technischer Materialien. Mit einer diesbezüglichen Fachfirma wurde vereinbart, dass bis November 1990 die Vernichtung dieser Materialien abgeschlossen ist. Immerhin sollte es um 1225 Kubikmeter zu vernichtendes Schüttgut gehen. Gerüchten zufolge verschwanden die Akten- und Karteireste in einer West-Berliner Papiermühle; die Plastikfolien und 2,3 Millionen ebenfalls abtransportierte Blanko- Parteibücher mit rotem Kunststoffumschlag gingen wohl in einer westdeutschen Müllverbrennungsanlage in Rauch auf. 15 Die Unterlagen von 2,3 Millionen SED-Mitgliedern waren vernichtet; übrig geblieben sind nur winzige Teilbestände zu führenden Helfershelfern von Ulbricht und Honecker. Die PDS hatte ihre Spuren weitaus besser verwischt als 45 Jahre zuvor die NSDAP. Nach dem Mauerfall hat sich die PDS der gleichen Methoden bedient wie zuvor schon die SED, sagt Klaus Schroeder, Leiter des Forschungsverbundes SED- Staat der Freien Universität Berlin. Ihn wundert es wenig, dass die Linkspartei die Vernichtungsaktion bis heute wie eine geheime Kommandosache behandelt. Für den Professor zeigt die Episode vielmehr das moralische Versagen der Parteiführung zu Beginn der neunziger Jahre: Die von der Führung ausgegebene Losung von der Erneuerung der Partei war nur eine Floskel, um der Öffentlichkeit und sogar der eigenen Parteibasis Sand in die Augen zu streuen. Gleichwohl war der Coup von vor 20 Jahren von Erfolg gekrönt. Der PDS gelang es, Schuld auf die Stasi abzuwälzen, deren schriftlicher Nachlass zu großen Teilen erhalten ist. Dabei war der DDR-Geheimdienst lediglich Schild und Schwert der SED, die ihre Funktionäre zu schützen wusste. Nachdem allerdings die Zusammenhänge nachvollziehbar sind, muss die Linkspartei fortan mit dem Makel der Unwahrhaftigkeit leben. Epilog Nachdem die Geschichte der Vernichtung der SED-Mitgliederkartei dank parteiinterner Dokumente rekonstruiert werden konnte, reagierte der langjährige PDS-Vorsitzende und jetzige Linkspartei-Fraktionschef Gregor Gysi mit einem schmallippigen Dementi: Vernichtet wurden nur die persönlichen Parteiakten von früheren SED- Mitgliedern, die von diesen zuvor nicht abgerufen wurden. Es sei dabei nicht um Vertuschung gegangen, behauptete Gysi sogar. 16 Ausweislich der Originalunterlagen des PDS-Parteivorstandes von März und Juni 1990 ist diese Darstellung jedoch falsch. Wahrscheinlich deshalb weigert sich die PDS auch, ihre internen Unterlagen aus der Umbruchzeit zwischen Mauerfall und Einheit offenzulegen und dem Bundesarchiv zu übergeben. Dem Text liegt die Veröffentlichung Gregor Gysi und die Aktion Reißwolf der Tageszeitung Die Welt vom 15. Mai 2010 zugrunde, die für Horch und Guck aktualisiert und ergänzt worden ist. Neben den Autoren hat Lars-Broder Keil geholfen, die Abläufe bei der Vernichtung der SED- Mitgliedermaterialien zu rekonstruieren. K/M 16 Miriam Hollstein / Thomas Vitzthum: Die Last alter Konflikte. In: Die WELT, Ministerium für Abrüstung und Verteidigung: Leistungsnachweis, (Kopie im Archiv der Verf.). 15 Rechnungen der WIG, 13. und (Kopien im Archiv der Verf.). Die bislang unbekannte Beschlussvorlage zur Vernichtung der Kaderund Registraturunterlagen (Bild links) Quelle: Archiv der Autoren (4) Die NVA soll noch einmal in den Dienst der Partei treten diesmal als Helfer bei der Aktenvernichtung. Brief von Gregor Gysi an an Admiral Hoffmann. (Bild rechts)

66 64 L E B E N S L Ä U F E Lebenslang Waldbruder? Eckart Reichl Lebenslang Waldbruder? Modris Zihmanis in seinem Haus in Libau Modris Zihmanis ist ein Dichter, der erst mit 62 Jahren sein erstes Buch veröffentlichen konnte. Die Zeit als Partisan, Lagerhäftling und in der lettischen Unabhängigkeitsbewegung hat ihn geprägt, aber nicht gebrochen. Er ist ein Mann voller Vitalität und Witz, dem man ansieht, dass er gern und oft lacht. Sein Alter von 83 Jahren sieht man ihm ebenso wenig an wie seine Lebensgeschichte. Manche Besucher können kaum glauben, dass ein Mann dieses Alters nach Untergrundkampf, Todesurteil, 15 Jahren Lagerhaft und etlichen Jahren Verbannung so lebensfroh sein kann. Die versuchen dann mit Fragen herauszubekommen, wo denn vielleicht seine Verbitterung oder seine Enttäuschungen verborgen seien. Dann verblüfft er sie mit der Antwort, dass es keinen Grund gäbe verbittert oder enttäuscht zu sein. Wir haben doch gewonnen! sagt er mit einem herzhaften Lachen. Eckart Reichl, geb. l968, Regiekameramann und Filmproduzent, beteiligt u.a. an dem in Arbeit befindlichen Dokumentarfilm "Die Waldbrüder" Zihmanis Weg in den Widerstand beginnt, als er nach dem Krieg in Riga und Mitau/Jelgava an der Technischen Hochschule studiert. Wie die meisten Letten lehnen auch die Studenten die sowjetische Okkupation des Landes ab. Sie sind aufgewachsen mit den Schrecken des Krieges, der im Baltikum mit der sowjetischen Besetzung nach dem Hitler-Stalin-Pakt begann. Als Schüler hat er die Massendeportationen des Jahres 1941 erlebt, als Letten vor allem die Eliten des Landes nach Sibirien transportiert wurden. Noch haben die Studenten, wie viele ihrer Landsleute, die Hoffnung, dass der Westen die Einverleibung der baltischen Staaten ins Sowjetimperium nicht akzeptieren werde und es eine Chance für die Wiederherstellung der Unabhängigkeit gibt. Und für Freiheit und Unabhängigkeit wollen sie etwas tun. Unter den Studenten haben sich einige kleine Gruppen gebildet, die beispielsweise Protestplakate kleben oder Flugblätter und kleine Zeitungen verfassen, drucken und verteilen. Dass ihnen hohe Strafen drohen, wissen sie. Als 1947 ein Mitstreiter von der sowjetischen Geheimpolizei NKWD verhaftet wird, muss Modris Zihmanis die Stadt verlassen. Auf Dauer, so schätzt er, kann der Freund das NKWD-Verhör nicht durchhalten, ohne Namen zu nennen. Alle wissen oder ahnen, wie brutal die Verhörmethoden damals sind. Der Student entschließt sich, in den Wald, also zu den Partisanen zu gehen. Die dort Kämpfenden heißen im Volksmund auch Waldbrüder, ein Begriff, den es schon seit 1905 für die Landsleute gibt, die sich dem Zugriff der fremden Obrigkeit entziehen. Doch die Partisanen, die nun gegen die sowjetische Besatzungsmacht kämpfen, sind eine entschlossene Truppe. Vor allem in den Wäldern nahe der litauischen Grenze sind die Waldbrüder stark. Ungefähr Partisanen sollen zu dieser Zeit unter Waffen stehen. Weitere Letten unterstützen sie. Das heißt konkret: Versorgung mit allem Lebensnotwendigen, Kurierdienste oder das zur Verfügung stellen von Unterkünften und Verstecken. Die sowjetischen Sondereinheiten, die zur Partisanenbekämpfung eingesetzt werden, sind den Waldbrüdern an Ausrüstung und kämpfender Truppe zwar überlegen, doch das hilft ihnen in den Wäldern nur bedingt, gerade wenn auch die Bevölkerung die Partisanen größtenteils unterstützt. Modris Zihmanis macht sich nun mit zwanzig Jahren den NKWD im Nacken auf den Weg in Richtung litauische Grenze. Er hat eine Adresse bekommen: Es gibt einen Bauern mit einschlägigen Kontakten, bei dem er sich einquartieren kann. Sein Hof ist ein Anlaufpunkt für die, die zu den Waldbrüdern wollen. Zihmanis ist nicht der einzige Gast, der zu den Partisanen stoßen möchte. Doch zunächst heißt es, einige Tage zu warten und sich tagsüber nicht auf dem Hof bli- Foto: Eckart Reichl (2)

67 Horch und Guck 4/2010 Heft cken zu lassen. Die Waldbrüder beobachten das Gehöft, suchen nach Verdächtigem und lassen sich bei den Neuzugängen erst blicken, wenn es ihnen sicher erscheint. Endlich kommen eines Nachts ein paar bewaffnete Männer, die Zihmanis und die anderen auffordern, mit ihnen zu kommen. Sie werden auf Umwegen durch den Wald geführt, bis sie plötzlich vor dem Kommandeur einer Partisanengruppe stehen. Jeder Neuling wird genau ausgefragt, denn berechtigterweise haben die Waldbrüder Angst vor Spitzeln. Modris Zihmanis scheint die Kämpfer von seiner Aufrichtigkeit zu überzeugen, denn er wird aufgenommen und einer Gruppe zugeteilt, in der Litauer und Letten zusammen kämpfen mal diesseits und mal jenseits der Grenze. Die Besatzungsmacht ist schließlich die Gleiche. Der Partisanenkampf, den er erlebt, ist zunächst nicht so besonders militärisch. Salopp formuliert geht es um Beutezüge und Vergeltungsmaßnahmen. Aber die sind Teil einer Strategie. Die Waldbrüder haben keine Chance, die Sowjets militärisch zu besiegen, das ist ihnen klar. Aber sie können den Besatzern die geplante Sowjetisierung des Landes erschweren. Sie Wiederhergestellter Bunkerraum im Wald bei Auce sind eine Bedrohung für Kollaborateure oder Vertreter der Besatzungsmacht. Das macht es für die sowjetischen Behörden schwerer, die benötigten Erfüllungsgehilfen zu finden. Konkret heißt das, die Partisanen überfallen Parteidienststellen oder Militärposten. Keiner, der der Besatzungsmacht bei Verhaftungen, Verschleppungen oder Enteignungen hilft, soll sich seines Lebens sicher sein. Einige Denunzianten, Helfer bei Deportationsaktionen oder willfährige Kolchos-Vorsitzende werden deshalb von den Partisanen überfallen, manche umgebracht. Wenn er davon erzählt, wird Zihmanis ganz leise. Er weiß nicht, ob er seinen Gesprächspartnern erklären kann, dass er dieses Vorgehen für richtig und vertretbar hält, obwohl er weiß, dass sich die Partisanen damit auch schuldig gemacht haben. Es ist die Abwägung in einem Gewissenskonflikt und da ist auch für einen religiösen Menschen wie Zihmanis ganz klar: In dieser Situation haben wir das Richtige getan. Zum Glück sind für den jungen Modris solche Aktionen eher die Ausnahme. Und von anderen kleinen Überfällen kann er wieder mit einem Lachen erzählen, vielleicht weil sie sich manchmal wie Robin- Hood-Geschichten anhören. Beispielsweise hat Zihmanis Gruppe auf der Landstraße nach Auce einen Geldtransporter überfallen. Darin sind die Gelder, die man in den Tagen zuvor den Bauern der Gegend als Abgaben abgepresst hatte. Den Tipp hatten die Waldbrüder von einer Angestellten der örtlichen Sparkasse bekommen und konnten den Überfall im Wald genau vorbereiten. Die Wachsoldaten sind so überrascht, dass sie sich nach einem kurzen Schusswechsel entwaffnen lassen. Niemand muss sterben, deshalb wird diese Geschichte von den beteiligten Waldbrüdern immer wieder gern erzählt. Das Geld bekommen selbstverständlich wieder die Bauern zurück, schließlich versorgen sie ja die Partisanen auch mit Lebensmitteln. Wenn die nicht reichen, beispielsweise weil die Bauern ihr Abgabesoll erfüllen und sich dabei noch selbst ernähren müssen, holen sich die Partisanen das, was sie brauchen, in Staatsgütern. Nachts zum Beispiel ein Staatsgut zu überfallen und alle Schweine mitzunehmen, das ist in ihren Augen kein Raub. Schließlich sind ja die sowjetischen Staatsgüter erst durch die Enteignung, also einem sowjetischen Raubzug, entstanden. Deshalb entspricht die Waldbrüder-Art der Umverteilung auch der Partisanen-Strategie. Zihmanis lernt schnell, was bei einem solchen Beutezug zu beachten ist: Waldbrüder sind keine Diebe. Deshalb hinterlassen sie möglichst immer ein Schreiben, in dem sie genau auflisten, was die Nationalen Partisanen requiriert haben. Zum einen soll kein anderer dafür bestraft werden. Andererseits soll auch kein Funktionär die eigenen Schwarzmarkt- Geschäfte hinter einem Partisanenüberfall verstecken können. Als es Herbst wird, schaffen die Waldbrüder Holzstämme heran, denn zum Überwintern muss ein Bunker gebaut werden. Die Bunkerstandorte wechseln häufig. Jetzt 1947 muss wieder einmal ein neuer gefunden werden. Der junge Modris Zihmanis ist inzwischen nicht mehr der Neuling, und plötzlich auch kein Lernender mehr. Er kann nun einiges von dem, was er im Studium gelernt hat, umsetzen. Er projektiert den neuen Bunker, für den seine Partisanengruppe einen Platz in den Wäldern um Auce gefunden hat. Der Ort ist ideal. Einerseits ist die Bodenbeschaffen-

68 66 L E B E N S L Ä U F E Lebenslang Waldbruder? heit so, dass man einen Bunker bauen kann, ringsum aber ist der Boden so morastig, dass er für schwere Fahrzeuge nahezu unpassierbar ist. Zihmanis ist nun Bunkerbauer und gewinnt damit unter den Waldbrüdern immer mehr Anerkennung. Einige wichtige Dinge funktionieren perfekt, wie beispielsweise die Belüftung und der Rauchabzug über der Feuerstelle. Es ist äußerst schwierig, die Tarnung zu beachten und gleichzeitig für den nötigen Kamineffekt zu sorgen. Sein Bauwerk bewährt sich im ersten Winter so gut, dass es weiter genutzt werden soll. Die Partisanen wollen auch im darauffolgenden Winter hier bleiben. Die Zeit im Bunker ist für Zihmanis hart, aber manchmal auch schön. Er hat eine Freundin, die Tochter eines Bauern in der Umgebung. Sie hilft, die Waldbrüder zu versorgen, dadurch kann Zihmanis sie regelmäßig treffen. Später wird auch sie wegen der Unterstützung der Partisanen fünf Jahre im Lager sitzen. Als der Bunker ausgeräuchert wird, verhaftet die sowjetische Geheimpolizei auch gleich die Bewohner aller Gehöfte im Umkreis egal ob sie mit den Waldbrüdern wirklich etwas zu schaffen hatten oder nicht. Gedenkstein neben dem Bunker Das ist im Jahr 1949, dem Jahr der größten Deportationsaktion im Nachkriegs- Lettland. Am 25. März werden nach vorbereiteten Listen Menschen verhaftet und in den Norden Sibiriens verbracht. In diesem Jahr wird auch der von Zihmanis gebaute Bunker gestürmt. Der 22-jährige hat den Bau geplant, nun verlässt er ihn als einer der letzten. Die Partisanen sind der Übermacht nicht gewachsen, trotzdem kämpfen sie stundenlang, bis sie mit Nebelgranaten förmlich ausgeräuchert werden und den Bunker verlassen müssen. Die wenigen Partisanen, die den Kampf um den Bunker überlebt haben, werden in das NKWD-Quartier nach Auce gebracht, anschließend in die Zentrale der Geheimpolizei nach Riga. Hier findet auch das Schnellverfahren statt, in dem Zihmanis zum Tode verurteilt wird. Das hatte er auch nicht anders erwartet, doch er gehört zu dem Teil der Todeskandidaten, die ein paar Tage später zu 25 Jahren Lagerhaft begnadigt werden. Er kommt ins Lager Uralsk in Kasachstan und muss im Bergwerk arbeiten. Die fürchterlichen Bedingungen dort hätte er nicht lange überlebt, wenn ihn nicht im letzten Moment ein lettischer Arzt selbst Häftling gerettet hätte. Der kann zunächst für einen kurzen Aufenthalt in der Krankenbaracke sorgen und ihm anschließend eine leichtere Arbeit verordnen. Doch leicht macht es sich Zihmanis deshalb als Gefangener nicht. Nach Stalins Tod 1953 kommt es im Juli des gleichen Jahres zum großen Lageraufstand in Workuta. Davon erfahren auch die Gefangenen in Uralsk und bereiten ebenfalls Streiks vor. Zihmanis gehört mit zu den Organisatoren. Foto: Eckart Reichl (3) Der Bunker hatte sich bewährt. Licht- und Luftschacht im Hauptraum

