Jakob Kirchheim RICHTUNG MITTE

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1 Jakob Kirchheim RICHTUNG MITTE

2 Jakob Kirchheim RICHTUNG MITTE

3 Inhalt Jakob Kirchheim Verlag 2014 Malplaquetstr. 9, Berlin www. jakob-kirchheim.de Vorwort... 5 Super-8-Informell, Obama`s Besuch... 6 Leopoldplatz, ein Verkäufer vor Karstadt... 8 Casinos, Woolworth, Müllerstraße Demonstration im April Max Josef Metzger-Platz und Trümmerstele Agentur für Arbeit wird Jobcenter Kurt Schumacher Haus, August Bebel Institut S-Bahnhof Wedding Richtung Bayer Erika-Hess-Eisstadion Historisches und Neubauten am ehemaligen Mauerstreifen Friedhof der Französischen Gemeinde Friedhof der St.-Hedwig Gemeinde Liesenbrücke Beim BND, Mauerreste, Betreiben elektrotechnischer Anlagen Titanic Hotel-Neubau in der Chaussestraße Chaussee- Ecke Invalidenstraße Naturkunde Museum Bundesministerium für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung Invalidenpark, Sinkende Mauer Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Hamburger Bahnhof Invaliden-Friedhof Augusta Hospital, Scharnhorststraße Am Ende der Welt Bundeswehrkrankenhaus, Rückseite des BND Gedenkstätte Günter Litfin Neubauten, am Kanal, Bayer Bildnachweis Fotos, Text, Grafik und Layout: Jakob Kirchheim Zusätzliche Bilder: die ausgewiesenen Quellen ISBN All rights reserved Printed in Germany 4

