HISTORISCHE BILDUNGSFORSCHUNG. Vorlesung. 31. März 2014 PROGRAMM. Mitterauer: Familie im 20. Jh. Kontextualisierung 1: Familiengeschichte
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- Kilian Linden
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1 31. März 2014 HISTORISCHE BILDUNGSFORSCHUNG Vorlesung Edgar Forster Ordentlicher Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft PROGRAMM Termin Thema Prüfungsliteratur Biographische Interviews durchführen und schriftlich zusammenfassen Biographische Interviews durchführen und schriftlich zusammenfassen Achtung: keine Vorlesung Diskussion der Interviews Wie müsste man die Interviews kontextualisieren? Auszüge aus: van Dülmen: Historische Anthropologie Kontextualisierung 1: Familiengeschichte Kontextualisierung 2: 1968 Sexuelle Befreiung Mitterauer: Familie im 20. Jh. Studer, Schaufenbuehl: Die 68er Bewegung Schenk: Die sexuelle Revolution; Körperindustrie und Gentechnologie Beck-Gernsheim: Körperindustrie und Gentechnologie Die Vorlesung entfällt (Osterferien) INHALT DER HEUTIGEN VORLESUNG 1. Grundlagen: Besonderheiten des europäischen Sozialraums 2. Haushalts- und Familiengrösse 3. Familienkonstellationen 4. Familienfunktionen 5. Zeitliche Dimensionen des Familienlebens 6. Räumliche Dimensionen des Familienlebens 7. Tendenzen Literaturgrundlage: M. Mitterauer, «Das moderne Kind hat zwei Kinderzimmer und acht Großeltern» Die Entwicklung in Europa. Ergänzend: M. Mitterauer & R. Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft. 1
2 EUROPÄISCHER SOZIALRAUM 1: BEDEUTUNG DER KIRCHEN Entscheidender Bezugsrahmen für die Entwicklung der europäischen Familienformen Europäischer Sozialraum: bis ins Spätmittelalter von der römischen Kirche erfasst mit charakteristischen Sozialformen. Trennung zwischen Ost- und Westkirche im Mittelalter sozialgeschichtlich als wichtigste Strukturgrenze Europas OSTKIRCHE WESTKIRCHE EUROPÄISCHER SOZIALRAUM 2: HAJNAL-LINIE Westlich einer Linie (etwa von St. Petersburg nach Triest) fand der Historiker John Hajnal ein besonderes Heiratsverhalten und entsprechend besondere Familienstrukturen, die typisch für den Sozialraum Europa sind: hohes Erstheiratsalter; entsprechend lange «Jugendphase» hoher Anteil von lebenslang Ledigen. Infolgedessen dominierten Einfamilienhaushalte, denen nicht verwandte Personen angegliedert waren. Die Linie verläuft westlich der Linie zwischen West- und Ostkirche und korreliert mit Agrarverfassungen. (Neuere Forschung stellte regionale Varianten fest, etwa im Alpenraum, und Veränderungen im zeitlichen Verlauf.) 2
3 HAJNAL-LINIE (1965) WEITERE CHARAKTERISTIKA DES EUROPÄISCHEN SOZIALRAUMS Spätes Heiratsalte, lange «Jugendphase» Dienst im fremden Haus Höhere Bedeutung der Konsensehe (gegenüber der Abstammungsehe) («gattenzentrierte Familie» im Gegensatz zu Ahnenkultgesellschaften) Neolokalität (bei patrilokaler Niederlassung Hofübergabe) (Problematik patriarchaler Altersautorität) Kernfamilientypus steht im Vordergrund Christentum kennt keine Bedeutung der genealogischen Abstammung (eher der «geistigen Verwandtschaft») Tendenz zur Individualisierung als typisches Produkt der europäischen Sonderentwicklung HAUSHALTS- UND FAMILIENGRÖSSE