Die Ganztagsschule in Rheinland-Pfalz aus der Sicht der beteiligten Eltern

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1 polis Gesellschaft für Politik- und Sozialforschung mbh Die Ganztagsschule in Rheinland-Pfalz aus der Sicht der beteiligten Eltern - Ergebnisse einer Wiederholungsbefragung - München, 14. Mai 2004 Hanauer Straße 58 Geschäftsführer: D München Horst Becker Telefon Dr. Walter Ruhland Telefax Hilde Utzmann Internet Amtsgericht München kontakt@polis-forschung.de HR B 93212

2 1 Die Attraktivität der Ganztagsschule bleibt groß Als eine Befragung im Spätherbst 2002 drei Monate nach dem Start der ersten neuen Ganztagsschulen in Rheinland-Pfalz empirisch belegte, dass deren Angebote von allen Beteiligten - Schülern, Lehrern, Schulleitern und Eltern - begrüßt und positiv bewertet wurden, wurde vereinzelt auch die Vermutung laut, die Ergebnisse spiegelten vor allem die Euphorie der Anfangsphase, die nur kurze Zeit Bestand haben würde. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen jedoch, dass die Attraktivität der Ganztagsschule ungebrochen ist, teilweise ist sogar eine noch größere Zufriedenheit mit der Organisation und den pädagogischen Angeboten zu registrieren. Mit dem rheinland-pfälzischen Ausbaukonzept für die Ganztagsschule - vor PISA von der Landesregierung auf den Weg gebracht - gelingt offensichtlich eine Reform, die sich insbesondere bei den Eltern als eine "Marke" erfolgreicher landespolitischer Arbeit durchgesetzt hat. Hier zunächst das Untersuchungsdesign, auf dessen Grundlage die vorliegenden Forschungsergebnisse ermittelt wurden: Schriftliche Elternbefragung an 32 ausgewählten Ganztagsschulen neuer Form. In diesen 32 Schulen sind auch wieder jene zwölf vertreten, deren Eltern bereits im November 2002 befragt worden waren und die bereits auf eine längere Erfahrung mit der Ganztagsschule zurück blicken können.

3 Beteiligte Schüler/innen im Ganztagsbetrieb Befragungszeitraum 2.März bis 7.April 2004 Fragebogenrücklauf Rücklaufquote 43,8% 2 Die Organisation der Ganztagsschule findet den Beifall der Eltern Wie schon vor eineinhalb Jahren zeigen sich insgesamt drei Viertel der Eltern grundsätzlich mit der Organisation der Ganztagsschule zufrieden, kritisch äußert sich hierzu nur eine Minderheit. Zufriedenheit mit der Organisation der Ganztagsschule Gesamt Sehr zufrieden Zufrieden Weniger zufrieden Unzufrieden 3

4 Die befragten 32 Ganztagsschulen sind überwiegend additiv organisiert, d.h. der Unterricht findet vormittags statt, nachmittags gibt es die Hausaufgabenhilfe und verschiedene Ganztagsangebote. An den zwölf Schulen, deren Eltern vor eineinhalb Jahren schon einmal befragt wurden, gibt es einen deutlichen Trend hin zu mehr Unterricht in eigenen Ganztagsklassen. Die überwiegende Mehrheit der Eltern findet die jeweilige Organisationsform an der Ganztagsschule ihrer Kinder insgesamt gut, die Zufriedenheit mit eigenen Ganztagsklassen ist dabei sogar noch etwas höher. Klassen mit additivem Angebot Finde ich gut so 79% Bevorzuge andere Form 17% Eigene Ganztagsklassen Finde ich gut so 88% Bevorzuge andere Form 11% 3 Das zusätzliche pädagogische Angebot ist ein Erfolg, die Hausaufgabenhilfe das "Herzstück" der Ganztagsschule Nicht nur die Organisation der Ganztagsschule wird positiv von den Eltern bewertet, über 70 Prozent der Eltern sind auch insgesamt zufrieden mit dem zusätzlichen pädagogischen Angebot. Nur vier von 100 Eltern zeigen sich unzufrieden damit. 4

