Einführung in die Syntax und Morphologie. Vorlesung mit Übung WS 2010/2011, Computerlinguistik
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- Michael Tiedeman
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1 Einführung in die Syntax und Morphologie Vorlesung mit Übung WS 2010/2011, Computerlinguistik 03
2 Segmentierbarkeit Minimalzeichen Zeichen segmentierbar nicht segmentierbar formal segmentierbar (zwei wiederkehrende Bestandteile) defektiv segmentierbar (ein wiederkehrender, ein nichtwiederkehrender Bestandteil) unbedingt segmentierbar (Bestandteile haben angebbare Inhalte) bedingt segmentierbar (Inhalte kaum angebbar) Hündin recieve Himbeere geb
3 Identifizierung und Klassifizierung Wann liegt dasselbe Minimalzeichen vor, wann verschiedene? Mögliche Beziehungen zwischen zwei Elementen: Gleichheit des Ausdrucks und Gleichheit des Inhalts, Gleichheit des Ausdrucks und Verschiedenheit des Inhalts, Verschiedenheit des Ausdrucks und Gleichheit des Inhalts, Verschiedenheit des Ausdrucks und Verschiedenheit des Inhalts
4 Identifizierung und Klassifizierung Abfolge im Verlauf vs. Gegenüberstellung im System Das System umfasst ein Inventar von Elementen sowie Regeln für deren Anwendung ( paradigmatisch) Ein Verlauf ist bereits analysierte Kette von Elementen einer bestimmten Ebene Verwirklichung einer der vom System zugelassenen Verwendungsmöglichkeiten ( syntagmatisch) Es liegen im System und Im Verlauf dieselben Elemente vor, aber sie werden im System von einem anderen Gesichtspunkt betrachtet als im Verlauf.
5 Identifizierung und Klassifizierung Die Beschreibung einer Sprache geht vom Verlauf aus und zunächst ermittelt durch Segmentierung syntagmatische Beziehungen, um dann die so gewonnenen Segmente nach gemeinsamen Eigenschaften (also paradigmatischen Beziehungen) zu ordnen und auf diese weise zur Darstellung des Systems zu gelangen. sinnvolle terminologische Unterscheidung: Vorkommen im Verlauf Token Element des Systems Type
6 Morphologisch relevante Einheiten Segmentieren K i n d e r l a c h t e n Klassifizieren e ess n iß essen en gess s aß er <leer> Varianz lexikalisch gesteuert phonologisch bedingt plural Bett en en, Brett er er knife knives; index indices fütter t, arbeit et et cats [s] dogs [z] horses [iz]
7 Morphologisch relevante Einheiten Die kleinste bedeutungstragende Bestandteile der Sprache Als Ergebnisse des Segmentierens sind dies zunächst die Morphe; diese können abstrakten Einheiten, den Morphemen, zugeordnet werden. Parallel zu den Allophonen in der Phonologie können auch in der Morphologie Varianten auftreten, so genannte Allomorphe. Im Zusammenhang mit all diesen Einheiten wird eine Reihe von Einzelfragen zu klären sein.
8 Morphologisch relevante Einheiten Morpheme vs. Silben (Minimalzeichen) (tragen keine Bedeutung) Die Klassifizierung von Morphen als Allomorphe eines Morphems beruht auf gleicher Bedeutung und komplementärer Verteilung. abstrakte Morpheme (Grammeme) stehen oft in Opposition Sg vs. Pl... Numerus Masc vs. Fem vs. Neut... Genus Praes vs. Perf vs. Imperf vs. Pluperf vs. Fut... Tempus Act vs. Pass... Genus verbi
9 Identifizierung und Klassifizierung equalise formalise Adjective > Verb widen darken deafen Derivation Flexion -ise -en -s oxen dogs PLURAL
10 Identifizierung und Klassifizierung Morph A Synonymie Morphem 1 Allomorphe von Morphem 1 Morph B Homonymie Synonymie Allomorphe von Morphem 2 Morph C Morphem 2
11 Allomorphe des Pluralmorphems im Deutschen (Beispiel)
12 Gegenstand der Morphologie Mengen homonymer und synonymer Minimalzeichen sowie deren Eigenschaften Laute (Form, Ausdruck) Bedeutung (Funktion, Inhalt) Zur Erinnerung: Jedes sprachliche Zeichen ist bilateral, also durch Form und Bedeutung definiert. Die Form ist immer materiell, also bei der Sprache akustisch bzw. graphisch gegeben. Die Bedeutung lässt sich nur über die Form erschließen. Elementare sprachliche Zeichen heißen Minimalzeichen
13 Die Beziehung zwischen Form und Bedeutung bei Allomorphen und homonymen Morphen Inhaltsebene Bedeutung Bedeutung1 Bedeutung2 Bedeutung3 Morphem1 Morphem2 Morphem3 Morphem Form 1 Form 2 Form 3 Allomorphe homonyme Form Ausdrucksebene
14 Morphe Morphem Allomorphe Morph eine Menge homonymer Minimalzeichen Minimalzeichen mit derselben Form gehören zu einem Morph Morphem eine Menge synonymer Minimalzeichen Minimalzeichen mit derselben Bedeutung bilden ein Morphem Allomorphe Minimalzeichen, die zu einem Morphem gehören Sind synonyme Minimalzeichen zum Morphem klassifiziert worden, sind sie Allomorphe dieses Morphems.
