Einfluss der Migration
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- Katrin Sternberg
- vor 7 Jahren
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1 Einfluss der Migration auf Leistungserbringung und Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen in Wien Eine Studie im Auftrag von MA 24 und Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen Institut für Soziologie Prof. Christoph Reinprecht Eva Rossbacher, Ina Wilczewska, Faime Alpagu, Devran Koyupinar
2 Fragestellungen und Zielformulierung Warum nimmt ein Großteil der älteren Wienerinnen und Wiener ausländischer Herkunft Pflegeleistungen in geringerem Ausmaß in Anspruch als in Österreich geborene Ältere? Welche Einflussfaktoren lassen sich diesbezüglich herausarbeiten? Welche Rückschlüsse ergeben sich daraus auf die künftige Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen? Und welche Rückschlüsse ergeben sich daraus auf die Ausgestaltung der Angebote im Bereich Betreuung und Pflege?
3 Ausgangssituation 1. Unverhältnismäßig geringe Inanspruchnahme von mobilen, teilstationären und stationären Angeboten in manchen Bevölkerungsgruppen. Dies wird v.a. für Angehörige der Arbeitsmigration aus Ex-Jugoslawien und Türkei beobachtet, d.h. für Gruppen, für die ein hohes Betreuungs- und Pflegepotential angenommen werden kann 2. Wachsende Buntheit des Alter(n)s: Anteil der Älteren mit Migrationsgeschichte nimmt stark zu
4 Herkunftsgruppen 60plus nach Größe 2013 gereiht (absolute Werte) Serbien Tschechische Republik Deutschland Bosnien-Herzegowina Polen Türkei Ungarn Kroatien Rumänien Slowakei Iran Russische Föderation Philippinen Mazedonien Slowenien Bulgarien Italien Quelle: Bevölkerungsstatistik, ; eigene Berechnung
5 Forschungsdesign: Befragung von Zielpersonen Fragebogenerhebung in fünf relevanten Herkunftsgruppen Türkei, Bosnien, Serbien, Polen und Iran Themen (Auswahl): Lebenssituation objektiv und subjektiv - wie bewerten die Menschen selbst ihre Situation? Wissens- und Informationsstand über soziale Dienste Familiäre (und andere) Betreuungs- und Pflegeressourcen Präferenzen in Hinblick auf Betreuung und Pflege Alterserwartungen und Altersbilder Einstellungen und Werte Durchführung der Interviews in fünf Sprachen (deutsch, polnisch, BSK, türkisch, persisch)
6 Stichprobenbeschreibung (1) Zahl der Befragten: 429 etwa gleiche Anteile aus Türkei, Bosnien, Serbien, Polen und Iran Durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Österreich: 30 Jahre Migrationsgrund: Arbeit (52%), Asyl (17%), Familienzusammenführung (33%) durchschnittliches Alter 63 Jahre Jährige 41%, Jährige 38%; über 70-Jährige 21% Geschlecht: 55% weiblich
7 Stichprobenbeschreibung (2) Familienstatus: 69% verheiratet; 14% verwitwet; 13% geschieden Haushalt: 23% Singles Staatsbürgerschaft: 49% österreichisch Bildungsstatus: 22% ohne Pflichtschulabschluss (Türkei 68%); 29% Uni- Abschluss (Iran 65%) Berufsstatus: 52% in Pension Haushaltseinkommen: 25% max Euro Ausgleichszulage: 36% der PensionsbezieherInnen Inanspruchnahme sozialer Dienste: Pflegegeld (12%), mobile Dienste (5%)
8 Themen der Präsentation (1) Inklusion: Informiertheitsgrad und Inanspruchnahme (2) Zukunftssorgen und Alterserwartungen (3) Sorgen bei Inanspruchnahme von sozialen Diensten (4) Wohnformpräferenzen bei Pflegebedürftigkeit (5) Erwartungen an die Pflegekraft (6) Erwartungen an ein Pensionistenwohnheim (7) Erwartungen an die Familie (Verpflichtungsnormen) (8) Soziale Einbindung und Anerkennung Analyse möglicher Einflussfaktoren Schlussfolgerungen und Empfehlungen
