Wissen als der Schlüssel zum Können
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- Alexandra Holzmann
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Transkript
1 Wissen als der Schlüssel zum Können Elsbeth Stern Professur für Lehr- und Lernforschung
2 Warum können wir uns manches so schwer merken? 2
3 Hans baute ein Boot. Urs liess einen Drachen steigen. Lutz ass einen Apfel. Beat ging über das Dach. Jochen versteckte ein Ei. Dominik setzte das Segel. Peter schrieb ein Drama. Viktor drückte den Schalter. 3
4 Wer ass einen Apfel? Wer versteckte ein Ei? Wer liess einen Drachen steigen? Wer ging über das Dach? Wer drückte den Schalter? Wer setzte das Segel? Wer baute ein Boot? Wer schrieb das Drama? 4
5 Noah baute ein Boot. Benjamin Franklin liess einen Drachen steigen. Adam ass einen Apfel. Der Weihnachtsmann ging über das Dach. Der Osterhase versteckte ein Ei. Christoph Kolumbus setzte das Segel. William Shakespeare schrieb ein Drama. Thomas Edison drückte den Schalter. 5
6 Wer ass einen Apfel? Wer versteckte ein Ei? Wer liess einen Drachen steigen? Wer ging über das Dach? Wer drückte den Schalter? Wer setzte das Segel? Wer baute ein Boot? Wer schrieb das Drama? 6
7 Chunking (Bündelung) Die Merkfähigkeit in einem bestimmten Inhaltsbereich kann man verbessern, indem das Wissen in diesem Bereich systematisch umstrukturiert und vielfach vernetzt wird. 7
8 Geringer Einfluss von Strategiewissen, starker Einfluss von Alzheimer und anderen Gehirnkrankheiten. Es gibt keinen unspezifischen Transfer (weder durch Latein, noch durch Schach, Musik oder Gehirnjogging) Häufig ist nicht mangelnde Motivation, sondern fehlendes Wissen die Ursache für schlechte Merkleistung (Information geht durch die Maschen). 8
9 Ausbleibender Transfer 9
10 Hier sind 5 Vögel und hier sind 3 Würmer. Stell dir vor, alle Vögel fliegen los und jeder versucht, einen Wurm zu bekommen. Wie viele Vögel bekommen keinen Wurm? Wie viel mehr Vögel als Würmer gibt es? 96% 25% 10
11 TIMS/III Aufgabe: Die Beschleunigung eines sich geradlinig bewegenden Objektes kann bestimmt werden aus Der Steigung des Weg-Zeit-Graphen Der Fläche unter dem Weg-Zeit-Graphen Der Steigung des Geschwindigkeits-Zeit-Graphen Der Fläche unter dem Geschwindigkeits-Zeit-Graphen Prozent korrekte Lösung bei deutschen Abiturienten Deutschland: mit Leistungskurs Mathematik: 50% Deutschland: mit Grundkurs Mathematik: 44% Schweiz: 60% International 67% 11
12 Warum können Maturanden die Aufgabe nicht lösen? Beschleunigung wurde als Definition in der Physik gelernt und längst wieder vergessen Der Graph wurde nicht als Denkinstrument verstanden, sondern als Darstellungsmöglichkeiten Weg-Zeit-Graph ist bekannt, mit Bekanntem fährt man besser Konzeptuelles Verständnis wie "Rate der Veränderung" wurde nicht erarbeitet Graphen werden VIEL zu wenig in der Schule eingesetzt 2019/3/13
13 Wissen als der Schlüssel zum Können Wissen DASS Deklatives Wissen (Fakten und Begriffe) Wissen WIE Prozedurales Wissen (automatisierte Handlungen) Wie muss Wissen im Gedächtnis einer Person organisiert sein, damit es bei der Bewältigung einer Anforderung zum richtigen Zeitpunkt aktiviert und genutzt wird? 13
14 14
15 Welches Auto fährt schneller? W E G 6 5 Z E I T ZEIT WEG
16 Welches Auto fährt schneller? Prozeduralisierung beim Lesen von Graphen: Erster Blick gilt der Achsenbeschriftung W E G 6 5 Z E I T ZEIT WEG
17 Warum der Erwerb von anwendbarem konzeptuellem Wissen ungleich schwieriger ist Problem: Isoliertes Faktenwissen statt konzeptuelles Netzwerk Paris ist die Hauptstadt von Frankreich, aber Kraft = Masse x Beschleunigung, aber Go, went, gone, aber
18 Kategorisierung von Gebrauchsgegenständen Alltagswissen: Bestehen aus Stahl Physikwissen: Funktion beruht auf der Wirkung von Kräften 18
19 Alltagskonzepte: Klassifikation nach dem Einsatzbereich Haushalt Landwirtschaft Handwerk 19
20 Klassifikation nach physikalischen Prinzipien Hebel Keil 20
21 Was ist eine Maschine?
22 Unter einer Maschine versteht man in der Physik Vorrichtungen, welche Ansatzpunkt, Richtung oder Größe einer Kraft verändern, um die vorhandene Kraft möglichst zweckmäßig zur Verrichtung von Arbeit einzusetzen.
