Der Traum vom ewigen Leben

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1 MUMIEN Der Traum vom ewigen Leben Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen Band 24 Begleitband zur Sonderausstellung MUMIEN Der Traum vom ewigen Leben der Reiss-Engelhorn-Museen Herausgegeben von Alfried Wieczorek und Wilfried Rosendahl VERLAG PHILIPP VON ZABERN

2 MUMIEN Der Traum vom ewigen Leben Herausgegeben von Alfried Wieczorek und Wilfried Rosendahl

3 MUMIEN Der Traum vom ewigen Leben Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen Band Seiten mit 297 Farb- und 40 Schwarzweißabbildungen Herausgeber: Alfried Wieczorek Wilfried Rosendahl Inhaltliche Konzeption des Katalogs: Wilfried Rosendahl Wissenschaftliche Redaktion und Lektorat: Eva-Maria Günther unter Mitarbeit von Luisa Reiblich und Tobias Wüstenbecker sowie Stephanie Zesch unter Mitarbeit von Sarah Nelly Friedland Bildredaktion: Eva-Maria Günther Stephanie Zesch Photographien der Ausstellungsobjekte: Sollte es vorgekommen sein, dass Rechteinhaber nicht genannt sind oder nicht ausfindig gemacht werden konnten, bitten wir um entsprechende Nachweise die beteiligten Urheberrechte betreffend, um diese in künftigen Auflagen zu berücksichtigen oder/und im Rahmen der üblichen Verein barungen für den Bereich wissen schaft - licher Publikationen abgelten zu können. Übersetzer und Übersetzungsredaktion: aus dem Französischen: Gaëlle Rosendahl aus dem Englischen: Übersetzungsagentur Ratajski Saarbrücken, Eva-Maria Günther Umschlag (vorne): Südamerikanische Mumiengruppe M1 aus den Sammlungen der Reis-Engelhorn-Museen. (Photo: Jean Christen, Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim) Vorsatz vorne: Wüstenregion Wadi Araba, Jordanien. (Photo: Wilfried Rosendahl, Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim) Vorsatz hinten: Mumienbündel mit falschen Köpfen aus der Nekropole von Ancon in Peru. (Zeichnung: nach Reiss / Stübel [ ] 1998, Taf. 19) Frontispiz: Memento mori aus Birnbaumholz, monochrom gefasst, B 24,8 cm; L 24,8 cm, Mannheim, um 1720/25, Germanisches Na tional museum Nürnberg, Inv.-Nr. Pl.O Der kurpfälzische Hofbildhauer Paul Egell schnitzte diese Darstellung eines halb - ver wes ten Schädels, des traditionellen Symbols der Endlichkeit des Menschen. Derartige Medita tionsobjekte zeigen ungeschönt die Vergänglichkeit des Lebens und dienten als Schaubild für die Übung in Gelassenheit, der Bequemlichkeit der Welt zu entsagen und sein Leben auf das Wesentliche, das Jüngste Gericht Gottes und die Ewigkeit hin auszurichten. (Photo: Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Verlag Philipp von Zabern ist ein Imprint der WBG. (2. teilweise überarbeitete Auflage) 2015 by rem ggmbh und WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Melanie Jungels, scancomp GmbH, Wiesbaden Einbandabbildung: Südamerikanische Mumiengruppe M1 aus den Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen Einbandgestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: ISBN (Buchhandelsausgabe) ISBN (Museumsausgabe)

4 Inhalt 12 Vorwort der Herausgeber REGINE SCHULZ 13 Den Tod überwinden lernen: Gedanken zur Ausstellung von Mumien in Museen WILFRIED ROSENDAHL 17 Mumia, Mumien und Mumifizierung eine Einführung MUMIEN WELTWEIT UND NATÜRLICH 19 BURKHARD MADEA, JOHANNA PREUSS UND FRANK MUSSHOFF Vom blühenden Leben zu Staub der natürliche Kreislauf von 21 Werden und Vergehen WILFRIED ROSENDAHL 39 Natürliche Mumifizierung selten, aber vielfältig ANGELIKA FLECKINGER 51 Menschen aus dem Eis MICHAEL GEBÜHR UND SABINE EISENBEISS 69 Moorleichen Funde, Deutung und Bedeutung MUMIEN EIN GANG DURCH DIE KULTUREN 85 TANJA POMMERENING Mumien, Mumifizierungstechnik und Totenkult im Alten Ägypten 87 eine chronologische Übersicht HEIMO HOHNECK 105 Tiermumien und Tierkult im Alten Ägypten VIRGINIA UND MICHAEL TELLENBACH 111 Mumien im Andenraum Präsenz der Verstorbenen

