Katrin Werner Mitglied des Deutschen Bundestages. Armut in Rheinland-Pfalz bekämpfen
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- Nelly Linden
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1 Armut in Rheinland-Pfalz bekämpfen Aktuelle Situation in Deutschland Armut ist in Deutschland leider seit geraumer Zeit wieder ein relevantes Thema. Mit den sogenannten Sozialreformen unter Rot-grün (Agenda 2010 und Hartz IV) hat sich bundesweit die Schere zwischen arm und reich immer weiter und schneller geöffnet. Gleichzeitig fehlt es am politischen Willen und an geeigneten Maßnahmen, um die sich ausbreitende Armut wirksam zu bekämpfen. Betroffen sind gerade die Schwächsten unserer Gesellschaft: Kinder, die in Hartz IV- Haushalten leben, Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Rentnerinnen und Rentner, Migrantinnen und Migranten, Menschen mit chronischen Erkrankungen, aber auch zahlreiche Erwerbstätige mit niedrigen Einkommen wie Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, Teilzeitbeschäftigte und Beschäftigte im Dienstleistungssektor. Bei letzteren reicht das Monatseinkommen oft nicht zur persönlichen bzw. familiären Existenzsicherung aus, sodass ergänzende Sozialleistungen in Anspruch genommen werden müssen. Armut bedeutet für die Betroffenen vor allem Einschränkungen bei der sozialen und kulturellen Teilhabe in unserer Gesellschaft. Es fehlt häufig das Geld für soziale und sportliche Freizeitaktivitäten, für die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, für die Urlaubsreise mit der Familie oder die Klassenfahrt der Kinder etc. In der Regel handelt es sich also um relative Einkommensarmut der Eltern (bzw. von Erwachsenen) als Folge von Langzeiterwerbslosigkeit oder zu niedriger Erwerbseinkommen. Parallel dazu breitet sich in letzter Zeit aber auch vermehrt Ernährungsarmut in Deutschland aus. Zeugen für diesen Mangel sind die größtenteils ehrenamtlich betriebenen Tafeln, die in manchen Orten wie Pilze aus dem Boden schießen. Bundesweit versorgen sie mittlerweile ca. 1,5 Millionen bedürftige Personen mit Lebensmitteln. Besonders alarmierend: Mindestens ein Viertel davon sind Kinder und Jugendliche. Dies beweist: Die staatlichen Grundsicherungsleistungen (Hartz IV, Sozialhilfe) sind eindeutig zu niedrig, um Ernährungssicherheit für alle zu garantieren. Rheinland-Pfalz ein geteiltes Land In Rheinland-Pfalz waren Ende 2011 ca Menschen auf finanzielle Hilfen des Staates angewiesen, um ihren grundlegenden Lebensunterhalt zu sichern. Damit bezogen 6,6 Prozent der Bevölkerung, d. h. etwa jede 15. Rheinland-Pfälzerin und jeder 15. Rheinland- Pfälzer, Leistungen der sozialen Mindestsicherung. Die rot-grüne Landesregierung schmückt 1
2 sich gern damit, dass dies im Vergleich der Bundesländer die drittniedrigste Quote (nach Bayern und Baden-Württemberg) sei. Sie verschweigt allerdings, dass parallel dazu aus den o. g. Gründen die Armutsgefährdungsquote mittlerweile dramatisch auf 15 Prozent gestiegen ist. Das heißt: Etwa jede siebte Einwohnerin und jeder siebte Einwohner von Rheinland-Pfalz ist demnach von Armut bedroht. Gemäß EU-Konvention errechnet sich die Armutsquote aus dem Anteil der Personen, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens der Erwerbsbevölkerung beträgt. Dieser Wert wird auch als Armutsgefährdungsschwelle bezeichnet. Bundesweit liegt dieser Wert für einen Einpersonenhaushalt bei einem Monatseinkommen von 848 EURO. Für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren liegt die Armutsgefährdungsquote bei EURO im Monat. Wer mit seinem Einkommen darunter liegt, gilt offiziell als arm. Differenziert nach einzelnen Bevölkerungsgruppen, ergibt sich für Rheinland-Pfalz nach Angaben des Statistischen Landesamts folgendes Bild: Lebensalter: In erhöhtem Maß von Armut bedroht sind unter 18-Jährige (19,3 Prozent) sowie