15 Morphe Morphem Allomorphe Morphe: tatsächliche Segmente einer Wortform l a c h t e lachte Morphem: linguistische Abstraktion die kleinste Einheit (innerhalb eines Wortes) mit einer bedeutungstragenden Funktion besteht aus zusammenhängende Phonemsequenzen lach te (Was wird hier vermitteln?) lexikalische Information: die Assoziation, die man bei lach empfindet (strahlende Augen, hochgezogene Mundwinkel ) grammatische Information: te trägt die Bedeutung der 3. Person Singular Präteritum in sich Allomorphe: (bedingte) Realisierungen eines Morphems.
16 Vgl. Phone Phonem Allophone Phone: tatsächlich vorkommende Laute Phonem: linguistische Abstraktion, die kleinste Einheit mit einer bedeutungsunterscheidenden Funktion Hut / Mut / Wut Allophone: konkret realisierte Varianten eines Phonems Die Klassifizierung von Phonen als Allophone eines Phonems beruht auf ihrer Distribution (= Vorkommen) und phonetischer Ähnlichkeit!
17 Zur Bestimmung von Morphemen Zellig Harris gibt folgende Forderungen an (1942=dt.1976: 2.2) 1. Die Allomorphe eines Morphems müssen dieselbe Bedeutung haben. 2. Es dürfen nie zwei Allomorphe eines Morphems in derselben Umgebung auftreten. 3. Wenn ein Morphem mehrere Allomorphe hat, so muss die Gesamtheit der Umgebungen, in denen diese Allomorphe jeweils auftreten, mit der Gesamtheit der Umgebungen übereinstimmen, in denen ein anderes Morphem mit nur einem Allomorph vorkommt. Charls Hockett modifiziert zwei dieser Punkte (1947:Teil III) 2. Falls zwei Allomorphe eines Morphems in derselben Umgebung auftreten, so müssen sie dort ohne Bedeutungsunterschied austauschbar sein. 3. Wenn ein Morphem mehrere Allomorphe hat, so muss die Gesamtheit der Umgebungen, in denen diese Allomorphe jeweils auftreten, der Gesamtheit der Umgebungen gleichen, in denen die Allomorphe eines beliebigen anderen Morphems vorkommen.
18 Morphologische Konstruktionen 1. Suffigierung 2. Präfigierung 3. Infigierung lat. rup 'brech' (wie in ruptum 'gebrochen') rump 'brech+präsens' (wie in rump0 'ich breche') 4. Zirkumfigierung 5. Transfigierung (mit der Basis verzahnt) malt. tifel 'Junge+Singular' tfal 'Junge+Plural' ktieb 'Buch+Singular' kotba 'Buch+Plural' gemel 'Kamel+Singular' igmla 'Kamel+Plural'
19 Morphologische Konstruktionen partielle Reduplikation Präfixe Ilokano (Philippinen) talon (Feld) taltalon (Felder) ulo (Kopf) ululo (Köpfe) biag (Leben) bibiag (Leben [Plural]) Suffixe Washoe (Nevada, USA) gusu (Büffel) gususu (Büffel + Plural) Infixe Samoanisch alofa (er liebt) alolofa (sie lieben) savali (er reist) savavali (sie reisen) totale Reduplikation Buschmänisch (Südafrika) h ro (Eierschale) h roh ro (Eierschalen) Chinesisch z n (Mensch) z nz n (jeder Mensch)
20 Morphologische Konstruktionen Substitution in der Mitte Jiddisch kop (Kopf) kep (Köpfe) am Anfang Mazahua (Mexiko) t i?i (Junge) c i?i (Jungen) am Ende Englisch belief (Glaube) believe (glauben) Substitution von Vokalen germanische Sprachen Umlaut: Ablaut : Vater Väter drink drank drunk Substitution von suprasegmentatlen Phonemen Betonung Englisch im'port (importieren) 'import (Import) Tonhöhe Mongbandi (Kongo)
21 Morphologische Konstruktionen Art der Veränderung Hinzufügen (Addition) mit Sonderfall Wiederholung (Reduplikation) Ersetzung (Substitution) Weglassung (Elision) Ort der Veränderung vorn hinten in der Mitte suprasegmental Sonderfälle (bei Addition: Präfigierung) (bei Addition: Suffigierung) (bei Addition: Infigierung) (bei Addition: Suprafigierung) völlige Übereinstimmung Homonymie (Lehrer) völlige Verschiedenheit Suppletivismus (go went)