5 Zufriedenheit mit dem zusätzlichen pädagogischen Angebot Gesamt Sehr zufrieden Zufrieden Weniger zufrieden Unzufrieden Weiß nicht Interessanterweise halten zwei Drittel der Eltern den Einsatz außerschulischer Fachkräfte beim pädagogischen Angebot ausdrücklich für einen Gewinn, nur neun Prozent der Eltern sprechen sich dagegen aus. Die Eltern entkräften damit einen Einwand, der von verschiedenen Seiten gegen diesen Aspekt der neuen Ganztagsschule erhoben wird. Bereits in der ersten Untersuchung hatte sich herausgestellt, dass aus der Sicht der Eltern die Hausaufgabenhilfe das "Herzstück" der Ganztagsschule ist, an das sich zentrale Erwartungen der Eltern knüpfen. Auch in der aktuellen Untersuchung wird Hausaufgabenhilfe von nahezu allen Eltern (94 %) als sehr wichtig oder wichtig bezeichnet. An zweiter und dritter Stelle in der Rangliste der Bedeutung einzelner pädagogischer Angebote rangieren Förderangebote für bestimmte Fächer wie Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen bzw. für besondere Begabungen und Talente. 5

6 Auch der Freizeitgestaltung kommt aus der Sicht der Eltern ein hoher Stellenwert zu, Projekte wie z.b. Umwelt oder Theater werden zwar an letzter Stelle genannt, sie gelten aber dennoch für insgesamt 70 Prozent der Eltern als wichtiger Bestandteil des pädagogischen Angebots. Wichtigkeit einzelner pädagogischer Angebote Gesamt 2004 Hausaufgabenhilfe Förderangebote für bestimmte Fächer (Deutsch, Mathe, Fremdsprachen) Förderangebote für besondere Begabungen und Talente Freizeitgestaltung Projekte, z.b. Umwelt, Theater Sehr wichtig Wichtig Weniger wichtig Unwichtig Weiß nicht/ k.a 6

7 Angesichts der zentralen Bedeutung der Hausaufgabenhilfe im Rahmen der pädagogischen Angebote der Ganztagsschule ist erstaunlich, dass insgesamt 71 Prozent der Eltern mit der Hausaufgabenhilfe sehr zufrieden oder zufrieden sind, dieser Wert hat sich im Vergleich zu 2002 sogar noch einmal erhöht. Zufriedenheit mit der Hausaufgabenhilfe Gesamt Sehr zufrieden Zufrieden Weniger zufrieden Unzufrieden Weiß nicht Knapp drei Viertel der Eltern geben an, ihre Kinder müssten zu Hause noch Hausaufgaben erledigen und zwar in der Regel ein oder mehrmals die Woche. Betrachtet man aber die Zeit, die die Schülerinnen und Schüler damit verbringen, so handelt es sich mehrheitlich um etwa fünf bis fünfzehn Minuten täglich. Diese Hausaufgabenzeit ist vermutlich nicht zu reduzieren, da Texte lesen oder Vokabeln lernen wohl immer Aufgaben sein werden, die besser zu Hause erledigt werden können. 7

8 Gemessen an den Erwartungen der Eltern und der Bedeutung, die sie den einzelnen pädagogischen Angeboten zumessen, entspricht die Zufriedenheit mit den Förderangeboten für bestimmte Fächer bzw. für besondere Begabungen und Talente in etwa den Erwartungen, hinsichtlich der Freizeitgestaltung und der Projekte werden die Erwartungen der Eltern sogar deutlich übertroffen. Wichtigkeit und Zufriedenheit mit einzelnen pädagogischen Angeboten Gesamt 2004 Hausaufgabenhilfe Förderangebote für bestimmte Fächer (Deutsch,Mathe, Fremdsprachen) Förderangebote für besondere Begabungen und Talente Freizeitgestaltung Projekte, z.b. Umwelt, Theater Sehr wichtig Sehr zufrieden / zufrieden 8