69 Horch und Guck 4/2010 Heft Das bringt ihm verschärfte Haftbedingungen und eine Verlegung nach Wladimir ein. Doch der junge Mann hört nicht auf, die Mitgefangenen zu organisieren oder aus Sicht der Lagerleitung aufzuwiegeln. Häufig landet er deshalb in Isolationshaft. Weil er so widerständig ist, kommt er auch nicht in den Genuss der Entlassungswellen aus dem Gulag in den Jahren nach Stalins Tod. In seiner Heimat endet derweil der Partisanenkampf. Schon die ab 1950 mit aller Macht von den Sowjetbehörden durchgesetzte Kollektivierung der Landwirtschaft entzieht den Waldbrüdern eine wichtige Lebensgrundlage. Die Bauern hatten sie immer unterstützt, doch mit der Zerschlagung der traditionellen Dorfstrukturen und der Kolchosenbildung haben sie keinen unabhängigen Zugriff mehr auf ihr Land und seine Erträge. Sie können also die Partisanen nicht mehr versorgen und auch gegebenenfalls jemanden auf dem eigenen Hof zu verstecken, wird immer schwerer. Nach Stalins Tod 1953 bietet die Besatzungsmacht den Waldbrüdern, die sich ergeben, Straffreiheit an. Danach legen viele Gruppen die Waffen nieder. Einige Verbände kämpfen noch bis 1956, dann hört der bewaffnete Kampf in Lettland auf, auch wenn sich danach immer noch Männer im Wald versteckt halten. Zihmanis wird erst 1964 entlassen, darf aber nicht nach Lettland zurückkehren. Trotzdem schafft er es, sich nach Umwegen in Libau anzusiedeln. Der Trick ist, dass die sowjetische Planungsbürokratie manchmal bei einem Prestigeobjekt dringenden Arbeitskräftebedarf hat. Dann werden überall im Imperium Arbeiter geworben, doch in diese oder jene abgelegene Provinz zu ziehen. Das macht sich Zihmanis zu Nutze. In einem ersten Schritt folgt er einem Werberuf nach Königsberg. Dort ist er der Heimat ja schon recht nahe. Und als dann Arbeitskräfte in Libau gesucht werden, fragt keiner danach, ob er sich in Lettland ansiedeln darf. Modris Zihmanis kann umziehen und bleibt in Libau, heiratet, baut ein Haus und schreibt. Gedichte geschrieben hat er auch schon in den Lagern, doch kaum einen Text davon bewahren können. Nun schreibt er wieder, auch wenn er bis 1989 offiziell nichts publizieren darf. Wie viele der überlebenden Waldbrüder, die Ende der achtziger Jahre noch oder wieder in Lettland leben, engagiert sich Zihmanis in der lettischen Unabhängigkeitsbewegung, die in den letzten Jahren der Sowjetunion friedlich für die Freiheit des kleinen Landes kämpft. Für den Ex-Partisan, Häftling und Dichter ist es, wie für viele seiner Freunde, unglaublich wichtig, dass sie letztlich doch Erfolg hatten, dass sie spät das erringen konnten, wofür sie als junge Menschen einst in einen aussichtslosen Kampf zogen. Vor einigen Jahren hatte der für die Wälder um Auce zuständige Oberförster Reste des alten Bunkers entdeckt. Da es nur wenige Zeugnisse des Partisanenkampfes gibt, wollte er den Bunker zumindest in Teilen originalgetreu wiederaufbauen, als Anschauungsobjekt und Gedenkstätte. So suchte er Kontakt zu den Veteranen und traf auf den Bunkerbauer Zihmanis. Der konnte natürlich für den Wiederaufbau wichtige Ratschläge geben. Inzwischen ist der Bunker öffentlich zugänglich und mit dem benachbarten Gedenkstein für die, die 1949 bei der Bunkerstürmung erschossen wurden jetzt eine offizielle Gedenkstätte. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil ihn Uneingeweihte ohne die Beschilderung nach dem Abzweig von der Landstraße nicht finden könnten. Modris Zihmanis freut sich, wenn Besucher zu seinem Bunker kommen. Und er mag auch die gelegentlichen Veteranentreffen hier. Viele sind es nicht mehr, die nach mehr als sechzig Jahren noch kommen können. ER Klopfe nicht laut an die halbgeöffnete Tür eines jungen Herzens komm nicht über die Schwelle mit schweren Stiefeln nimm von deiner Zunge die überflüssigen Satzfesseln nimm die bildhaften Schwurworte wie Spielkarten auseinander komm wie der Atem in den Tempel der Liebe mein Herz schreibt dich an mit dem roten Bleistift der Sehnsucht (1969) aus Modris Zihmanis: Sibirischer Hardrock Modris Zihmanis mit anderen Veteranen in seinem Bunker

70 68 T H E M E N Haft am See Heike Schuler Haft am See Die Strafvollzugseinrichtung I Berlin-Rummelsburg während der Ära Honecker Bis Ende Oktober 1990 existierte in Berlin-Rummelsburg eine der großen DDR- Strafvollzugseinrichtungen mit rund Häftlingen 1. Die nach Plänen des Berliner Stadtbaurates und Architekten Hermann Blankenstein entworfenen und errichteten Gebäude dienten während des Bestehens der DDR ab Anfang der fünfziger Jahre bis Ende Oktober 1990 als Haftanstalt. Diese war unter anderem auch Zuführungspunkt für die Festgenommenen der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration im Januar In das öffentliche Bewusstsein rückte das Gefängnis unter anderem dadurch, dass Erich Honecker hier im Januar 1990 während seiner Untersuchungshaft eine Nacht verbrachte. Heute deutet kaum noch etwas auf die Existenz der Haftanstalt hin. Nach Jahren des Leerstandes, nach wieder verworfenen Nutzungsplänen und dem Abriss vieler Gebäude wurden sechs denkmalgeschützte Häuser in den letzten Jahren zu modernen Wohnungen umgebaut. Das Haus 8, zu DDR-Zeiten für die Haftkrankenhausabteilung genutzt, beherbergt heute Woh- 1 Einschließlich der Untersuchungshaftanstalt UHA I. 2 Vera Lengsfeld: Von nun an ging s bergauf Mein Weg zur Freiheit. München 2002, S Heike Schuler, Historikerin, geboren l967 in Nürtingen, Studium der Neueren/Neuesten Geschichte und Skandinavistik an der Eberhard Karls Universität Tübingen und der Humboldt-Universität zu Berlin. Magisterarbeit zum Thema: "Die Strafvollzugseinrichtung I Berlin-Rummelsburg: Aufbau, Organisation und Alltag politischer Häftlinge im Strafvollzug (l97l-l989/l990)". Gebäudebestand der ehemaligen StVE I Berlin in den 1990er Jahren Quelle: Informationsschild an der Rummelsburger Bucht (Expo 2000). nungen und ein kleines Hotel. Im Keller befindet sich ein Raum der Stille, der Gästen und ehemaligen Häftlingen eine Stätte zur Besinnung auf die Geschichte des Ortes bietet. Die Haftanstalt Unter der Anschrift Hauptstraße 8, 1134 Berlin (Lichtenberg), Fernsprecher , war bis Ende Oktober 1990 die Strafvollzugseinrichtung I Berlin (Rummelsburg) zu finden. 3 Im Häftlingsjargon sarkastisch auch als Haus am See oder Rummeline bezeichnet, war das Gefängnis sowohl Untersuchungshaftanstalt (UHA) für Berlin als auch Strafvollzugs einrichtung (StVE) der DDR. Anfang der siebziger Jahre saßen in der StVE oft so genannte Langstrafer (Kategorie I schwerster Vollzug ) ein. Ab 1977 wurden hier dann Häftlinge mit Freiheitsentzug bis zu 5 Jahren untergebracht (allgemeine Vollzugsart). Neben der Vollzugsabteilung für DDR-Bürger (1. VzA) gab es eine 2. VzA für Ausländer. Diese Vollzugsabteilungen waren jeweils in mehrere so genannte Erzieher bereiche unterteilt. 4 Für viele Untersuchungs häftlinge, die in Berliner Untersuchungshaftanstalten inhaftiert gewesen waren und die nun verurteilt wurden, war das Gefängnis Rummelsburg eine Durchgangsstation für kürzere Zeit, ehe sie in andere DDR-Haftanstalten wie zum Beispiel Bautzen, Brandenburg, Cottbus oder Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) gebracht wurden. Auch wurde der Post verkehr der Häftlinge des bis 1974 bestehenden, streng geheim gehaltenen Lager X des zentralen Untersuchungs- 3 Landesarchiv Berlin, C Rep. 330, Karton 1, Grundsätze StVE und JH Berlin Vgl. Landesarchiv Berlin, C Rep. 330, Karton 3. gefängnisses der Staatssicherheit in Hohenschönhausen zur Tarnung über die Haftanstalt Berlin-Rummelsburg durchgeführt. Desgleichen wurden die Gefangenen des Lager X nach Rummelsburg gebracht, wenn sie Besuch von Angehörigen erhalten durften. 5 Die Unterbringung der Häftlinge erfolgte in Rummelsburg (wie in der DDR üblich) gemeinschaftlich. Ausnahmen wie Einzelunterbringung, Absonderung oder Arrest waren möglich. Das Prinzip der Kollektiv erziehung bedeutete für den einzelnen Inhaftierten einen fast vollständigen Wegfall jeder Intimsphäre, da außer der gemeinschaftlichen Unterbringung auch die Freizeit mit dem Aufenthalt im Freien sowie die Arbeit stationsweise erfolgte. Dazu kamen erschwerend noch die mangelhaften hygienischen Bedingungen, so dass nicht einmal in diesem Bereich der Schutz der Privatsphäre gegeben war. Der Strafvollzug der DDR war geprägt von einer unwürdigen Behandlung der Inhaftierten mit militärischem Drill und Willkür. Auch die materiellen sowie Lebensbedingungen (Kleidung, Verpflegung, sanitäre und sonstige Ausstattung der Verwahrräume) entsprachen in den Haftanstalten der DDR den Minimalanforderungen, die z. B. von den Vereinten Nationen festgelegt waren, zum großen Teil nicht. 6 Die Gefangenen hatten keine rechtliche Handhabe, um die Einhaltung der ohnehin vagen Gesetzesvorschriften durchzusetzen, denn das Strafvollzugsgesetz der DDR kannte keine Rechtsbehelfe, die eine gerichtliche Überprüfung von Vollzugs- 5 Peter Erler/ Hubertus Knabe: Der verbotene Stadtteil. Stasi- Sperrbezirk Berlin-Hohenschönhausen. Berlin 2005, S Vgl. Tobias Wunschik: Das Organ Strafvollzug im Ministerium des Inneren der DDR, Berlin Fotos: Heike Schuler (2)

71 Horch und Guck 4/2010 Heft maßnahmen ermöglichten. So hatte der Strafgefangene nach 35 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz der DDR lediglich das Recht, so genannte Eingaben einzureichen und gegen Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen Beschwerde beim Anstaltsleiter einzulegen ( 35 Abs. 2 StVG DDR). Die Staatssicherheit in der StVE I Berlin Obgleich die Strafvollzugseinrichtungen der DDR formal dem Ministerium des Innern (MdI) unterstanden, hatte das Ministerium für Staatssicherheit Einfluss auf sie. Die Leiter waren angewiesen, [ ] zur Verwirklichung der [ ] festgelegten Aufgaben eng mit den Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit und den zuständigen Kriminalisten zusammenzuwirken.[ ] 7 Durch die so genannte Linie VII 8 beaufsichtigte die Staatssicherheit das MdI samt seinen nachgeordneten Dienststellen. Das MfS kontrollierte das Strafvollzugswesen durch die Auswahl politisch geeigneten Personals, durch den Einsatz Inoffizieller Mitarbeiter (IM) oder Offiziere im besonderen Einsatz (OibE), durch die Anwerbung Inhaftierter und von SV-Personal für Spitzeldienste durch die politisch-operative Bearbeitung z. B. politischer Häftlinge. Zielsetzung war hierbei, die innere Sicherheit der Strafvollzugseinrichtungen zu gewährleisten, so dass für die harten Haftbedingungen in DDR-Haftanstalten auch das Ministerium für Staatssicherheit verantwortlich war. Missstände wie Übergriffe des Strafvollzugspersonals waren der Stasi aufgrund ihrer Präsenz bekannt. Vorrangig ging es jedoch nicht um ein Beheben, sondern um das Vertuschen der Vorfälle: Vor allem ein Bekanntwerden im Westen sollte möglichst verhindert werden. 9 7 Ordnung des MdI (1988), 0.5AQ. 8 Vgl. Tobias Wunschik Der DDR-Strafvollzug unter dem Einfluß der Staatssicherheit in den siebziger und achtziger Jahren. In: Engelmann, Roger, Clemens Vollnhals (Hrsg.): Justiz im Dienste der Parteiherrschaft. Rechtspraxis und Staatssicherheit in der DDR. 2. durchgesehene Auflage Berlin 2000, S Vgl. Tobias Wunschik (2000), S In der Strafvollzugseinrichtung I Berlin hatten die Verbindungsoffiziere (VO) des MfS ihren Sitz in Block D und in der 2.Vollzugsabteilung (2. VzA) in Haus Eine Zwischenstellung nahmen die Offiziere für Kontrolle und Sicherheit (OKS) 11 in den Strafvollzugseinrichtungen der DDR ein, indem sie neben dem MfS für das Ministe rium des Innern in den Haftanstalten verdeckt ermittelten. Diese OKS gehörten der Arbeitsrichtung KI/4 der Kriminal polizei an und hatten Schließung, Kostluke und Durchsichtöffnung der Tür einer ehemaligen Arrestzelle Haus 6. in Rummelsburg ihren Sitz in Haus 1. Um seinen Einfluss auch hier zu sichern, setzte das MfS in zahlreichen OKS-Positionen eigene, verdeckt arbeitende Offiziere im besonderen Einsatz (OibE) ein. 12 Gesellschaftlich nützlicher Arbeit innewohnende erzieherische Potenzen Arbeitseinsatz und Arbeitspflicht Straf gefangener Die allgemeine Arbeitspflicht für Strafgefangene war in der DDR in den fünfziger 10 Vgl. Landesarchiv Berlin, C Rep. 330, Karton Im Häftlingsjargon auch als Offizier für Konfekt und Süßigkeiten bezeichnet. 12 Vgl. Birger Dölling: Strafvollzug zwischen Wende und Wiedervereinigung. Kriminalpolitik und Gefangenenprotest im letzten Jahr der DDR. Berlin, März 2009, S Jahren eingeführt worden. Eine Verordnung vom 10. Juni 1954 über den Arbeitseinsatz Strafgefangener ermächtigte das Ministerium des Innern, den Arbeitseinsatz von Strafgefangenen in eigener Zuständigkeit neu zu regeln. 13 Die Ausbeutung der Inhaftierten durch Arbeit führte in den kommenden Jahrzehnten nicht nur zu einem volkswirtschaftlichen Gewinn, sondern war auch eine Ertragsquelle für das Ministerium des Innern. Die Arbeitseinsatzbetriebe bezahlten den Tariflohn einschließlich aller Prämien und Zuschläge an die Strafvollzugseinrichtungen. Das, was nach Abzug des Gefangenenanteils und etwaiger Unterhaltszahlungen von den überwiesenen Arbeitslöhnen verblieb, ging als Einnahme an den Strafvollzug. 14 Das erklärte Bestreben im DDR-Strafvollzug war die [ ] konsequente Verwirklichung der Einheit von Sicherheit, Erziehung und Ökonomie bei Primat der Sicherheit [ ]. 15 Ein Ziel war es also, die wirtschaftliche Nutzung der Häftlingsarbeit möglichst als erziehungswirksame, einheitliche Maßnahme zusammen mit der politisch-ideologischen Einwirkung auf den Inhaftierten zu gestalten. Prinzipiell war eine solche Indoktrination bei politischen Strafgefangenen, die oftmals eine gefestigte oppositionelle Meinung zu der herrschenden Parteiideologie hatten, wenig erfolgreich. 16 Unter dem Motto: Erziehung durch Arbeit wurde im Strafvollzugsgesetz von 1977 der Einsatz Strafgefangener zu gesellschaftlich nützlicher Arbeit in den näher geregelt. Tatsächlich aber entsprang der Arbeitseinsatz der Inhaftierten einem massiven wirtschaftlichen Kalkül. In welchem Maße die Strafgefangenenarbeit als Stütze der DDR-Ökonomie einkalkuliert war, zeigt der Umstand, dass nach größeren Amnestien etliche volkseigene Betriebe ihren Plan ohne die Häftlinge, also alleine mit der regulären 13 Vgl. Verordnung über den Arbeitseinsatz von Strafgefangenen vom 10. Juni 1954 (GBl S. 567). Zitiert in: Gerhard Finn/ Karl Wilhelm Fricke, Politischer Strafvollzug in der DDR. Köln 1981, S Vgl. Dölling, Birger (2009), S Grundsätze MdI (1984), 6.(3). 16 Vgl. Gerhard Finn/ Karl Wilhelm Fricke (1981), S

