Interessenpolitik und politische Einflussnahmen als bildungspolitische Entscheidungsfaktoren am Beispiel der Schulstrukturfrage
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- Ludo Schmitz
- vor 5 Jahren
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1 BLLV-Expertenanh Expertenanhörung rung Chancen für f r neue Schulmodelle Interessenpolitik und politische Einflussnahmen als bildungspolitische Entscheidungsfaktoren am Beispiel der Schulstrukturfrage, DFG-Projekt weitere MitarbeiterInnen: Kathrin Dedering, Christian Kuhlmann, Isa Nessel Leitung: Klaus-Jürgen Tillmann
2 Ausgangsüberlegungen Gegen den organisierten und mit allen Methoden des modernen Lobbyismus arbeitenden Widerstand der Lehrervertreter kann man die höhere Schule nicht reformieren. Es bleibt deshalb kein anderer Weg, als das zu tun, was der Philologenverband seit jeher fordert, nämlich die höhere Schule unangetastet beiseite zu lassen, und die Probleme unseres Bildungswesens unter Umgehung der höheren Schule zu lösen. So behalten sowohl die Philologen als auch die Eltern die eine solche Schule wünschen, jenes Gymnasium, das ihnen gefällt. Aufgeben muß man aber das Dogma, die höhere Schule habe ein Monopol auf die Erteilung von Reifezeugnissen. Es steht nirgends geschrieben, daß der zweite Bildungsweg auf Abendschulen und Begabtenprüfungen, auf Sonderinstitute oder auf die Fortführung der Berufsschulbildung über dei Fachschulreife zur sogenannten Fakultätsreife beschränkt bleiben müsse. Der zweite Bildungsweg kann zum Normalweg werden, wenn man in breitem Umfang Aufbauzüge auf Volksschulen und Mittelschulen entwickelt und damit Ansätze produktiv entfaltet, die sich, der Logik der Verhältnisse gemäß, schon allenthalben im Bundesgebiet finden." (Picht 1964, S. 70f.)
3 Ausgangsüberlegungen Es gehört zu den entscheidenden Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, daß schulorganisatorische Gesamtveränderungen in Richtung auf gänzlich neue Systemstrukturen nicht akzeptiert werden. Bei grundsätzlicher Anerkennung des Prinzips organisatorischer Pluralität sind jedoch schulorganisatorische Erweiterungen oder strukturelle Änderungen des Angebots, u.a. durch Gesamtschulen oder durch die Zweigliedrigkeit des Schulangebots in einigen neuen Ländern, zum Beispiel Sachsen und Thüringen, erreicht worden." (Bildungskommission NRW 1995, S. 14f.)
4 Überblick über den Vortrag 1. Anliegen und methodische Anlage des Projektes 2. Die bundesweite Entwicklung im Themenfeld Schulstruktur (Link) (Link) 3. Die Schulstrukturdebatte in zwei Ländern: a) Der Fall Bremen (Link) b) Der Fall Brandenburg (Link) 4. Fazit (Link)
5 Ausgangspunkt des Projekts Ziel der PISA-Studie: Bereitstellen von Steuerungswissen auf der Ebene des Schulsystems (vgl. PISA-Konsortium, 2002) Wie gehen Schulministerien mit Leistungsvergleichsstudien und ihren Ergebnissen um? Rezeption und Verarbeitung der PISA-Ergebnisse? Steuerung des Bildungssystems? Steuerung des bildungspolitischen Prozesses, insbesondere Legitimation im politischen Kontext?