4 Richtung Berlin-Mitte, vom Weddinger Leopoldplatz aus, begibt man sich in eine Welt voller Kontraste und Veränderungen. Baustellen und Friedhöfe könnte der Untertitel dieses Buchs lauten, das verschiedene Beobachtungen der letzten Jahre synthetisiert. Es dokumentiert Entwicklungen, an die sich der alltägliche, abgestumpfte Blick bald nicht mehr erinnern wird. Häuser werden abgerissen, neue gebaut und Brachen, die durch Krieg und Teilung der Stadt entstanden, gefüllt. Ein riesiges Areal in Berlins Mitte erlebt einschneidende urbanistische Umbrüche und erwartet den Zuzug neuer Bevölkerungsschichten. Informell-malerische Ansichten von Karstadt, Standbilder eines fehlerhaft entwickelten Super8-Films, befördern den Blick zunächst in eine undefinierte, abstrakte, schwarz-weisse Vergangenheit. Gedreht wurden die Bilder an einem der heissen Tage Ende Juni 2013, als Obama`s Besuch Berlin in den Ausnahmezustand versetzte. Der virtuelle Rundgang beginnt Ostern 2011 am Leopoldplatz, damals noch fest in der Hand von Trinkern und Drogensüchtigen, vielmehr waren sie, neben der restlichen Bevölkerung, einfach da, sichtbar mir ihren Flaschen, Hunden, gelegentlichen Streitigkeiten und Zusammenbrüchen. Das hat Vielen nicht gefallen und es hatte schon etwas Unheimliches, wenn auch Beeindruckendes so viele gescheiterte Existenzen auf einem Haufen zu sehen: bürgerliche Ordnung außer Kraft gesetzt. Die evangelische Kirche machte von ihrem Hausrecht auf dem Platz Gebrauch und mit viel Sozialarbeiter-Aufwand sind sie jetzt größtenteils verschwunden. Die Müllerstraße Richtung Süden gelangt man zum unscheinbaren, aber doch geschichtsträchtigen Max Josef Metzger-Platz mit seiner Trümmerstele, an Jobcenter und SPD-Zentrale vorbei schließlich zum S-Bahnhof Wedding. Casinos, Sportwetten-Bars, Telecafés, Ramsch-Möbelhäuser, Spätkauf, der Bezirk zeigt sich von seiner schmuddeligen Seite. Man darf gespannt sein, wie lange diese Nicht-Orte angesichts der Veränderungen in diesem Zustand verbleiben. Unpersönlich wird es bei Bayer, die frühere Schering-Zentrale dominierte schon zu Westberliner Zeiten das Stadtbild am Rand der Mauer. Der Pharma- Komplex wirkt wie ein aus dem All abgesetzter Industrie-Satellit, abgeschottet ohne Verbindung zur Umgebung. Vorbei am Erika-Hess-Eisstadion und den gegenüberliegenden Wohnblocks erreicht man den ehemaligen Mauerstreifen, an dem sich zahlreiche Baustellen beobachten lassen. Es hat lange gedauert, aber jetzt soll hier richtig Geld verdient werden. Die Bauherren und Investoren verorten die zukünftigen Bewohner fast durchgängig im oberen Preissegment. Als Erklärung wird oft die neue BND-Zentrale erwähnt, die Tausende mutmaßlich gut bezahlter Mitarbeiter in die Gegend bringen wird und 2014 eingeweiht werden soll. Auf der website des Projekts TheGarden kann man sich über sogenannte Serviced Appartments informieren: Investieren Sie in TheGarden Serviced Manager Apartments und setzen Sie auf Rendite. Denn die Vermietung für einen zeitlich absehbaren Wohnaufenthalt mit umfangreichen Zusatzleistungen ermöglicht es, vergleichsweise hohe Einnahmen zu erzielen. Komplett eingerichtete Apartments, inspirierendes Design, Rundum-Service und ideale Citylage: Diese Kombination ist besonders bei Berufspendlern und mobilen Managern gefragt! Der ehemalige Chefconcierge des Hotel Adlon wird den Service koordinieren. Wir biegen links ab in die Liesenstraße und treffen auf dem Friedhof der Sankt-Hedwigs-Gemeinde auf die Grabstätte von Lorenz Adlon, dem Begründer des gleichnamigen Hotels. Dieser und daneben, der zweite Friedhof der französischen Gemeinde liegen auf dem ehemaligen Mauerstreifen und befinden sich in einem, märchenhaft ausgedrückt, verwunschenen Zustand. Zerfallende Gräber, aufwendige, heruntergekommene Mausoleen, um die sich zu DDR-Zeiten und auch danach niemand gekümmert hat. Aufmerksam wurde ich auf diese beiden Friedhöfe durch die Gräber Theodor Fontanes und seiner Frau. Ihre Grabsteine wurden erneuert, zuletzt Die Kapelle beherbergt eine kleine Ausstellung über den Schriftsteller. Des weiteren liegt dort der Dramatiker Peter Hacks, es findet sich der Grabstein des Malers Carl Begas, neben langen Reihen teils anonymer Kriegsgräber. Am Rand der Friedhöfe sind noch Mauerreste zu entdecken und man hat einen weiten Blick über die Baustellen. An der Liesen- Ecke Gartenstraße rostet eine stillgelegte Eisenbahnbrücke vor sich hin. Wird das der Abenteuer-Spielplatz für die Kinder der gut situierten zukünftigen Anwohner? Weiter geht es zur BND-Baustelle und der gegenüberliegenden Brache auf der von den projektierten Feuerland-Höfen immer noch nichts zu sehen ist. Möglicherweise beginnt die Bautätigkeit, wenn all die Staatsbeamten vor Ort sind. Ein weiterer Hotel-Neubau in der Chausseestraße wird bald den Blick auf die ehemaligen Werkstätten der Staatstheater verschließen. Wir sind tatsächlich und gefühlt in Mitte angekommen, erreichen die Invalidenstraße, halten uns rechts in Richtung Hauptbahnhof, passieren das Naturkunde-Museum, werfen beim Verkehrsministerium Blicke auf die Charité. Im Ministerium wurde mir erlaubt die Stein-Löwen im Foyer zu fotografieren, aber nur in Richtung Straße, nicht nach innen. Es schließt sich der Invalidenpark an mit der auch Sinkende Mauer genannten Brunnen-Skulptur. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung schreibt dazu: Mit der Übergabe des Mauerbrunnens am 3. Oktober 1997 schloss sich an der Invaliden- / Ecke Scharnhorststraße ein neues Kapitel der wechselvollen Geschichte des Invalidenparks. Die Parkanlage aus dem Jahr 1843, die zuletzt von der Mauer bestimmt war, geht auf Peter Joseph Lenné zurück. Die grüne Oase sollte den Kriegsinvaliden innerhalb der Friedrich-Wilhelm-Stadt Erholung geben. Nach dem Abriss der Ruine der historischen Gnadenkirche im Jahr 1967 wurden an deren Stelle Baracken für Grenztruppen errichtet. Nach dem Fall der Mauer erweckte das Gelände jedoch wieder großes städtebauliches Interesse. Heute sind dort westlich das Bundesministerium für Wirtschaft und östlich des Parks das Bundesministerium für Verkehr, Bauen und Wohnen ansässig. Ein paar Schritte weiter im Hamburger Bahnhof fand 2013 eine Martin Kippenberger-Retrospektive statt, Titel: sehr gut, very good. Am Kanal entlang geht es zurück in den Wedding, über den Invalidenfriedhof, auf dem die preußische Militär-Elite ruht, an zahlreichen Bauprojekten, dem ehemaligen Augusta Hospital, verschwundenen Ost-Reminiszenzen, dem Café Am Ende der Welt und dem Bundeswehr-Krankenhaus vorbei: Vieles verändert sich, nicht nur zum Besseren, Lücken und Freiräume werden geschlossen. 5

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7 Im April 2011 waren die Drogensüchtigen, Alkoholiker und kaputten Typen noch ungestört auf dem Leopoldplatz präsent, woran Andere Anstoß nahmen. Inzwischen sind sie weitgehend in eine abgelegene Ecke des Platzes verdrängt, allerdings mit überdachtem Unterstand und Toilette. 8

8 Ostersonntag vor Karstadt, ein denkbar schlechter Termin für den Verkauf einer Obdachlosen-Zeitung, nun gut, 40 Cent Spende, als Gegenleistung gab`s ein Foto, aber: Keine Presse!. 9

9 Woher kommen die vielen Casinos? Gewinnt auch mal jemand oder verzocken die Spielsüchtigen nur ihre Ersparnisse und pumpen dann Verwandte und Freunde an? Kann man in diesem Viertel damit wirklich Geld verdienen oder wird es gewaschen? Wahrscheinlich beides. 10

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