72 70 T H E M E N Haft am See Belegschaft, nicht erfüllen konnten. 17 Ebenfalls für diesen Umstand spricht auch der Vermerk in einer Akte, dass ein Zurückweichen einiger Betriebsangehöriger vor Strafgefangenen der Strafvollzugseinrichtung Berlin-Rummelsburg festgestellt wurde. So wurden beispielsweise Disziplinarverstöße nicht an das Strafvollzugspersonal weitergeleitet, weil man infolge einer möglichen Arrestbestrafung den Ausfall der Arbeitskräfte befürchtete. 18 In Zeiten hoher Arbeitsbelastung, z. B. vor Großveranstaltungen wie dem Nationalen Jugendfestival der DDR 1984, wurden seitens der Volkseigenen Betriebe gezielt Anfragen an den Leiter der StVE I gestellt, um möglichst viele Strafgefangene als Arbeitskräfte zu bekommen. 19 Prinzipiell war entweder eine Beschäftigung in den Hauswerkstätten (Versorgungsbereiche der StVE wie z. B. Küche, Schmiede, Tischlerei etc.) der Strafvollzugseinrichtung möglich (C-Beschäftigte) oder der Strafgefangene arbeitete in einem Arbeitseinsatzbetrieb (AEB). 20 Hier wiederum bestanden zwei Möglichkeiten: Zum einen konnte der Häftling direkt auf dem Gefängnisgelände eingesetzt werden, was voraussetzte, dass der Arbeitseinsatzbetrieb einen Betriebsteil innerhalb der Strafvollzugseinrichtung errichtet hatte, zum anderen wurde der Inhaftierte zur Außenarbeit (so genanntes Außenarbeitskommando AAK) eingeteilt. Zur Gewährleistung der möglichst reibungslosen Aufgabenerfüllung der Strafgefangenen in den Arbeitseinsatzbetrieben (AEB) sollten geeignete Betriebsangehörige eingesetzt werden. Zivilangestellte, die mit Strafgefangenen arbeiteten, sie anleiteten, kontrollierten und auf diese erzieherisch einwirkten, bekamen eine Sonderzulage ausgezahlt. Nachfolgend wird auf die beiden großen Arbeitseinsatzbetriebe innerhalb der Strafvollzugseinrichtung Berlin, REWATEX und Elektro-Apparate-Werke (EAW), näher eingegangen. 17 Vgl. Andreas Beckmann, Regina Kusch: Gott in Bautzen. Die Gefangenenseelsorge in der DDR, Berlin 1994, S Vgl. Landesarchiv Berlin, C Rep. 330, Karton 2, Nr. 5-13, Akte Nr Vgl. z.b. Anfrage REWATEX vom an den Leiter der StVE I Berlin, Schmidt-Bock. Landesarchiv Berlin, C Rep. 330, Karton AEB waren für die achtziger Jahre: Das Kombinat VEB Elektro-Apparate-Werke Friedrich-Ebert (EAW), der VEB Plastik-Werk Berlin, das VEB Kombinat REWATEX Berlin (REWATEX) sowie der VEB Narva Rosa-Luxemburg ( Leuchtenbau ). Arbeitseinsatzbetriebe (AEB) und durchgeführte Tätigkeiten REWATEX REWATEX war eine DDR-weite Großwäscherei mit Hauptsitz in Berlin-Köpenick. Durch die Nutzung des schon zu Zeiten des Arbeitshauses bestehenden Waschhauses direkt auf dem Gelände der Strafvollzugseinrichtung war ein problemloser Einsatz von Strafgefangenen im Schichtbetrieb ohne das Risiko eines Transportes möglich. Von den Strafgefangenen durchgeführte Tätigkeiten bei REWATEX waren Wäschereiarbeiten vom Waschen bis zum Versand der Wäsche 21 zum Beispiel als Be- und Entlader, Wäscher, Mangler oder Packer. 22 Neben der gefängniseigenen Wäsche wurde in Rummelsburg unter anderem auch Wäsche der Nationalen Volksarmee (NVA) sowie Hotelwäsche gewaschen. Die Anlieferung erfolgte mit Transportern auf das Gefängnisgelände. EAW (Elektro-Apparate- Werke) Treptow Das Kombinat VEB Elektro- Apparate-Werke Friedrich Ebert Treptow hatte seinen Hauptsitz in der nahe der Strafvollzugseinrichtung gelegenen Hoffmannstr , 23 heute Berliner Firmen sitz der Allianz-Versicherungen. Ein Zweigwerk befand sich in der Hauptstraße in Berlin- Lichtenberg, unweit der Strafvollzugseinrichtung gelegen, in dessen auf dem Gefängnisgelände gelegenen Betriebsteil Relais Arbeitskommandos der Haftanstalt arbeiten mussten. 24 EAW besaß, unter anderem durch das große Industriegebäude auf dem Gelände der Strafvollzugs einrichtung sowie durch die Produktionsräume in Haus 5, eine große Anzahl an Häftlings arbeitsplätzen. 21 Vgl. Landesarchiv Berlin, C Rep. 330, Karton Vgl. Landesarchiv Berlin, C Rep. 330, Karton 16, REWATEX Unterlagen. 23 Vgl. Landesarchiv Berlin, Karton 2, Akte Vgl. Matthias Bath Gefangen und freigetauscht Tage als Fluchthelfer in der DDR-Haft. Berlin 2007, S Foto: Heike Schuler Die Häftlinge stellten vor allem Relais her, elektrische Schaltelemente unter anderem für Ampelanlagen, Werkzeugmaschinen und Klimaanlagen. Gearbeitet wurde in Schichten im Akkord an Bändern, denen jeweils ein Zivilmeister vorstand. Der Schichtwechsel erfolgte jede Woche. Die Häftlinge der Frühschicht wurden um 4.00 Uhr morgens geweckt und begannen um 5.30 Uhr mit der Arbeit. Arbeitsende war für die Frühschicht um Uhr. Der Arbeitsbeginn für die Spätschicht war um Uhr, die Arbeit endete hier um Uhr. (Stand 1976). 25 Zumindest für die frühen siebziger Jahre sind gesundheitlich stark belastende Tätigkeiten bei EAW wie das Eintauchen von Werkstücken mittels Zangen in Zinnbecken ohne Mundschutz oder Handschuhe beschrieben. 26 Arbeitsunfälle Paragraph 22 (4) des Strafvollzugsgesetzes von 1977 regelte, dass beim Arbeits einsatz Strafgefangener der Gesundheits- und Schließmechanismus zum Arretieren der Pritsche bei Tage durch das Personal von außen. Arbeitsschutz entsprechend der Rechtsvorschriften zu gewährleisten sei. Die arbeitenden Inhaftierten sollten in regelmäßigen Abständen über die jeweils geltenden Arbeitsschutzbestimmungen 25 Vgl. Matthias Bath (2007), S Für den Anfang der achtziger Jahre ist für das EAW-Kommando auch eine Weckzeit um 4.30 Uhr, Frühstück um 4.45 Uhr und das Ausrücken zur Arbeit um 5.30 Uhr beschrieben. Vgl. Timo Zilli: Folterzelle 36 Berlin-Pankow. Berlin 1993, S Vgl. Timo Zilli (1993), S. 135.

73 Horch und Guck 4/2010 Heft belehrt werden. Für den Arbeitsschutz in den Produktionsstätten der Volkseigenen Betriebe waren die Leiter dieser Betriebe zuständig, die Leiter der Strafvollzugseinrichtungen waren zu Kontrollen verpflichtet. Unfallmeldungen finden sich zahlreich in den Akten, 27 denn wie bereits oben geschildert, war die wirtschaftliche Ausbeutung der Strafgefangenen vorrangig. Arbeitsschutzmaßnahmen spielten so oftmals eine untergeordnete Rolle. Besonders häufig sind in den Akten Unfallmeldungen zu finden, die Schnitt- bzw. Quetschverletzungen der Hände sowie Verletzungen der Augen, beispielsweise durch Metallsplitter, betreffen. 28 Hauswerkstätten Hauswerkstätten gehörten zum Versorgungsbereich einer Strafvollzugseinrichtung und dienten unter anderem der bau- lichen Instandhaltung der verschiedenen Gebäude und Anlagen. Die in den Hauswerkstätten zur Arbeit eingesetzten Häftlinge galten als C-Beschäftigte. C-Beschäftigte mussten eine grüne Armbinde mit der Kennzeichnung ihres Tätigkeitsbereiches tragen. In der Haftanstalt in Rummelsburg gehörten folgende Einrichtungen zu den Hauswerk-stätten: Schmiede, Schlosserei, Bäckerei, Tischlerei, Gärtnerei und eine Glaserei. Entlohnung Die Vergütung der Arbeitsleistungen Strafgefangener erfolgte durch die Strafvollzugseinrichtungen nach dem Leistungsprinzip. So betrug beispielsweise 1976 der monatliche Lohn beim VEB Elektro- Apparate-Werke bei einer Normerfüllung von 100% für Akkordarbeit bei der Relaisfertigung 29 Mark, ausgezahlt in Wertgutscheinen der StVE. 29 Schon vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes am 7. April 1977, im Januar 1977, erhöhte sich der Lohn von sieben auf elf Prozent eines vergleichbaren Normaleinkommens. 30 Das neue Strafvollzugsgesetz brachte eine nochmalige Erhöhung: Strafgefangene, die die Arbeitsnormen sowie sonstige Kennziffern erfüllten, erhielten 18% des Betrages, den ein Arbeiter als Nettolohn für die gleiche Arbeit erhalten hätte. Wurden die Arbeitsnormen übererfüllt beziehungsweise nicht erfüllt, so erhöhte oder verringerte sich dieser Prozent satz. Die Vergütungen und Prämien konnten von den Inhaftierten für den Einkauf in den HO-Verkaufsstellen der Strafvollzugseinrichtung, für Zuwendungen an ihre Angehörigen, zur Bildung einer Rücklage für die Wiedereingliederung und zur Begleichung von Zahlungsverpflichtungen verwendet werden. 31 Der Betrag ihres Arbeitslohnes, der von den Strafgefan genen für den HO-Einkauf verwendet werden 27 Vgl. z.b. Landesarchiv Berlin, C Rep. 330, Karton 13 und 14, Unfallmeldungen ab 1982 bis Vgl. Landesarchiv Berlin, C Rep. 330, Karton Vgl. Matthias Bath (2007), S Vgl. Matthias Bath (2007), S Vgl. StVG vom 7. April 1977 (GBl. I Nr. 11 S. 109)., 24. A N Z E I G E Die Zeitschrift der Geschichtswerkstatt Jena e.v. erscheint seit 1996 vierteljährlich Auf 40 Seiten Meinungen, Interviews, Reportagen, Rezensionen Ausgabe 57 Juli 2010: Hauptthema: - Die osteuropäischen Revolutionen 1989/1990 und der Untergang des Kommunismus Zeitgeschichte: - Jugendwerkhöfe in der DDR Eine Übersicht - Stasi-Belastungen im Nordostdeutschen Fußballverband Zeitgeschehen: - Anschleichen, Aushorchen, Berichten - Eine Liebe, die ewig hält - Der 23. August Europäischer Gedenktag für die Opfer autoritärer und totalitärer Gewalt - Nie wieder Deutschland Rezensionen: - Von Freißler zum Tode verurteilt in der DDR zum Schweigen - Schicksale in Größe einer Miniatur - Was wußte der Westen über den Osten? Herausgeber: Geschichtswerkstatt Jena e V. mit der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen des Freistaates Thüringen, gefördert von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Geschichtswerkstatt Jena e.v., Heinrich-Heine-Straße 1, Jena, Telefon: +49 (0) , geschichtswerkstatt.jena@t-online.de, Internet: Das von uns Deutschen oft zu Unrecht vergessene Osteuropa wird in dieser Ausgabe eine zentrale Rolle spielen. In der Regel wissen wir wenig über die revolutionären Vorgänge in den osteuropäischen Ländern in den Jahren 1989/90. Wir unternehmen den gewagten Versuch einer kurzen Zusammenschau der Hintergründe, Ereignisse und Folgen. Des Weiteren diskutieren wir das Jahr 1989 eine verhandelte Revolution? In der Rubrik Zeitgeschichte erhalten wir einen Überblick über die DDR-Jugendwerkhöfe und ihre Funktion. Der Beitrag von Thomas Purschke gibt Einblicke in den Integrations- und Transformationsprozess des ostdeutschen Fußballs in die Bundesrepublik nach 1990 und belegt die vielfältigen Stasi-Belasungen der alten neuen Funktionäre bis in die Gegenwart. In der Rubrik Zeitgeschehen werden zwei aktuelle Jenaer IM-Fälle vorgestellt. Beide Fälle beschreiben beispielhaft für ganz Ostdeutschland, wie ehemalige wichtige IM s 1989/90 in der demokratischen Rechtsordnung der Bundesrepublik untertauchten und später wieder auftauchten wie Phönix aus der Asche. Sie sind heute in der Regel geachtete Mitbürger und kandidieren sogar für politische Ämter. Ihre Vergangenheit verschweigen sie teilweise nach wie vor, reden sie klein oder wollen sie vergessen machen.

74 72 T H E M E N Haft am See Ehem. Arrestzelle der StVE I Berlin durfte, wurde ihnen in Wertgutscheinen ausgehändigt, die allgemeines Zahlungsmittel in den Strafvollzugseinrichtungen waren. Arbeitsverweigerung Bei der Arbeitsverweigerung werden am ehesten die beiden unterschiedlichen Absichten der politischen Gefangenen deutlich: einerseits die vollständige Weigerung, durch Erbringen der Arbeitsleistung das DDR-Regime zu unterstützen, andererseits ein bewusstes Nichterfüllen der geforderten Arbeitsnormen, entweder aus dem selben Grund oder aber aus unterschiedlichsten anderen Gründen wie zum Beispiel aus Protest gegen die zu Unrecht erfolgte Verur teilung oder eine unkorrekte, d.h. gesetzeswidrige Lohnauszahlung. 32 Ein in den Strafvollzugseinrichtungen der DDR stets mit besonderen Sicherheitsmaßnahmen einhergehendes Datum war der 17. Juni eines jeden Jahres. 33 Im Gedenken an den Aufstand 1953 wurde vor allem von politischen, westdeutschen beziehungsweise West-Berliner Häftlingen auch in Rummelsburg eine Schweigeminute eingelegt, in der die Arbeit ruhte wurden die Beteiligten dieser Gedenkminute auf gewaltsame Weise durch Knüppelschläge bestraft und mit Hunden verfolgt. Es wurde ein einmonatiges Fernsehverbot ausgesprochen, die vermeintlich Schuldigen an der Aktion bekamen Arreststrafen. 34 Hier ist ganz klar festzustellen, dass es sich um eine Über reaktion des Strafvollzugs personals handelte, denn diese Unverhältnis mäßigkeit 32 Vgl. Matthias Bath (2007), S Vgl. auch Tobias Wunschik:. Selbstbehauptung und politischer Protest von Gefangenen im DDR-Strafvollzug. (o. J.), S. 6 u DDR-Geschichte/Einzelthemen/Themenarchiv/Widerstandin-DDR-Haftanstalten/wunschik selbstbehauptung pdf,te mplateid=raw,property=publicationfile.pdf/wunschik_selbstbehauptung_pdf.pdf. 34 Vgl. Timo Zilli (1993), S der Mittel es handelte sich bei dem Protest lediglich um eine Minute des Innehaltens hatte nichts mit einem Erziehungsauftrag zu tun, sondern war reine Gewaltanwendung. Auch 1975 protestierten Gefangene des Ausländerkommandos gegen die Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 durch eine Arbeits leistung von nur 17% an diesem Tag. 35 Häftlinge, die nicht mit einer Entlassung in die DDR rechnen mussten, hatten zumeist wenig Anreiz, im Gefängnis verdientes Geld anzusparen, so dass ihnen auch bei Normuntererfüllung der geringe Verdienst für ihren HO-Einkauf ausreichte. Die Arbeitsverweigerung war ein Verstoß gegen 36 des Strafvollzugsgesetzes (1977), der die Pflichten der Strafgefangenen regelte und wurde mit Disziplinar- oder Sicherungsmaßnahmen bestraft. Disziplinarmaßnahmen Disziplinarmaßnahmen waren laut 32 des Strafvollzugsgesetzes von 1977: Ausspruch einer Missbilligung Verwarnung durch eine Aussprache mit Androhung einer strengeren Disziplinarmaßnahme Einschränkung oder Entzug von Vergünstigungen Einschränkung des Verfügungssatzes für den monatlichen Einkauf Arrest 36 Die härteste Disziplinarmaßnahme war der Arrest, im Gefangenenjargon Mumpe 37 genannt. Laut Strafvollzugsgesetz war der Arrest zeitlich auf bis zu 21 Tage begrenzt und wurde als Einzel- oder Freizeitarrest durchgeführt. 38 Arrestzellen gab es in Rummelsburg in den Kellern der Häuser 2, 3 und 35 Vgl. Matthias Bath (2007), S Vgl. Hausordnung (1977), Ziffer Vgl. Timo Zilli (1993), S Gültig für erwachsene Strafgefangene. Bei Jugendlichen sowie bei Verhafteten durfte die Arrestzeit laut Gesetz 14 Tage nicht überschreiten. Vgl. StVG (1977), 32 Abs Sie waren mit speziellen Trenngittern ausgestattet, die die ohnehin kleine Zelle in drei Teile aufteilten: einen zum Korridor hin gelegenen Teil, einen Bereich mit Waschbecken und Toilette und einen Schlaftrakt, in dem sich die Pritsche befand. Die Pritsche war tags über mittels eines Schließmechanismus, der sich außerhalb des Gitters befand und nur durch das Personal bedient werden konnte, an der Wand hochgeschlossen, so dass es dem Gefangenen nicht möglich war, sie zu benutzen, bevor ein Angehöriger des Strafvollzugs dies gestattete. Ein kleiner, quadra tischer Tisch und ein ebensolcher Sitz, beides nur Holzbretter, waren am Trenngitter so befestigt, dass sie vom Anstaltspersonal durch das Gitter nach außen gedreht werden konnten (so genanntes Karussell) und somit die Pritsche in der Nacht Platz fand. Wenn es in einem Auskunftsbericht des Leiters StVE aus dem Jahr 1988 lapidar hieß, die Rattenplage in der StVE nehme weiter zu und sei für die Einrichtung zur Zeit nicht lösbar 39, so traf das vor allem die im Keller gelegenen Arrestzellen. Bedingt durch den baulichen Zustand der alten Gebäude und durch die Lage direkt am Ufer der Spree, kamen diese Tiere vor allem in der Nacht durch die Toiletten in die (Arrest-) Zellen. Doch auch die anderen Bereiche der Anstalt und sogar die Haftkrankenhausabteilung waren von dem Rattenproblem betroffen. Foto: Heike Schuler Fazit Zwar sollte den Strafgefangenen mit dem Gesetz vom April 1977 eine größere Rechtssicherheit zugesichert werden, aber trotz einiger Verbesserungen im Strafvollzugsalltag herrschten oftmals Härte, Willkür und militärischer Drill vor. Absoluten Vorrang hatte die sichere Verwahrung der Gefangenen. Strenges Reglement, Unterordnung des Individuums, systemkonformes Verhalten, ein differenziert ausgearbeitetes Strafregister, einfache Befehlsstrukturen und ein durchorganisierter Tagesablauf bestimmten den Alltag in Rummelsburg. Ein Rechtsschutz war für die Gefangenen nicht gegeben. HS 39 Vgl. Landesarchiv Berlin, Karton 3, Auskunft des Leiters StVE, Blatt 21, 1988.