6 Methodischer Ansatz: Vier-Länder-Fallstudie Untersuchungszeitraum: 08/2001 bis 12/2002 (bzw. bis 12/2005) Westliche Bundesländer Östliche Bundesländer Eher gute PISA- Ergebnisse Rheinland-Pfalz Thüringen Eher schlechte PISA- Ergebnisse Bremen Brandenburg... und die bundesweite Entwicklung Methodisches Vorgehen: Presseanalyse Dokumentenanalyse Experten- Interviews... in ausgewählten Themenfeldern Maßnahmen im Elementar- und Primarbereich Ganztagsschule Bildungsstandards, Tests, Vergleichsarbeiten, zentrale Prüfungen Schulstruktur
7 Bildungspolitische Akteure Medien WissenschaftlerInnen Interessensverbände Beratungsgremien PISA- Ergebnisse Schulministerien der Länder bildungspolitische Maßnahmen Landesregierungen Parteien und Parlament Kultusministerkonferenz Bundesministerium für Bildung und Forschung
8 Die bundesweite Perspektive
9 Überblick über den Untersuchungszeitraum PISA-I PISA-E Bundestagswahl 2002 Phase I: Vor PISA-I Phase II: Nach PISA-I Phase III: Nach PISA-E 0 Aug 01 Sep 01 Okt 01 Nov 01 Dez 01 Phase IV: Jan 02 Feb 02 Mrz 02 Apr 02 Mai 02 Jun 02 Jul 02 Aug 02 Sep 02 Okt 02 Nov 02 Dez 02 Mai 2003: Bürgerschaftswahl in Bremen Septemer 2004: Landtagswahl in Brandenburg
10 Reaktion der KMK auf die PISA-I-Ergebnisse: sieben Handlungsfelder (Beschluss vom 05./ ) Verbesserung der Sprachkompetenz in verschiedenen Bereichen Bessere Verzahnung von Vor- und Grundschule, frühzeitige Einschulung Verbesserung der Grundschulbildung (Lesekompetenz, mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenz) Bessere Förderung bildungsbenachteiligter Kinder Qualitätssicherung durch verbindliche Standards und Evaluation Stärkung der diagnostischen und methodischen Kompetenz der Lehrkräfte Ausbau schulischer und außerschulischer Ganztagsangebote Warum ist Schulstruktur kein Thema? Diese Empfehlungen sind auch vier Jahre später noch zentrales Leitbild in den Ministerien!
11 Zwischenfazit PISA-Ergebnisse setzten sehr nachhaltigen bildungspolitischen Handlungsimpuls frei. Wissen um starke Differenzen zwischen den politischen Hauptakteuren führt zum Ausblenden der Schulstrukturfrage in der KMK (und damit zunächst in etlichen Bundesländern) PISA-Ergebnisse werden entsprechend politischer Handlungslogiken selektiv rezipiert und funktionalisiert. Schulstrukturfrage ist in der überregionalen Presse präsent, aber nur selten aus Politikermund.
12 Der Fall Bremen
13 Ausgangssituation Gymnasium Realschule 7-10 Orientierungsstufe 5-6 Grundschule 1-4 Hauptschule 7-10 Integrierte Gesamtschule jährige Grunds chule Vorklassen / Schulkindergarten Quelle: HOVESTADT 2003, S. 1, ergänzt um Schnellläuferklassen am Gymnasium traditionell Bildungsressort in SPD-Hand. Große Koalition in 2. Legislatur. im Bundesvergleich schlechteste PISA-E-Ergebnisse Klafki-Kommission 1994: Orientierungsstufe nicht leistungsfähig
14 Situation im Ende 2005: Sekundarschule (Fachleistungsdifferenzierung) (integriert) Grundschule (mit integrativer Beschulung LSE) GS ISS GymO Doppelquali berufl. Gym. 12 Duale 11 durchgängiges GymO Ausbildung Fachschulen 10 (HS-Zweig) (RS-Zweig) Gymnasium Gymnasium 6jährige Grundschule Quelle: Stand: , und Zugriff am
15 Zwischenfazit PISA-Studie beschleunigt Strukturveränderung (Legitimationsdruck durch Koalitionspartner) Im Mittelpunkt stehen immer politische Ziele; in Kauf genommen werden: massive Verunsicherungen im Schulsystem (9 Monate keine Entscheidung über Schulstruktur) Irritationen am Runden Tisch Bildung Abschaffung der Orientierungsstufe: Option des Wählerurteils ermöglicht Entscheidung und setzt breite Diskussionen in Öffentlichkeit frei Strukturentscheidung ist Ergebnis eines Verhandlungspokers, nicht eines Prozesses der gemeinsamen Suche nach bester Lösung auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse Hauptakteure: Ministerialbeamte und Bildungspolitiker Kritische Begleiter: Opposition, GEW
