Das Bild des Dichters in Eichendorffs Lyrik

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1 Rolf Krafft Ligniez Das Bild des Dichters in Eichendorffs Lyrik Herausgegeben von Roger Schöntag Herbert Utz Verlag Wissenschaft München

2 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Zugleich: Dissertation, Frankfurt (Main), Univ., 1940 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben auch bei nur auszugsweiser Verwendung vorbehalten. Copyright Herbert Utz Verlag GmbH 2003 ISBN Printed in Germany Herbert Utz Verlag GmbH, München Tel.: 089/ Fax: 089/

3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung Die Lyrik der Jahre Die ersten Versuche: Anlehnung an literarische Vorbilder Neigung zur Reflexion Einführung des Dichters als Gestalt Moralisierende Betrachtungsweise Die Lyrik der Jahre (Mai 1805 Mai 1807) Liebesaffairen Einfluß der Romantik und Einfluß der Natur Die Lyrik der Jahre Die Heidelberger Romantik: Lehrer und Freunde Das Sonett LOEBEN PETRARCA Jugendandacht Der Dichter (Sonette II, V, VI) Äußerungen des romantische Lebensgefühles: Der neue Ton Der Kreis um GÖRRES Dichter und Sänger Der Dichter (Sonette I, III, IV) EICHENDORFF und das Volkslied Die Lyrik der Jahre (Mai 1808 September 1809) Die Existenzfrage Liebesslyrik Die Lyrik des Jahres EICHENDORFF und die aktive Romantik Berliner Umgang An die Dichter Verzicht und Aufruf Die Lyrik der Jahre EICHENDORFF in Wien Zeitlieder Ahnung und Gegenwart Entgegnung Der Sänger in den Romanzen Wandernder Dichter Die Werber - Sängerfahrt Die Überwindung der Gestalt Zusammenfassung Literatur...70

4 5 1. Einleitung Wie sehr EICHENDORFF eins ist mit der Jüngeren Romantik, jener Richtung, die das patriotische Ideal, womit alle dem Volkston und Volksgeist sich zuwendenden Kräfte gemeint sind, in den Vordergrund stellt, Gesetzlichkeiten wieder als anregend anerkennt, das spiegelt sich wieder in seinem Romane Ahnung und Gegenwart. Dieser Roman ist weitgehend nichts weiter als eine Zeitkritik, eine Zeitklage; dem Anderen nur ist der Konflikt des eigenen Inneren vorbehalten. Die Niederschrift des Romans ist zeitlich mit einiger Sicherheit festgelegt. 1 Wir rechnen mit den Jahren Der Vergleich mit den Tagebüchern läßt freilich auf den ersten Blick erkennen, daß ein Datierungsversuch aus inneren Gründen anders angesetzt werden müßte. Ahnung und Gegenwart enthält die Jugend- und Entwicklungsgeschichte des Dichters bis in kleinste Einzelheiten, gleich farbig auch, abgewandelt nur in der Struktur des Bezogenseins und der Zusammenhänge. Die Lebensgeschichte wird beispielhaft. EICHENDORFF erfüllt SCHLEGELS Forderung, der romantische Roman solle der Form nach Arabesken, dem Inhalte nach Bekenntnisse geben, genauestens. 2 So muß dieser Roman, der gleichsam mit seinem Schöpfer und an ihm gewachsen ist, wie nichts sonst, sein Wesen bestimmen und wiedergeben. Aber es besteht auch, oder scheint doch offensichtlich ein Widerspruch zu bestehen zwischen der unbekümmert freien, ungehemmten Wiedergabe der Tagebuchaufzeichnungen und der grüblerisch dumpfen, unjugendlichen Weise Friedrichs hinter dessen Person wir EICHENDORFF zu suchen haben mit der er die dort nur zu oft entnommenen Erlebnisse betrachtet und auslegt. Während sich im freien Ausleben der Brüder EICHENDORFF, das noch die letzte Seite der uns enthaltenen Tagebuchaufzeichnungen (die mit dem März des Jahres 1812 jäh abbrechen) erfüllt, zeigt, wie ihr Verhalten zum Leben, ihr Lebensgefühl, nicht erst am Beispiel der Literatur sich entzündet, wie es vielmehr schon Ausdruck der Zeit gewesen, so sind die Gestalten des Romans in ihren Lebensäußerungen durchaus literarisch gebunden. Es mag wunderlich erscheinen, daß zwei so verschiedenartige Lebensauffassungen gleichzeitig sich 1 Hermann Freiherrn von Eichendorff (Hrsg.), Joseph Freiherrn von Eichendorff, Sein Leben und seine Schriften (neubearbeitet von Karl Freiherrn von Eichendorff und Wilhelm Kosch), 3. Aufl., Leipzig 1924, S.60-61, S [Vgl. Ernst Behler/Hans Eichner (Hrsg.), Brief über den Roman, in: Friedrich Schlegel, Kritische Schriften und Fragmente [ ] (Studienausgabe in sechs Bänden), Band 2, Paderborn/München/Wien/Zürich 1988, S.214.]