5 CHRISTINE SCHLOTT 129 Mumifizierung in Ozeanien CORINNA ERCKENBRECHT UND HEINZ H. KLAATSCH Mumien in Australien eine Sonderform der Bestattungssitten 135 bei den australischen Aborigines JEANETTE WERNING 141 Mumien in China BARBARA KERNECK Die Altaische Lady und ihre Gefährten Mumien aus der 155 skythischen Pazyryk-Kultur SARAH NELLY FRIEDLAND 159 Buddhistische Mumien in Asien INA WUNN 165 Mumien in Klöstern und Kirchen Mönche, Päpste und Fürsten LUISA REIBLICH 175 Ein Tod, länger als das Leben Lenin, Mao, Evita ANGELA GRÄFEN UND KURT W. ALT 183 Mumifizierung heute eine ganz moderne Angelegenheit MUMIA UND MUMIEN IN MEDIZIN UND KUNST 191 TANJA POMMERENING 193 Mumia vom Erdwachs zum Allheilmittel SABINE BERNSCHNEIDER-REIF 203 Mumia vera Aegyptiaca Heilmittel in den Apotheken des Abendlandes KLAUS JÜRGEN-FISCHER 213 Mumie und Asphalt in der Malerei MUMIEN ERZÄHLEN METHODEN DER MODERNEN MUMIENFORSCHUNG 219 KURT W. ALT UND FRANK J. RÜHLI 221 Mumieneinblicke Röntgenanalytik und Computertomographie

6 CHRISTINA RÜTZE, PETER FORSTER UND JOACHIM BURGER 231 Molekulargenetische Herkunftsbestimmung von Mumien ALBERT ZINK UND SANDRA LÖSCH 237 Paläoepidemiologie und Mumienforschung HERVÉ BOCHERENS 245 Keratinisotopie Antworten zu Lebensraum und Ernährung FRANK MUSSHOFF, BURKHARD MADEA, WILFRIED ROSENDAHL UND DARIO PIOMBINO-MASCALI Chemisch-toxikologische Untersuchungen an Haarproben 249 Nachweis von Rausch mitteln auch bei Mumien JENS KLOCKE UND KARIN PETERSEN Befallen, Belastet und Verflucht mikrobielle und chemische 261 Kontamination an Mumien JENS KLOCKE 267 Mumienrestaurierung eine Knochenarbeit DORIS DÖPPES UND WILFRIED ROSENDAHL 3D-Scan und 3D-Druck Einsatzmöglichkeiten in der 271 Mumienforschung MUMIEN UND MEDIEN 277 DIANA WENZEL 279 Tot oder lebendig? Menschlich oder unmenschlich? Mumien im Film DIANA WENZEL Wie grausig ist die Entdeckung einer Mumie? 287 Mumiensachbücher für Kinder und Jugendliche Mumien aus aller Welt 297 BERND HERKNER 1 Die Frankfurter Dinosauriermumie 299 STEPHAN KEMPE UND AHMAD AL-MALABEH 2 Tiermumien aus Lavahöhlen der jordanischen Wüste 301