22 Morphologische Konstruktionen Aufteilung der Affixe (Mel chuk dt.1976: ) ob sie die Basis auseinanderreißen oder nicht ob sie selbst durchbrochen sind oder nicht
23 Morphemtypen freies Morphem Morphem mit mindestens einem Allomorph, das ohne zusätzliche Morpheme isolierbar ist (= Morphem, das selbständig ein Wort bilden kann) Beispiel: {haus} gebundenes Morphem Morphem, von dem kein Allophon ohne zusätzliche Morpheme isolierbar ist (= Morphem, das nicht selbständig ein Wort bilden kann). Beispiel: {ig}
24 Morphemtypen diskontinuierliches Morphem Morphem M, das aus mindestens zwei Teilen besteht, die durch Segmente, die nicht zu M gehören, unterbrochen sind Beispiel: {ge} sag {t}
25 Morphemtypen lexikalisches Morphem Wurzel: Morphem, das einem Lexem entspricht. Beispiele: {les} wie in hat gelesen, {haus} wie in das schöne Haus grammatisches Morphem Morphem, das nicht einem Lexem entspricht und rein grammatische Funktion hat. Beispiele: In hat gesagt ist {hat} ein freies grammatisches Morphem, und {ge t} ein gebundenes grammatisches Morphem.
26 Morphemtypen Flexionsmorphem Gebundenes grammatisches Morphem. Derivationsmorphem Morphem, das nicht einem Lexem entspricht, sondern zur Bildung neuer Lexeme dient. Beispiele: {ung} und {heit} dienen zur Bildung der Lexeme Achtung und Menschheit (aus den Wurzeln {acht} und {mensch}).
27 Stamm und Affix Stamm Lexikalisches Morphem oder Verbindung aus lexikalischen Morphemen oder Verbindung aus lexikalischen und Derivationsmorphemen. Affix Gebundenes und reihenbildendes Morphem, d.h. Morphem, das viele Stämme mit ungefähr demselben semantischen oder grammatischen Effekt modifiziert. Man unterscheidet nach der Stellung des Affixes zu seinem Stamm Suffixe (nach dem Stamm), Präfixe (vor dem Stamm), Infixe (im Stamm) und Zirkumfixe (um den Stamm herum). Beispiele: Präfix: {auf}merksam; Suffix: aufmerk{sam}; Infix: lat.ru{m}po ( ich zerbreche, {m} bedeutet Präsens ); Zirkumfix: {ge}sag{t}.
28 Morphemtypen Affixoid Morphem von dem es zwei Lesarten gibt: In einer Lesart ist das Morphem ein freies lexikalisches Morphem, in der anderen ein Affix. Zwischending zwischen Affix und lexikalischem Morphem. Nach der Stellung unterscheidet man Präfixoide, Suffixoide usw. Beispiel: {wesen}, vgl. Das Wesen der Sprache vs. Bauwesen. Die gewöhnliche Karriere von Affixen: freies lexikalisches Morphem, z.b. ahd. / mhd. heit ( Wesen, Beschaffenheit, Art ). Affixoidstatus, z.b. mhd. Künftigkeit ( Zukunft ). Wandel zum Affix: nhd. {heit, keit}.
29 Morphemverbindungen In der Morphologie unterscheidet man gewöhnlich drei Arten von Morphemverbindungen: Flexion (Deklination, Konjugation, Komparation) Derivation Komposition Konkatenation (von Morphen) geh + st gehst ab + ge + frag + t + e abgefragte An den Verbindungsstellen finden oft phonologische Prozesse statt. (Elision) handel+ ung Handlung; ras + st rast (Epenthese) hat + t hattet; bad + st badest meistens als Resultat von sprachökonomischen Vereinfachungen, die die Aussprache des zusammengesetzten Wortes erleichtern Nichtkonkatenative Phänomene: Veränderung des Stammvokals Umlaut (z.b. Pluralbildung) Mutter Mütter Ablaut (z.b. Tempusmarkierung) geb gab
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