die 18 bis unter 25-Jährigen (21,6 Prozent). Auch die über 65-Jährigen haben ein höheres Armutsgefährdungsrisiko (16,8 Prozent). Dies bedeutet, die Kinder- und Jugendarmut ist auch in Rheinland-Pfalz merklich angestiegen, ebenso wie die Altersarmut. Geschlecht: Frauen sind deutlich stärker von Armut bedroht als Männer. Ihr Armutsrisiko steigt mit zunehmendem Lebensalter auf 20 Prozent bei den über 65-jährigen Frauen gegenüber 12,8 Prozent bei gleichaltrigen Männern. Die ausschlaggebenden Gründe hierfür sind vor allem Unterbrechungen der Erwerbsbiografien durch Kindererziehungszeiten oder Pflege von Angehörigen und in geringerem Umfang die Entgeltungleichheit zwischen den Geschlechtern trotz gleicher Arbeit. Hinzu kommen die Niedriglohnfalle und geringfügige Beschäftigung, wovon Frauen deutlich stärker betroffen sind als Männer. Dadurch haben viele Frauen geringere gesetzliche Rentenansprüche als Männer, was bei ihnen im Alter häufiger zu Armut führt. Besonders beschämend ist, dass in Rheinland-Pfalz die durchschnittlichen Renten von Frauen im Jahr 2011 mit 681 EURO/Monat nicht nur weit unter dem Existenzminium lagen, sondern darüber hinaus sogar bundesweit die niedrigsten Renten waren! Haushalts- und Familienzusammenhang: 2
3 Alleinerziehende und deren Kinder unter 18 Jahren weisen mit 46,6 Prozent die zweithöchste gruppenspezifische Armutsgefährdungsquote auf. Alleinerziehende sind meist Frauen, die ohne Partner ihre Kinder großziehen müssen und hierfür nur ihr eigenes Einkommen zur Verfügung haben. Gleichzeitig sind ihre Beschäftigungschancen auf dem Arbeitsmarkt deutlich schlechter als diejenigen von kinderlosen Arbeitnehmerinnen. Innerhalb der EU ist Deutschland noch immer Schlusslicht, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Qualifikationsniveau: Geringqualifizierte sind mit 28,7 Prozent fast sechsmal stärker armutsgefährdet als Hochqualifizierte (5 Prozent). Dies ist darauf zurückzuführen, dass Geringqualifizierte beim Stellenabbau in Unternehmen oft als erste entlassen werden, sodass sie häufiger und meist auch länger von Erwerbslosigkeit betroffenen sind als höher qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Erwerbsstatus: Erwerbslose sind von allen Bevölkerungsgruppen mit Abstand am stärksten von Armut bedroht. Die Quote betrug im Jahr ,1 Prozent. Der Großteil davon sind Langzeiterwerbslose, die seit mehr als drei Jahren keine Erwerbstätigkeit mehr hatten und demzufolge vollständig auf staatliche Hilfen zum Lebensunterhalt (Hartz IV) angewiesen sind. Migrationshintergrund: Migrantinnen und Migranten sind mit 27,5 Prozent ebenfalls in erhöhtem Maß durch Armut bedroht. Dies liegt daran, dass sie deutlich häufiger von Erwerbslosigkeit betroffen sind als Nichtmigrantinnen und Nichtmigranten. Vor allem männliche Migranten unter 25-Jahren gelten als besonders armutsgefährdet. Ihr höheres Armutsrisiko ist vor allem darauf zurückzuführen, dass viele von ihnen die Schule ohne Abschluss verlassen haben und sie deshalb häufig auch ohne Berufsausbildung geblieben sind. Urbanität von Armut Armut ist in Rheinland-Pfalz ein strukturelles Problem der Städte, weil in den großen Ballungszentren deutlich mehr Menschen leben, die von Erwerbslosigkeit betroffen sind. Hinzu kommen die zum Teil extrem gestiegenen Mieten für Wohnraum, die einen immer größeren Teil des verfügbaren Monatseinkommen aufzehren. Dies bedeutet aber nicht, dass es in den ländlichen Gebieten prinzipiell mehr Arbeit gäbe. Gerade auch in Rheinland-Pfalz ist Landflucht weit verbreitet. Von einem Umzug in die größeren Städte erhoffen sich viele 3