23
24 Lerngelegenheiten, die den Aufbau von Begriffsnetzwerken unterstützen NICHT Lernen von Merksätzen, Definitionen und Formeln probieren, Versuch und Irrtum Sondern Arbeit am Vorwissen: Gelegenheiten zur Ko-Konstruktion von Wissen in Gesprächen 24
25 Zeitperspektive Vom Ende denken Spiralcurriculum: Wissen anlegen, das später umstrukturiert werden kann Schweizer MINT-Studie (SMS): Physik in der Primarschule
26 Verstehendes Lernen: Begriffswissen muss umstrukturiert und neu verankert werden Gewicht Trägheit = (Gleichheitszeichen) 1+1=2+1=3+1= Menschen und Affen Konzeptuelle Umstrukturierung wissenschaftlicher Begriffe braucht Zeit und spezielle pädagogische Unterstützung Fehler müssen gemacht und genutzt werden
27 Lernen ist nicht wie das Besteigen einer Leiter Kreativität 27
28 Das Ergebnis von Lernen ist ein Wissensnetzwerk, das sich im günstigen Falle systematisch verzweigt. Reading Mathematics Physics Kreativität 28
29 DIE SCHWEIZER MINT-STUDIE
30 research group & funding Anne Deiglmayr Sonja Peteranderl Christian Thurn Peter Edelsbrunner Lennart Schalk Ursina Markwalder 30
31 Warum schwimmt ein grosses schweres Schiff aus Stahl, während ein kleines leichtes Stück Stahl untergeht?
32
33 Lernzuwachs Experimentalgruppe Thema Anzahl SchülerInnen Zugewinn (Punkte) Standardabweichung Signifikanz Effektgrösse Luft & Luftdruck Schall Schwimmen & Sinken Brücken Kontrollgruppe Thema Anzahl SchülerInnen Zugewinn (Punkte) Standardabweichung Signifikanz Effektgrösse Luft & Luftdruck Schall Schwimmen & Sinken Brücken
34 Vergleich zu Lernzuwachs der Kontrollgruppe LL Vortest Nachtest Schulstufe Schulstufe Schulstufe S Vortest Nachtest Schulstufe Schulstufe Schulstufe SS Schulstufe Schulstufe B Schulstufe Schulstufe Schulstufe Schulstufe 0 Vortest Nachtest 0 Vortest Nachtest 34
35 Entwicklung von Geschlechterunterschieden LL Mädchen Buben S 10 Mädchen Buben Vortest Nachtest 0 15 SS 10 Mädchen Buben B 10 Mädchen Buben
36 Fortsetzungsstudie: Warum gibt es im Wasser eine nach oben gerichtete Kraft?
37
38 CHANGE of MEANS [ Grade] Difference of means in pre-& posttest for both groups [7. 8. Grade] Mean of Test Scores Significant main effects and interaction Pretest CONTROL [N=552] Posttest INTERVENTION [N=364] 0 Pretest Posttest
39 Wie lässt sich der Erwerb intelligenten Wissens fördern? (1) Die Vorstellungen der Lernenden kennen und nutzen (2) Kognitiv aktivierende Phänomene als Einstieg verwenden (3) Erfinden mit kontrastierenden Fällen (4) Nutzung geistiger Repräsentationswerkzeuge (5) Aufträge für Selbsterklärungen geben (6) Holistische Konfrontation von Modellen (7) Metakognitive Fragen stellen
40 Anregende Unterrichtseinstiege: Erfinden mit kontrastierenden Fällen
41 Erfinden mit kontrastierenden Fällen Alice hat die folgenden Abbildungen von Geraden vor sich. Sie ruft Bob an, der die Geraden nicht sieht, und möchte ihm erzählen, wie die Geraden aussehen und insbesondere, wie steil sie sind. Erfinden Sie eine Masszahl für Steilheit. Drücken Sie die Steilheit einer Geraden durch eine einzige Zahl aus, die Alice dann am Telefon nennen kann. Regeln: 1. Die Zahl soll für jede mögliche Gerade nach derselben Regel zustande kommen. 2. Es muss für Alice möglich sein, die Masszahlen allein aus den abgebildeten Grafiken ohne weitere Hilfsmittel präzise zu bestimmen. 3. Die Grösse der Zahl gibt Bob eine präzise Vorstellung davon, wie steil eine Gerade ist.
