Flucht und Trauma Situation traumatisierter Flüchtlinge in Deutschland. Referent: Dr. Tilo Meißner
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- Berthold Lorenz
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Transkript
1 Flucht und Trauma Situation traumatisierter Flüchtlinge in Deutschland Referent: Dr. Tilo Meißner mit Dank an Dima Zito und Veronika Wolf (PSZ Düsseldorf)
2 Inhalt 1) Vorstellungsrunde 2) Psychosoziale Belastung bei Flüchtlingen 3) Trauma 4) Versorgungsstrukturen 5) Umgang mit psychisch belasteten Flüchtlingen 2
3 Vorstellung von Refugio warum sind wir heute hier? Refugio Münster ist eine Beratungs- und Therapieeinrichtung für psychisch belastete Flüchtlinge und Folteropfer seit August 2014 unter der Trägerschaft der GGUA e. V. und der AWO Unterbezirk Münsterland-Recklinghausen Gefördert durch die Stadt Münster, das Land NRW und die EU Mitglied in der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) 3
4 Therapeutische und psychosoziale Angebote Erstgespräche / Clearings Individuell abgestimmte Stabilisierung und Therapie Unterstützung bei der Therapieplatzvermittlung Psychosoziale Beratung sowie therapiebegleitende sozialarbeiterische Angebote Netzwerk-, Multiplikatoren- und Öffentlichkeitsarbeit 4
5 Sprach- und KulturmittlerInnen Refugio verfügt über einen Sprach- und KulturmittlerInnen-Pool für mehr als 30 Sprachen. Durch den Einsatz von Sprach- und KulturmittlerInnen wird die erfolgreiche Kommunikation zwischen Klientinnen und Klienten und TherapeutInnen sichergestellt. Refugio arbeitet mit eigenen Sprach- und Kulturmittlern, die sowohl intern als auch von TAPS - Transkulturell Arbeiten in Psycho-Sozialen Berufen aus- und fortgebildet werden. 5
6 Sprechzeiten Telefonsprechstunde: Montags 14:00 Uhr bis 15:00 Uhr Mittwochs 12:00 Uhr bis 13:00 Uhr Freitags 09:00 Uhr bis 10:00 Uhr Refugio Münster Psychosoziale Flüchtlingshilfe Hafenstr Münster Tel.: Fax: Offene Sprechstunde: Jeden ersten Donnerstag im Monat von 14:30 Uhr bis 16:30 Uhr Für Anfragen außerhalb der Sprechzeiten: Termine nach Vereinbarung. 6
7 Vorstellungsrunde Woran würden Sie in einem halben Jahr festmachen, dass sich die heutige Veranstaltungen für Sie gelohnt hat? Woran, dass sie sich nicht gelohnt hat? => Bitte Fragen Sie!
8 Ein Appel vorneweg Vermeiden Sie den Tunnelblick auf die Belastungen - Benutzen Sie beide Augen um Ressourcen und Belastungen zu sehen
9 Ein empathisches Experiment Stellen Sie sich vor Sie würden in ein anderes Land fliehen und dort bleiben müssen wir würde es Ihnen damit gehen?