7 MATTHIAS FEUERSENGER 3 Tiermumien aus der Sammlung Eve-Maria Zimmermann, Teneriffa 305 MATTHIAS FEUERSENGER 4 Die Salzmumie eines Masken-Drückerfisches (Sufflamen fraenatum) aus dem Oman 308 DORIS DÖPPES, WILFRIED ROSENDAHL 5 Eiszeitliche Tiermumien aus dem zirkumpolarem Permafrostboden zwei Beispiele 310 VINCENT T. VAN VILSTEREN 6 Eine Geschlechtsumwandlung bei Moorleichen Untersuchungen am Paar von Weerdinge und weitere Moorleichenfunde aus dem Drents Museum Assen, Niederlande 314 STEPHANIE ZESCH 7 Zwischen Diesseits und Jenseits Objekte altägyptischer Grabausstattung und Tiermumien aus dem Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim 320 GERHARD HOTZ, HEATHER GILL-FRERKING, TANJA POMMERENING UND WILFRIED ROSENDAHL 8 Ägyptische Mumien aus dem Naturhistorischen Museum Basel 328 WILFRIED ROSENDAHL, KURT W. ALT, STEPHAN MEIER UND FRANK J. RÜHLI 9 Ägyptische Mumien aus den Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen 332 WILFRIED ROSENDAHL, KURT W. ALT, STEPHAN MEIER UND FRANK RÜHLI 10 Eine asiatische Mumie aus den Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen 335 ERIK BRUIJN, AMELIE ALTERAUGE, STEPHANIE ZESCH, BEN HEGGELMAN, SYLVIA MITSCHKE, FRANCESCA COLETTI, WILFRIED ROSENDAHL, ALBERT ZINK UND VINCENT VAN VILSTEREN 11 Die Mumie im Inneren eine übermodellierte Mumie eines buddhistischen Mönchs 337 MICHAEL TELLENBACH, KURT W. ALT, STEPHAN MEIER, FRANK RÜHLI UND WILFRIED ROSENDAHL 12 Mumien aus Ozeanien in den Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen 343

8 WILFRIED ROSENDAHL, KURT W. ALT, STEPHAN MEIER, FRANK RÜHLI, AMELIE ALTERAUGE, ELKE MICHLER, SYLVIA MITSCHKE UND MICHAEL TELLENBACH 13 Südamerikanische Mumien aus den Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen 345 ILDIKÓ SZIKOSSY, ÁGNES KUSTÁR, ZSUZSANNA GUBA, LILLA ALIDA KRISTÓF UND ILDIKÓ PAP 14 Natürlich mumifizierte Leichname aus der Dominikanerkirche in Vác, Ungarn 355 KAI FÜLDNER, WILFRIED ROSENDAHL UND HEATHER GILL-FRERKING 15 Mumifizierte Menschenföten als anatomische Präparate aus dem Naturkundemuseum Kassel 368 MATTHIAS FEUERSENGER 16 Tierpräparation und Taxidermie 372 Autorenverzeichnis 375

9 ERIK BRUIJN, AMELIE ALTERAUGE, STEPHANIE ZESCH, BEN HEGGELMAN, SYLVIA MITSCHKE, FRANCESCA COLETTI, WILFRIED ROSENDAHL, ALBERT ZINK UND VINCENT T. VAN VILSTEREN 11 Die Mumie im Inneren eine über modellierte Mumie eines buddhistischen Mönchs Einleitung Die Statue eines buddhistischen Mönchs in sitzender Haltung wurde 1996 aus einer niederländischen Samm - lung asiatischer Antiquitäten erworben und dem Drents- Museum in Assen als Leihgabe zur Verfügung gestellt, welches sie der Forschung zuführte (Abb. 1). Die Forschungsleitung oblag Erik Bruijn in Absprache mit dem Besitzer. Ikono graphisch lässt sich die Statue dem chinesischen Raum zuweisen. * Bei der Restaurierung der Statue wurde der morsche Holzsockel an der Basis entfernt, wobei ein mit chinesischen Schriftzeichen verziertes Rundpolster sichtbar wurde. Nach dem Entfernen des Rundpols - ters kam eine gut erhaltene Mumie zum Vorschein, die von Textilien umhüllt war. Sie saß aufrecht und mit gekreuzten Beinen auf dem Rundpolster. Am Klaus-Tschira-Archäometrie-Zentrum an den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim wurden eine Gewebeprobe von der Mumie sowie eine Textilprobe mit der 14 C-Methode datiert. Für die Mumie wurde ein kalibriertes Alter zwischen 1029 und 1149 n. Chr. ermittelt. Sie datiert in die Zeit der Song-Dynastie ( ). Das Alter der Textilprobe liegt zwischen 1272 und 1284 n. Chr., somit ist der mumifizierte Körper etwa 200 Jahre älter als seine textile Umhüllung. Aufgrund der ikonographischen Details der Statue wurde festgestellt, dass es sich bei der Mumie um einen buddhistischen Mönch handelt. Anthropologische Auswertungen Die Statue wurde mit einer Schichtdicke von 0,6 mm in einem Computertomographen (CT) gescannt (Abb. 2). Abb.1 Statue eines buddhistischen Mönchs mit Mumie; H 80 cm, B 53 cm, T 50 cm; aus Privatbesitz.