9 4 Die Schüler/innen äußern sich überwiegend lobend über die Ganztagsschule Die Berichte der Kinder aus der Schule sind nach Aussagen der Eltern überwiegend positiven Inhalts: Die AGs und Projekte sind gut und abwechslungsreich, die Ganztagsschule hilft beim Lernen, die Freizeitangebote sind gut, die Kinder genießen das Zusammensein mit anderen Kindern und fühlen sich wohl in der Ganztagsschule. Obwohl fast die Hälfte der Eltern der Meinung ist, die Qualität des Mittagessens sei sehr gut oder gut, berichten die Kinder dennoch häufig, das Essen schmecke manchmal nicht. Knapp die Hälfte der Eltern berichtet, die Kinder fänden den Schulalltag manchmal zu lang und zu anstrengend, ein gutes Viertel ist der Meinung, es bleibe zu wenig Zeit für die Hausaufgaben. Aus der Sicht ihrer Eltern bevorzugen 35 Prozent der Kinder die Ganztagsschule, 35 Prozent sagen, ihre Kinder antworteten auf diese Frage mit teils, teils, und 22 Prozent der Eltern meinen, ihre Kinder würden wohl lieber eine Halbtagsschule besuchen. Auch diese Werte haben sich gegenüber 2002 nur geringfügig verändert. 9

10 5 Hausaufgabenhilfe und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind aus der Sicht der Eltern die zentralen Argumente für die Ganztagsschule Die Hausaufgabenhilfe ist nicht nur im Vergleich zu anderen pädagogischen Angeboten das zentrale Element aus der Sicht der Eltern, es ist auch der häufigste Grund für die Anmeldung zur Ganztagsschule: Drei Viertel der Eltern begründen ihre Entscheidung so. Der zweitwichtigste Grund, aus dem knapp die Hälfte der Eltern ihr Kind bzw. ihre Kinder für die Ganztagsschule angemeldet haben, ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf dies ist sogar für 64 Prozent der Eltern, deren Kinder zur Grundschule gehen, ein gewichtiger Grund. Erstaunlicherweise sind für eine große Anzahl der Eltern (zwischen 35 und 45 Prozent) pädagogische Gründe ausschlaggebend für die Anmeldung zur Ganztagsschule: Die Lehrkräfte haben mehr Zeit und können einzelnen Schüler/innen besser helfen und die Schüler/innen lernen mehr. Ebenso viele Eltern nennen aber auch soziale Motive: In der Ganztagsschule ist die Freizeit sinnvoll organisiert, die Kontakte zu Mitschülern sind besser und die Kinder sind unter Aufsicht. Ein Drittel der Eltern gibt an, die Anmeldung für die Ganztagsschule geschah auf ausdrücklichen Wunsch des Kindes. Auch hier zeigt sich, dass die Erwartungen der Eltern an die Ganztagsschule in hohem Maße erfüllt werden. Sie fühlen sich tatsächlich von der Hausaufgabenhilfe entlastet, sie können 10

11 Familie und Beruf besser vereinbaren und sehen ihre Kinder individueller gefördert. Auffallend: Sowohl die Bedeutung der einzelnen Gründe für die Anmeldung an der Ganztagsschule als auch die Erfüllung der Erwartungen sind relativ unverändert im Vergleich zur ersten Befragung. Vergleich: Gründe für die Anmeldung und Erfüllung der Erwartungen Gesamt 2004 Es gibt Hilfen bei den Hausaufgaben Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie Die Lehrkräfte können einzelnen Schüler/innen besser helfen Sinnvolle Freizeitbeschäftigung Die Kinder sind unter Aufsicht Die Schüler/innen lernen mehr Die Lehrkräfte haben mehr Zeit für die Schüler/innen Die Kontakte zu Mitschülern sind besser Wunsch des Kindes Gründe für Anmeldung Erfüllung der Erwartungen 11

12 6 Aus der Sicht der Eltern überwiegen die positiven Auswirkungen der Ganztagsschule Bilanzierend stellen 70 Prozent der Eltern ausdrücklich fest, dass die Hausaufgabenhilfe in der Schule sie entlaste und sich die Ganztagsschule positiv auf die Entwicklung des Kindes oder der Kinder auswirke. Ein Drittel der Eltern kritisiert, sie bekämen durch die Ganztagsschule nicht mehr mit, was die Kinder im Unterricht lernen, für knapp 60 Prozent stellt dies jedoch kein Problem dar. Ein Fünftel der Eltern ist der Ansicht, die Ganztagsschule sei zu anstrengend für die Kinder, dies bestreiten allerdings fast 70 Prozent der Eltern. Auch diese Meinungen zur Ganztagsschule sind erstaunlich stabil im Zeitvergleich. Meinungen der Eltern über die Ganztagsschule Stimme voll und ganz / eher zu Die Hausaufgabenhilfe in der Schule entlastet mich. Die Ganztagsschule wirkt sich positiv auf die Entwicklung meines Kindes/ meiner Kinder aus Durch die Ganztagsschule bekomme ich nicht mehr mit, was die Kinder im Unterricht lernen. Die Ganztagsschule ist zu anstrengend für mein Kind/ meine Kinder

