Ethische Fragen bei der Anwendung von Schrittmachern und Defibrillatoren
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- Klaudia Albrecht
- vor 7 Jahren
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Transkript
1 Ethische Fragen bei der Anwendung von Schrittmachern und Defibrillatoren 12. Nov Dr. Ruth Baumann-Hölzle 1
2 Übersicht Patientensituation Ethische Frage, ethisches Problem und ethisches Dilemma Spannungsfeld Abwehrrecht Fürsorgeverpflichtung Urteilsfähigkeit Ethische Entscheidungsfindung
3 Frau M. Frau M. ist 83 jährig. Seit 5 Jahren schon hat sie einen Herzschrittmacher. Zusätzlich hat sie seit zwei Jahren eine Krebsdiagnose und in letzter Zeit ist sie öfters auch etwas verwirrt. Nach zwei Chemotherapien lehnte sie eine dritte ab. Als sie ihrem Herzspezialisten davon berichtet, fragt er sie, wie sie mit dem Herzschrittmacher umgehen möchte. Die Tochter, die ihre Mutter begleitete, ist von dieser Frage des Arztes schockiert. Soll sich meine Mutter umbringen? fragt sie empört
4 Der ethische Blick Hinschauen auf Wertehintergründe In Entscheidungen und Handlungen In Strukturen und Organisationen Bei der Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung
5 Ethische Frage Inwiefern ist der Herzschrittmacher von Frau M. eine ethische Frage, ein ethisches Problem oder gar ein ethisches Dilemma?
6 Defibrillatoren und Herzschrittmacher Nutzwert
7 Nutzwert für wen? Für den kranken Menschen: als Lebenserhaltende Massnahme Für den Hersteller, Spital, Gesellschaft: finanzieller Nutzen
8 Ethische Frage 1) Als lebenserhaltende Massnahme: Hohe ethische Relevanz für den kranken Menschen, sein Beziehungsumfeld und für die Gesellschaft 1) Als finanzieller Nutzen: Ethische Relevanz davon abhängig, wie der finanzielle Gewinn eingesetzt und beurteilt wird
9 Ethische Verantwortung Vier Beziehungsdimensionen Ich-Beziehung Du-Beziehung Soziale Wir- Beziehung in der Gesellschaft Funktionale Wir-Beziehung in Organisationen
10 Ethisches Problem Ethisches Problem als lebenserhaltende Massnahme, wenn der Schrittmacher bei einem Kranken nicht richtig funktioniert, es kein für den Kranken angemessenes Modell gibt oder der Patient das Gerät nicht abschalten kann, obwohl er es möchte
11 Ethisches Problem Ethisches Problem als finanzieller Gewinn, wenn das Gerät zu teuer verkauft (Solidargerechtigkeit) oder das Gerät nicht fair aus Kostengründen nicht fair verteilt wird (Verteilungsgerechtigkeit) es kein für den Kranken angemessenes Modell gibt oder das Modell unbezahlbar ist
12 Ethisches Problem Ethisches Problem als finanzieller Gewinn, wenn das Gerät zu billig verkauft wird und der Ersteller nichts daran verdient, etc
13 Ethisches Dilemma Als lebenserhaltende Massnahme wir der Schrittmacher dann zum ethischen Dilemma, wenn er auf der einen Seite das Leben eines Menschen verlängert und auf der anderen Seite die Lebensqualität verschlechtert. Der Kranke keinen Schrittmacher will, obwohl er damit noch lange Leben könnte. Der Kranke ihn nur bezahlen kann, wenn die Kinder dafür eine schlechte Ausbildung bekommen Etc
14 Ethisches Dilemma H und D sind dann ein ethisches Dilemma, wenn sie zwar das Leben eines Patienten verlängern, gleichzeitig aber seine Lebensqualität verschlechtern. Es nicht genug H und DE gibt und wir Menschen auswählen müssen, wer sie bekommen soll
15 Ethisches Dilemma Verantwortung wie z.b. - Lebenserhaltung - Lebensschutz - Notwendigkeit des Herzschrittmachers Verantwortung wie z.b. - Leidenslinderung - Autonomieanspruch - Freiheit zur Selbstschädigung Verfügbare Schrittmacher 15
16 Kaskade Jedes ethische Dilemma ist ein ethisches Problem und eine ethische Frage. Jedes ethische Problem ist auch eine ethische Frage. Nicht jedes ethische Problem ist aber ein Dilemma. Nicht jede ethische Frage ist auch ein ethisches Problem oder auch ein ethisches Dilemma
17 Wer entscheidet? Frau M. wenn sie urteilsfähig ist Ist Frau M. urteilsfähig?
18 Urteilsfähigkeit
19 Urteilsfähigkeit Art. 16 ZGB: Urteilsfähig im Sinne des Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zuständen die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln
20 Urteilsfähigkeit Urteilsfähigkeit Erkenntnisfähigkeit Wertungsfähigkeit Fähigkeit zur Willensbildung Fähigkeit, gemäss eigenem Willen zu handeln V.DITTMANN 20
21 Einwilligungs(un)fähigkeit in der Psychiatrie Geisteskrankheit bedeute Einwilligungsunfähigkeit (A.MOLL) Direkte Ableitung aus vorliegendem Krankheitsbild (GOEPPINGER, 1956) Krankheit an sich als Zustand verminderter Autonomiekompetenz (KOMRATH, 1983) Beurteilungsmassstab anhand Klassifikationen nicht angemessen (HELMCHEN, LAUTER, 1995)
22 Bei Urteilsunfähigkeit Die Inhalte der Patientenverfügung Hat Frau M. eine Patientenverfügung? Die Stellvertretung Ist die Tochter von Frau M. ihre Stellvertretung?
