Predigt im Pfingstgottesdienst Sonntag 24. Mai 2015 reformierte Kirche Birmensdorf Mensch
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- Lukas Geiger
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1 Predigt im Pfingstgottesdienst Sonntag 24. Mai 2015 reformierte Kirche Birmensdorf Mensch Lesung: Apg 2,1-13 Das Pfingstwunder Als nun die Zeit erfüllt und der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren sie alle beisammen an einem Ort. Da entstand auf einmal vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie sassen; und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich zerteilten, und auf jeden von ihnen liess eine sich nieder. Und sie wurden alle erfüllt von heiligem Geist und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie der Geist es ihnen eingab. In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun jenes Tosen entstand, strömte die Menge zusammen, und sie waren verstört, denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie waren fassungslos und sagten völlig verwundert: Sind das nicht alles Galiläer, die da reden? Wie kommt es, dass jeder von uns sie in seiner Muttersprache hört? Parther und Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, von Judäa und Kappadokien, von Pontus und der Provinz Asia, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem kyrenischen Libyen, und in der Stadt weilende Römer, Juden und Proselyten, Kreter und Araber - wir alle hören sie in unseren Sprachen von den grossen Taten Gottes reden. Sie waren fassungslos, und ratlos fragte einer den andern: Was soll das bedeuten? Andere aber spotteten und sagten: Die sind voll süssen Weins. Predigt Liebe Gemeinde, Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Die Apostelgeschichte erzählt, wie am 50. Tag nach der Auferstehung Jesu der Heilige Geist auf die junge Christusgemeinde vom Himmel herabkommt. 1
2 Um es gleich vorwegzunehmen: Die Geschichte hat sich nicht so abgespielt, wie sie erzählt wird. Zungen von Feuer, die vom Himmel herabkommen und Menschen plötzlich in fremden Sprachen reden lassen das gibt es so nicht in unserer Welt. Das ist ein Mythos. Ein Mythos jedoch, der auf einer tieferen Ebene sehr wohl eine tiefe Glaubenswahrheit in sich birgt, die von uns gefunden werden will. Und dazu müssen wir die Sprache des Mythos in unsere Lebenswirklichkeit übersetzen. Am vergangenen Dienstag war ich im Zürcher Hallenstadion am Konzert von Herbert Grönemeyer. Grönemeyer ist für mich so etwas wie ein Antistar. Kleingewachsen, ein bisschen pummelig, ohne grosse Allüren irgendwie ganz normal. Seine Kritiker werfen ihm immer wieder vor, er habe keine schöne Stimme und tanzen könne er schon gar nicht. Herbert Grönemeyer nimmt s gelassen und mit Humor: Niemand sieht so gut aus, singt so schön und tanzt so gut wie ich! sagte er am vergangenen Dienstag zu seinem Publikum mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Der Mann ist zweifellos ein begnadeter Musiker. Und er hat eine Botschaft. Er singt davon, dass man Mensch ist, weil man lebt, liebt, hofft, kämpft, weint, sich freut, vergibt, trauert, schwärmt, glaubt und vertraut. Er singt von den Schwierigkeiten, den Widersprüchen, den Abgründen und den Ungerechtigkeiten des Lebens Menschen verstummen augenblicklich als er sich allein am Klavier mit wehmütigen Klängen an seine an Krebs verstorbene Frau Anna erinnert. Später erinnert er an das verzweifelte Schicksal der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Er schimpft über Egoismus und Mitleidlosigkeit. Er stellt politische und religiöse Ideologien an den Pranger. Und dann singt er wieder von Mut und Hoffnung, von der Freude, von der Menschlichkeit, vom Geheimnis des Lebens, für das er nur sehr widersprüchliche Worte findet. Im Publikum: Das jüngste Mädchen ist etwa 7 oder 8 Jahre alt. Der älteste Herr wahrscheinlich gegen 80. Alle hören ihm gebannt zu, nehmen Anteil und freuen sich, singen und tanzen 2
3 mit. Es ist, als ob ein Geist alle miteinander verbindet, als ob alle eine Sprache sprechen: Du und ich wir sind keine Helden. Aber wir sind Menschen, die lieben, schwärmen, trauern, hoffen, mitleiden, vertrauen, enttäuscht werden, sich freuen, tanzen, singen, leben. Darin liegt eine unsagbare Schönheit und Kraft. Ich musste an Pfingsten denken, als ich dieses wunderschöne Konzert so miterlebte und dabei lachen. Herbert Grönemeyer bezeichnet sich selbst ja nicht als religiös. Er scheint mir auf kognitiver Ebene in Sachen Religion sogar ziemlich unbewandert zu sein. Egal. Seine Musik, seine Botschaft, seine bescheidene, offene, ehrliche und lebenslustige Art vermögen die Leute zu begeistern. Manchmal denke ich: Es gibt Menschen, die sich explizit als religiös bezeichnen, aufgrund ihrer Unmenschlichkeit aber nichts anderes als heuchlerische Idioten sind. Und andere meinen, sie seien nicht religiös, wobei sie durch ihre Menschlichkeit dem Himmel näher sind, als sie wissen. Herbert Grönemeyer gehört, so vermute ich mal, zu