10 338 ERIK BRUIJN, AMELIE ALTERAUGE U.A. Abb. 2 (links) Visualisierung des Skeletts der Mumie in der Buddha- Statue. Abb. 3 (rechts) Das Röntgenbild zeigt Intarsien in den Augenhöhlen sowie eine Metallstrebe zwischen Mumie und Übermodellierung. Es zeigte sich, dass der mumifizierte Körper mit aufrechtem Rücken und gekreuzten Beinen im Inneren sitzt. Der linke Fuß liegt auf dem rechten Oberschenkel, während der rechte Fuß unter den linken Oberschenkel positioniert ist. Die Arme sind gebeugt und die Hände auf die Knie gelegt. Zwischen der Mumie und ihrer Übermodellierung befindet sich eine Metallstrebe, die von der Stirn entlang des Rückens bis zur hölzernen Bodenplatte reicht (Abb. 3). Auf Höhe der Schultern wird die Metallstrebe von einem Holzbrett unterbrochen. Sie könnte entweder zum Zweck der Stabilisierung des Körpers befestigt worden sein, oder aber mit der Absicht, einen möglichen Diebstahl des Kopfes zu verhindern. Morphologische Merkmale an Schädel und Becken zeigen, dass es sich um den Körper eines Mannes handelt. Der Mönch erreichte ein mittleres Alter (30 50 Jahre), was aus dem Zustand der Zähne und anderen altersdiagnostisch relevanten Merkmalen am Skelett, wie beispielsweise arthrotischen Veränderungen an Gelenken und Wirbelsäule, hervorgeht. Der Leichnam ist vermutlich auf künstlichem Weg mumifiziert. Hinweise auf Manipulationen am Körper zur Entnahme von Gehirn oder Organen gibt es nicht. Obwohl sich das Gehirn fast vollständig verflüssigt hat, ist die äußere Hirnhaut im Schädelinneren noch deutlich zu erkennen. Reste des Rückenmarks im Rückenmarkskanal und Bandscheiben zwischen den Wirbeln blieben ebenfalls zum Großteil erhalten. Auf der rechten Körperseite schienen anfangs die stark degradierten Überreste der Lunge identifiziert werden zu können. Diese kann sich bei Mumien als fragiles, papierartiges Gewebe erhalten. Mittels einer endos - kopischen Untersuchung wurde jedoch festgestellt, dass es sich um körperfremdes Material, möglicherweise ein halbzersetztes Insektennest, handelt, zwischen dem kleine Papierfetzen mit chinesischen Schriftzeichen gefunden wurden (Abb. 4). Von diesem Material wurde eine Probe für weiterführende Untersuchungen entnommen. Überreste der Organe wurden stark geschrumpft im Unterleib lokalisiert. Die in das Becken eingesunkenen Eingeweide belegen auch, dass sich der Mönch um den Zeitpunkt des Todes in dieser aufrechten Körperhaltung befand. Einige Fingerund Zehenendglieder fehlen. An der Mumie wurden nur wenige Anzeichen für Erkrankungen festgestellt. Kein Zahn war zu Lebzeiten ausgefallen. Allerdings waren zwei Backenzähne in der linken Unterkieferhälfte von Karies betroffen (Abb. 5). Einer der beiden Backenzähne weist außerdem einen Wurzelabszess auf. An den Wirbeln wurden leichte arthrotische Veränderungen festgestellt. In der rechten Unterleibshälfte zeigte sich eine unförmige Struktur von 3,2 cm x 2,3 cm Größe, wobei es sich