75 AKTUELLES AUS DEM BWV Schriftenreihe der Cajewitz-Stiftung Band 1 Peter-Alexis Albrecht, Leslie Baruch Brent, Inge Lammel (Hrsg.) VERSTÖRTE KINDHEITEN Das Jüdische Waisenhaus in Pankow als Ort der Zuflucht, Geborgenheit und Vertreibung BWV BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAG Peter-Alexis Albrecht, Leslie Baruch Brent, Inge Lammel (Hrsg.) Verstörte Kindheiten Das Jüdische Waisenhaus in Pankow als Ort der Zu ucht, Geborgenheit und Vertreibung Begibt man sich mit wachem Blick in ein altes Haus, stößt man unweigerlich auf Spuren seiner früheren Bewohner. Eine behutsame Rekonstruktion legt nicht nur die Schichten der baulichen Auskleidung frei. Vielmehr finden sich die Spuren derer, die in den Mauern des Hauses ihr Leben verbrachten. Die bauliche Wiederherstellung des ehemaligen Jüdischen Waisenhauses in Berlin-Pankow offenbart das Schicksal der Kinder, die hier Zuflucht suchten. Wenn der Restaurator unter hastig übertünchten Deckenelementen eines früheren Betsaals Symbole jüdischen Glaubens freilegt, wird zugleich die Geschichte einer Vertreibung erzählt. Einer Vertreibung von Kindern, denen das Waisenhaus mit seinen schweren Mauern als besonders behüteter Ort erscheinen musste. Die ehemaligen Zöglinge berichten über eine Verstörte Kindheit, in der sie gezwungen waren, den Ort zu verlassen, der ihnen Heimat war. Und in der sie mit ansehen mussten, wie ihre verbliebenen Freunde und Lehrer im Holocaust ermordet wurden. So wird aus der Chronik eines Bauwerks die bewegende Lebensgeschichte seiner Bewohner. 2008, 240 S., 139 s/w Abb., 42 farb. Abb., geb. mit SU, 29, Euro, Leslie Baruch Brent Ein Sonntagskind? Vom jüdischen Waisenhaus zum weltbekannten Immunologen Professor Brents Memoiren liefern dem Leser eine faszinierende und entwaffnend offene Darstellung seines privaten und beruflichen Lebens. Seine gründlich recherchierten, nachdenklich stimmenden und unvoreingenommenen Überlegungen zu einigen der turbulentesten Ereignissen des 20. und 21. Jahrhunderts darunter der Holocaust, die Kriegsjahre, die Gründung des Staates Israel und die damit verbundenen Konsequenzen, seine Gedanken über Frankreich während der deutschen Besatzung und den amerikanisch-britischen Angriff auf den Irak spiegeln sein leidenschaftliches Interesse an der ihn umgebenden Welt wider und beleuchten einige der beunruhigendsten Ereignisse unserer Zeit. 2009, 358 S., 38 s/w Abb., geb. m. SU, 29, Euro, Schriftenreihe der Cajewitz-Stiftung Band 2 Leslie Baruch Brent EIN SONNTAGSKIND? Vom jüdischen Waisenhaus zum weltbekannten Immunologen BWV BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAG Erhard Geißler Drosophila oder die Versuchung Ein Genetiker der DDR gegen Krebs und Biowaffen BWV. Berliner Wissenschafts-Verlag Erhard Geißler Drosophila oder die Versuchung Ein Genetiker der DDR gegen Krebs und Biowaffen Wer erinnert sich heute noch an die Tabuisierung der Genforschung in der Sowjet union, die mit dem Namen Lyssenko eng verbunden ist. Trotz dieses ideologisch begründeten Verdikts ist es dem Autor gelungen, erfolgreich Genforschung in der DDR zu betreiben. Erhard Geißler wurde Herr über 120 Stämme der Fruchtfliege Drosophila, lange Zeit das wichtigste Versuchsobjekt der Vererbungsforscher. Rechtzeitig vor dem Mauerbau lernte er in Köln den Umgang mit Bakterien sowie Viren und in der Frontstadt Westberlin die Dressur der Fliege. Nahezu 60 Jahre war er auf dem traditionsreichen biomedizinischen Forschungscampus in Berlin- Buch tätig, zu DDR-Zeiten in den Instituten der Akademie der Wissenschaften; seit deren Auflösung im Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin, wo der Achtzigjährige als Gastwissenschaftler immer noch forscht und publiziert. Er engagierte sich als Genetiker zunehmend für eine internationale Ächtung biologischer Waffen. Dieses Buch ist mehr als eine unterhaltsame Autobiographie, es enthält faszinierende Details aus der Wissenschaftsgeschichte der DDR, vor allem auf dem Gebiet der experimentellen Krebsforschung und der biologischen Rüstungskontrolle. 2010, 379 S., 97 s/w Abb., geb., 38, Euro, BWV BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAG Markgrafenstraße Berlin Tel. 030 / Fax 030 / bwv@bwv-verlag.de

76 74 R E Z E N S I O N E N Weltgeschichte der Spionage Helmut Müller-Enbergs Weltgeschichte der Spionage Wolfgang Krieger: Geschichte der Geheimdienste. Von den Pharaonen bis zur CIA. München: C.H.Beck, S., Paperback. 16,95 EUR. ISBN Seit rund Jahren kann nachrichtendienstliche Arbeit vulgo: Spionage von Staaten bzw. Reichen nach gewiesen werden. Selbst routinierten Insidern fällt es schwer, den Überblick über die Entwicklun gen in mehreren Ländern zu halten, weshalb es in diesem randständigen, regel mäßig außerhalb der Universitäten etablierten Forschungszweig Spartenuntersuchungen gibt. Teils stehen einzelne Nachrichtendienstorganisationen, teils historische Abschnitte im Mittelpunkt. Nur den Versuch, all diese Institutionen, deren Wandel und Geschichte, Wirkungen und Gegenwirkungen in einer leserfreundlichen Publikation zu vereinen, haben nur wenige unternommen. Der erste deutschsprachige Wurf erscheint aus der Feder des Schriftstellers Janusz Piekałkiewicz ( ) im Jahre 1988 als Weltgeschichte der Spionage, die noch heute aufgelegt und in einige Sprachen übersetzt vorliegt. Einen ähnlich weitreichenden, jedoch lediglich das 20. Jahrhundert umfassenden Versuch unternahm der britische Journalist und spätere Professor Phillip Knightley mit Die Geschichte der Spionage des 20. Jahrhunderts. Aufbau und Organisation, Erfolge und Niederlagen der großen Geheimdienste, dessen 1. Auflage 1989 auf Deutsch erschien und Nachauflagen erfuhr. Bald zwanzig Jahre später nach seinem ersten Versuch als Herausgeber des Sammelbandes Geheimdienste in der Weltgeschichte. Von der Antike bis heute (2003) hat Wolfgang Krieger (Jahrgang 1955), seit 1995 Professor für Neuere Geschichte an der Philipps-Universität Marburg, das schier un mögliche Unternehmen gewagt, eine Geschichte der Geheimdienste zu verfassen, die 2009 in München erschienen ist. 1 Auch hier deutet sich ein internationaler Erfolg an, denn seit 2010 liegt eine französische Übersetzung vor, die in Frankreich bereits viel Aufmerksamkeit erfuhr. Die Kritik in Deutschland zeigt sich gegenüber dem Ergebnis dieser Mammutaufgabe Wolfgang Kriegers verhalten. Skeptisch wirkt Hans Leyendecker in seiner Rezension in der Süddeutschen Zeitung. 2 Auf Defizite verweisen in wissenschaftlichen Rezensionen Paul Maddrell und Tim 1 Freilich gibt es zahlreiche englischsprachige Arbeiten, die oftmals nur bedingt den Anspruch der weltgeschichtlichen Dimension der Spionage einlösen können. Exemplarisch hierfür zuletzt Terry Crowdy: The Enemy Within. A History of Spies, Spymasters and Espionage. Oxford Vgl. Hans Leyendecker: Auf die Weiterleitung kommt es an, in: Süddeutsche Zeitung, Im Gegensatz hierzu Thomas Speckmann: Freund oder Feind der Demokratie, in: Die Welt, , S. 34. Müller. 3 Die Kritik fällt leicht, wenn allein eine Chronik oder eine Namens- oder Literatur liste mehr Platz als die von Wolfgang Krieger geschriebenen 368 Seiten beanspruchen. Eine Auswahl ist folglich zwingend. Eine umfassende Geschichte der Geheimdienste ist nicht von einem akademischen Alleinunternehmer wie Wolfgang Krieger machbar, trotz seiner Ver netzung in der nationalen wie internationalen Forscher- und Selbstorganisationsszene, sondern lediglich in einem komplexen, arbeitsteiligen und international ausgelegten Forschungszusammenhang. Wer das in Rechnung stellt, muss anerkennen: Wolfgang Krieger ist eine Geschichte der Geheimdienste gelungen, die den Rahmen journalistischer Recherche weit hinter sich lässt und in die akademische Sphäre vorstößt. Das ist im deutschsprachigen Raum durchaus etwas Neues und auch lobenswert. Das Hauptaugenmerk legt Wolfgang Krieger auf die Auslandsnachrichtendienste, die üblicherweise einen größeren Charme aufweisen als die Inlandsdienste. Da sich der Autor für eine solche Arbeit naturgemäß kaum allein auf eigene empirische Forschung stützen kann, ist er auf solide Analysen anderer angewiesen, wobei Wolfgang Krieger ein besonderes Vertrauen englischsprachigen Autoren schenkt. Mithin finden jüngere, empirisch wesentlich sorgfältiger ausgerichtete Arbeiten aus Europa, auch Osteuropa und Russland, wenig Resonanz. Meines Erachtens wird die Bedeutung britischer und amerikanischer Autoren in der Geheimdienstforschung überschätzt. Wann beginnt die Geschichte der Geheimdienste? Wolfgang Krieger erwähnt flüchtig die Pharaonen, setzt aber mit Alexan der dem Großen ein, den er eingangs des Kapitels der politischen Vor- 3 Vgl. Paul Maddrell, in: Sehepunkte 10(2010)6; Tim Müller, in: h-soz-u-kult,

77 Horch und Guck 4/2010 Heft moderne (S ) anführt, um dann die Etappen abzuarbeiten: Rom, Byzanz usw., um mit China zu enden. Dabei stützt er sich mit einigem Recht wesentlich auf das bahn brechende, punktuell überdehnte Alterswerk von Francis Dvornik ( ) Origins of Intelligence Services. The ancient Near East, Persia, Greece, Rome, Byzantium, the Arab Muslim Empires, the Mongol Empire, China, Muscovy (1974). Über die Reihenfolge kann gestritten werden, denn soweit die Überlieferungen reichen ist der wichtigste Theoretiker der chinesische Militär Sunzi, unter dessen Namen eine Spionagetheorie zusammengesetzt ist, die über Jahrhunderte Militärstrategen inspiriert hat, also weit vor Clausewitz. Ihm wird unstreitig der erste Rang einzuräumen sein, er erhält deshalb bei Wolfgang Krieger einen angemessenen Raum (S ). Für das dritte Kapitel, das wesentlich die Jahrhunderte von 1000 bis 1700 und dort vor allem Frankreich, England und Amerika im Auge hat und den queren Titel Neue Gegner: religiöse, revolutionäre, konter revolutionäre und nationale Kräfte (S ) trägt, erfolgt ein mächtiger historischer Sprung. Krieger stützt sich überwiegend auf die Untersuchungen von Lucien Bély (1990), wobei er berechtigt den französischen Minister Joseph Fouché besonders hervorhebt und vor allem auf die Biographie von Louis Madelin abstellt. Warum beispielsweise aber die spanische Spionage oder die des Vatikans so randständig wirkt, bleibt unverständlich. An Literatur mangelt es nicht: Die Arbeiten von Ludwig Pastor ( Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters. Mit Benutzung des Päpstlichen Geheim-Archives und vieler anderer Archive aus dem Jahre 1961) hätten ebenso Anregungen bieten können wie zu Spanien die von Frank Onusseit (2002). Großmächtepolitik und Revolutionsfurcht ist Gegenstand des vierten Kapitels (S ), das eine erkennbare Professionalisierung der Geheim- wie der Inlandsdienste zeigt. Freilich war Österreich mit seinem 1850 gegründeten Evidenz bureau anderen europäischen Staaten voraus (S. 125), wobei die Betriebsunfälle des österreichischen Obristen Alfred Redl, der für Russland arbeitete (S ), und des französischen Hauptmanns Alfred Dreyfus, der angeblich für Deutschland gearbeitet hat (S ), exemplarisch stehen. Mit dem 20. Jahrhundert dominiert bei Wolfgang Krieger als Referenzperson der britische Kollege Christopher Andrew, dessen Her Majesty s Secret Service. The Making of the British Intelligence Community (1978) in diesem Kapitel den Leit faden vorgibt, womit die anglophile Deutung der Spionagewelt Zug um Zug mehr Raum einnimmt. Im sechsten Kapitel wird das Werden und Wachsen der sowjetischen, der amerikanischen, britischen und deutschen Spionage ausgebreitet, freilich auch die Rolle der anfangs maßgebenden Person, Feliks Dzierżyński ( ), der uns wesentlich über die atemberaubend wichtigen Bände von Christopher Andrew und Vasili Mitrokhin ( The Mitrokhin Archive von 1999, The World was Going Our Way von 2005, die auch in deutscher Über setzung vorliegen) wie auch im Weiteren über den KGB nähergebracht wird. Der Krieg der Geheimdienste im Kalten Krieg (S ) bildet das siebte Kapitel, das die Jahre nach dem 2. Weltkrieg nachzeichnet. Im Mittelpunkt stehen verständlicherweise die sowjetischen, amerikanischen, französischen und britischen Dienste. Dem Bundesnachrichtendienst sind immerhin zehn Seiten gewidmet (S ), wobei allein in diesem Kapitel Primärquellen beigezogen werden. Dass aber in diesen Ausführungen der gediegene Forschungsstand von Erich Schmidt-Eenboom unbeachtet bleibt, muss als problematisch angesehen werden. Ein ähnliches Defizit zeigt sich bei der Dar stellung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), das auf etwas über einer Seite dargestellt wird (S. 255 f.). Das MfS ist sicherlich nur eine Seite in der Geschichte der Geheimdienste, aber eine so kleine nun auch wieder nicht. Immerhin verfügte dieser Apparat über hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter, darunter Personen wie der Kanzleramts referent Günter Guillaume ( Hansen ) oder der Nato-Spion Rainer Rupp ( Topas ), die im kollektiven Gedächtnis heute durchaus noch erinnert werden. Dass aber unbestrittene Standardwerke ausgeblendet, stattdessen marginale Aufsätze zitiert werden, ist ein Menetekel: Es fehlt Jens Giesekes Mielke-Konzern, Walter Süß Staatssicherheit am Ende oder von Hubertus Knabe Die unterwanderte Republik. Was da und dort zu kurz gekommen ist, versammelt Wolfgang Krieger im achten Kapitel Verdeckte Operationen, Spionage und Analyse (S ), um im abschließenden Kapitel Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen bei den Geheimdiensten und die begrenzten Möglichkeiten der politischen Kontrolle (S ) ein Fazit zu ziehen, das überraschend mit der Frage eröffnet: Wie gefährlich sind die Geheimdienste für die Demokratie? (S. 323) Er stößt dabei auf ein schwer zu lösendes Problem (S. 328), das Problem der Kontrolle und kommt zur Schlussfolgerung, wonach die geheimdienstliche Tätigkeit immer eine ethische und politische Herausforderung der besonderen Art bleiben wird (S. 340). Trotz mitunter gravierender Schwächen die sicherlich in einer überarbeiteten Auflage auszubessern sind hat Wolfgang Krieger es vermocht, seit Jahrzehnten wieder in Deutschland eine Geschichte der Geheimdienste vorzulegen. Das ist eine mutige und trotz der Berücksichtigung vielfältiger Klippen kaum unbeanstandbar zu erbringende Leistung. Gleichwohl erlaubt Wolfgang Krieger mit einer süffig zu lesenden, mitunter pointierten Darstellungskraft, ein breites Publikum für ein Thema anzusprechen, das sich oftmals auf kaum gediegen ausgearbeitete Literatur stützen muss. Dass sich mitunter das Fachpublikum bei der Lektüre dennoch schwer tut, wird Wolfgang Krieger erwartet haben. HME Dr. Helmut Müller-Enbergs, geb l960, ist Honorarprofessor am Zentrum für Kalte-Kriege-Studien der Syddansk Universität (Dänemark) und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Forschungsabteilung der Stasi-Unterlagenbehörde. w w w. h o r c h - u n d - g u c k - i n f o

