SWR2 Tandem Bach verdanke ich mein Leben

Transkript

1 SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Bach verdanke ich mein Leben Die Cembalistin Zuzana Růžičková Von Gregor Papsch Sendung: Dienstag, 23. Mai 2017 Redaktion: Nadja Odeh Regie: Gregor Papsch Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter oder als Podcast nachhören: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/ Bestellungen per Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de

2 BACH VERDANKE ICH MEIN LEBEN O-Ton Ruzickova Ich liebe Prag. Aber ich bin nicht die einzige. Ich glaube, jeder muss sich in Prag verlieben. Ich kann ohne Prag nicht leben. Wenn Zuzana Ruzickova deutsch spricht, lässt sie das R rrrrollen mit einem Zungenschlag, der seit den Tagen Franz Kafkas und Max Brods ausgestorben schien. So klingt also das alte Prager Deutsch! Wir sitzen uns gegenüber in ihrer Wohnung in der Slezska 107, hoch über der Stadt im sechsten Stock eines Jugendstilhauses in einem ansonsten wenig mondänen Stadtviertel. Vor uns auf dem Tisch liegen Fotos ausgebreitet, sie zeigen Zuzana Ruzickova mit dem Dirigenten Rafael Kubelik, mit dem Geiger Josef Suk, dem Pianisten Swjatoslaw Richter: Joh. Seb. Bach, Englische Suite Nr. 3, Allemande, Zuzana Růžičková (Cembalo) // Erato LC Zuzana Ruzickova ist im Januar 2017 neunzig Jahre alt geworden. Aus aller Welt kamen Glückwünsche an die weltberühmte Cembalistin, darunter sogar ein handschriftlich verfasster Brief von Prinz Charles. Ich habe sie gebeten, mir von ihrem Leben zu erzählen, von unaussprechlichem Glück und unfassbarem Leid, von der Liebe zu Johann Sebastian Bach und dem Wunder, als junges Mädchen vier Konzentrationslager, darunter Auschwitz, überlebt zu haben. Von einem Leben, in dem Freud und Leid so nah beieinander lagen: Es gibt einen Satz, der immer wieder fällt im Laufe unseres Gesprächs. In meinem Leben, sagt Zuzana Ruzickova, haben sich viele Wunder ereignet. Kann sie das genauer erklären? Ausschnitt 2 Also man sagt normalerweise, sie sind tapfer gewesen, sie sind stark gewesen, das stimmt gar nicht, Ich bin durch einhundert Wunder nach Hause gekommen aus den vielen Konzentrationslagern. Das waren wirklich Wunder, von denen man erzählen konnte, dass ich grade auf einem Platz war, auf den keine Bombe gefallen ist, oder dass ich damals im Konzentrationslager Auschwitz zu einer Zeit da war, wo man Arbeitskräfte brauchte und ich dadurch nach Hamburg gekommen bin usw. usw. Es waren hundert Wunder. Und dass Sie den größten Teil Ihres Lebens mit verbringen durften, das war mit Sicherheit auch ein solches Wunder Das war ein ganz großes Wunder. 2

