«Gleichgewicht wird wieder hergestellt»
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- Fritzi Althaus
- vor 7 Jahren
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1 Auflage: Gewicht: Hintergrundbericht/Reportage 1. November 2010 HINTERGRUND, SEITE 2 «Gleichgewicht wird wieder hergestellt» Wenn die berufliche Motivation einer dauernden Erschöpfung Platz macht, droht ein sogenanntes Burn-out. Im Interview mit den SN erklärt Jörg Püschel, Chefarzt des Psychiatriezentrums Breitenau, welche Personen besonders gefährdet sind und wie diese den Weg ins Arbeitsleben zurück finden können. VON ROBIN BLANCK Burn-out ist inzwischen ein gebräuchlicher Begriff der Alltagssprache geworden. Aber eine Krankheit ist Burn-out nicht? Jörg Püschel: Der Begriff wurde in der Arbeitspsychologie geprägt. Er beschreibt einen Erschöpfungszustand, den man in Zusammenhang bringt mit einer chronisch hohen Arbeitsbelastung. Der Erschöpfungszustand an sich ist keine Krankheit. Wenn aber dieser Zustand sehr stark ist und sowohl das Befinden als auch die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt sind, spricht man von einem krankheitswertigen Zustand. Das würde man in der Regel als Depression bezeichnen, und das wiederum ist eine Krankheit. Die Diagnose erfolgt aber allein aufgrund der Diagnose des Betroffenen? Püschel: Ja. Wahrgenommen werden Symptome wie Erschöpfung oder Konzentrationsschwierigkeiten. Solche Symptome sind je einzeln für sich genommen nicht ungewöhnlich. Ab wann spricht man von einem Burn-out? Püschel: Das Kernsymptom ist die Erschöpfung, die auch nach mehreren freien Wochenenden und auch nach den Ferien nicht verschwindet. Dazu kommen häufig ein Energie- und Motivationsverlust, Selbstzweifel, Rückzug und eine Reduktion der Interessen. Daneben gibt es körperliche Stresssymptome wie Nervosität, Schlafstörungen, psychosomatische Beschwerden und erhöhten Alkoholkonsum. Gibt es den typischen Burn-out- Betroffenen? Püschel: Nein, Männer und Frauen sind gleichermassen betroffen. In erster Linie handelt es sich nicht um Personen, die einer technischen Beschäftigung nachgehen, sondern um Personen, die beruflich mit anderen Menschen zu tun haben. Es sind dies Berufe, in denen man sich persönlich stark engagieren muss, in denen man abhängig ist von der Zufriedenheit des «Kunden», in denen man anderen Menschen beim Lösen ihrer Probleme helfen muss, wie das etwa ein Arzt, ein Lehrer, aber auch ein Mitarbeiter im Kundendienst tun muss. Ist Burn-out bei älteren Menschen stärker verbreitet?
