Noch einmal spreche ich einen Vers aus dem Psalm 27:
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- Jasper Kuntz
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1 Predigt zu Psalm 27,8 im Einführungsgottesdienst Exaudi 2012 Passionskirche Noch einmal spreche ich einen Vers aus dem Psalm 27: Mein Herz hält dir vor dein Wort: Ihr sollt mein Antlitz suchen. Darum suche auch ich, Herr, dein Antlitz. Gnade und Friede sei mit Euch von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Professor Dumbledore, liebe Gemeinde. Lange habe ich mir das Antlitz Gottes so vorgestellt wie das von Professor Dumbledore, dem Direktor der Harry- Potter- Zauberschule: Ein alter Mann mit langem weißen Haar und einem Bart. Väterlich gutmütig strahlt sein Angesicht, nachsichtig und voller Güte geht mit den kleineren Vergehen seiner Zauberschüler um. Und doch ist er messerscharf und konsequent in seiner Unterscheidung von gut und böse in der großen Welt. Heute stelle ich mir so nur noch den idealen Großvater vor, der allenfalls noch durch Kinderbücher spukt. Ich weiß: Gott ist unsichtbar. Für unser Auge einfach nicht sichtbar, nicht erkennbar. Oder doch? Wir sind ein Abbild Gottes, sagt die Schöpfungsgeschichte. Gleich zu Beginn der Bibel, in der Genesis heißt: Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde (...) und weiter: und schuf sie als Mann und Frau. (Gen 1,27). Im Bild vom alten Mann also finde ich Züge von Gott, aber längst nicht nur in ihm, sondern in jedem Menschen- egal ob
2 Mann oder Frau, jung oder alt. In jeder Begegnung mit dem Antlitz des Anderen leuchtet auch das Antlitz Gottes auf. Da wir uns Gott meist mit Glanz und Herrlichkeit versehen vorstellen, ist das nicht leicht zu glauben, wenn man in die Gesichter der Menschen schaut, die hier an einem Wochentag in Kreuzberg durch die Straßen gehen oder in die Kirche kommen: Fröhliche und offene, genauso wie müde und traurig leere Gesichter. - PAUSE- Wie geht es Dir in Kreuzberg? Fragt eine Freundin in einem Brief zu Ostern. Es gibt so viel Hohes und Tiefes hier, so viel kreatives und auch offenes, irgendwie fragmentarisches Leben. Antworte ich ihr. Fragmentarisches Leben. Leben in der Schwebe. Menschen, die Enttäuschungen erlebt haben und auch Menschen, die gerade offene, unerfüllte Sehnsüchte und Hoffnungen in sich tragen. Aber immer: LEBEN. Da ist die ältere Sozialpädagogin, die es besser machen wollte als ihre Eltern im Reihenhaus in Bielefeld, die mit großem Idealismus ihre Arbeitskraft über viele, viele Jahre hinweg in unterbezahlte Kiezprojekte steckt und nun im Alter Armut erlebt. Da ist der viel- gefragte Unternehmensberater, der abends nach einem 12 Stunden- Tag nachdenklich am Zimmer seiner
3 schlafenden Kinder vorbei schleicht: Irgendwie hatte er sich das anders vorgestellt, Vater zu sein. Da ist die Frau, Mitte Vierzig vor den Scherben ihrer langjährigen Beziehung und vor dem Zerbrechen ihres inneren Bildes von Glück, nämlich eine Familie zu haben. Da ist der Obdachlose, vom Leben auf der Straße im Laufe der Jahre stark gezeichnet, der gar nicht mehr sagen kann, wie es eigentlich angefangen hat. Es gibt so viel Leben, das offen und in der Schwebe bleibt. Es fällt mir schwer, diese Offenheit, dieses Fragmentarische mit Gott in Verbindung zu bringen, dass auch in seinem Antlitz Züge des Unvollständigen zu lesen wären. Der, an den wir uns wenden in unseren Gebeten, von dem wir Kraft und Nähe erbitten, muss doch stark und unverletzlich sein! Wir können Gott nicht ins Antlitz, nicht ins Gesicht schauen, können nicht erkennen, ob Gott starke Züge trägt, wie wir es gern hätten als ein Gegenüber von uns; oder ob Gott auch manchmal schwach und verletzlich ist wie wir selbst. Aber wir können Spuren von Gott in der Welt entdecken. In den Gesichtern von Menschen. Und nicht nur da. Im christlichen Glauben spiegelt sich Gott besonders im Leben Jesu wider. Jesus, der eine so besondere Nähe zu Gott hat und trotz seines Todes NEUES LEBEN eröffnet.