Familie als Haushaltsgemeinschaft Verwandtschaftsfamilie Mythos «Grossfamilie»: seit dem Mittelalter übersteigt nach Mitterauer die Durchschnittsgrösse einer Familie nicht 4-5 Personen. Radikales Absinken der Haushaltsgrössen im 20. Jh. (insbes. in der 2. Hälfte), vor allem in Grossstädten. Abnahme mit lebender Verwandter und nicht verwandter Mitbewohnerinnen und -bewohner. Rückgang der Kinderzahl; demographischer Übergang Unter dem Begriff Demografischer Übergang wird in der Demografie der Versuch zur Erklärung von Veränderungen in der Bevölkerungsentwicklung von Staaten bzw. Gesellschaften verstanden. Das Modell (die Theorie) des demografischen Übergangs ist im wissenschaftlichen Sinn keine Theorie, sondern eine modellhafte Beschreibung des Übergangs von hohen zu niedrigen Sterbe- und Geburtenraten und dem daraus resultierenden veränderten natürlichen Bevölkerungswachstum. 3
4 BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG 4
5 FAMILIENENTWICKLUNGEN IN DER 2. HÄLFTE DES 20. JH. Erfindung der Pille: Trennung von «Fortpflanzungssexualität» und «sozialer Sexualität» Aktuell: Ehepaare ohne Kinder liegen an der Spitze. Bei Familien mit Kinder liegen Familien mit 1 Kind an der Spitze (Verlust der Geschwisterbeziehung als wichtige soziale Position) Familienbeziehungen verändern sich nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Problematisierung des Begriffs «Single» (wird den unterschiedlichen Formen von Einpersonenhaushalten nicht gerecht); besser: Singularisierung (alte Menschen, alleinlebend Geschiedene, Einzelhaushalt von Jugendlichen). FAMILIENKONSTELLATIONEN FAMILIENKONSTELLATIONEN Kernfamilie hat sich in den 1950er Jahren als Modell durchgesetzt, aber sein «Goldenes Zeitalter» währte nur kurz: Stieffamilien «Scheidungsweisen» «Beziehungswirrwarr» (Mitterauer, S. 24) Alleinerziehende Elternteile Normative Implikationen? Nichteheliche Lebensgemeinschaft, «wilde Ehe» sexuelle Beziehung des Paares als Grundlage Deinstitutionalisierung der Ehe bedeutet Deinstitutionalisierung der Verwandtschaft. «WG» Aufhebung der Geschlechtergrenzen, Kampf gegen bürgerliche Kleinfamilie (Integration verschiedener Generationen ist nicht geglückt, ebenso wenig dauerhafte Institutionalisierung) 5
6 FAMILIENKONSTELLATION: «WILDE EHE» FAMILIENKONSTELLATION: «WG» - K1 FAMILIENFUNKTIONEN Kultfunktionen: In Europa = Gemeinde der tragende Kultverband; die Entlastung des Hausverbands ist die Grundlage für die Entwicklung übergeordneter Sozialformen. Gerichtsfunktionen: Öffentliche Gerichtsbarkeit ersetzt die Rachejustiz von Familienverbänden Schutzfunktionen: gegenüber den im Haus lebenden Personen (Problematik der Privatheit bei Gewaltverhältnissen) Wirtschaftliche Funktionen: seit der Durchsetzung der Lohnarbeit zunehmende Bedeutung der Familie als Reproduktionsort. Sozialisationsfunktionen: Was ist Aufgabe der Familie, was Aufgabe des Staates? (Durchsetzung der Scholarisierung) Fortpflanzungsfunktion Kulturfunktionen: (Neue) Idee des Kommunitarismus jenseits öffentlicher Intervention und privater Sphäre. 6