2 Püschel: Nein. Burn-out tritt bei allen Altersstufen auf. Manche Betroffenen berichten davon, dass sie es am Morgen nicht geschafft haben, sich aus dem Bett zu erheben. Was passiert, wenn eine Person an den Punkt gelangt, wo es akut wird? Püschel: Wenn jemand mit diesen Symptomen zu mir kommt, muss zuerst abgeklärt werden, wie schwer der Erschöpfungszustand ist. Wenn man zum Schluss kommt, dass Erholung im Zentrum steht, wird die Person arbeitsunfähig geschrieben. In manchen Fällen ist es aber sinnvoller, den Betroffenen im Arbeitsprozess zu lassen und mit ihm nach Strategien zu suchen, um die Situation zu verbessern. Wie muss man sich das vorstellen? Püschel: Beispielsweise könnte es darum gehen, das Zeitmanagement zu verbessern: Wie gehe ich mit der beschränkten Zeit um? Dann soll das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Erholung wiederhergestellt werden. Man kann vermehrt Gewicht auf Freizeitaktivitäten legen, etwa mehr Sport treiben. Vernachlässigte Beziehungen sollen wieder gepflegt werden. Wichtig ist auch das Setzen von Grenzen: Regelmässiges Arbeiten bis spät in die Nacht darf es nicht mehr geben, stattdessen muss man beispielsweise um 19 Uhr aufhören. «Die Betroffenen schämen sich weniger und betrachten einen solchen Zustand nicht mehr als persönliches Versagen» Gibt es statistische Daten über die Häufigkeit von Burn-out? Püschel: Nein, denn Burn-out ist kein scharf abgegrenzter Begriff und taucht deshalb nicht in den medizinischen Statistiken auf. Aber die Diagnosestatistiken lassen erkennen, dass immer mehr Personen wegen Depression in Behandlung sind eine Entwicklung, die in ganz Europa gleich verläuft. Das heisst aber nicht, dass es mehr Depressionen gibt als früher. Sondern? Püschel: Dass die Leute heute eher Hilfe suchen. Die Betroffenen schämen sich weniger und betrachten einen solchen Erschöpfungszustand nicht mehr als persönliches Versagen, sondern als Krankheitszustand. Gerade deshalb ist die Burn-out-Diskussion so wichtig: Es wird ein Zusammenhang zwischen subjektiver Belastung, welche die Betroffenen am Arbeitsplatz erleben, und der Erschöpfung hergestellt. Ebenso ist zentral, dass man dieses Problem nicht nur mit einer Kündigung lösen kann, sondern auch über andere Wege. Burn-out ist behandelbar. Wie? Püschel: Von therapeutischer Seite kann die Arbeitssituation kaum beeinflusst werden, aber man kann die Erschöpfung stoppen. Wenn es nötig ist, wird eine Auszeit vereinbart. Entspannungstechniken werden vermittelt. Dann muss die Einstellung zur Arbeit angepasst werden: Viele Betroffene sind zu perfektionistisch und können die eigene Leistung nicht richtig einschätzen. Das ist eine Einstellung, die Erschöpfung fördert. Ein erhöhtes Risiko haben auch Menschen, die immer alles kontrollieren
3 fördert. Ein erhöhtes Risiko haben auch Menschen, die immer alles kontrollieren wollen. Um dem Problem beizukommen, braucht es einen ganz anderen Umgang mit sich selbst: Man muss seine Bedürfnisse besser wahrnehmen und auch ernst nehmen. Das kann im Widerspruch zu den Anforderungen der Arbeitswelt stehen, aber da muss man sich manchmal durchsetzen. Das ist nicht immer einfach, aber nötig. «Als Angehöriger oder Vorgesetzter sollte man diese Person ansprechen und seine Besorgnis ausdrücken» Wie soll eine Firma damit umgehen, wenn ein Mitarbeiter erklärt, er werde weniger arbeiten? Püschel: Ein Betrieb kommt am Ende nicht darum herum, die Leistungsgrenze seiner Mitarbeiter zu akzeptieren, denn er kann kein Interesse daran haben, dass die Leute arbeitsunfähig werden und ihre Motivation verlieren. Erfolgt die Behandlung stationär oder ambulant? Püschel: In der Regel erfolgt die Hilfe ambulant im Rahmen einer Beratung oder in Form einer ambulanten Psychotherapie. Wenn die Erschöpfung sehr gross ist, kann in manchen Fällen eine stationäre Behandlung angezeigt sein. Wie viele der