9 (1) Inklusion: Informiertheitsgrad und Informationsquellen 21% der Befragten haben sich bereits informiert, wobei dies größtenteils durch Frauen erfolgt ist. Informationsquellen sind häufig informell, rund ein Drittel hat sich durch die Stadt Wien bzw. den FSW informiert. Wichtigste Informationsquellen: 49% Informell: Familie 48% Informell: Bekannte und Freunde 43% Hausarzt 34% Städtische Einrichtung (einschließlich FSW) 16% Beratungsstelle 13% Schriftliches Informationsmaterial 7% Internet 27% jener, die sich noch nicht informiert haben, wissen nicht, wo sie sich informieren sollen
10 (1) Inklusion: Bekanntheitsgrad und aktive Nutzung Ergo- und Physiotherapie Bekannt Wird/Wurde genutzt Pflegegeld Mobile Betreuung zu Hause 82 7 Pensionistenwohnheim 80 1 Pensionistenklubs 64 6 Tageszentrum 60 3 Essen auf Rädern 59 2 SeniorInnenalarm 44 1 Angebot eines ethnischen Vereins Bürgerdienst 30 1
11 (2) Zukunftssorgen und Alterserwartungen Die Gedanken an die Zukunft werden von zwei Themen dominiert: Von der Sorge um die eigene Gesundheit (57%) und von der Sorge um das Wohlergehen der Kinder (52%). Psychosozialen Druck erzeugen vielfach auch Heimweh (39%), das Älterwerden an sich (33%) und die finanzielle Situation (29%). Der Gedanke an eine mögliche Pflege von Angehörigen belastet 22%, die familiäre Situation 18%. Befragte aus Serbien äußern überdurchschnittlich Sorgen um die eigene Gesundheit und das Älterwerden, Befragte aus der Türkei fühlen sich in Hinblick auf das soziale und institutionelle Umfeld gestresst. Beide Gruppen fühlen sich auch am wenigsten gut für das Alter abgesichert. Befragte aus der Türkei schätzen ihre materielle Lage besonders schlecht ein.
12 (2) Zukunftssorgen und Alterserwartungen In den Altersvorstellungen dominiert der Gedanke der Freiheit gegenüber Vorstellungen von Offenheit und Einsamkeit. Befragte aus der Türkei erwarten eher Einsamkeit und weniger Freiheitsgewinne, begegnen dem Alter tendenziell mit mehr Offenheit.
13 (3) Sorgen bei Inanspruchnahme sozialen Diensten Das Thema soziale Dienste ist für knapp die Hälfte der Befragten mit Unsicherheit belegt (z.b. Sprachverständnis), gut jede/r Vierte fühlt sich unwohl, eine Leistung in Anspruch zu nehmen, gut jede/r Fünfte sorgt sich vor Diskriminierung, Überforderung oder dass Kosten anfallen. Befragte aus der Türkei sorgen sich überdurchschnittlich häufig vor finanziellen und sozialen Belastungen, Befragte aus Polen fühlen sich signifikant häufiger unbehaglich.
14 (4) Wohnformpräferenzen bei Pflegebedürftigkeit Für den Fall der Pflegebedürftigkeit dominiert der Wunsch nach Verbleib in der eigenen Wohnung mit professioneller Betreuung, gefolgt von der Betreuung durch die Familie (Familienwohnung), rund ein Drittel kann sich mit der Vorstellung einer stationären Einrichtung anfreunden.
15 (5) Erwartungen an die Pflegekraft Unter den Befragten dominieren universelle Erwartungen wie Respekt, Empathie oder Professionalität. Kulturelle Übereinstimmung (Pflegekraft verfügt über dieselben Merkmale bzw. Präferenzen wie die befragte Person) ist eher nachrangig.
16 (6) Erwartungen an ein Pensionistenwohnhaus Die Attraktivität eines PensionistInnenwohnhauses definiert sich primär über sozial-emotive (Wohlbefinden 95%, Geselligkeit 82%) und weniger über kulturelle Merkmale (gemeinsame Herkunft/Sprache 59%, Religion 46%).
17 (7) Erwartungen an die Familie (Verpflichtungsnormen) Bei rund einem Viertel der Befragten begründen familienorientierte Werte die Erwartung, dass andere Familienangehörige, v.a. Kinder, die Pflege übernehmen sollen. Eine Mehrheit der Befragten erwartet sich generationsübergreifende Wertekontinuität ( Einbindung ).