10 Herausforderungen der speziellen Situation von Flüchtlingen Erfahrungen in den Herkunftsländern Verlust von vertrautem Umfeld, Familie und Freunden ggf. sozialer Status und Anerkennung Platz auf der Welt Flucht ggf. bedrohliche Erfahrungen und ein hoher Preis Rettung, Neubeginn, Hoffnung, Träume
11 Herausforderungen der speziellen Situation von Flüchtlingen Fremde Welt andere Sprache, ggf. Aussehen, Schrift, kulturelle Codes Existenzielle Unsicherheit, Angst vor Abschiebung Sorge um Zurückgebliebene ggf. Überlebensschuld ggf. unerfüllbare Aufträge (Familienversorgung)
12 Wir erschaffen uns immer wieder neu Mit jeder Erfahrung erweitert, verändert und aktualisiert sich unser Selbst-, Welt- und Menschenbild Tendenz zur Integration Trauma: nicht integrierbares Ereignis
13
14 Warum Beschäftigung mit Traumatisierung? Flüchtlinge kommen oft aus Kriegs- oder Krisengebieten Hohe Wahrscheinlichkeit von Traumatisierungen 40% der AsylbewerberInnen leiden unter einer Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (Gaebel et al. [2006]; Untersuchung der psychologischen Forschungs- und Modellambulanz für Flüchtlinge an der Universität Konstanz)
15 Erleben Spiegel in unkritischen Situationen Es entsteht ein ganzes Bild aus: Emotionen Bildern Geräuschen Gerüchen Körperempfindungen Gedanken Erinnerungen
16 Traumatisierung als zerbrochener Spiegel Emotionen Gedanken Gerüche Bilder Geräusche Körper Erinnerungen Erfahrungen
17 Trauma ist nicht gleich Trauma Typ I: plötzlich, unvorhersehbar, unbeabsichtigt (z.b. Unfall, Naturkatastrophen) Typ II: man made, bewusst durch Menschen zugefügt (z.b. Gewalt, Folter), erschüttern Vertrauen in die Welt und anderen Menschen, oft schwerer zu verarbeiten Typ III: Zeugenschaft (auch sekundäre Traumatisierung von Helferinnen und Fachkräften) - (nach Maerker 2003)
18 häufige Traumata bei Flüchtlingen Krieg, Folter, Gewalt, Verfolgung in den Herkunftsländern Lebensgefahr und Gewalt auf der Flucht
19 Traumafolgestörungen multifakorielle Genese Ereignisfaktoren: - Qualität (Intensität, Brutalität) - Quantität (Häufung, Dauer) Schutzfaktoren: - soziale / familiäre Unterstützung - erworbene Kompetenzen - positive Erfahrungen - Kohärenz ( sinnhaft einordnen können ) Risikofaktoren: -geringes Alter - frühere belastende Erfahrungen - belastende Lebensbedingungen
20 Traumasequenzen Untersuchung mit jüdischen Waisenkindern von Keilson (1979 / 2005): - Verlauf der Traumatisierung in Phasen - Zeit nach direkter Verfolgung entscheidend für Flüchtlingskinder (3. traumatische Sequenz) -> passiert meist im Fluchtzielland Lebensbedingungen und Unterstützung prägen weitere Entwicklung maßgeblich eine Herausforderung und Chance in der Begleitung
21 Therapeutische Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland nationaler Gesetzesrahmen mit Einflüssen von EU, Bundesland, Kommune und internationaler Abkommen Nach AsylBLG Recht auf Unterstützung bei akutem Behandlungsbedarf ( 6 Abs 2) uneinheitliche Regelungen hinsichtlich Zugang und Kostenübernahme strukturelle Defizite aktuell kurze Halbwertszeit des Gesetzesrahmens => fallbezogene, individuelle Klärung
22 theoretischer Vermittlungsablauf Therapeutensuche und Anmeldung Probatorik wird laut KVWL bei ärztlicher Überweisung übernommen, ggf. Sozialamt Dolmetscherkosten beantragen Therapie kann bei Bedarf im Anschluss beantragt werden (Sozialamt in Kombination mit Gesundheitsamt / Krankenkasse)
23 Ansprechpartner PSZ NRW ( ) Kommunale Strukturen (v.a. Sozialamt) Dachverband BAfF ( ) Flüchtlingsräte ( / Netzheft ) Medinetze SprInt
24 Versorgungsbericht der BAfF
25 Gesellschaftlicher Ex- und Diskurs EU Aufnahmerichtlinie Asylpakete / Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz sichere Herkunftsstaaten Wirtschaftsflüchtlinge Lagerbildung mit Isolation Demokratieverständnis (Bsp. Asylpaket II).