16 Der Fall Brandenburg
17 Ausgangssituation Gymnasium Oberstufenzentren 11/12/13 IGS Gymnasium 7-10 Realschule 7-10 Integrierte Gesamtschule 7-10 Grundschule 1-6 Quelle: Hovestadt 2003, korrigiert
18 Ausgangssituation Politisch: Bildungsressort seit Wende in SPD-Hand. Große Koalition in 2. Legislatur. Schulsystem: Fast 50 % der SchülerInnen besuchen Gesamtschule Sechsjährige Grundschule dramatischer Schülerrückgang nach der Wende (-50%) PISA: im Bundesvergleich sehr schlechte PISA-E-Ergebnisse
19 Situation Ende 2005 Gymnasium Gymnasium 7-10 Oberstufenzentren 11/12/13 Oberschule 7-10 IGS 7-13 Grundschule 1-6 Oberschulen haben Wahl zwischen drei Modellen: Jahrgangsstufen 7-10: integriert mit FLK Jahrgangsstufen 7+8: integriert mit FLK, 9+10 schulformbezogen Jahrgangsstufen 7-10: schulformbezogen
20 Zwischenfazit Ursache für Reform sind sinkende Schülerzahlen, nicht PISA-Studie Jahrelange Lähmung des Entscheidungsprozesses aufgrund parteipolitischer Blockaden PISA-Studie wird vereinzelt als Argumentationshilfe funktionalisiert SPD kann sich aus ökonomischen Gründen, jedoch nur mit Hilfe einer weiteren Kommission durchsetzen Entscheidungsfreiheit für Ausgestaltung der neuen Schulform scheint Kompromiss zwischen Koalitionspartnern ermöglicht zu haben Hauptakteure: Ministerialbeamte, Wissenschaftler und Bildungspolitiker Kritische Begleiter: Opposition, GEW
21 Fazit Trotz KMK-Vorstrukturierung Veränderungen der Schulstruktur in Bremen und Brandenburg In beiden Ländern debattierte man entlang der bekannten Positionen, Entwickelte man eine verbundene Haupt- und Realschule Die Rolle der PISA-Studie: Unterkomplex bez. Antwort auf Schulstrukturfrage, aber: Überkomplex bez. Nutzung im bildungspolitischen Diskurs. deshalb: Schulstrukturfrage wird in KMK ausgeblendet, Schülerzahlen sind Motor in Brandenburg PISA kann Entwicklungsmotor in Bremen sein technokratische Funktionalisierung als Argumentationshilfe für präferierte Lösung durch alle Akteure.
22 Politik wahrscheinlich auf Basis parteipolitischer Interessen und eher weniger wahrscheinlich auf Basis empirischer Ergebnisse Fazit Die Rolle verschiedener Akteure: Die Schulstrukturentscheidungen in beiden Bundesländern werden von Regierung getroffen und an Parteiinteressen orientiert. Ministerialbeamte strukturieren vor (KMK und beide Länder), sind Mitgestalter Wissenschaftler beraten und strukturieren vor Andere Akteure z.b. Pichts zitierter Philologenverband spielen die Rolle der kritischen Begleiter in der Presseöffentlichkeit (Ergebnis Folge des methodischen Designs der -Studie?) Das Ergebnis überrascht nicht: Neo-Institutionalismus und Akteurzentrierte Institutionalismus (vgl. Scharpf) weisen genau auf zentrale Faktoren hin: Relevanz von... politischen Handlungslogiken (vs. denen im Bildungssystem, vgl. Fend 2006) bisherigen Entwicklungen: Eingrenzung von Entscheidungsräumen (vgl. Kaiser 2001) Notwendigkeit ökonomischer politischer Prozesse und ökonomisch umsetzbaren Lösungen: Überforderung der Akteure und Unmöglichkeit der rationalsten Entscheidung (Dowding 1995) Kulturellen Scripts der Akteure: Selektive Interpretation von Daten und Eingrenzung von Entscheidungsräumen (vgl. March 1994, Fend 2006)
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