18 (8) Soziale Einbindung und Anerkennung Soziale Netzwerke setzen sich hauptsächlich aus Familienmitgliedern und Verwandten zusammen. Tendenziell über größere Netzwerke verfügen Befragte aus Türkei und Polen. Für Notfälle und Unterstützung bei Pflege stehen insgesamt nur beschränkt soziale Ressourcen zur Verfügung. 9 Prozent können niemanden nennen, an den sie sich im Notfall wenden können. Knapp die Hälfte der Befragten sind aktiv in Vereinen engagiert, meist in kirchlichen bzw. religiösen Gemeinschaften sowie Freizeit- und Kulturvereinen. Besonders vereinsaffin sind Befragte mit Herkunft Türkei und Bosnien. Mehr als die Hälfte der Befragten aus der Türkei gibt an, im beruflichen Alltag aufgrund ihrer Herkunft wiederholt benachteiligt worden zu sein. Ein Drittel der MigrantInnen aus der Türkei und dem Iran berichtet zudem über wiederholte schlechte Erfahrungen mit Ämtern und Behörden. Mit Unfreundlichkeiten in der Nachbarschaft war bzw. ist rund ein Viertel der Befragten aus Serbien und der Türkei immer wieder konfrontiert.
19 Analyse möglicher Einflussfaktoren auf Pflege durch Familie (Kinder) Pflege durch professionelle Dienste Stationäre Pflegeeinrichtung Inklusion (Zugang zu Information) Emotionale Distanz zu Österreich und starke familiale Verpflichtungsnormen begünstigen die Orientierung am Modell «Pflege durch Familie» Bildungsnähe, höheres Einkommen, bessere Wohnversorgung sowie universelle Erwartungen an Pflege (Empathie, Professionalität) begünstigen das Modell «Pflege durch professionnelle Dienste» Diskriminierungserfahrungen, Angst vor Einsamkeit, ein geringer Informationsgrad sowie die Befürchtung von Belastungen bei Inanspruchnahme sozialer Dienste hemmen die Bereitschaft für das Modell «stationäre Pflege» Höheres Einkommen, Deutschkenntnisse, das Fehlen von Diskriminierung sowie Erfahrung mit sozialen Einrichtungen begünstigen die Inklusion (Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe)
20 Schlussfolgerungen und Empfehlungen Weniger die nationale Herkunft als vielmehr die soziale Stellung und die Zugehörigkeit zu einem sozialen Milieu sind bestimmende Faktoren der Inanspruchnahme von Angeboten und Diensten der Betreuung und Pflege Der Zugang zu Wissen und Information sollte zielgerichtet und persönlich gestaltet werden; es braucht fachlich qualifizierte Mittelspersonen zwischen Communities, Sozialdiensten und Verwaltung Inklusive Lösungen: es werden Lösungen bevorzugt, die im Prinzip für alle offen sind, aber gruppenspezifische Vergemeinschaftung und Integration zulassen. Ganz auf die Eigengruppe ausgerichtete Angebote sind weniger attraktiv. Angebotsvielfalt und Individualität als Leitprinzipien
21 Schlussfolgerungen und Empfehlungen (2) Pflegekräfte sind mit universellen (Professionalität) und spezifischen Erwartungen (Sprache, kontextbezogenes Wissen) konfrontiert. Die Förderung fachlicher Kompetenz und kontextgebundenes Wissens hat so gesehen gleiche Priorität Grundvoraussetzungen sind ein Bekenntnis zum Diversitätsansatz, ein ganzheitlicher Zugang zum Thema Migration sowie die Vernetzung möglichst aller Akteure, einschließlich des medizinischen Systems (z.b. HausärztInnen) sowie aus dem Feld der (migrantischen/ ethnischen) Selbstorganisation Für den Planungs- und Entwicklungsprozess ist ein kontinuierliches Monitoring erforderlich. Leitprinzip ist die Einbindung der Betroffenen als ExpertInnen ihrer Lebenswelt in Planung und Maßnahmenentwicklung
22 Danke für die Aufmerksamkeit! Die Studie Einfluss der Migration auf Leistungserbringung und Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen in Wien kann auf der Website der MA 24 und des Instituts für Soziologie der Universität Wien gratis heruntergeladen werden. (Kurzfassung) (Kurz- und Langfassung)
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