26 UN-KRK Vorrang des Kindeswohl (Art. 3: Best interest of the child ) Berücksichtigung des Kindeswillens (Art. 12) Kind hat Recht auf beide Eltern (Art. 18) Staat muss alle Maßnahmen ergreifen um diese Rechte zu sichern (Art. 4) => ca. 50% der displaced Persons sind Kinder
27 Was können Sie selbst tun? Stabilisierung!
28 Traumapädagogische Leitlinien Herstellen von Sicherheit bei Flüchtlingen erschwert (Aufenthalt, Wohnsituation) Reduzieren von Stress Hypervigilanz als Traumafolge sichere Bindung Voraussetzung für Lern- und Entwicklungsprozesse Unterstützung positiver Selbstbilder Trauma: tief verankerte Überzeugung von Ohnmacht / Hilflosigkeit, eventuell mit Kompensation durch Aggressivität / Machtstreben Entwicklung von Selbstakzeptanz und Selbstwirksamkeits-konzepten Ressourcenorientierung (nach Scherwath / Friederich 2012)
29 Sicherheit - sichere Orte schaffen Trauma erschüttert Selbst- und Weltvertrauen Umgebung als Ort potenzieller Gefahr erfahrungsabhängige Erwartungshaltung permanente Aktivierung des Alarm- und Stresssystems des Organismus äußere Sicherheit als Voraussetzung für innere (nach ScherwathFriederich 2012)
30 (äußere) Sicherheit herstellen ohne soziale und physische keine psychische Stabilisierung; Ziel: sicher fühlen hilfreich: Aufenthalt (oder: jemand kümmert sich v.a. Rechtsanwalt) Behandlung evtl. körperlicher Erkrankungen, Infektionen oder Verletzungen Geborgenes, gewaltfreies und sicheres Umfeld Klarheit, Transparenz, Informationen Tagesstruktur
31 bei Dissoziation / Desorientierung Sicherheit und Ruhe vermitteln Orientierung in der Gegenwart Kontakt herstellen (z.b. durch Ansprechen, evtl. berühren -> bitte vorher klären!) Zeit, Ort und Situation benennen: Wahrnehmung auf Gegenwart fokussieren Sinneswahrnehmungen anbieten z.b. Wasser trinken lassen Aufstehen, Füße auf Boden am Fenster: sich beschreiben lassen Gesicht waschen Berührung (Igelball kneten, Muskeln, ) WICHTIG: immer (vorher) klären!
32 positive Erfahrungen positive Erfahrungen ermöglichen ausgleichende Erfahrungen zu negativen Erlebnissen schöne Erlebnisse organisieren (Freizeit, Ausflüge, ) gute Bilder (vs. belastende Erinnerungsbilder) vom äußeren guten Bild zum inneren Zugang zu schönen Bildern (Fotos, Kunst, Geschichten, Filme ) Partizipation (vs. Trauma = ausgeliefert sein) Möglichkeiten (mit) zu entscheiden
33 Ressourcenstärkung Tätigkeiten bei denen sich die Person als effektiv und kreativ erleben kann Kraftquellen-Übung (nachgezeichnete Hand) Daumen: Hören Zeigefinger: Sehen Mittelfinger: Riechen Ringfinger: Schmecken kleiner Finger: Spüren Handfläche: Aktivitäten
34 sich 5 Dinge überlegen die ich/er/sie gut kann in der Alltagskommunikation: Fähigkeiten Erkennen und würdigen Komplimente machen Bewältigungserfahrungen ermöglichen und durch benennen und rückmelden verstärken; ggf. loben
35 Hilfreiche Grundhaltungen Sicherheit bieten einschätzbar sein positive Bindungserfahrung gute Erfahrungen ermöglichen Ressourcen fördern
36 Auch HelferInnen sind nicht allein Achten Sie auf Selbstfürsorge : z.b. Kontakt zu anderen ehrenamtlich Arbeitenden z.b. Supervision z.b. Anerkennung eigener Grenzen z.b. private Abgrenzung Denken Sie daran andere Fachkräfte zu involvieren - dafür sind sie da
37 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen. -J.W. v. Goethe
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