42 Mean Score TELL & Practice ICC (Idealized) 0 T1 T2 Nachtest p =.001 d =.768 Follow Up-Test p =.017 d =.812
43 ETH Zürich Lehr- und Lernforschung Unterstützung des Lernens durch Kontrastierung: Wünschenswerte Erschwernisse Ziegler, E. & Stern, E. (2014). Delayed benefits of learning elementary algebraic transformations through contrasted comparisons. Learning and Instruction, 33, Ziegler, E., Edelsbrunner, P.A., Stern, E. (2017). The Relative Merits of Explicit and Implicit Learning of Contrasted Algebra Principles. Educational Psychology Review Esther Ziegler & Elsbeth Stern, ETH Zürich, Schweiz Ziegler, E. & Stern, E. (2016). Consistent advantages of contrasted comparisons: Algebra learning under direct instruction. Learning and Instruction, 41, 41-51
44 Algebra lernen Algebra ist eine formale Sprache mit einem eigenen Regelsystem Verwechslung von ähnlichen Regeln häufige Fehlerquelle Forschungsidee: Können Vergleiche in Form von Kontrastierungen in Schulsettings sinnvoll eingesetzt werden? Wenn ähnliche und oft verwechselte Konzepte gelernt werden müssen? 44
45 Vergleichsbedingung Sequenzierbedingung Addition Multiplikation L3.a xy + xy + xy = 3 xy = 3xy xy xy xy = x y x y x y = x x x y y y = x 3 y 3 = x 3 y 3 2b + 2b + 2b + 2b + 2b = 5 2b = 10b 3cx + 3cx = 2 3cx = 6cx 2b 2b 2b 2b 2b = 2 b 2 b 2 b 2 b 2 b = b b b b b = 32 b 5 = 32b 5 3cx 3cx = 3 c x 3 c x = 3 3 c c x x = 9 c 2 x 2 = 9c 2 x 2 Addition Multiplikation Vergleiche die Aufgaben der linken und der rechten Spalte miteinander! Was fällt dir auf? Beschreibe, was anders ist. Gleich sind: Alle Lernschritte Anzahl der Aufgaben Alle Tests Addition xy + xy + xy = 3 xy = 3xy 2b + 2b + 2b + 2b + 2b = 5 2b 3cx + 3cx = 2 3cx = 6cx c 2 + c 2 + c 2 + c 2 = 4 c 2 = 4c 2 a 4 + a 4 = 2 a 4 = 2a 4 x 3 + x 3 + x 3 = 3 x 3 = 3x 3 = 10b Lc2.a Schaue dir die Aufgaben der beiden Kästchen an! Was fällt dir auf? Beschreibe genau in Worten, was bei der Addition passiert. Addition - Addition Verschieden sind: Reihenfolge der Lernschritte Art der Fragen: vergleichen versus erklären 10% der Probeaufgaben Sequential Bedingung: am Ende zusätzliches Training von 20 gemischten Aufgaben 45
46 solution rate (total 58) Resultate I: Posttests Posttests Hypothesen bestätigt! Kontrastgruppe schneidet besser ab. 50 * * ** contrast sequential 10 0 T1: 1 Tag T2: 1 Woche T3: 10 Wochen 46
47 solution rate (in %) Resultate II: Lernphase Aber!!! Kontrastgruppe schnitt in der Lernphase schlechter ab Lernphase 100 ** ** ** contrast sequential 20 0 Probeaufg Repetitionsaufg Lerntest 47
48 Folgerungen für Lernsettings: Vergleiche Vergleiche sind ein wirkungsvolles Lernprinzip Ähnliche Konzepte können von Anfang an gleichzeitig gelernt werden, indem man sie kontrastiert. Vergleiche verlangsamen das Lerntempo, aber helfen das Wissen zu vertiefen. Fehler machen hilft beim Wissensaufbau: Gewisse Fehler müssen gemacht werden?! 48
49 Und die Begabungsunterschiede???
50 Intelligenztests und IQ Zahlenreihen: ? Analogien: Gramm : Gewicht = Stunde :? a) Minuten b) Zeit c) Uhr d) Tag e) Jahr f) Monat. 50
51 Intelligenzunterschiede und Schule: Das homogene Gymnasium..
52 Verteilung des IQs in Klasse 4 in Abhängigkeit von der Zuweisung zum Gymnasium bzw. zur Haupt/Realschule: Geschätzt aus den Daten der Münchener LOGIK-Studie (Weinert & Schneider, 1999).
53 Und 20 Jahre später? Bedeutung von IQ und sozialer Herkunft bei der Gymnasialempfehlung Frage: Verliert bei sehr hoher Intelligenz (+1 SD) die soziale Herkunft an Bedeutung? IGLU-Studie (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) Technische Universität Dortmund: Institut für Schulentwicklungsforschung Prof. Dr. Wilfired Bos, Benjamin Euen, Irmela Tarelli und Heike Wendt 53
54 Wahrscheinlichkeit einer Gymnasialempfehlung Soziale Herkunft IQ<100 IQ IQ > 115 hoch mittel niedrig
55 Wahrscheinlichkeit einer Gymnasialempfehlung Soziale Herkunft IQ<100 IQ IQ > 115 hoch mittel niedrig
56 Theoretische Verteilungen Die obersten 20% haben einen IQ zwischen und (theoretisch) Unendlich. - der Median (halbe Fläche) ist bei der Mittelwert ist bei
57 Intelligenz bei Schweizer Gymnasiasten 57
58 58
59 Was heisst Bildungsgerechtigkeit?
60 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
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