dieser letzten Kategorie. Der Geist weht, wo er will heisst es in der Bibel. Richtig. Gottes Geist ist nicht immer da, wo man ihn als erstes vermutet oder gerne haben möchte. Ich erlebe manchmal haarsträubende Momente innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft, wo ich entsetzt feststelle: Ach, da hat sich jetzt aber Gottes Geist definitiv aus dem Staub gemacht! Auf der anderen Seite gibt es Begegnungen, die oberflächlich gar nichts mit Kirche und Religion zu tun haben, bei denen ich aber deutlich spüre: Ist das nicht Gottes Geist, der hier wirkt? Hier geschieht doch etwas sehr Gutes, Schönes, etwas sehr Menschliches! Und dann gibt es doch auch wieder Momente in der Kirche, wo ich mich mit Gott sehr verbunden fühle. Der Geist weht, wo er will Gewiss. Aber hängt es irgendwie nicht doch auch von uns ab, ob Gottes Geist überhaupt Eingang findet in unser Leben? Ich meine, dass wir im Hinblick auf die Offenheit dem Himmel, Gott gegenüber selber verantwortlich 3
4 sind. Wonach sehnen wir uns? Wofür setzen wir uns im Leben ein? Was ist uns wichtig? Anerkennung, Geld, egoistisches Vergnügen, Macht? Oder nicht doch Menschlichkeit, Mitleid, Gerechtigkeit, Güte, Liebe? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt im Hinblick auf unsere Empfänglichkeit für Gottes Geist viel ab. Darüber hinaus frage ich mich: Was heisst das eigentlich Offenheit gegenüber dem Himmel, gegenüber Gott? Die Pharisäer und Schriftgelehrten, von denen im Neuen Testament die Rede ist, waren auch der Ansicht, dass sie dem Himmel, Gott gegenüber offen seien. Aber ein einfacher, in ihren Augen unbedeutender Zimmermann aus Nazareth mit dem Namen Jesus, nennt ihre Verlogenheit beim Namen: Wehe euch, ihr Pharisäer und Schriftgelehrten, ihr Heuchler! Ihr sucht peinlich genau das Religionsgesetz zu erfüllen und lasst das Wichtigste im Gesetz ausser Kraft: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue. (Mt 23,23) Mit anderen Worten: Echt religiös ist nur jemand, der menschlich ist und bleibt. Solange man Mensch ist, ist man offen für Gott, für den Himmel. Solange man Mensch ist, ist man empfänglich für Gottes Geist. Jesus von Nazareth war in erster Linie Mensch. Er liebte seine Nächsten und nahm Anteil an ihren Sorgen und ihren Leiden. Er verurteilte nicht, sondern versuchte zu verstehen. Er weinte mit den Traurigen. Er tröstete die Trostlosen und Verzweifelten. Er erzählte von der Güte Gottes, wo Menschen von Schuld und Angst geplagt wurden. Er sass mit denen am Tisch, die von der Gesellschaft geächtet wurden, teilte Brot und Wein mit Zöllnern und Dirnen. Er heilte Wunden und Krankheiten, wo er konnte. Und: Er verkündete Gottes neue Welt, die wir jetzt noch nicht ganz kennen und sehen. Sie ist noch nicht ganz da. Aber sie kommt, die Welt, in der die Blinden sehen, die Lahmen tanzen und die Toten wieder leben. Der Menschensohn, so Jesus, wird diese neue Welt regieren. Menschensohn das bedeutet in der biblischen Tradition nichts anderes als die vollkommene Menschlichkeit. Und die vollkommene Menschlichkeit ist, so bin ich überzeugt, nichts anderes als Gott selbst. 4
5 Gottes Geist ist also da, wo Menschen einander gegenüber offen sind, füreinander da sind, einander helfen. Gottes Geist ist da, wo Menschen sich nach mehr sehnen als nur nach dem eigenen Glück. Gottes Geist ist da, wo Menschen von mehr Gerechtigkeit, Frieden und Leben träumen, als diese Welt geben kann. Gottes Geist ist da, wo Menschen zu Menschen werden. Menschsein ist etwas, was wir nicht einfach so haben. Wir sind erst auf dem Weg zum wahren Menschsein, zum Menschlichen. Ich glaube, der Unmensch steckt noch in jedem von uns. Es ist oft schwieriger, Mensch zu sein, als man meint. Darum spricht Jesus auch vom Menschensohn, vom zukünftigen Menschen, der ganz Mensch sein wird. Es ist etwas, das noch aussteht. Und doch ist es unsere Aufgabe offen zu sein für das Menschliche, offen zu sein für Gottes Geist, der uns zur wahren Menschlichkeit bewegt. Auf diesem Weg gibt es, so denke ich, viele Fallen. Aber es gibt auch gute Orientierungen, die uns den richtigen Weg weisen, uns die Empfänglichkeit für Gottes Geist bewahren: Güte, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Frieden, Liebe, Hoffnung, Treue. Der Weg zum Menschen, zur Erlösung, führt über die Offenheit für das Menschliche, über die Sehnsucht zum eigentlichen Menschen, der fehlt. Der Weg zum eigentlichen Menschen führt, so bin ich überzeugt, über das Menschliche. Um die Worte aus dem Lied Mensch von Herbert Grönemeyer zu zitieren: und der Mensch heißt Mensch, weil er vergisst, weil er erinnert, weil er schwärmt und glaubt, sich anlehnt und vertraut weil er wärmt, wenn er erzählt, weil er irrt und weil er kämpft, und weil er hofft und liebt 5
6 und weil er mitfühlt und vergibt und weil er lacht und weil er lebt du fehlst oh, weil er lacht, weil er lebt, du fehlst Amen. Aesch, 22. Mai 2015 Pfr. Marc Stillhard 6
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