23 Stellvertretungskaskade 1. die in einer PV ernannte Vertretung 2. die behördlich bestimmte Vertretung (Beistand) 3. der Ehegatte bzw. die eingetragene Partnerin mit der die urteilsunfähige Person einen Haushalt führt oder ihr Beistand leistet 4. die Person mit der die urteilsunfähige Person einen Haushalt führt und einen gemeinsamen Haushalt führt * 5. die Nachkommen * 6. die Eltern * 7. die Geschwister * * sofern sie der urteilsunfähigen Person Beistand leisten
24 Klärung der ethischen Frage Bringt Frau M. sich um, wenn sie den Herzschrittmacher abstellt?
25 Ethische Grundentscheidungen 25
26 Entscheidungsmöglichkeiten Sich gegen die Implantation eines Herzschrittmachers entscheiden. Einen Schrittmacher oder ICD bei Batterieerschöpfung nicht wechseln lassen. Die ICD-Funktion (Defibrillator) am Lebensende ausschalten lassen. Die Herzschrittmacherfunktion am Lebensende abschalten lassen
27 Frühgeborenes 24 SSW, 560 g, Apgar 1 mit 1 Min I D GB H F CH NL Reanimation und Intensivbehandlung, kein Therapieabbruch Reanimation und Intensivbehandlung, Therapieabbruch möglich Reanimation unterlassen 27
28 ETHIK als WISSENSCHAFT VON DER MORAL WISSENSCHAFT VON DER MORAL Moral Moral Moral Individueller Lebensentwurf Individueller Lebensentwurf Gruppenmoral Gruppenmoral Gruppenmoral Individueller Lebensentwurf 28
29 Ethik mit globalem Anspruch
30 Existentieller Würde- und Autonomieanspruch Ethischer Orientierungspunkt einer humanen Gesellschaft Wesenhafter Würde- u. Autonomieanspruch des Menschen absolut unverlierbar unbedingt zu achten u. zu schützen unabhängig von den konkreten Eigenschaften und Fähigkeiten Tatsächliche Autonomiefähigkeiten Gegenstands- u. situationsbezogen Graduell variabel (Teilweise) verlierbar 30
31 Menschenwürde Eigenwert Wert in sich Mensch = Selbstzweck Instrumentalisierungsverbot des Menschen Mensch hat eine Würde und keinen Zweck
32 32
33 Abwehrrecht Frau M. kann sich jederzeit gegen einen Herzschrittmacher, respektive gegen Defibrilator entscheiden, solange sie urteilsfähig ist. Ausserhalb von terminalen Situationen kann sich die Stellvertretung von Frau M., in diesem Falle ihre Tochter, nur bedingt, für das Abstellen des H oder des D entscheiden
34 Ethisches Spannungsfeld bei Urteilsfähigkeit Schutzverpflichtung des Staates des Lebensschutzes Autonomieanspruch des urteilsfähigen Individuums als Abwehrrecht 34
35 Ethisches Spannungsfeld bei Urteilsunfähigkeit Autonomieanspruch des urteilsunfähigen Individuums als Abwehrrecht Schutzverpflichtung des Staates des Lebensschutzes 35
36 Ethische Entscheidungsfindung 36
37 Autonomieanspruch Autonomiefähigkeiten Normative Ebene (SOLLEN): Anspruch auf Würde und Autonomie des Patienten Entscheidungsfindungs- Prozess 7 Schritte Dialog Urteilsfähiger Patient: Anspruch auf informed consent Nicht-urteilsfähiger Patient: Anspruch auf mutmasslichen Willen Patientenempowerment Deskriptive, empirische Ebene (IST): Tatsächliche Autonomiefähigkeiten und Abhängigkeiten des Patienten 37
38 Nicht einsetzen - Abstellen Aktive oder passive Sterbehilfe? Ethische Frage: Definition Ethisches Problem: Wenn sich der Herzschrittmacher nicht einsetzen oder abstellen lässt. Ethisches Dilemma: Lebenserhaltung vs. Freiheit zur Selbstschädigung, den Tod in Kauf nehmen
39 Abstellen des H oder D Passive Sterbehilfe in der CH, wenn a) der Frau M. urteilsfähig ist und selber will und b) in terminalen Situationen
40 Vorgehen bei Frau M. Die Tochter zweifelt an der Urteilsfähigkeit von Frau M. Möglichst den Konsens mit Mutter und Tochter suchen. Urteilsfähigkeitsabklärung von Frau M. Der behandelnde Arzt müsste jetzt, falls er gegen den Willen der Tochter, den H. oder D. abstellen möchte, die KESB einschalten
41 Frau M. Frau M. und ihre Tochter einigen sich darauf, dass keine Chemotherapie mehr durchgeführt wird, der Herzschrittmacher aber drin bleibt. Mit dem Fortschreiten der Krebserkrankung wird Frau M. vollständig urteilsunfähig. Die Tochter kann sich nicht durchringen, den Herzschrittmacher abstellen zu lassen. Frau M. stirbt erst nach einem langen und sehr schwierigen Sterbeprozess
42 Frage Wie hätten Sie sich verhalten?
43 Vielen Dank für die Aufmerksamkeit 43
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