4 Menschen bessere Bildungsmöglichkeiten für ihre Kinder, mehr Arbeitsplatzangebote und eine besser ausgebaute soziale und kulturelle Infrastruktur. Es macht auch einen Unterschied, ob das Arbeitsamt oder andere behördliche und soziale Einrichtungen ggf. zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind oder ob wie im ländlichen Raum meist unabdingbar ein Auto notwendig ist, um die Aufgaben und Wege des alltäglichen Lebens zu bewältigen. Die Region mit dem höchsten Armutsanteil gemessen an der Gesamtbevölkerung ist die Westpfalz mit 16,8 Prozent, dicht gefolgt von der Region Rheinhessen-Nahe mit 16,7 Prozent. Der Anteil der Armutsbevölkerung in Mittelrhein- Westerwald beträgt 15,1 Prozent und in der Region Trier 14,1 Prozent. Die Rheinpfalz hat mit 13,3 Prozent den geringsten Anteil vorzuweisen. Was ist zu tun? Maßnahmen gegen Armut Da die Einkommens- und Armutsentwicklung nicht von der Gesetzgebung des Bundes losgelöst betrachtet werden kann, ist vor allem auf der Bundesebene ein politischer Richtungswechsel dringend notwendig. Forderungen der LINKEN: Sofortige Anhebung der Hartz IV-Regelsätze auf 500 EURO: Garantie eines menschenwürdigen materiellen Existenzminimums. Entsprechende Erhöhung der Kinderregelsätze, um Kinderarmut zurückzudrängen. Perspektivisch Abschaffung von Hartz IV und Einführung einer repressionsfreien, bedarfsorientierten Grundsicherung: Das Sanktionsregime gegen Erwerbslose und Sozialhilfeempfangende muss abgeschafft werden. Das Bildungs- und Qualifikationsprofil der Erwerbslosen muss bei der Arbeitsvermittlung der Jobcenter berücksichtigt werden. Einführung eines gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohns in Höhe von 10 EURO pro Stunde: Armut trotz Arbeit verstößt gegen die Menschenwürde. Leih- und Zeitarbeit sind auf die Bewältigung von konjunkturellen Auftragsspitzen in den Unternehmen zu begrenzen. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (400 EURO-Jobs) müssen in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden. Solidarische Mindestrente von 900 EURO pro Monat: Die gesetzliche Rente muss armutsfest gemacht werden, um im Alter ein Leben in Würde zu garantieren. Rentnerinnen und Rentner muss der entwürdigende Gang zum Sozialamt erspart bleiben. Die steigenden Lebenshaltungskosten, 4
5 insbesondere der Anstieg der Wohnraummieten und Energiepreise treffen zahlreiche Ruheständlerinnen und Ruheständler mit geringen Renten besonders hart. Die tatsächlichen Lebenshaltungskosten müssen in der solidarischen Mindestrente berücksichtigt werden. Dies erfordert mittelfristig eine Mindestrentenerhöhung auf EURO pro Monat. Sozial integratives Bildungssystem: Gleiche Bildungschancen für alle Kinder, unabhängig von der sozialen oder ethnischen Herkunft. Ersetzung des mehrgliedrigen Schulsystems durch die integrative Gemeinschaftsschule mit gemeinsamem Lernen in kleineren Schulklassen mit maximal 15 Schülerinnen und Schülern. Gleichzeitig müssen mehr Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden. Beides ermöglicht die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler und stärkt frühzeitig ihre sozialen Kompetenzen. Das Wohl und der Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler muss im Mittelpunkt stehen. Die Bildungspolitik ist Ländersache. Rheinland-Pfalz könnte hierbei längst weiter sein und muss endlich eine Vorreiterrolle übernehmen. Bessere Kinderbetreuungsangebote: Es reicht nicht, den Besuch von Kindertagesstätten ab dem 1. Lebensjahr beitragsfrei zu gestalten. Es müssen zunächst vor allem neue Kindertagesstätten und Ganztagsschulen gebaut werden, denn die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem. Ab 2013 wären viele Frauen praktisch gezwungen, das unsinnige Betreuungsgeld ( Herdprämie ) der Bundesregierung anzunehmen, weil es zu wenig Kindergärtenplätze gibt. Anstelle vollmundiger Versprechen muss die Landesregierung unverzüglich mit dem Ausbau der Infrastruktur für die Kinderbetreuung beginnen und den Kommunen hierfür zusätzlich Geld zur Verfügung stellen. 5
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