5 6 zu behaupten vermochten. Die oft zitierte Sehnsucht erlaubte es dem Romantiker, sich in ihr, ohne die Idee zu verletzen, dem Wunsche nach Grenzen, Gesetzen, von außen herangetragenen Bestimmungen hinzugeben, woraus dann solche Zwiespältigkeit entstand. Wichtig für uns ist es, zu wissen, welcher Tendenz EICHENDORFF schließlich den Vorzug gegeben. Zweifellos der letzteren, jener also, aus der die Sehnsucht nach Lebenssicherheit spricht. Nicht, daß er sich in eine abgegrenzte, bürgerliche Welt zurückgezogen hätte! Solches lag dem ausgesprochenen Vertreter der Romantik fern. Ausgehend von der religiösen Haltung, der diese Bewegung eben verpflichtet war, fand er in ihr den stärksten Halt und eine geistige Heimat zugleich. Probleme nun, wie sie in Ahnung und Gegenwart zur Sprache gebracht werden, 3 waren vordem schon in einzelnen Gedichten angeschnitten worden, einer Gattung mithin, die gewöhnlich anderen Gehalten eingeräumt wird, die in jenen aber zu behandeln die Dichter der Romantik, wie alles Fremdartige, Andersanmutende, Abwegige, reizte. Unter ihnen nimmt die Frage nach dem Wesen des Dichters, damals immer wieder aufgegriffen und neu beantwortet, eine so hervorragende wie aufschlußreiche Stellung ein. Auf der Suche nach ihren Äußerungen wird man bald gewahr, daß sie einer bestimmten Zeitspanne angehören, über die hinaus sich nur noch vereinzelt Beispiele finden lassen. EICHENDORFF hat besonders früh eine Vorstellung vom Sinn und der Aufgabe einer Dichterexistenz. Wie er die Einmaligkeit seines Auftrages zu erkennen glaubt, ist er erfüllt von der Göttlichkeit der Poesie. Liest man die späten Werke des Dichters, möchte man eine Umkehrung des Wortes vornehmen: EICHENDORFF ist erfüllt von der Poesie der Göttlichkeit. Namentlich die 3 Leider besitzen wir aus den fraglichen Jahren nur etwa ein knappes Dutzend Briefe, doch läßt sich anhand dieser wenigen Beispiele wohl annehmen, daß EICHENDORFF sich in ihnen auf die eindringlichste Weise mit den Fragen, die uns im Folgenden beschäftigen werden, auseinandersetzt, daß die Briefform ihm, ähnlich wie der Roman, willkommene Gelegenheit bot, sich reflektierend, worauf es auch immer sei, zu beziehen.

6 7 theoretischen Schriften des Alternden tragen den Stempel dieser Wandlung, 4 doch sind auch die christlich-religiösen Versepen Julian (1852/1853) 5 und Lucius (1857) 6 hier zu nennen. Gedichte entstehen in diesen Jahren kaum mehr. 7 Als ausgesprochene Bekenntnisform haben sie für den Dichter mit dem Ende des Freiheitskrieges ihre Geltung verloren. Das berechtigt, die Untersuchung mit dem Jahre 1815 abzuschließen. Es ist, als ob EICHENDORFF nach den Geschehnissen des Krieges, sich zurückgezogen habe vom Lärm des Tages, den er einmal durch seine unmittelbare Einwirkung hatte lenken wollen. 8 4 Unserm Eichendorff hängt freilich der Himmel voller Geigen, die mit Saiten bezogen sind, welche lauter katholische Hymnen ertönen lassen. Es summt ihm katholisch in den Ohren, und er nimmt dieses Summen für katholische Kirchenmusik, welche das Orchester der Weltgeschichte aufspielt (Hermann Marggraff, Joseph von Eichendorff als romantischer Literaturhistoriker, in: Blätter für literarische Unterhaltung, Jahrgang 1857, Band 1, S.218). Das ist eine der vielen ablehnenden Stimmen, die betont das gewandelte Schaffen des Dichters verurteilen. 5 [HKA I/2, S (HKA I/2 = Wilhelm Kosch (Hrsg.), Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff, historisch-kritische Ausgabe, 1. Band, 2. Hälfte: Hilda Schulhof/August Sauer (Hrsg.), Gedichte des Freiherrn Joseph von Eichendorff (Mit einem Vorwort von Wilhelm Kosch), Regensburg 1923.)] 6 [HKA I/2, S ] 7 Vgl. die Briefe An Theodor Schön vom 15. August 1852 (HKA XII, S ) und An Lebrecht Dreves vom 30. April 1853 (HKA XII, S ). [HKA XII = Wilhelm Kosch/August Sauer (Hrsg.), Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff, historisch-kritische Ausgabe (in Verbindung mit Philipp August Becker), 12. Band: Wilhelm Kosch (Hrsg.), Briefe von Freiherrn Joseph von Eichendorff, Regensburg 1910.] 8 Vgl. HKA III, S.251/15-20 und HKA III, S.329/25-S.331/2. [HKA III = Wilhelm Kosch/August Sauer (Hrsg.), Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff, historisch-kritische Ausgabe (in Verbindung mit Philipp August Becker), 3. Band: Wilhelm Kosch/Marie Speyer (Hrsg.), Ahnung und Gegenwart, Ein Roman von Freiherrn Joseph von Eichendorff, Regensburg 1913.]