78 76 R E Z E N S I O N E N Die eisige Naht Friederike Reininghaus Die eisige Naht Achim Walther: Die eisige Naht. Die innerdeutsche Grenze bei Hötensleben, Offleben und Schöningen 1952 bis Mitteldeutscher Verlag, Seiten. 14,90 EUR. ISBN Wo liegt Hötensleben? Heute würde man sagen: In der Nähe von Helmstedt. Vor zwanzig Jahren dagegen hätte man die Lage der Kleinstadt wohl noch irgendwo in der weiteren Umgebung von Oschersleben verortet. Über Hötensleben, auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhangs also, schlugen am Samstag, den 7. Juni 1952, die Wellen weit entfernt getroffener Entscheidungen zusammen, Helmstedt im Westen war mit einem Schlag schier unerreichbar. Was damals an der deutsch-deutschen Grenze geschah, wühlte etwa Harry P. derart auf, dass er noch Jahre später mit großem Zorn darüber berichten konnte: Vier Volkspolizisten waren im Haus des Schuhmachers erschienen und überbrachten den Befehl, dass die Familie bis 10 Uhr ihre Wohnung zu verlassen hätte. Kurz darauf sollte sie ein Zug aus der Stadt bringen; der Zielort war ihnen unbekannt. Die Familie weigerte sich, Harry P. unternahm einen halbherzigen Fluchtversuch, doch nach wenigen Metern hatten sie ihn gefangen, packten ihn am Kragen und brachten ihn nach Hause, wo drei der Volkspolizisten in seiner Küche saßen und ihm drastische Maßnahmen androhten, sollte er nicht bald das Haus verlassen. Im ganzen Ort herrschte allgemeine Panik, auch andere Bewohner wurden aus ihren Häusern getrieben, keiner wusste warum. Dazu kamen noch andere merkwürdige Aufforderungen. Clemens, der Sohn der Familie P., etwa sollte unterschreiben, dass er vom Westen aus beschossen worden sei. Als er sich weigerte, wurde dies als Widerstand gegen die Staatsgewalt gedeutet. Einer Verhaftung entging er nur, da er seinen Vater bei der anstehenden Räumung des Hauses vertreten musste. Harry P. lag inzwischen nach einer Herzattacke danieder. Gegen vier Uhr nachmittags war der Hausrat dann eingepackt, die Familie wurde von der Polizei zum Bahnhof eskortiert: Hunderte Hötensleber standen mit Tränen in den Augen am Bahnhof, um still Abschied zu nehmen, erinnerte sich Harry P. später. Was da überfallartig über die Hötensleber hereinbrach, hieß im SED-Jargon Aktion Ungeziefer. Zwischen Mai und Juni 1952 wurden tausende politisch unzuverlässige Bürger zwangsweise von der innerdeutschen Grenze ins Landesinnere umgesiedelt. Wer als unzuverlässig galt, war oft der reinen Willkür anheimgegeben. Allein in Hötensleben mussten 167 Menschen innerhalb eines Tages Haus und Hof verlassen. Achim Walther legt in seiner nun erschienenen Darstellung Die eisige Naht viel Wert auf die Schilderung von Einzelschicksalen und Begebenheiten wie das der Familie P. In diesem Fall verdeut licht der Autor sehr anschaulich die Auswirkungen jener Blitzaktion, in der Ende Mai 1952 die DDR die bis dahin noch relativ durchlässige Grenze zur Bundesrepublik abriegelte. Walther, einst selbst Bewohner des Grenzgebietes und heute Vorsitzender des Grenzdenkmalvereins e.v. in Hötensleben, sieht darin den Beginn des Ausbaus der innerdeutschen Grenze zur nahezu hermetisch abgeriegelten Grenzfestung mit Selbstschussanlagen, Minen und scharfen Hunden. Im ersten Teil des Buches beschreibt Walther die Situation an der Grenze, wie sie sich in der gesamten DDR darstellte und stellt die Auswirkungen der meist in Moskau gefällten Entscheidungen dar. Um die Entwicklung der innerdeutschen Grenze nachzuzeichnen greift der Autor dabei vor allem auf einen umfangreichen Schatz an Archivunterlagen und Zeitzeugenerinnerungen zurück und strickt damit einen eng gewobenen Teppich, den er in zwei Perioden einteilt. Die erste Periode setzt er von 1952 bis 1961, also von der Zeit, in der sich solche dramatischen Szenen abgespielt haben, die mit menschenverachtenden Namen wie Aktion Ungeziefer bedacht wurden, und die sich über die Ereignisse des niedergeschlagenen Volksaufstands vom 17. Juni 1953 oder die Berlinkrise 1958 bis hin zum Bau der Berliner Mauer fortsetzt. Die zweite Periode datiert von 1961 bis zum Fall der Mauer im November Wir erfahren viel Detailreiches über den Grenzausbau, den Propagandakrieg rund um den antifaschistischen Schutzwall, die Grenztruppen, deren freiwillige Hilfskräfte und auch über die Staatssicherheit, die die Grenzsoldaten kontrollierte und akribisch

79 Horch und Guck 4/2010 Heft jeden Grenzzwischenfall untersuchte. Mit Grafiken und Skizzen wird der Einsatz von Bodenminen und Selbstschussanlagen (SM70) dokumentiert. Ein Erprobungsbericht vom 17. August 1971 zum Test der neuen Splittermine 1970 stellte fest: Die Splitterwirkung an den beschossenen Wildarten: Reh-, Schwarz- und Federwild lässt den sicheren Schluss zu, dass durch SM70 geschädigte Grenzverletzer tödliche bzw. so schwere Verletzungen aufweisen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, den Sperrzaun zu überwinden. Dabei sei die Splittermine keine DDR-Erfindung gewesen, sondern ging Recherchen des Berliner Journalisten Georg Bensch zufolge auf eine Idee des SS-Obersturmbannführers Erich Lutter zurück. Die SS wollte mit der Mine die Umzäunungen der Konzentrationslager verstärken und Fluchten verhindern. Der zweite, weitaus umfangreichere Teil des Buchs beschäftigt sich direkt mit dem Raum Hötensleben. Neben detaillierten Beschreibungen der Grenzanlagen hat Achim Walther eine überwältigende Fülle an Geschichten aus dem Leben an der Grenze zusammengetragen. Einen Schwerpunkt bilden die Fluchten und Fluchtversuche. Insgesamt nennt Walther die Zahl von 508 Grenzereignissen zwischen 1952 und 1989, darunter 332 Festnahmen von Flüchtlingen und 146 geglückte Fluchten in dem 19 Kilometer langen Abschnitt, auch wenn die Dokumentation vermutlich längst nicht alle Zwischenfälle verzeichnet, wie der Chronist selbst angibt. Die meisten dieser Zwischenfälle endeten tragisch, dennoch war die eisige Naht auch ein Ort, an dem sich Begegnungen zwischen Ost und West abspielten, fast immer heimlich und fast immer nur in Form kleiner menschlichen Gesten: Begegnungen zwischen Ost-Grenzern und Beamten des Bundesgrenzschutzes oder auch romantische Geschichten wie die des Grenzsoldaten Kurt Reuter, der vom Grenzturm aus die 18jährige Westdeutsche Elke Heyer kennenlernt, ihr dann Briefe schreibt und auf Grund dessen strafversetzt wird. 39 Jahre später treffen sich beide dann zufällig wieder. Walther hat dies alles minutiös aufgezeichnet. Zumindest das letzte dokumentierte Grenzereignis im Raum Hötensleben, das am 6. Juni 1989 seinen Lauf nahm, endete jedoch glimpflich. Am späten Abend war der Alarm am Signalzaun ausgelöst worden, die alarmierten Grenztruppen stellten dann umgehend fest, dass der Täter offenbar schnell von seinem Vorhaben, aus der DDR fliehen zu wollen, abgelassen hatte. Ein Fährtenhund verfolgte die Spur bis zurück in den Ort, verlor sie aber dort. Am Mittag des folgenden Tages wurde der Alarm aufgehoben, da der Grenzsignal- und Sperrzaun offenbar nicht überstiegen worden war und der Kontrollstreifen wies keine Spuren auf. Am 19. November wurde dann auch in Hötensleben die einst unüberwindbar scheinende Grenzanlage geöffnet. Selbst zu Fuß konnte Helmstedt auf der anderen Seite mühelos erreicht werden, alsbald wurden auch hier Teile der ehemaligen Grenzbefestigung unter Denkmalschutz gestellt. Aber wir erfahren auch viel Unspektakuläres aus dem Grenzalltag. Es dauerte z.b. rund anderthalb Jahre, ehe sich 1972 die NVA, der Kreis Oschersleben und die LPG Hötensleben auf den Abriss eines Schweinestalles in unmittelbarer Grenznähe geeinigt hatten. Nur zu gern hätten Kreis und LPG den Abriss verhindert, weil sie die hohen Kosten der Produktionsverlagerung scheuten. Ursprünglich hatte Walther von der damaligen Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen in Sachsen-Anhalt Mitte der neunziger Jahre den Auftrag erhalten, eine Broschüre im Umfang von 64 Seiten über die Geschichte der innerdeutschen Grenze bei Hötensleben zu verfassen. Daraus sind am Ende zwei Bände geworden, allein der nun vorliegende zweite Band umfasst 480 eng bedruckte Seiten. Es ist eine mehr als ausführliche Regionalstudie entstanden, die verdeutlicht, was in anderen Geschichtswerken über die deutsche Teilung meist nur als Fußnote oder aber am Beispiel Berlins nähere Erläuterung findet: Die konkrete Auswirkung der Grenze auf die örtliche Bevölkerung. Eine derart umfangreiche Studie, wie sie Achim Walther nun vorgelegt hat, bringt es fast zwangläufig mit sich, dass ihre Leser bisweilen etwas orientierungslos im Grenzgebiet umherirren und sich nach der führenden Hand des Historikers sehnen, die ihn durch die Zeit und den Raum führt. Denn über den Alltag an der Grenze wird hier zwar ebenso facettenreich wie eindrücklich Zeugnis abgelegt, die ordnende Hand des Geschichtsschreibers mag dies jedoch nicht zu ersetzen. An mancher Stelle hätte man daher getrost etwas an der beeindruckenden Detailtreue der Darstellung sparen können, wenn stattdessen eine Zusammenfassung der Geschehnisse oder eine Einordnung in den großen politischen Zusammenhang zu finden wäre und Ergebnisse und Folgen einzelner Ereignisse deutlicher herausgearbeitet worden wären. So verzichtet der Autor am Ende auch auf ein Resümee der fast vierzigjährigen, schmerzvollen Geschichte der Grenzanlage, der die Region doch zweifellos nachhaltig geprägt hat und beschränkt sich auf eine nüchterne Dokumentation. Dennoch, Achim Walthers außerordentliche Fleißarbeit hat sich gelohnt. Die vielen zusammengetragenen Informationen werden ergänzt durch eine Fülle von Karten, Grafiken und Zeichnungen, die die Grenzanlagen und den Grenzverlauf illustrieren. Viele bislang unveröffentlichte Bilder von Zeitzeugen, Einwohnern und Archiven machen die Lektüre anschaulich. Die Leser aus der ehemaligen Grenzregion Hötensleben dürfen sich über einen überaus gelungenen Beitrag zu ihrer Heimatgeschichte freuen. Durch das viele wertvolle Quellenmaterial empfiehlt sich die Die eisige Naht auch als Fundgrube für Geschichtslehrer, die im Unterricht an konkreten Beispielen den unmenschlichen Charakter der Grenzanlagen veranschaulichen wollen. Darüber hinaus ist das Buch allen geschichtsinteressierten Lesern zu empfehlen, die Zeitgeschichte lebendig und emotional berührend lesen wollen. Friederike Reininghaus, FR geb. l983 in Weimar, Freie Autorin u.a. für die Monatszeitung "Jüdische Zeitung", Studium Jüdische Studien und Literaturwissenschaften in Potsdam; seit 20l0 Projektmitarbeiterin und Beraterin im Bürgerbüro e.v., Berlin.

80 78 S E R V I C E Neuerscheinungen Neuerscheinungen Bärs, Kathleen: Uniformierte Jugend. Ein Vergleich der Jugendorganisationen des Dritten Reiches und der DDR. München/Ravensburg: Grin Verlag, S. 44,90. ISBN Behnke, Klaus / Fuchs, Jürgen (Hg.): Zersetzung der Seele. Psychologie und Psychiatrie im Dienste der Stasi. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, S. 22,00. ISBN Bernhardt, Martin: Das Maß allen Lebens ist die Axt sagt der Baum. Gedichte. Berlin: Verlag Lutz Wohlrab, S. 10,00. Buchner, Richard: Todfeinde Komplizen Kriegsbrandstifter. Der Hitler-Stalin-Pakt und die Folgen. Leipzig: Universitätsverlag, S. 22,00. ISBN Buikis, Manfred: Die Verbrechen der Stasi an uns. Berlin: Deutsche Literaturgesellschaft, 2010, 72 S. 9,80. ISBN Burghardt, Petra: Neue Geschichten von drüben. Norderstedt: Books on Demand, S. 14,95. ISBN Christ, Karsten / Franz, Hartmut / Offhauß,Diethelm: Hoffnung beginnt mit der Erinnerung. Rudolstadt im Herbst S. 10,00. Rudolstadt: Selbstverlag, (Dr. Hartmut Franz, Vorwerksgasse 11, Rudolstadt) Diedrich, Torsten / Süß, Walter: Militär und Staatssicherheit im Sicherheitskonzept der Warschauer- Pakt-Staaten. Berlin: Ch. Links, S. 34,90. ISBN Freitag, Jürgen / Hensel, Hannes: Honeckers geheimer Bunker Geheimnisse und Geschichte(n) des modernsten Bunkers der DDR. Stuttgart: Motorbuch, S. 29,90. ISBN Gillen, Eckhart: Feindliche Brüder. Der Kalte Krieg und die deutsche Kunst Berlin: Nicolai, S. 39,95. ISBN (auch: Bundeszentrale für politische Bildung, 7.) Heye, Uwe-Karsten: Wir wollten ein anderes Land. Eine Familiengeschichte aus der DDR. München: Droemer Knaur, S. 19,95. ISBN Hoppe, Christine: Rechtsextremismus in der DDR. München/Ravensburg: Grin Verlag, S. 12,99. ISBN Jesse, Eckhard / Schubert, Thomas (Hg.): Konfrontation und Konzession. Friedliche Revolution und deutsche Einheit in Sachsen. Berlin: Ch. Links, S ISBN Krüger, Manfred: Aufbruch in ein neues Leben. Meine Flucht in die Freiheit. Gelnhausen: Wagner, S. 7,80. ISBN Liebermann, Doris (Hg.): Jürgen Fuchs. Das Ende einer Feigheit. Mit einer Einführung von Herta Müller und einem Lied von Wolf Biermann. Hörbuch. Hamburg: Hörbuch Hamburg HHV, CDs, 151 Minuten mit 44 Tracks. 14,95. ISBN Mayer, Thomas: Helden der Deutschen Einheit. 20 Porträts von Wegbereitern aus Sachsen. Hrsg. vom Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und dem Archiv Bürgerbewegung Leipzig. Leipzig: EVA, S. 14,80. ISBN Melchior Karsten: Handbuch des gemeinen DDR-Witzes. Bremen: Europäischer Hochschulverlag, S. 19,90. ISBN Moldt, Dirk: Nein, das mache ich nicht! Selbstbestimmte Arbeitsbiographien in der DDR. Berlin: Ch. Links, S. 29,90. ISBN Nadolny, Sten / Sparschuh, Jens: Putz- und Flickstunde. Zwei kalte Krieger erinnern sich. München: Piper, S. 8,95. ISBN Naimark, Norman M.: Stalin und der Genozid. Aus dem Amerikanischen von Kurt Baudisch. Berlin: Suhrkamp, S. 16,90. ISBN Ott, Martin: Unkontrollierte, verborgene Macht. Die unheilvolle Allianz aus Staatssicherheit (Militärabwehr), Politabteilung und Parteikontrollkommission in der 3. Raketenbrigade der Nationalen Volksarmee. Halle (Saale): Projekte Verlag 188, S. 29,50. ISBN Pfeiffer, Ingo: Fahnenflucht zur See. Die Volksmarine im Visier des MfS. Berlin: Homilius S. 19,90. ISBN Pflugbeil, Sebastian (Hg.): Aufrecht im Gegenwind. Kinder von 89ern erinnern sich. Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi- Unterlagen, Bd. 9. Leipzig: EVA, S. 14,80. ISBN Plogstedt, Sibylle: Knastmauke. Das Schicksal von politischen Häftlingen der DDR nach der deutschen Wiedervereinigung. Gießen: Psychosozial-Verlag, S. 32,90. ISBN