3 Joh. Seb. Bach, Englische Suite Nr. 2, Prelude, Zuzana Růžičková (Cembalo) // Erato LC (0 19) Ausschnitt 3 Sie stammen aus einer jüdischen Familie, Ihr Vater war Kaufmann in Pilsen, Sie waren das einzige Kind. Wie sind Sie aufgewachsen? Ja in einer wunderbaren Atmosphäre von Liebe und Verständnis. Mein Vater war immer ein Fragezeichen für mich gewesen, denn als ich älter war, so sechs oder sieben, hat er mir und meiner Mutter Homer vorgelesen. Und ich frage mich immer, ob dieser Sinn für Rhythmus und Deklamation aus dieser Zeit eventuell kommt. Das ist gut möglich, ja. Was bedeutete Ihnen denn als junges Mädchen die oder das hören, das Klavierspielen? Gab es da Vorbilder, denen Sie nachgeeifert haben, oder kam das aus Ihnen heraus? Ja es kam wahrscheinlich aus mir heraus, weil so war es ja immer mit Bach. Ich hab mich bei Bach immer so ein bisschen zu Hause gefühlt. Es war nichts Exotisches, es war nichts Aufregendes, es war etwas, etwas eben die Ordnung, nicht wahr? Das, was man bei Bach fühlt. Reden wir über Bach! Sie haben einmal gesagt: Bach ist Gesetz und Moral. Können Sie das etwas genauer erklären, es gibt ja nicht viele Kinder, die Bach zu ihrem Ideal erklären. Ja, es ist so, dass man bei Bach immer so das Gefühl hat, dass da etwas vollständig gemacht wurde, vervollständigt wurde. Etwas, was dem Leben eigentlich fehlt, weil wir leben in einer Welt der Unordnung. Und Bach bedeutet eben Ordnung. Ich staune immer wieder über dieses Gesetz bei Bach, nicht wahr, dabei ist es ja auch voll von Gefühl! Das ist nicht ein Gesetz an sich. Mein Mann hat gesagt, früher hat er Bach immer als Altes Testament begriffen, und er hat gesagt: du hast mir mit deinem Spiel entdeckt, dass Bach auch sehr viel Zärtlichkeit und sehr viel Gefühl hat, und das hab ich auch von Anfang an gefühlt. Bach, sagten Sie eben, löst bei Ihnen eine große Sehnsucht aus nach einer geordneten Welt. Ja, aber ich bin ja nicht allein, nicht wahr? Wenn ich zum Beispiel mein junges Publikum befragte, dann haben sie immer genau diese Antwort gegeben: die Sehnsucht nach einer geordneten Welt. Sie haben viel mit jungen Menschen gemacht. Sie haben auch Konzerte als Experimentalstudio verstanden, haben ein Bach sches Konzert erst auf dem Klavier und danach auf dem Cembalo gespielt und das Publikum befragt, was authentischer, was schöner 3

4 Nein, ich wollte zeigen, gerade beim Italienischen Konzert im Zweiten Satz, wo man immer sagt: so schön kann das Cembalo nicht singen wie das Klavier. Und ich wollte dem Publikum zeigen, dass es das kann! Joh. Seb. Bach, Italienisches Konzert, 2. Satz Andante, Zuzana Růžičková (Cembalo) // Erato LC (0 20) Ausschnitt 4 Reden wir noch über Ihre Kindheit. Sie hatten ja eigentlich große Pläne, wollten in Paris bei der großen Cembalistin Wanda Landowska studieren, dann aber 1939 sind die Deutschen in die Tschechoslowakei einmarschiert, die Nazis. Da war es erst mal vorbei mit allen Plänen. Sie waren damals 12 Jahre alt, wie haben sie das Jahr 1939, den Einmarsch, erlebt? Ja eigentlich war es schon 1938, nach der Münchener Konferenz, als mein Vater eingerückt war in die tschechoslowakische Armee als Offizier, freiwillig, denn er wurde im Ersten Weltkrieg verwundet, und na ja, dann kam der Anschluss, und dann kamen die Nazis. Mein Vater war ein ganz großer tschechischer Patriot aus einer tschechisch-jüdischen Familie, also eigentlich mehr tschechisch als jüdisch, und wir hatte ja damals ein Affidavit von meinen Verwandten in Chicago in der Tasche, aber mein Vater hat gesagt: man verlässt sein Land nicht, wenn es in Gefahr ist. Und dann war er selbst in Gefahr. Sie sind dann 1942 mit der ganzen Familie nach Theresienstadt gekommen. Wollen Sie von dieser Zeit erzählen? Wie war das in Theresienstadt? Ihr Vater ist dort gestorben Mein Vater ist dort gestorben. Theresienstadt war eine Stadt mit zwei Gesichtern. Das eine war das Furchtbare mit Hunger und Not und Leiden, und das andere war das Intellektuelle, das dort regelrecht aufgeblüht ist, weil dort Intellektuelle aus ganz Europa gewesen sind, aus Deutschland, den Niederlanden, und natürlich Böhmen und Mähren, und es war, was eigentlich immer wieder vorkam, auch dann in den kommunistischen Lagern, dass man sich trennen will von der furchtbaren Realität, und das tut man eben durch die Kunst und das Intellektuelle. Theresienstadt sollte ja so eine Art Schaufenster der Nazis in die Welt sein: seht her, wir behandeln unsere Gefangenen anständig, es waren viele Intellektuelle, auch viele er dort, es wurde auch gemacht, die beiden tschechischen Komponisten Pavel Haas und Hans Krasa waren dort und Gideon Klein. Den habe ich persönlich getroffen, denn es gab dort ein altes Klavier, nur auf nur zwei Beinen, das habe ich sehr früh entdeckt, und sobald die Stadt zum Ghetto gemacht wurde und wir durften aus der Kaserne hinaus, da hab ich mich natürlich ans Klavier gesetzt und gespielt, und da kam eben Gideon Klein und hat mich angehört und mir ein paar Stunden gegeben. Das waren phantastische Leute. 4