13 7 Bestehende Angebote sollten noch ausgebaut werden Trotz hoher Zufriedenheit mit dem Ganztagsschulangebot gibt es durchaus auch Verbesserungsvorschläge der Eltern. In erster Linie wünscht man sich mehr Förderunterricht für schwache Schüler/innen, mehr Hilfe bei den Hausaufgaben und ein besseres, ausgewogeneres Essen. Etwa jeweils ein Drittel der Eltern hält zusätzliche Lehrkräfte bzw. mehr Betreuung und eine größere Auswahl an Arbeitsgruppen für wünschbar. Rund 10 Prozent der Eltern monieren, dass an der Schule ihrer Kinder Spiel- oder Ruheräume fehlten. 8 Die Entscheidung für die Ganztagsschule war richtig Angesichts der dargestellten positiven Einstellung der Eltern zur Ganztagsschule kann das Fazit, das sie ziehen, nicht verwundern: Knapp drei Viertel sind rückblickend der Meinung, die Entscheidung, das Kind in der Ganztagsschule anzumelden, war richtig oder zumindest zum Großteil richtig. 17 Prozent der Eltern haben eine ambivalente Einstellung zur Ganztagsschule, aber nur neun Prozent halten die Anmeldung rückblickend für falsch. 13

14 9 Die elterliche Zufriedenheit mit der Ganztagsschule wächst mit der Dauer des Schulbesuchs der Kinder Wir haben an verschiedenen Stellen dieses Textes darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse zur Ganztagsschule im Zeitvergleich erstaunlich stabil geblieben sind. Angesichts der positiven Haltung, die die Eltern in der ersten Befragung 2002 erkennen ließen, wäre nun erwartbar gewesen, dass sie sich nach der anfänglichen Begeisterung über diese Schulform eineinhalb Jahre später ernüchtert und kritischer zeigen. Betrachtet man aber nur einmal die Elternstimmen aus den zwölf Schulen, die im November 2002 zum ersten Mal und im März/April 2004 zum zweiten Mal befragt wurden, die also auf eine längere Erfahrung mit der Ganztagsschule zurück blicken können als die übrigen befragten Eltern, so ist festzustellen, dass diese Eltern der Ganztagsschule noch positiver gegenüber stehen als diejenigen, die erst ein halbes Schuljahr Ganztagsschule erlebt haben. Diese Eltern sind zum Beispiel deutlich zufriedener als der Durchschnitt der Eltern und als sie selbst vor eineinhalb Jahren - mit der Organisation der Ganztagsschule. Die Zufriedenheit mit der Hausaufgabenhilfe ist um zehn Prozentpunkte angestiegen und die Wahrnehmungen, dass die Hausaufgabenhilfe in der Schule die Eltern entlastet und sich die Ganztagsschule sich positiv auf die Entwicklung der Kinder auswirkt, ist ebenfalls verbreiteter als in der ersten Untersuchung. Waren vor eineinhalb Jahren, also etwa drei Monate nach Beginn der Ganztagsschule, insgesamt 77 Prozent der Eltern von der Richtigkeit ihrer Entscheidung überzeugt, so sagen dies heute 82 Prozent. 14

15 Wiederholungsbefragung bei 12 Schulen Zufriedenheit mit der Organisation der Ganztagsschule Zufriedenheit mit der Hausaufgabenhilfe Sehr zufrieden Zufrieden Weniger zufrieden Unzufrieden Weiß nicht Anmeldung zur Ganztagsschule Die Entscheidung war richtig zum Großteil richtig teils/teils richtig zum Großteil nicht richtig nicht richtig 15