4 Jesus von Nazareth, dessen Leben kurz war, nach unseren Maßstäben eigentlich vor der Zeit endete und dessen Leben dann doch bei Gott Ganzheit findet. Das Licht von Ostern, das Licht Jesu Christi erleuchtet auch unsere manchmal verworrenen Lebenswege und umwege; macht sie ganz und heil, so wie Gott Jesu Leben nicht in der Schwebe gelassen hat, nicht im Fragmentarischen belassen hat. Vielleicht sind mir diese alten, fast kitschig- anmutenden Jesus- Lieder aus dem Gesangbuch deshalb so lieb: Es ist berührend, wie nah und dicht uns Jesus in diesen Liedern kommt. Nicht als der, der ethisch- moralisch für eine bessere Welt mahnt, sondern als der göttlich- gezeichnete Mensch, der der Schönheit der Welt und die Sehnsüchte in ihr teilt: (...) Nichts soll mir werden,/ lieber auf Erden/ als du, liebster Jesus mein. So haben wir gerade gesungen. Christa Wolf, die stille Beobachterin menschlicher Lebenslinien, schrieb in ihrem Roman Kein Ort. Nirgends : Begreifen, dass wir ein Entwurf sind- vielleicht, um verworfen, vielleicht, um wieder aufgegriffen zu werden, darauf haben wir keinen Einfluss. Das zu belachen, ist menschenwürdig. Gezeichnet zeichnend. Auf ein Werk verwiesen, das offen bleibt...
5 Diesen Gedanken kannte auch Paulus, der Apostel. Er, der die Welt um sich beobachtet durch die Brille seines Glaubens, dass Gott Jesus Christus vom Tod auferweckt und damit Leben durchlässig und offen macht, schrieb an die Korinther: Unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören...wir sehen jetzt in einem Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Paulus sagt damit doch: Wir sind noch nicht das, was wir sein werden. Die Welt muss nicht so bleiben, wie sie ist. Unser Leben hat immer die Offenheit, anders und neu zu werden, wir haben die Freiheit, es anders anzugehen. Diese Sicht beschreibt für mich auch, den Anderen mit den Augen Gottes von seinen und ihren Möglichkeiten her zu sehen, nicht von den Defiziten. Und noch etwas anderes kommt hinzu: Wer glaubt, vollendet zu sein, braucht niemanden. Wer aber spürt, dass er oder sie noch nicht vollkommen ist, weiß auch, dass er oder sie auf andere Menschen angewiesen ist. Diese Erkenntnis weist uns an unsere Mitmenschen, weist an die Nächstenliebe. Gott ist unsichtbar. Wir können Gott nicht ins unmittelbar ins Antlitz sehen, aber wir können Gott in vielen Gesichtern finden- in den ganz alten und ganz jungen, in den fröhlichen wie den
6 bedürftigen Gesichter, und alle haben eine Schönheit. Schön sind sie, weil sie das Auf und Ab des Lebens widerspiegeln, weil sie den Drang, vollkommen zu sein nicht brauchen, um menschlich auszusehen. Darin finde ich die Spur Gottes. Das ist für mich gemeint, wenn es heißt: Ihr sollt mein Angesicht suchen. Wir können Gottes Spur in den unendlich vielen Facetten und Wandlungen der menschlichen Gesichter finden. Machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach Gottes Spuren in den Leben der Menschen hier vor Ort, hier im Kiez! Lassen wir die Sehnsüchte, die Hoffnungen, die Überzeugungen, und auch das Vertrauen der Menschen in unseren Kirchen sprechen! Denn sie alle sind wie Du und ich Abbilder von Gott in dieser Welt. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN
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