5 Also auch in Theresienstadt ist Ihnen die nicht ganz abhanden gekommen. Das war dann 1943 anders, als Sie nach Auschwitz gekommen sind. Es gibt bei allem Schrecken doch auch eine sehr berührende Szene, von der Sie einmal erzählt haben. Denn sogar nach Auschwitz, oder eben gerade dorthin, hat Sie Johann Sebastian Bach begleitet, in Form eines Notenblatts Ja also, das ist ja schon eine berühmte Geschichte, ich wollte sie nicht zur Legende machen. Jedenfalls haben wir dann mit meiner Mutter die Vorladung zum Transport nach Auschwitz bekommen. Wir haben gepackt, und ich hatte viele Noten mit, besonders Bach. Und dann sagten meine Freunde, das schleppst du nicht mit, lass das doch hier, das wird noch jemandem zugutekommen. Ich wollte mich aber nicht so ganz verabschieden von den Noten. Und da habe ich eine Sarabande gefunden von der e-moll Engischen Suite, und die hab ich mir abgeschrieben. Nicht dass ich sie nicht auswendig konnte, aber ich habe mir gesagt, vielleicht werde ich sie ja vergessen, jedenfalls war sie eine Art Talismann und für Bedeutung für mich, die ich mitnehmen wollte. Und diese ganzen drei Tage, die wir in diesem schrecklichen Wagen nach Auschwitz gefahren sind, habe ich immer diesen Zettel vor Augen gehabt. Meine Mutter hat das natürlich mitbekommen und als wir dann zur Rampe gekommen sind, mit diesen Szenen, die bekannt sind, mit Hundegebell und Geschrei, da hat man uns auf einen Lastwagen gebracht, ich war die letzte, und man hat mich von meiner Mutter getrennt, und ich hatte immer dieses Blatt in der Hand mit Bachs Sarabande. Auf einmal kam ein Wind und hat mir das Blatt aus der Hand gerissen. Meine Mutter, die wusste, was das für mich bedeutet, ist gelaufen, damit sie das Blatt für mich retten konnte, und die Mädchen haben ihr noch hinauf auf den Lastwagen geholfen. Ich weiß nicht, ob wir getrennt worden wären, aber jedenfalls hat Bach geholfen, dass wir zusammengeblieben sind Theresienstadt, dann Auschwitz, dann abgestellt zur Zwangsarbeit in Neuengamme bei Hamburg, schließlich bis zur Befreiung 1945 Bergen-Belsen. Von Ihrer Familie, Ihren Verwandten, haben nur Sie und Ihre Mutter überlebt. Sie beide sind wie durch ein Wunder immer zusammengeblieben. Was war Ihre Mutter für Sie? Ja eine Stütze bis zum letzten Moment. Sie hat mit und hier gewohnt, sie hat für mich hier den Haushalt geführt, sie war so eine tapfere und so eine tolerante und so eine humorvolle Frau. Ich habe immer gesagt: ich lache mit niemandem so wie mit dir! Ich hatte ja nicht immer die Kraft und habe sie immer um Verzeihung gebeten, weil ich in Auschwitz immer zu ihr gelaufen bin, weil es kam immer näher das Datum, wo wir in die Gaskammern gehen sollten, und ich habe immer geweint und gesagt: ich möchte leben, ich möchte leben, ich will nicht sterben. Das muss für meine Mutter furchtbar gewesen sein. Also so viel Kraft hatte ich nicht. Joh. Seb. Bach, Englische Suite Nr. 5 e-moll, Sarabande, Zuzana Růžičková (Cembalo) // Erato LC (0 20) Ausschnitt 5 Frau Ruzickova, Sie sind 1945 zurück nach Pilsen gegangen, mit 18 Jahren, und vor allem haben Sie zurück zum Klavierspielen gefunden. Ging das denn so einfach? 5