81 Horch und Guck 4/2010 Heft Rabe, Harald: Schießen Sie doch vorbei! Erzählung. Gelnhausen: Wagner, S. 8,90. ISBN Raufeisen, Thomas: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei. Eine deutsche Tragödie. Freiburg: Herder, S. 14,95. ISBN Sacher, Manfred: In den Klauen der Stasi. Roman. Leipzig: Engelsdorfer Verlag, S. 12,00. ISBN Schädlich, Hans Joachim: Kokoschkins Reise. Roman. Reinbek: Rowohlt, S. 17,95. ISBN Schalamow, Warlam: Künstler der Schaufel. Erzählungen aus Kolyma. Bd. 3. Berlin: Matthes & Seitz, S. 29,90. ISBN Schmitz, Walter / Bernig, Jörg (Hg.): Deutsch-deutsches Literaturexil. Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der DDR in der Bundesrepublik. Dresden: Thelem Universitätsverlag, S. 59,00. ISBN Simon, Annette: Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin. Versuch über ostdeutsche Identitäten. Gießen: Psychosozial-Verlag, S. 19,90. ISBN Stiller, Werner: Der Agent. Mein Leben in drei Geheimdiensten. Berlin: Ch. Links, S. 19,90. ISBN Stude, Sebastian: Aufbruch in der brandenburgischen Provinz. Die friedliche Revolution 1989/90 in Pritzwalk. Ereignisse, Interviews und Dokumente. Pritzwalk: Gesellschaft für Heimatgeschichte Pritzwalk und Umgebung e.v. / Stadt- und Brauereimuseum Pritzwalk. 333 S. 9,80. ISBN Tannhoff, Peter: Sprutz. In den Fängen der NVA. 8. Aufl. Kiel: Ludwig, S. 13,90. ISBN Wagner, Patrick (Hg.): Schritte zur Freiheit. Die friedliche Revolution 1989/90 in Halle an der Saale. Halle/S.: mdv S. 25,00. ISBN Willmann, Frank / Luther, Jörn: Eisern Union. 2. überarbeitete und stark erweiterte Auflage. Berlin: BasisDruck, S. 24,80. ISBN A N Z E I G E JAHRBUCH FÜR HISTORISCHE KOMMUNISMUSFORSCHUNG Aus dem Inhalt Gerhard Wettig: Stalin und die kommunistischen Parteien in Westeuropa Barbara Stelzl-Marx: Ideologie, Kontrolle, Repression. Als sowjetischer Besatzungssoldat im Westen Vaios Kalogrias: Die KP Griechenlands und der Bürgerkrieg Charlotta Brylla: Die schwedische kommunistische Partei und der Eurokommunismus Gerrit Voerman: Vom Maoismus zur Sozialdemokratie. Über die Anpassungsfähigkeit der Sozialistischen Partei in den Niederlanden Victor Zaslavsky: Die Finanzierung der Kommunistischen Partei Italiens durch die Sowjetunion Michael Mayer:»Machterschleichung auf Filzpantoffeln«. Die Bundesrepublik, die DDR und die mögliche Regierungsbeteiligung der kommunistischen Parteien in Frankreich und Italien in den Siebzigerjahren Heike Amos / Manfred Wilke: Die Deutschlandpolitik der SED und ihre»bürgerlichen Bündnispartner«in der Bundesrepublik Marcel Bois / Florian Wilde: Ein kleiner Boom. Entwicklungen und Tendenzen der KPD-Forschung seit 1989/90 Alexander Vatlin: Die unvollendete Vergangenheit. Über den Umgang mit der kommunistischen Geschichte im heutigen Russland Peter Huber: Überlebenschancen in den Chefetagen der Komintern Helmut Müller-Enbergs: Markus Wolf versus United States of America. Die Amerika-Abteilung des Ministeriums für Staatssicherheit Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2010 Herausgegeben von Ulrich Mählert, Bernhard H. Bayerlein, Horst Dähn, Bernd Faulenbach, Ehrhart Neubert, Peter Steinbach, Stefan Troebst, Manfred Wilke im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufar - beitung der SED-Diktatur. Aufbau-Verlag Berlin, 448 Seiten, 38,00 ISSN X ISBN Im JHK 2010 erscheinen 23 Beiträge sowie The Inter national Newsletter of Communist Studies mit Informationen über Forschungs- und Dokumentationsprojekte, thematisch einschlägige Internet ressourcen und Rezensionen.

82 FundstückE Die Abteilung Landwirtschaft der SED-Bezirksleitung Halle muss dem 1. Sekretär in einem Bericht über die Versorgungslage mit Frischgemüse gestehen, dass die Lagerhäuser leer sind. Obwohl doch nach Plan im Jahr 1988 viel mehr produziert wurde, ist nun, Anfang 1989, nur noch die Hälfte da. Verwundert beschließen die Genossen entschlossene Maßnahmen: z.b. Regelmäßige Kontrolle und Vorverlegung der Pflanztermine. Den Rest mögen bitte die Kreise in Eigenverantwortung erledigen. Quelle: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Merseburg, P 516 SED-Bezirksleitung Halle, Nr. IV/F-2/7/286, Bl

83 DIE DIKTATUR IN DER PROVINZ Nahaufnahmen der SED-Herrschaft Foto: Dietmar Riemann, WAS WAR DIE DDR? Terror und Zwang allerorten oder im Alltag eine herrschaftsfreie Idylle? Trotz vielfältiger Forschungen dominieren auch heute noch vereinfachende Sichtweisen. Wie aber funktionierte die Diktatur im Alltag und fernab der Machtzentren? Dieser Frage gehen neue Forschungsprojekte nach, die regional-, lokaloder mikrohistorisch angelegt sind. Dabei treten Anpassung und Mitläufertum auf breiter Front zu Tage, gleichzeitig aber auch permanente Unzufriedenheit der übergroßen Mehrheit. Doch es gibt auch eigen sinniges Verhalten, meist jedoch nur bis zu einer unsichtbaren Grenze, die die Machthaber mit ihrer Sanktionspraxis definierten. Bei der Tagung werden Wissenschaftler ihre neuen Ergebnisse präsentieren und zur Diskussion stellen. Doch auch deren Vermittlung in Schule, politischer Bildung und in den Medien soll einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Eine Tagung der Evangelischen Akademie Thüringen und der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU), Abt. Bildung und Forschung vom 17. bis 19. Februar 2011 im Zinzendorfhaus Neudietendorf AUSZUG AUS DEM PROGRAMM: 17. FEBRUAR 2011, UHR BIS 19. FEBRUAR 2011, UHR Diktatur der Grenzen. Die Beschränkung von Handlungsräumen als Kernelement der DDR-Herrschaftspraxis Prof. Dr. Thomas Lindenberger, Ludwig-Boltzmann-Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit, Wien Die Kontrolle des Territoriums (Vorträge und Diskussion) Flächendeckende Überwachung? Die Rolle der MfS-Kreisdienststellen bei der Kontrolle und Disziplinierung der Gesellschaft Dr. Roger Engelmann, BStU, Berlin Alltäglicher Ausnahmezustand Das Grenzgebiet als Raum besonderer sicherheitspolizeilicher und sozialer Kontrolle Prof. Dr. Daniela Münkel, BStU, Berlin/ Leibniz-Universität Hannover Der SED-Bezirkschef und seine Tschekisten Zur Rolle des MfS im regionalen Herrschaftskontext Gunter Gerick, M.A., TU Chemnitz Stabilität und Krise (Vorträge und Diskussion) Die führende Rolle Zur Funktion des lokalen SED-Parteiappa rates bei der Stabilisierung der Herrschaft Andrea Bahr, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam Aufgekündigte Loyalitäten Normale DDR-Bürger als Ausreiseantragsteller Dr. Renate Hürtgen, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam Gesellschaftlicher Eigensinn im Konflikt mit der Macht (Vorträge und Diskussion) Identitätsfindung als Konfliktquelle Jugendliche Subkulturen in Thüringen Dr. Peter Wurschi, Stiftung Ettersberg, Weimar Wie viel Originalität verträgt der Sozialismus? Ein Kulturkonflikt im Bezirk Gera Dr. Matthias Braun, BStU, Berlin Mein Freund, der Feind, ist tot Konzert und Lesung Stephan Krawczyk, Berlin Gefördert von der Die richtige Geschichte der DDR Prof. Dr. Saskia Handro, Institut für Didaktik der Geschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Differenzierung und Vermittlung. DDR-Geschichte in Schule, politischer Bildung und den Medien (Podiumsgespräch) Prof. Dr. Saskia Handro, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Dr. Axel Janowitz, BStU, Abt. Bildung und Forschung, Berlin Dr. Ehrhart Neubert, Theologe und Soziologe, Erfurt Dr. Jan Schönfelder, Journalist und Historiker, Erfurt Leitung Johannes Beleites, Evangelische Akademie Thüringen Dr. Roger Engelmann, BStU Anmeldung und Informationen Julia Büchner Evangelische Akademie Thüringen Zinzendorfplatz 3, Neudietendorf Tel.: Fax: Weitere Informationen unter:

84 Mit Liebe zur Uniform auch schon vor Gründung der NVA. Mitgliederwerbung der FDJ. Quelle: Bundesarchiv, Plak

Die Nationale Volksarmee: Fremdbestimmt von Anfang an

Die Nationale Volksarmee: Fremdbestimmt von Anfang an 63 L e b e n s w e l t N V A. D i e N a t i o n a l e V o l k s a r m e e : F r e m d b e s t i m m t v o n A n f a n g a n Peter Joachim Lapp Die Nationale Volksarmee: Fremdbestimmt von Anfang an Die

Mehr

Statut des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR

Statut des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR Konrad-Adenauer-Stiftung e.v. QUELLE Statut des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR I. Stellung und Hauptaufgaben des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR 1 (1) Das Ministerium für Staatssicherheit

Mehr

Wehrerziehung in der DDR

Wehrerziehung in der DDR Wehrerziehung in der DDR SUB Hamburg A/568140 Schleswig-Holsteinisches Institut für Friedcnswiosanschaften - SCHIFF - an der dvistian-albrec&yuniversität Kiel Kaiserstraße2 -E&4143 Kiel Tel. (04 31) 880-63

Mehr

Redebeitrag zum Thema Die Öffnung der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin und zur BRD am

Redebeitrag zum Thema Die Öffnung der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin und zur BRD am Fritz Streletz (Generaloberst a.d.) Redebeitrag zum Thema Die Öffnung der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin und zur BRD am 9.11.1989 Herbsttreffen der ehemaligen Angehörigen der GT der DDR am 23.10.2004

Mehr

Militär, Staat und Gesellschaft in der DDR

Militär, Staat und Gesellschaft in der DDR Militär, Staat und Gesellschaft in der DDR Forschungsfelder, Ergebnisse, Perspektiven Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Hans Ehlert und Matthias Rogg Ch. Links Verlag,

Mehr

Arbeitsblatt: Zion 86

Arbeitsblatt: Zion 86 Zion 86 Seite 1/9 Arbeitsblatt: Zion 86 1. 1985 bzw. 1986 beeinflussen zwei sehr unterschiedliche Ereignisse in der Sowjetunion die weitere Entwicklung in den Staaten des Ostblocks. a) Informieren Sie

Mehr

die Berliner Mauer die Geschichte zwei deutscher Staaten

die Berliner Mauer die Geschichte zwei deutscher Staaten die Berliner Mauer die Geschichte zwei deutscher Staaten DEUTSCHLAND NACH 1945 Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Deutschland von den Westalliierten und der Sowjetunion in 4 Zonen eingeteilt und Berlin in

Mehr

1982 Warum entstand die Mauer? Beschlüsse, die am beschlossen wurden

1982 Warum entstand die Mauer? Beschlüsse, die am beschlossen wurden 1982 Warum entstand die Mauer? Die schlechte wirtschaftliche Lage und die daraus resultierenden unzureichenden Lebensbedingungen führten zu Unzufriedenheit und Wut, sodass bis 1961 ca. 3 Millionen DDR-Bürger

Mehr

Die Zeit von in der Tschechoslowakischen Geschichte

Die Zeit von in der Tschechoslowakischen Geschichte Expertengruppe 2 Aus dem Archiv der Passauer Neuen Presse zur Situation an der bayerisch böhmischen Grenze, Artikel zum Zeitraum 1950-1967 Die Zeit von 1950-1967 in der Tschechoslowakischen Geschichte

Mehr

Grußwort des Herrn Landtagspräsidenten Dr. Matthias Rößler zum 25. Jahrestag der friedlichen Revolution am 09. Oktober 2014

Grußwort des Herrn Landtagspräsidenten Dr. Matthias Rößler zum 25. Jahrestag der friedlichen Revolution am 09. Oktober 2014 Grußwort des Herrn Landtagspräsidenten Dr. Matthias Rößler zum 25. Jahrestag der friedlichen Revolution am 09. Oktober 2014 (Anrede) der 9. Oktober 1989 war der Höhepunkt der friedlichen Revolution. Mehr

Mehr

Adenauers Außenpolitik

Adenauers Außenpolitik Haidar Mahmoud Abdelhadi Adenauers Außenpolitik Diplomica Verlag Haidar Mahmoud Abdelhadi Adenauers Außenpolitik ISBN: 978-3-8428-1980-1 Herstellung: Diplomica Verlag GmbH, Hamburg, 2012 Dieses Werk ist

Mehr

vitamin de DaF Arbeitsblatt - zum Geschichte

vitamin de DaF Arbeitsblatt - zum Geschichte 1. Die folgenden Fotos spiegeln einen Teil der deutschen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg wider. a) Schauen Sie sich die beiden Fotos an. Tauschen Sie sich zu folgenden Fragen aus: - Was ist auf den

Mehr

Der erste Runde Tisch stand 1989 in Warschau i[1]

Der erste Runde Tisch stand 1989 in Warschau i[1] Manfred Wilke Der erste Runde Tisch stand 1989 in Warschau i[1] Die ökonomische und politische Krise der Volksrepublik veranlasste General Jaruzelski, einen Ausweg mit Hilfe der von ihm 1981 unterdrückten

Mehr

Die Wachmannschaften der Konzentrationslager

Die Wachmannschaften der Konzentrationslager Die Wachmannschaften der Konzentrationslager (SS-Totenkopfverbände) Entstehung und Entwicklung bis 1939 Mitte 1934 erhielt der Kommandant des KZ Dachau, Theodor Eicke, vom Reichsführer SS, Heinrich Himmler,

Mehr

Arbeitsblatt: Mauer 61

Arbeitsblatt: Mauer 61 Mauer 61 Seite 1/6 Arbeitsblatt: Mauer 61 1. Obwohl der damalige Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht noch am 15. Juni 1961 Pläne zur Grenzschließung mit den Worten Niemand hat die Absicht eine Mauer

Mehr

Von der Schule verwiesen Schülerprotest an der Berliner Carl-von-Ossietzky-Schule 1988

Von der Schule verwiesen Schülerprotest an der Berliner Carl-von-Ossietzky-Schule 1988 Von der Schule verwiesen Schülerprotest an der Berliner Carl-von-Ossietzky-Schule 1988 Arbeitsblatt 1 Die Tat Wegen ihrer Kritik an der Militärparade zum Gründungstag der DDR (7. Oktober) und einer Unterschriftensammlung

Mehr

Politik Wirtschaft Gesellschaft

Politik Wirtschaft Gesellschaft Inhaltsverzeichnis 28 Jahre Berliner Mauer Einstimmung 3 1. Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg 4 2. Der Kalte Krieg 6 3. Die Teilung Deutschlands 8 4. Das deutsche Wirtschaftswunder 10 5. Der Bau der

Mehr

Der Vorstand. Vorsitzender Oberst i.g. (im Generalstab) Manfred Kutz

Der Vorstand. Vorsitzender Oberst i.g. (im Generalstab) Manfred Kutz Der Vorstand Vorsitzender Oberst i.g. (im Generalstab) Manfred Kutz 0048 / 91 / 44 45-600 Oberst i.g. (im Generalstab) Manfred Kutz ist seit dem 27. April 2014 der Vorsitzende des Fernmeldering e.v. nachdem

Mehr

Selbstüberprüfung: Europa und die Welt im 19. Jahrhundert. 184

Selbstüberprüfung: Europa und die Welt im 19. Jahrhundert. 184 3 01 Europa und die Welt im 19 Jahrhundert 8 Orientierung: Vormärz und Revolution (1815 1848) 10 Entstehung, Entwicklung und Unterdrückung der liberal-nationalen Bewegung (1813/15 1848) 12 Training: Interpretation

Mehr

Das persönliche Kriegstagebuch über den. Polenfeldzug als Soldat in der. 4. Batterie des Artillerie Regiment 78. Feldpost Nummer: 18468

Das persönliche Kriegstagebuch über den. Polenfeldzug als Soldat in der. 4. Batterie des Artillerie Regiment 78. Feldpost Nummer: 18468 Das persönliche Kriegstagebuch über den Polenfeldzug 1939 von Edgar Kölbel als Soldat in der 4. Batterie des Artillerie Regiment 78 Feldpost Nummer: 18468 Dieses Dokument wurden mir von seinem Enkel M.

