Peter Ensikat HASE UND IGEL. Eine Schelmengeschichte. Nach den Brüdern Grimm

Transkript

1 Peter Ensikat HASE UND IGEL Eine Schelmengeschichte Nach den Brüdern Grimm 1

2 henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2005 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2

3 PERSONEN in Hase Rabe 3

4 VORSPIEL Auf der Bühne liegen verstreut Dekorations- und Kostümteile. Nacheinander kommen die vier Darsteller in verschiedenfarbigen Grundkostümen auf die Bühne. Sie streiten miteinander wie Zirkusclowns. Die angegebenen Farben sind wahllos eingesetzt. Sie richten sich natürlich nach den gewählten Farben der Grundkostüme für, in, Hase und Rabe. Die später hinzugefügten Kostümteile sollten keinesfalls Tierähnlichkeit schaffen, sondern sich auf Andeutungen beschränken. Beide Beide Beide Grün/Blau Grün/Blau (Sieht den Grünen von der anderen Seite kommen, erschrickt.) Wie sieht der denn aus?! (Ebenso.) Wie sieht der denn aus!? (Zum Grünen.) Wie siehst du denn aus!? (Zum Blauen.) Wie siehst du denn aus!? So kann man doch nicht herumlaufen! Blau! Grün! Häßlich! Komisch! Anders! Grün muß man sein! Blau muß man sein! Blau ist unmöglich! Grün ist unmöglich! Grün ist normal! Blau ist normal! Du bist ja nicht normal! (Kommt dazu.) Wie sehn die denn aus? Wie sieht der denn aus? Wie seht ihr denn aus? Wie siehst du denn aus? 5

5 Die drei Die drei Die drei Die Bunte Die drei Die Bunte Die drei Alle vier Die Bunte Alle vier So kann man doch nicht herumlaufen! Blau! Grün! Weiß! Häßlich! Komisch! Anders! Weiß muß man sein! Blau muß man sein! Grün muß man sein! Blau / Weiß / Grün ist unmöglich! Grün / Blau / Weiß ist normal! Ihr seid ja nicht normal. (Kommt dazu.) Wie sehn die denn aus?! Wie sieht die denn aus! Wie sehr ihr denn aus!? Wie siehst du denn aus!? So kann man doch nicht herumlaufen! Weiß! Blau! Grün! Bunt! Häßlich! Komisch! Anders! Grün muß man sein! Blau muß man sein! Weiß muß man sein! 6

6 Die Bunte Alle vier Bunt muß man sein! Blau / Grün / Weiß / Bunt ist unmöglich! Bunt / Weiß / Grün / Blau ist normal! Ihr seid ja nicht normal! Wer ist nicht normal!? (Während sie weiter streiten, beginnen sie, sich zu kostümieren und die Dekoration herzurichten.) Das wollen wir ja mal sehen! Was wollt ihr mal sehn!? Wer ist nicht normal!? Ihr seid nicht normal! Normal ist richtig! Richtig normal! Normal! Normal! Normal ERSTES BILD Der Darsteller des Raben beginnt bereits mit seinem Gesang, während die anderen die Dekoration vervollständigen, etwa die Sonne aufstellen, von der der Rabe singt oder den blauen Himmel glatt ziehen. Gegen Ende der ersten Strophe verlassen die drei Darsteller die Bühne. Sie begeben sich in ihre Rollen. Rabe Die Sonne scheint! Am Himmel schon! Die Blumen blühn! Im Sommer schon! Der Himmel blau! Am Morgen schon! Schön die Welt und ich so klug Weisheit mein Charakterzug! Habe alles selbst erschaut: Sonne, Rüben, Heidekraut! Wiese grün, vom Wind gekämmt. Hier ist nur das Fremde fremd! 7

7 Die Fremde fremd! Dort hinten schon! Nur hier ists schön! Wars immer schon! Nur hier ist hier! Nur wir sind hier! Hier ist die Welt, die Fremde dort! Hier versteht man jedes Wort! Hier nur Gutes, Böses dort! Stets vereint hier gleicher Sinne mann und in! Auch am frühen Morgen schon! (Das haus beginnt zu beben unter dem Krach, den die in drinnen macht.) in Rabe Schlafmütziger Faulpelz! Lichtscheues Stacheltier! Borstiger Tagedieb! Verschlafener Mäuseschreck Herzlich klingt hier jeder Ton! (Ab.) (Die in wirft schließlich ihren Mann aus dem Haus. Er läßt widerstandslos alles mit sich geschehen.) in in in Nachts nicht hinein und morgens nicht heraus! In die Sonne mit dir, unnütze Schlafborste! Na und, was soll ich nun hier in der Sonne? Scheint sie nicht ohne mich auch hell genug? Nach den Steckrüben sehn sollst du! Deine Arbeit tun sollst du, daß wir morgen nicht im Hunger stehn und vor den Leuten wie Unkraut! Was hast du gegen Unkraut, Liebchen? Steht es nicht gut dieses Jahr? Den Rüben im Weg stehst, weil du die ganze Woche verschlafen hast, statt zu schaffen wie andre! Schon, schon Bloß was werden sie sagen, die Leute, wenn sie mich sehen arbeiten am Sonntag? 8

8 in in in in in in Was werden sie sagen, wenn sie vor Unkraut die Rüben nicht sehn auf unserm Feld? Na was schon? Was sie immer sagen, werden sie sagen: Ts, ts, ts, ts, ts Na und, tut das weh, Herzstachelchen. Verachten werden sie uns, die Leute! Schau weg, wenn dich einer verachtet. Halt ich nicht Ordnung wie alle? Ja, dich störts nicht, wenn die Leute schaun, wie sie schaun. Du bist eben du, und das reicht dir. Recht hast du. Aber mir reicht es nicht, und mich störts! Ja, leicht hast dus nicht mit dir. Mit dir hab ichs schwer, mit dir! Stehst da wie ein Stück Unglück und hast ein zufriedenes Gesicht Aber was rede ich noch!? Ja, was redest du noch? Tu, was ich sage und Schluß! (Sie wirft ihm eine Hacke zu und geht ins Haus zurück. Man hört sie laut wirtschaften.) Recht hat sie Sünde wärs, die Sonne im Bett zu verschlafen. (Er bereitet sich ein Lager im Unkraut.) Möchte wissen, was sie stört am Unkraut, die Leute. Liegt sich doch weich, und man wird nicht belästigt durch neidische Blicke. Und wächst von allein, muß man nicht hätscheln wie Rüben. (Er legt sich hin und schläft. Der Rabe kommt aufgeregt zurück, um den Auftritt des Hasen anzukündigen.) Rabe Der Hase naht! Im Sonntagsstaat! Auf dem Weg zu seinem Kohl singt er schön wie ein Pirol. Feiner mann von Kopf bis Fuß! Unserm Hasen unsern Gruß! (Der Hase kommt, sehr elegant, grüßt lässig den Raben und singt.) 9