6 Das ging gar nicht einfach. Meine Hände waren ja furchtbar blessiert, nicht wahr, wir hatten schwer gearbeitet, ohne Handschuh in dem furchtbaren Winter in Hamburg. Und, na ja, meine Hände waren so geschunden, dass meine frühere Klavierlehrerein geweint hat und sie gesagt hat: na ja, damit kann man nichts mehr tun, vielleicht machen Sie Linguistik, Englisch oder Deutsch usw. Ich fand aber, ich kann ohne gar nicht leben. Hatten Sie eine Art Ahnung, nur die kann mich zurück ins Leben bringen? Ja genau, genau. Ich bin dann mit kleinen Kindern in die schule gegangen, angefangen mit Cramer und Czerny und normalen Etüden, habe dann zehn bis zwölf Stunden täglich geübt, bis ich dann 1947 wieder Konzerte gegeben habe. Ich habe damals Chopin gespielt, die Variations brillantes, das werde ich nicht vergessen. Danach ist ein Professor von der Hochschule zu mir gekommen und hat gesagt: möchten Sie nicht eine Aufnahmeprüfung an der Hochschule versuchen? Ich habe gesagt: ja, aber ich habe ja überhaupt keine Bildung. Ich hatte nur fünf Jahre Normalschule absolviert, die erste Hälfte vom Gymnasium, und dann war Ende für die Juden, nicht wahr? Bis heute steht in meinem Personalausweis: fünf Jahre Normalschule und Doktorandin an der Hochschule für. Frederic Chopin, Variations brillantes B-Dur op. 12, Lilya Zilberstein (Klavier) // SWR Arch. AMS M (0 20) An der Prager hochschule begegnet ihr Viktor Kalabis, ihr späterer Mann. Er muss ein außergewöhnlicher Mensch gewesen sein, den Zuzana Ruzickova gleichermaßen geliebt wie bewundert hat ist er gestorben. Ausschnitt 6 Viktor Kalabis! Sie sind ihm begegnet in Prag. Erzählen Sie, was war er für ein Mensch? Also, er war der beste Mensch in meinem Leben, ein großartiger er. Außerdem war er für mich sehr wichtig, weil er nichts gewusst hatte von meinem Schicksal, ich konnte nicht darüber sprechen. Er hat mich damals einmal nach einer sehr lustigen Gesellschaft gefragt: du, deine Lustigkeit kommt dir nicht von Herzen! Was ist denn los mit dir? Ein großer Menschenkenner! Ja. Und dann habe ich eben gesagt, was los mit mir ist, und er hat bis zu seinem Ende immer gesagt, dass nebst der sein großer Wunsch war, mich von dem Trauma des Konzentrationslagers zu befreien. Außerdem war er sehr wahrheitsliebend, er ist nie in die Partei gegangen, und er war auch sehr objektiv. Er konnte seinen größten Feind loben, wenn er seine gut fand und seinen größten Freund beleidigen, wenn er sie nicht gut konnte. Er war ein phantastischer Pianist und ein sehr sehr guter Dirigent. 6