7 FAMILIENFUNKTIONEN: AUSBLICK Wird die Familie funktionslos? These Mitterauer: Die Familie wird von gesellschaftlichen Funktionen zunehmend entlastet (z.b. durch Scholarisierung). Privatheit: Was bedeutet unter diesen Umständen «Privatheit»? Vorund Nachteile von Privatheit. Ambivalenz der Familie als geschützter Raum. Individualisierung als Tendenz der Auflösung von Familie? Familienentwicklung: Von einem Herrschaftsverhältnis zur Partnerschaft? ZEITLICHE DIMENSIONEN DES FAMILIENLEBENS Ehe und Familie als Projekte auf Lebenszeit Lebensgemeinschaften auf Zeit = neues Phänomen Der Übergang von der eigenen Herkunftsfamilie zur eigenen Familiengründung erfolgt nicht mehr unmittelbar (Phase der «Postadoleszenz»); Offenheit «lebens- und familienzyklischer Phasenabläufe» ZEITLICHE DIMENSIONEN DES FAMILIENLEBENS Zeitstrukturen: Langzeitrhythmen des Familienlebens Kurzzeitrhythmen des Familienalltags Familienroutinen (Frühstück, zu Bett gehen, ), von aussen vorgegebene Zeitstrukturen (Arbeitszeiten, Bedeutung der Scholarisierung, ) 7
8 ZEITLICHE DIMENSIONEN DES FAMILIENLEBENS Strukturen und Effekte: Beschleunigung als Charakteristikum der Moderne (Rosa) «Das erschöpfte Selbst» (Ehrenberg) RÄUMLICHE DIMENSIONEN DES FAMILIENLEBENS Haushalts- bzw. Hausgemeinschaft hat Vorrang vor Verwandtschaftsfamilie Prinzip der Neolokalität Voraussetzung für hohes Mass an Mobilität Arbeitsmobilität, Arbeitsmigration, Trennung von Arbeit und Wohnen Gegenwelten: Urlaub, Wochenende, Freizeit Öffentliche Räume: Strasse, Jugendzentren; aber: zunehmende Privatisierung der Freizeit; steigende Bedeutung der «eigenen vier Wände» Raumordnungen im Haus: früher die Bedeutung des Herds, des Esstisches, der Stube; zunehmende Individualisierung (Auflösung der Gemeinschaft) RÄUMLICHE DIMENSIONEN DES FAMILIENLEBENS Häusliche Ordnungen (familienstrukturierende Funktion): Bedeutung der Elektrifizierung, Heizung Radio, Fernsehen «Herrgottswinkel» (gemeinsamer Sinnbezug der Bilderwelt, die eindeutig kodiert ist) Geschlechts- und generationsspezifische Kodierung der Zimmer Esstisch (Tisch- und Essordnung) 8
9 RÄUMLICHE DIMENSIONEN DES FAMILIENLEBENS Häusliche Ordnungen (familienstrukturierende Funktion): Bett: zunehmende Individualisierung Persönliche Gegenstände (Entwicklung von Besitz) Jugendzimmer (ist nicht einfach Weiterentwicklung des Kinderzimmers); Teilautonomie Medienwelten: Soziale Welten als virtuelle Welten, die reale Welten ergänzen und/oder substituieren. IN DER STUBE TENDENZEN Rechtliche Veränderungen Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen (neue Familienformen, insbesondere homosexuelle Lebensgemeinschaften; Fragen der Adoption). Verhältnis von Familie und Staat: Welche Funktionen übernimmt der Staat (z.b. im Bereich der frühkindlichen Bildung) und aus welchen Gründen; mit welchem Zweck? Familie und gesellschaftliche Transformation: Familien sind in der Regel passiv von Veränderungen betroffen; sie sind kein aktiver gesellschaftlicher Akteur. Ökonomie und Familienentwicklung: «Ein Weltwirtschaftssystem, das den Entwicklungsvorsprung der reichen Länder Europas weiterhin begünstigt, bestimmt auch die Perspektiven für die zukünftige Entwicklung der europäischen Familie» (S. 49). 9
10 UND NÄCHSTES MAL 1968 sexuelle Befreiung, neue Politik 10
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