Mehr

Vorbemerkung 7 Einleitung 8 Teil I 26 1 Biographische Skizzen Seeckt - Heusinger - Müller 26 2 Politische Ausgangslage zum jeweiligen Kriegsende 84 3 Militärische Ausganglage zum jeweiligen Kriegsende

Mehr

Zwischen Krieg und Hoffnung

Zwischen Krieg und Hoffnung Geschichte - Erinnerung - Politik 15 Zwischen Krieg und Hoffnung Internierung der 2. polnischen Infanterieschützen-Division in der Schweiz 1940 45 Bearbeitet von Miroslaw Matyja 1. Auflage 2016. Buch.

Mehr

Deutsche Streitkräfte

Deutsche Streitkräfte Deutsche Streitkräfte 1918 1933 Nach der Novemberrevolution gab es eine Vielzahl von militärischen Organisationen. Die offizielle deutsche Streitmacht war die sogenannte Reichswehr. Ihre Struktur wurde

Mehr

Europa zwischen Spaltung und Einigung 1945 bis 1993

Europa zwischen Spaltung und Einigung 1945 bis 1993 2008 AGI-Information Management Consultants May be used for personal purporses only or by libraries associated to dandelon.com network. Curt Gasteyger Europa zwischen Spaltung und Einigung 1945 bis 1993

Mehr

Staat und Politik

Staat und Politik 2. 2 - Staat und Politik - Grundlagen eines Staates - Staats- und Regierungsformen Grundlagen eines Staates - Fragenkatalog 1. Über welche drei gemeinsamen Merkmale verfügen alle Staaten? 2. Wie hoch war

Mehr

Die Wende. Revolution oder Implosion

Die Wende. Revolution oder Implosion Die Wende Revolution oder Implosion Gliederung 1. Die Wende Was ist das? 2. Meinungen von Zeitzeugen 3. Revolution / Konterrevolution a) Gegenüberstellung b) Zwischenfazit 4. Implosion a) Gegenüberstellung

Mehr

(Modulbild: 1972 LMZ-BW / Ebling, Ausschnitt aus LMZ603727)

(Modulbild: 1972 LMZ-BW / Ebling, Ausschnitt aus LMZ603727) Modulbeschreibung Schularten: Fächer: Zielgruppen: Autor: Zeitumfang: Werkrealschule/Hauptschule; Realschule; Gymnasium Fächerverbund Welt-Zeit-Gesellschaft (WRS/HS); Geschichte (RS); Geschichte (Gym);

Mehr

Militärgeschichte der DDR mehr als eine Fußnote?

Militärgeschichte der DDR mehr als eine Fußnote? Militärgeschichte der DDR mehr als eine Fußnote? Matthias Rogg In allen Phasen und annähernd allen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen der DDR haben die Stiefel der bewaffneten

Mehr

mentor Grundwissen: Geschichte bis zur 10. Klasse

mentor Grundwissen: Geschichte bis zur 10. Klasse mentor Grundwissen mentor Grundwissen: Geschichte bis zur 10. Klasse Alle wichtigen Themen von Bettina Marquis, Martina Stoyanoff-Odoy 1. Auflage mentor Grundwissen: Geschichte bis zur 10. Klasse Marquis

Mehr

Es war keinesfalls das Ende der Verluste. Die Einnahme von Schlüsselburg fiel mit heftigen Luftangriffen auf Leningrad selbst zusammen, bei welchen

Es war keinesfalls das Ende der Verluste. Die Einnahme von Schlüsselburg fiel mit heftigen Luftangriffen auf Leningrad selbst zusammen, bei welchen Es war keinesfalls das Ende der Verluste. Die Einnahme von Schlüsselburg fiel mit heftigen Luftangriffen auf Leningrad selbst zusammen, bei welchen unter anderem auch das größte Lebensmittellager der Stadt

Mehr

Arbeitsblatt: Revolution 89

Arbeitsblatt: Revolution 89 Revolution 89 Seite 1/10 Arbeitsblatt: Revolution 89 1. Seit der Gründung der DDR versucht die SED, ihrem Staat mit Schein-Wahlen einen demokratischen Anstrich zu geben. Wie bereits bei den Wahlen 1950

Mehr

BESTIMMUNGEN ÜBER DIE GEMEINSAME SICHERHEITS- UND VERTEIDIGUNGS- POLITIK

BESTIMMUNGEN ÜBER DIE GEMEINSAME SICHERHEITS- UND VERTEIDIGUNGS- POLITIK BESTIMMUNGEN ÜBER DIE GEMEINSAME SICHERHEITS- UND VERTEIDIGUNGS- POLITIK Artikel 42 (1) Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Mehr

[Statut des Ministeriums für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik]

[Statut des Ministeriums für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik] 30. Juli 1969 Statut des Ministeriums für Staatssicherheit Nachweis/Quelle: BStU, MfS, SdM 2619, Bl. 1 11. 11 S. (10 S. Statut [Kopie], 1 S. Beschluss NVR [Original]). Vermerke: [Auf NVR-Beschluss:] U/30.7.1969

Mehr

Die Europäische Union

Die Europäische Union Die Europäische Union Die Mitgliedsländer der Europäischen Union Im Jahr 1957 schlossen sich die sechs Länder Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und das Königreich der Niederlande unter

Mehr

Der Neorealismus von K.Waltz zur Erklärung der Geschehnisse des Kalten Krieges

Der Neorealismus von K.Waltz zur Erklärung der Geschehnisse des Kalten Krieges Politik Manuel Stein Der Neorealismus von K.Waltz zur Erklärung der Geschehnisse des Kalten Krieges Studienarbeit Inhalt 1. Einleitung 1 2. Der Neorealismus nach Kenneth Waltz 2 3. Der Kalte Krieg 4 3.1

Mehr

ich freue mich sehr, Sie alle zur traditionellen Feierstunde des Sächsischen Landtags aus Anlass des Tages der Deutschen Einheit begrüßen zu können.

ich freue mich sehr, Sie alle zur traditionellen Feierstunde des Sächsischen Landtags aus Anlass des Tages der Deutschen Einheit begrüßen zu können. Begrüßungsansprache des Landtagspräsidenten Dr. Matthias Rößler zum Festakt aus Anlass des Tages der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2009 im Sächsischen Landtag Sehr verehrter Herr Janusz Reiter, sehr

Mehr

KLAUS-ULRICH KEUBKE MANFRED KUNZ. Uniformen. der Nationalen Volksarmee der DDR AUFNAHMEN VON JEAN MOLITOR BRANDENBURGISCHES VERLAGSHAUS

KLAUS-ULRICH KEUBKE MANFRED KUNZ. Uniformen. der Nationalen Volksarmee der DDR AUFNAHMEN VON JEAN MOLITOR BRANDENBURGISCHES VERLAGSHAUS KLAUS-ULRICH KEUBKE MANFRED KUNZ Uniformen der Nationalen Volksarmee der DDR 19561986 AUFNAHMEN VON JEAN MOLITOR BRANDENBURGISCHES VERLAGSHAUS INHALT VORBEMERKUNG 9 KAPITEL 1 DIE UNIFORMIERUNG NATIONALER

Mehr

Die sowjetische Partisanenbewegung im Zweiten Weltkrieg

Die sowjetische Partisanenbewegung im Zweiten Weltkrieg Geschichte Markus Renner Die sowjetische Partisanenbewegung im Zweiten Weltkrieg Studienarbeit Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung S. 1 2. Die Schwierigkeiten beim Neuaufbau der Partisanenbewegung S. 4 2.1.

Mehr

Inhaltsverzeichnis. Vom Imperialismus in den Ersten Weltkrieg 10. Nach dem Ersten Weltkrieg: Neue Entwürfe für Staat und Gesellschaft

Inhaltsverzeichnis. Vom Imperialismus in den Ersten Weltkrieg 10. Nach dem Ersten Weltkrieg: Neue Entwürfe für Staat und Gesellschaft Inhaltsverzeichnis Vom Imperialismus in den Ersten Weltkrieg 10 Ein erster Blick: Imperialismus und Erster Weltkrieg 12 Der Imperialismus 14 Vom Kolonialismus zum Imperialismus 15 Warum erobern Großmächte

Mehr

Letzte Bücher aus der DDR Premieren & Bestseller 1989/90

Letzte Bücher aus der DDR Premieren & Bestseller 1989/90 I: 1989 Revolution im Leseland Wenige Monate vor ihrem politischen Ende durch den Mut vieler Bürgerinnen und Bürger in der Friedlichen Revolution 1989/90 präsentierte sich die DDR in der Bundesrepublik

Mehr

I Gesamtdarstellungen, Perioden und Ereignisse der DDR- Geschichte

I Gesamtdarstellungen, Perioden und Ereignisse der DDR- Geschichte Rainer Eppelmann / Bernd Faulenbach / Ulrich Mählert (Hg.): Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung. Paderborn: Schöningh 2003, XIII + 557 S., ISBN 3-506-70110-x, EUR 39,90. Abkürzungsverzeichnis Zum

Mehr

Die Fünfziger Jahre - Der Wiederaufbau in Deutschland

Die Fünfziger Jahre - Der Wiederaufbau in Deutschland Geisteswissenschaft Daniela Herbst Die Fünfziger Jahre - Der Wiederaufbau in Deutschland Studienarbeit Die Fünfziger Jahre. Der Wiederaufbau in Deutschland Seminararbeit von Daniela Herbst Inhaltsverzeichnis

Mehr

der die und in den von zu das mit sich des auf für ist im dem nicht ein eine als auch es an werden aus er hat daß sie nach wird bei

der die und in den von zu das mit sich des auf für ist im dem nicht ein eine als auch es an werden aus er hat daß sie nach wird bei der die und in den von zu das mit sich des auf für ist im dem nicht ein eine als auch es an werden aus er hat daß sie nach wird bei einer um am sind noch wie einem über einen so zum war haben nur oder

Mehr

1. Ordnen Sie die Ereignisse der deutschen Geschichte den Daten zu.

1. Ordnen Sie die Ereignisse der deutschen Geschichte den Daten zu. Hörverstehen 1. Ordnen Sie die Ereignisse der deutschen Geschichte den Daten zu. 1848 Reichsgründung 1871 Gründung von zwei deutschen Staaten (Teilung Deutschlands) 1918 Märzrevolution 1949 Wiedervereinigung

Mehr

Die Rechtsentwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik 1. ALLGEMEINE ENTWICKLUNG

Die Rechtsentwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik 1. ALLGEMEINE ENTWICKLUNG Die Rechtsentwicklung in der Dn Demokratischen Republik 1. ALLGEMEINE ENTWICKLUNG Gruppe Ulbricht wurde während des Krieges in der UdSSR geschult die DDR wurde am 7. Oktober gegründet Am 7. Oktober erklärtee

Mehr

STUDIEN ZUR INTERNATIONALEN POLITIK

STUDIEN ZUR INTERNATIONALEN POLITIK STUDIEN ZUR INTERNATIONALEN POLITIK Hamburg, Heft 2/2005 Steffen Handrick Das Kosovo und die internationale Gemeinschaft: Nation-building versus peace-building? IMPRESSUM Studien zur Internationalen Politik

Mehr

Tafelbilder NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg. 7 Tafelbilder für den Geschichtsunterricht VORSCHAU

Tafelbilder NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg. 7 Tafelbilder für den Geschichtsunterricht VORSCHAU Tafelbilder NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg 7 Tafelbilder für den Geschichtsunterricht Dieser Download ist ein Auszug aus dem Originaltitel Tafelbilder für den Geschichtsunterricht Teil 2: Vom Absolutismus

Mehr

Schautafel-Inhalte der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Bremen zur Nakba-Ausstellung

Schautafel-Inhalte der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Bremen zur Nakba-Ausstellung Schautafel-Inhalte der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Bremen zur Nakba-Ausstellung Die Nakba-Ausstellung will das Schicksal und das Leid der palästinensischen Bevölkerung dokumentieren. Wer ein Ende

Mehr

Sächsische Landeszentrale für politische Bildung

Sächsische Landeszentrale für politische Bildung 14 Sächsische Landeszentrale für politische Bildung Die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung ist eine Einrichtung des Freistaates Sachsen, die politische Bildungsarbeit auf überparteilicher

Mehr

Thema: Nationalismus, Nationalstaat und deutsche Identität im 20. Jahrhundert

Thema: Nationalismus, Nationalstaat und deutsche Identität im 20. Jahrhundert Qualifikationsphase 2: Unterrichtsvorhaben IV Thema: Nationalismus, Nationalstaat und deutsche Identität im 20. Jahrhundert I Übergeordnete Kompetenzen en ordnen historische Ereignisse, Personen, Prozesse

Mehr

Wirtschaftsschule: Geschichte/Sozialkunde 10 (dreistufige Wirtschaftsschule)

Wirtschaftsschule: Geschichte/Sozialkunde 10 (dreistufige Wirtschaftsschule) Fachlehrpläne Wirtschaftsschule: Geschichte/Sozialkunde 10 (dreistufige Wirtschaftsschule) GSk10 Lernbereich 1: Rekurs: Alltagsleben und Demokratisierungsprozess im Nachkriegsdeutschland untersuchen die

Mehr

xxx Zwecks Dringlichkeit, per und FAX.

xxx Zwecks Dringlichkeit, per  und FAX. xxx Zwecks Dringlichkeit, per E-Mail und FAX. E-Mail (Zentrale Mail-Posteingangsstelle) poststelle@fa-stuttgart4.bwl.de Fax (Hauptgebäude) 07 11 / 66 73-60 60 Finanzamt Stuttgart IV Frau xxx Seidenstr.

Mehr

Karsten Hartdegen. Entstehung der Bundesrepublik Deutschland

Karsten Hartdegen. Entstehung der Bundesrepublik Deutschland Entstehung der Bundesrepublik Deutschland Indoktrination Indoktrination Indoktrination Indoktrination Indoktrination Angriffskrieg Angriffskrieg Angriffskrieg Kriegsverbrechen Kriegsverbrechen Kriegsverbrechen

Mehr

Rüdiger Wenzke Ulbrichts Soldaten Die Nationale Volksarmee 1956 bis 1971

Rüdiger Wenzke Ulbrichts Soldaten Die Nationale Volksarmee 1956 bis 1971 Rüdiger Wenzke Ulbrichts Soldaten Die Nationale Volksarmee 1956 bis 1971 MILITÄRGESCHICHTE DER DDR Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Potsdam Band 22 Rüdiger Wenzke Ulbrichts Soldaten

Mehr

Ein Ausflug in die Vergangenheit Checkpoint Charlie und die Berliner Mauer

Ein Ausflug in die Vergangenheit Checkpoint Charlie und die Berliner Mauer Gruppe: Ein Ausflug in die Vergangenheit Checkpoint Charlie und die Berliner Mauer Themen der Open-Air-Ausstellung: A - Checkpoint Charlie und der Kalte Krieg B - Ausbau des Grenzübergangs C - Spuren der

Mehr

Rede im Deutschen Bundestag am 13. Februar Wir stehen langfristig zu dieser Unterstützung Rede zum ISAF-Einsatz der Bundeswehr

Rede im Deutschen Bundestag am 13. Februar Wir stehen langfristig zu dieser Unterstützung Rede zum ISAF-Einsatz der Bundeswehr Dr. Reinhard Brandl Mitglied des Deutschen Bundestages Rede im Deutschen Bundestag am 13. Februar 2014 Wir stehen langfristig zu dieser Unterstützung Rede zum ISAF-Einsatz der Bundeswehr Plenarprotokoll

Mehr

»Wir erleben eine geradezu lächerliche Kriegsrhetorik«

»Wir erleben eine geradezu lächerliche Kriegsrhetorik« »Wir erleben eine geradezu lächerliche KriegsrhetorikSoldaten für den Frieden«: Unterstützung aus Österreich für den Appell der 100 NVA-Generäle. Ein Gespräch mit Friedrich Hessel Interview: Peter Wolter

Mehr

Der Bayerische. Land-Tag. in leichter Sprache

Der Bayerische. Land-Tag. in leichter Sprache Der Bayerische Land-Tag in leichter Sprache Seite Inhalt 2 Begrüßung 1. 4 Der Bayerische Land-Tag 2. 6 Die Land-Tags-Wahl 3. 8 Parteien im Land-Tag 4. 10 Die Arbeit der Abgeordneten im Land-Tag 5. 12 Abgeordnete

Mehr

Bürger der Europäische Union

Bürger der Europäische Union Eurobarometer-Umfrage, Angaben in Prozent der Bevölkerung, EU-Mitgliedstaaten, Frühjahr 2011 Eurobarometer-Frage: Fühlen Sie sich als Bürger der Europäischen Union? Gesamt Ja = 61 bis 69% Europäische Union

Mehr

Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, anlässlich des Feierlichen Gelöbnisses am 20. Juli 2008 in Berlin

Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, anlässlich des Feierlichen Gelöbnisses am 20. Juli 2008 in Berlin Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, anlässlich des Feierlichen Gelöbnisses am 20. Juli 2008 in Berlin Es gilt das gesprochene Wort Anrede! Ich begrüße Sie an diesem denkwürdigen

Mehr

Inhalt. 1 Demokratie Sozialismus Nationalsozialismus. So findet ihr euch im Buch zurecht... 10

Inhalt. 1 Demokratie Sozialismus Nationalsozialismus. So findet ihr euch im Buch zurecht... 10 Inhalt So findet ihr euch im Buch zurecht................................ 10 1 Demokratie Sozialismus Nationalsozialismus Das Deutsche Kaiserreich im Zeitalter des Imperialismus Orientierung gewinnen........................................