7 Man muss dazu sagen, das waren natürlich politisch dramatische Jahre wurde die Tschechoslowakei kommunistisch. Sie waren beide nicht Mitglied in der kommunistischen Partei und standen dann entsprechend unter besonderer Beobachtung. Hatte das auch Konsequenzen für Ihre Karriere als erin? Ich durfte sehr bald reisen und habe ziemlich viele Devisen gebracht. Da wurde das Regime natürlich sehr tolerant. Viktor hat drei Jahre keine Arbeit bekommen mit diesem politischen Profil, und meine Mutter, die mit uns lebte, hatte fast keine Pension bekommen als ehemalige Kapitalistin, nicht wahr? Also da war ich der einzige, der verdient hat, und wir waren wirklich mäusearm. Aber wir waren trotzdem sehr sehr glücklich. Wir glaubten, dass wir das überleben würden. Joh. Seb. Bach, Englische Suite Nr. 2, Prelude, Zuzana Růžičková (Cembalo) // Erato LC (0 10) 1956 ereignet sich wieder so ein Wunder im Leben der Zuzana Ruzickova. In München gewinnt die 29-jährige Cembalistin den internationalen ARD-- Wettbewerb für junge er. Die, die Konzerte in München waren auch der Grund, dass sie sich mit Deutschland und den Deutschen versöhnen konnte. Ausschnitt 7 Ich habe mit meinem Mann darüber gesprochen, dass ich mich eigentlich ein bisschen fürchte, nach Deutschland zu gehen und Konzerte zu spielen. Aber mein Mann hat damals gesagt: weißt du, es gab ja nichts nur Nazis in Deutschland, und es ist vielleicht gut, wenn du den Deutschen vor Augen führst, dass sie etwas anderes haben als nur die Nazizeit, dass sie den Goethe hatten und den Schiller und den Bach und Beethoven. Wenn du ein Entertainer wärst, würde ich dir sagen: nie! Aber wenn du mit Bach nach Deutschland fährst, erfüllst du vielleicht eine gute Rolle. eben nicht die des Entertainers, sondern? Wie würden Sie Ihre Rolle beschreiben? den Deutschen das Gefühl zu geben, dass sie eine ganz große Vergangenheit haben, wo sie wieder anknüpfen könnten. Ein Volk, das so eine reiche kulturelle Vergangenheit hat und sogar die Hoffnung Europas und der ganzen Welt war, dass man durch Bildung, durch Kunst durch sich entfalten konnte. Und jetzt der Rückschlag in die Barbarei ohne Beispiel. Das hat uns ja bis heute den Glauben genommen an etwas Hehres, an etwas Großes. Man ist skeptisch zu großen Worten. Man ist skeptisch sogar zur großen. Das Schnellspielen, dieses Bagatellisieren von Gesten, von Wahrheitsliebe Ich dachte, na ja, wir dachten, man könnte das wieder zurückbringen. Bach verdanke ich mein Leben haben Sie einmal gesagt, und eigentlich ist er ja viel mehr als das, die ganze Welt kann von ihm lernen Ja. Ich kann Ihnen eine schöne Geschichte erzählen. Ich war in Japan. Mein Manager hat das Hotel damals gebeten, dass sie mir das Klavier in der Mittagszeit 7

8 zur Verfügung stellen, und ich habe den zweiten Teil des Wohltemperierten Claviers geübt. Auf einmal sehe ich, da sitzt jemand in der Ecke, ein Angestellter vom Hotel, und er steht auf und sagt: Bach, Bach! Er sang in einem Chor. Und ich dachte: was wohl Bach denken würde, dass in Asien jemand seine Sprache erkennen würde, weil: er konnte das Wohltemperierte II gar nicht kennen, aber dieser schlichte Mann aus dem Hotel hat auf einmal Bachs Sprache begriffen! Joh. Seb. Bach, Das Wohltemperierte Clavier II,1 Präludium aus Präludium und Fuge Nr. 1 C-Dur BWV 870, Zuzana Růžičková (Cembalo) // Erato LC (0 19) 8