behandelten Patienten kehren in den Arbeitsalltag zurück? Püschel: Entsprechende Zahlen liegen nicht vor. Wenn aber jemand eine Therapie bei uns antritt, ist das Ziel der Erhalt der Arbeitsfähigkeit respektive deren Zurückgewinnung. Das ist ganz entscheidend, denn Arbeit gibt Sinn und Bestätigung. Arbeitsunfähigkeit ist eine zusätzliche grosse Belastung, die wir den Menschen ersparen wollen. Psychische Probleme sind in vielen Fällen vorübergehend und behandelbar. Wie soll das Umfeld einer Person reagieren, die Symptome eines Burn-outs zeigt? Püschel: Als Angehöriger oder Vorgesetzter sollte man diese Person ansprechen und seine Besorgnis ausdrücken. Und natürlich sollte man die betroffene Person auf Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten hinweisen. Häufig braucht es sogar mehrere Gespräche, aber das ist der erste Schritt zur Hilfe. Den Begriff Burn-out gibt es seit Wie gingen frühere Generationen, deren Arbeitsbelastung höher war, mit dieser Problematik um? Püschel: In der Industrie lag die Arbeitsbelastung früher viel höher als heute, die Leute waren sicher dadurch sehr stark belastet. In den Siebzigerjahren wurden Erschöpfungszustände aber auch bei Ärzten und Lehrern festgestellt also bei Personen, die keine körperlich anstrengenden Berufe ausüben. So rückte die emotionale Belastung mehr ins Zentrum. Viele Lebensbereiche haben in jüngster Zeit eine Beschleunigung erfahren, mobile Kommunikation, das Internet wären hier zwei Stichworte. Welche Rolle spielen solche Entwicklungen, wenn man von einer erhöhten Arbeitsbelastung spricht? Püschel: Die Arbeitsprozesse werden immer schneller, eine Reorganisation jagt die andere. Es scheint, als ob alles in dauernder Veränderung wäre. Dies führt dazu, dass
4 sich der Einzelne nicht mehr so stark mit seinem Arbeitsplatz identifiziert. «Gleichgewicht zwischen Arbeit und Erholung wieder herstellen»: Dr. Jörg Püschel ist Chefarzt des Psychiatriezentrums Breitenau in Schaffhausen. Bild B. + E. Bührer --- Psychiatriezentrum Breitenau Veranstaltungen rund um das Thema psychische Gesundheit Im Hinblick auf den «Tag der psychischen Gesundheit» vom 10. Oktober hat das Psychiatriezentrum Breitenau zusammen mit dem Patientenrat und der Seelsorge des Psychiatriezen-trums eine Veranstaltungsreihe organisiert. Das Motto lautet «Psychische Gesundheit schützen und psychische Krankheit nachhaltig behandeln». Dabei soll auf die Belange psychisch erkrankter Menschen aufmerksam gemacht und über Prävention und Therapie informiert werden. Bereits haben zwei Veranstaltungen stattgefunden, heute Abend geht es mit einem Referat zum Thema Burn-out weiter: Nach einer Begrüssung und Einführung durch Chefarzt Dr. Jörg Püschel referiert Dr. Hans- peter Flury zum Thema «Psyche und Arbeit ein Zusammenspiel?» Flury wird unter anderem der Frage nachgehen, ob Arbeit angesichts der immer häufigeren Fällen von Burn-out zum Gesundheitsrisiko werden kann. Auch sollen die vorhandenen Lösungsansätze aus der Sicht der betroffenen Menschen, der Betriebe und der Gesellschaft diskutiert werden. (r.) Montag, 1. November, ab Uhr (Apéro), Einführung Dr. Jörg Püschel, danach Vortrag Hanspeter Flury, Saal des Psychia-triezentrums Breitenau, Breitenaustrasse 124, Schaffhausen --- Burn-out Definition eines Erschöpfungszustandes Unter Burn-out (engl. für «ausbrennen») versteht die Fachwelt eine emotionale, körperliche, psychische und soziale Erschöpfung. Ein Burn-out entsteht durch die dauerhafte Überforderung der eigenen Leistungsfähigkeit Dauerstress, ohne
5 ausreichenden Ausgleich/Erholung. Die Betroffenen haben meist nicht gelernt, mit den eigenen Energieressourcen zu haushalten, und wissen oft nur unzureichend, wie man sie wieder auffüllt. Der Begriff wurde 1974 vom Psychoanalytiker Herbert Freudenberger eingeführt. Schaffhauser Nachrichten
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