Mehr

Europa auf dem Weg zur Weltmacht

Europa auf dem Weg zur Weltmacht Walter Laqueur Europa auf dem Weg zur Weltmacht 1945-1992 2008 AGI-Information Management Consultants May be used for personal purporses only or by libraries associated to dandelon.com network. Aus dem

Mehr

Grundwissen Geschichte an der RsaJ

Grundwissen Geschichte an der RsaJ Grundwissen Geschichte an der RsaJ 9.2 Erster Weltkrieg und Nachkriegsordnung Epochenjahr 1917: Russische Revolution und Kriegseintritt der USA Nach der kommunistischen Revolution trat Russland 1917 aus

Mehr

NATIONALISMUS, NATIONALSTAAT UND DEUTSCHE IDENTITÄT IM 19. JAHRHUNDERT 8

NATIONALISMUS, NATIONALSTAAT UND DEUTSCHE IDENTITÄT IM 19. JAHRHUNDERT 8 3 01 NATIONALISMUS, NATIONALSTAAT UND DEUTSCHE IDENTITÄT IM 19. JAHRHUNDERT 8 DIE DEUTSCHE NATIONALBEWEGUNG IN VORMÄRZ UND REVOLUTION (1815 1848) 10 Orientierung: Die deutsche Nationalbewegung in Vormärz

Mehr

im Spiegel der Akten des Antisemitismus und Rechtsextremismus für Staatssicherheit Ministeriums Rassismus, in der DDR Das hat es in der DDR nicht

im Spiegel der Akten des Antisemitismus und Rechtsextremismus für Staatssicherheit Ministeriums Rassismus, in der DDR Das hat es in der DDR nicht Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus in der DDR im Spiegel der Akten des Ministeriums für Staatssicherheit - im Archiv der Behörde des BStU heute alle überlieferten Stasi-Akten - 111 km Aktenmaterial

Mehr

Grundsätze für Aufgabenzuordnung, Organisation und Verfahren im Bereich der militärischen Spitzengliederung

Grundsätze für Aufgabenzuordnung, Organisation und Verfahren im Bereich der militärischen Spitzengliederung Anlage zu BM vom 21. Januar 2005 Grundsätze für Aufgabenzuordnung, Organisation und Verfahren im Bereich der militärischen Spitzengliederung 1 - Militärische Spitzengliederung 1.1 - Leitung Der Bundesminister

Mehr

Die Zukunft der Europäische Union

Die Zukunft der Europäische Union Eurobarometer-Umfrage, Angaben in Prozent der Bevölkerung, Europäische Union, Frühjahr 2011 Eurobarometer-Frage: Wie ist Ihre Meinung zu den folgenden Vorschlägen? Sind Sie dafür oder dagegen? gemeinsame

Mehr

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland 1 Schwarz: UE Politisches System / Rikkyo University 2014 Das politische System der Bundesrepublik Deutschland Lesen Sie den Text auf der folgenden Seite und ergänzen Sie das Diagramm! 2 Schwarz: UE Politisches

Mehr

2 SED/PDS. Wir waren so frei... Sekundar II

2 SED/PDS. Wir waren so frei... Sekundar II Link zu Foto 1: http://www.wir-waren-so-frei.de/ index.php/objectdetail/show/object_id/647 Link zu Foto 2: http://www.wir-waren-so-frei.de/ index.php/objectdetail/show/object_id/842 A Schauen Sie sich

Mehr

nationalismus, nationalstaat und deutsche identität im 19. jahrhundert 8

nationalismus, nationalstaat und deutsche identität im 19. jahrhundert 8 3 01 nationalismus, nationalstaat und deutsche identität im 19 jahrhundert 8 Die deutsche nationalbewegung in vormärz und revolution (1815 1848) 10 Orientierung: Die deutsche Nationalbewegung in Vormärz

Mehr

Stoffverteilungsplan Schleßwig Holstein

Stoffverteilungsplan Schleßwig Holstein Stoffverteilungsplan Schleßwig Holstein mitmischen 3 Ausgabe A Lehrer: Schule: Lehrplan Geschichte, Hauptschule (Jahrgangsstufe 7-9) Inhalte mitmischen 3 Mein Unterrichtsplan Die gescheiterte Demokratie

Mehr

Adolf Hitler. Der große Diktator

Adolf Hitler. Der große Diktator Adolf Hitler Der große Diktator Biografie Die frühen Jahre Herkunft, Kindheit und erster Weltkrieg Aufstieg Polit. Anfänge, Aufstieg und Kanzlerschaft Der Diktator Politische Ziele und Untergang Hitlers

Mehr

."bi MINISTERRAT DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK MINISTERIUM FÜR VOLKSBILDUNG. YJndermrtrjMMnen

.bi MINISTERRAT DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK MINISTERIUM FÜR VOLKSBILDUNG. YJndermrtrjMMnen > Rcäi dar Sloil Jen S ~O~TO."bi MINISTERRAT DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK MINISTERIUM FÜR VOLKSBILDUNG ler wichtigtten Dokumente und gesetzlichen Bestimmungen für die Ausbildung der Lehrer, Erzieherund

Mehr

Gesetzestext (Vorschlag für die Verankerung eines Artikels in der Bundesverfassung)

Gesetzestext (Vorschlag für die Verankerung eines Artikels in der Bundesverfassung) Gesetzestext (Vorschlag für die Verankerung eines Artikels in der Bundesverfassung) Recht auf Bildung Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Bildung soll auf die volle Entfaltung der Persönlichkeit, der

Mehr

Einbürgerungstest Nr. 3

Einbürgerungstest Nr. 3 Einbürgerungstest Nr. 3 Einbürgerungstest: Frage 1/33 Deutschland ist ein Rechtsstaat. Was ist damit gemeint? Alle Einwohner / Einwohnerinnen und der Staat müssen sich an die Gesetze halten. Der Staat

Mehr

DOWNLOAD VORSCHAU. Kleines Politiklexikon. zur Vollversion. Politik ganz einfach und klar. Sebastian Barsch. Downloadauszug aus dem Originaltitel:

DOWNLOAD VORSCHAU. Kleines Politiklexikon. zur Vollversion. Politik ganz einfach und klar. Sebastian Barsch. Downloadauszug aus dem Originaltitel: DOWNLOAD Sebastian Barsch Kleines Politiklexikon Politik ganz einfach und klar Bergedorfer Unterrichtsideen Sebastian Barsch Downloadauszug aus dem Originaltitel: Politik ganz einfach und klar: Wahlen

Mehr

Einbürgerungstest Nr. 5

Einbürgerungstest Nr. 5 Einbürgerungstest Nr. 5 Einbürgerungstest: Frage 1/33 Welches Recht gehört zu den Grundrechten, die nach der deutschen Verfassung garantiert werden? Das Recht auf... Glaubens- und Gewissensfreiheit Unterhaltung

Mehr

DAS GENOSSEN- KARTELL

DAS GENOSSEN- KARTELL MANFRED WILKE HANS-HERMANN HERTLE DAS GENOSSEN- KARTELL Die SED und die IG Druck und Papier/IG Medien Dokumente ULLSTEIN Inhalt Vorwort 15 Der DGB und der Zusammenbrach der SED-Diktatur oder Warum wurde

Mehr

1965 EWG, EGKS und Euratom werden zu den Europäischen Gemeinschaften zusammengefasst

1965 EWG, EGKS und Euratom werden zu den Europäischen Gemeinschaften zusammengefasst Zeitleiste - Integrationsstufen/Erweiterungsrunden: 1951 EGKS Gründung der EGKS Kontrolle Deutschlands und Einbindung in Europa Konrolle über die Kriegsnotwendigen Rohstoffe Kohle und Stahl 1957 Gründung

Mehr

Königsberg statt Kaliningrad

Königsberg statt Kaliningrad Die Provinz Ostpreußen mit ihrer Hauptstadt Königsberg Königsberg statt Kaliningrad Zurück zu den deutschen Wurzeln der Ostsee-Stadt: Preußisch-Russische Parade in Königsberg Junge Russen bekämpfen sowjetische

Mehr

Deutsch-Polnisches Jugendwerk Polsko-Niemiecka Współpraca Młodzieży

Deutsch-Polnisches Jugendwerk  Polsko-Niemiecka Współpraca Młodzieży Krakau AK-Museum Geschichte Das Museum der Heimatarmee [poln. Armia Krajowa, AK] trägt den Namen General Emil Fieldorf und entstand im Jahre 2000 in Krakau als kulturelle Organisation der kommunalen Selbstverwaltung

Mehr

Satzung LUDWIG - ERHARD - STIFTUNG BONN

Satzung LUDWIG - ERHARD - STIFTUNG BONN Satzung LUDWIG - ERHARD - STIFTUNG BONN 1 Name, Rechtsform und Sitz Der Verein führt den Namen Ludwig-Erhard-Stiftung e.v. Er hat die Rechtsform eines eingetragenen Vereins und ist in das Vereinsregister

Mehr

Jugend in der DDR. - Die Pionierorganisation Ernst Thälmann & die freie deutsche Jugend im Überblick -

Jugend in der DDR. - Die Pionierorganisation Ernst Thälmann & die freie deutsche Jugend im Überblick - Jugend in der DDR - Die Pionierorganisation Ernst Thälmann & die freie deutsche Jugend im Überblick - Gliederung: 1. Die Pionierorganisation Ernst Thälmann 1.1 Die Mitglieder der Pionierorganisation 1.2

Mehr

Monarchie zur Republik wurde. Oktober 1918 österreichischen Abgeordnetenhauses deutsch österreichischen Staat Regierungsgeschäften.

Monarchie zur Republik wurde. Oktober 1918 österreichischen Abgeordnetenhauses deutsch österreichischen Staat Regierungsgeschäften. Ich möchte euch heute erzählen, wie Österreich von der Monarchie zur Republik wurde. Im Oktober 1918 versammelten sich die deutschsprachigen Mitglieder des österreichischen Abgeordnetenhauses in Wien.

Mehr

Mit Originalprüfungen. und. Musterlösungen online auf

Mit Originalprüfungen. und. Musterlösungen online auf Mit Originalprüfungen und Musterlösungen online auf www.lernhelfer.de Meilensteine der Geschichte 1945 1990 Entwicklung der deutschen Parteien Parteien von 1848 bis 1945 3. 10. 1990 24. 5. 1949 1. 1. 1975

Mehr

Der Prozess gegen Dr. Kurt HeiSSmeyer. Dokumente

Der Prozess gegen Dr. Kurt HeiSSmeyer. Dokumente Der Prozess gegen Dr. Kurt HeiSSmeyer Dokumente Der Prozess gegen Dr. Kurt HeiSSmeyer Dokumente Schreiben des Ministeriums für Staatssicherheit Magdeburg, 22.11.1958. Im November 1958 ermittelte das Ministerium

Mehr

Artikel zum Thema Soldaten schreiben, wie es wirklich war. Gedanken eines ostdeutschen Soldaten zum 10. Jahrestag Deutsche Einheit

Artikel zum Thema Soldaten schreiben, wie es wirklich war. Gedanken eines ostdeutschen Soldaten zum 10. Jahrestag Deutsche Einheit Hans-Georg Löffler (Generalmajor a.d.) Artikel zum Thema Soldaten schreiben, wie es wirklich war. Gedanken eines ostdeutschen Soldaten zum 10. Jahrestag Deutsche Einheit Dok.Nr.: Quelle: Herkunft: A20001003_loeffler

Mehr

Geschichte erinnert und gedeutet: Wie legitimieren die Bolschewiki ihre Herrschaft? S. 30. Wiederholen und Anwenden S. 32

Geschichte erinnert und gedeutet: Wie legitimieren die Bolschewiki ihre Herrschaft? S. 30. Wiederholen und Anwenden S. 32 Stoffverteilungsplan Nordrhein-Westfalen Schule: 978-3-12-443030-4 Lehrer: Kernplan Geschichte 9. Inhaltsfeld: Neue weltpolitische Koordinaten Russland: Revolution 1917 und Stalinismus 1) Vom Zarenreich

Mehr

Zeit des Schreckens Kriegsverbrechen der Wehrmacht auf Kreta

Zeit des Schreckens Kriegsverbrechen der Wehrmacht auf Kreta Zeit des Schreckens Kriegsverbrechen der Wehrmacht auf Kreta Im April 1941 überfiel die Wehrmacht Griechenland. Nachdem das griechische Festland unterworfen war, begann ab 20. Mai 1941 unter der Deckbezeichnung

Mehr

Deutschland nach dem Krieg

Deutschland nach dem Krieg Deutschland nach dem Krieg 6. Juni 2011 1945 endete der schlimmste Krieg, den die Menscheit jemals erlebt hatte. Das Ende des 2. Weltkrieges war aber auch gleichzeitig ein Anfang - für ein Nachkriegsdeutschland,

Mehr

DDR eingesperrt Jugendliche im Stasi-Visier am Beispiel des Operativen Vorgangs (OV) Signal

DDR eingesperrt Jugendliche im Stasi-Visier am Beispiel des Operativen Vorgangs (OV) Signal DDR eingesperrt Jugendliche im Stasi-Visier am Beispiel des Operativen Vorgangs (OV) Signal Arbeitsblatt 1 Die Staatssicherheit ermittelt Lesen Sie aufmerksam die genannten Dokumente und bearbeiten Sie

Mehr

Die Geschichte der DDR

Die Geschichte der DDR Die Geschichte der DDR Informationen in Leichter Sprache Das steht in diesem Heft 1. Ein paar Worte zum Heft Seite 3 2. So kam es zur Teilung von Deutschland Seite 4 3. Was bedeutet DDR? Seite 7 4. Der

Mehr

Bürger und Parteien. Ansichten und Analysen einer schwierigen Beziehung. Herausgegeben und eingeleitet von Joachim Raschke

Bürger und Parteien. Ansichten und Analysen einer schwierigen Beziehung. Herausgegeben und eingeleitet von Joachim Raschke Bürger und Parteien Ansichten und Analysen einer schwierigen Beziehung Herausgegeben und eingeleitet von Joachim Raschke Bürger und Parteien Ansichten und Analysen einer schwierigen Beziehung Herausgegeben

Mehr

Das Prinzip Hoffnung in den Kurzgeschichten von Wolfgang Borchert

Das Prinzip Hoffnung in den Kurzgeschichten von Wolfgang Borchert Germanistik Janice Höber Das Prinzip Hoffnung in den Kurzgeschichten von Wolfgang Borchert Studienarbeit Universität Potsdam Institut für Germanistik Abteilung Literaturwissenschaft Heimkehrerfiguren

Mehr

Statuten der JUSO Kanton St. Gallen

Statuten der JUSO Kanton St. Gallen Statuten der JUSO Kanton St. Gallen Wesen Art. 1 Art. 2 Unter dem Namen JungsozialistInnen des Kantons St. Gallen (JUSO Kanton St. Gallen) schliessen sich natürliche Personen (nachfolgend «Mitglieder»)

Mehr

Der Bayerische Landtag für Einsteiger

Der Bayerische Landtag für Einsteiger Der Bayerische Landtag für Einsteiger Was ist eigentlich der Bayerische Landtag? Der Bayerische Landtag ist das Parlament ( ) von Bayern ( ), das von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt wird. Er vertritt

Mehr

Hans-Hermann Hertle. Der Fall der Mauer

Hans-Hermann Hertle. Der Fall der Mauer Hans-Hermann Hertle Der Fall der Mauer Hans-Hermann Hertle Der Fall der Mauer Die unbeabsichtigte Selbstaujlösung des SED-Staates 2., durchgesehene Auflage Westdeutscher Verlag Die Deutsche Bibliothek

Mehr

Verordnung über den Sonderstab Geiselnahme und Erpressung

Verordnung über den Sonderstab Geiselnahme und Erpressung Verordnung über den Sonderstab Geiselnahme und Erpressung vom 25. November 1998 (Stand am 9. Februar 1999) Der Schweizerische Bundesrat, gestützt auf Artikel 55 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes

Mehr

Nils-Eberhard Schramm. Die Vereinigung demokratischer Juristen ( ) Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften

Nils-Eberhard Schramm. Die Vereinigung demokratischer Juristen ( ) Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften Nils-Eberhard Schramm Die Vereinigung demokratischer Juristen (1949-1999) Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis 13 Einleitung 17 I. Gründung und Aufbau

Mehr