11 11 DIE MUMIE IM INNEREN EINE ÜBERMODELLIERTE MUMIE EINES BUDDHISTISCHEN MÖNCHS 339 Grund für den Mangel an DNA in der Probe könnte die relativ schlechte Erhaltung des Gewebes sein, wie sich bei einer histologischen Analyse zeigte. Textile Umhüllung Abb. 4 Körperfremdes Material im Brustkorb (Pfeil) und Organ - erhaltung im Unterleib. In der Bodenplatte wurden drei textile Rundpolster platziert. Auf dem Größten saß die Mumie. Es besteht aus rundgewickelten, leinwandbindigen Gewebestreifen mittlerer Qualität, die randlich zusammenhöchstwahrscheinlich um ein Fragment des umhüllenden Statuenmaterials handelt. Die Todesursache des Mönchs war nicht festzustellen. Die molekulargenetische (adna) Untersuchung einer Probe von Muskelgewebe am EURAC-Institut für Mumien und den Eismann in Bozen blieb bislang wegen schlechter DNA-Erhaltung ergebnislos. Ein Bei der Öffnung der Statue am Sockel und nach dem Entfernen des Rundpolsters wurden textile Gewebe in grober Qualität sichtbar, die den Leichnam mehrlagig umhüllten. Da keine Spuren einer Verarbeitung zu erkennen waren, kann nicht sicher gesagt werden, ob es sich um Reste der Kleidung des Toten oder einer später aufgebrachten Bandagierung handelt. Zum Zweck einer materialkundlichen und technischen Analyse wurde eine Probe entnommen. Bei der technischen Untersuchung mit einem digitalen Auflichtmikroskop in 5- bis 50facher Vergrößerung (Keyence VHX-600) zeigte sich, dass es sich um ein unregelmäßiges Gewebe in Leinwandbindung aus s-gedrehten Garnen handelt. Die textile Fläche wies vereinzelte, dunkel verfärbte Stellen sowie kleinere Fehlstellen auf (Abb. 6). Die materialkundliche Analyse der Fasern wurde mit einem Durchlichtmikroskop (Zeiss Axioskop 40 A Pol) bei 25- bis 500facher Vergrößerung durchgeführt. Bei der Bestimmung von textilen Faserrohstoffen bedient man sich grundsätzlich des Umstandes, dass die verschiedenen Materialien, die in der Vergangenheit zum Einsatz kamen, in der Längs- und Queransicht jeweils typische Merkmale aufweisen. Die bestimmenden Leitelemente in der Oberflächenstruktur werden systematisch erfasst und mit definierten Referenzmaterialien verglichen. 1 Diese Informationen erlauben oft wertvolle und verlässliche Aussagen zu Produktion und Handel. 2 Die mikroskopische Erscheinung der Fasern in der Längsansicht ließ vermuten, dass es sich um den Rohstoff Ramie (Boehmeria nivea L.) handelt (Abb. 7). Ramie gehört zur Familie der Nesselgewächse (Urticaceae). Sie wurde traditionell in Ostasien angebaut und ist auch unter der Bezeichnung Chinagras bekannt. 3 Aufgrund der großen Ähnlichkeit von Ramie mit anderen Stängelbastfasern, so zum Beispiel Leinen (Linum usitatissimum L.) wurde eine typenspezifische Nachweisreaktion mit Cuoxam (Tetraamminkupfer(II)-hydroxid) durchgeführt, welche das Ergebnis bestätigte. Rundpolster mit chinesischen Schriftzeichen Abb. 5 Karies an zwei Backenzähnen im Unterkiefer.

12 340 ERIK BRUIJN, AMELIE ALTERAUGE U.A. Abb. 6 (links) Detail der Webkante im Auflichtmikroskop. Abb. 7 (rechts) Faserprobe im Durchlicht - mikroskop. Nach einer (un)gewissen Zeit der Präsentation ohne Umhüllung wurde der mumifizierte Leichnam übermodelliert, mit Lack beschichtet und vergoldet. Die übermodellierte Hülle der Mumie besteht überwiegend aus einer Mischung mineralischer Komponenten. Vor dem Auftragen der Lack- und Goldschicht wurden durch die ausgehärtete Übermodellierung Öffnungen in die beiden äußeren Gehörgänge und in die Nase gebohrt. Im Röntgenbild zeigte sich, dass sich in den Augenhöhlungen Intarsien befinden (Abb. 3). Das Gesicht zeigt keine individuellen Züge des Vergenäht wurden. Aufgrund des durchgängig intakten Erhaltungszustands wurde hier auf eine Probenentnahme verzichtet, so dass über den verwendeten Rohstoff keine verlässlichen Angaben gemacht werden können. Der äußeren Erscheinung nach wurde aber wohl gleichermaßen eine Stängelbastfaser in der Art von Ramie, Leinen oder dergleichen verwendet. Auf der Außenseite des Rundpolsters befinden sich zwei Spalten mit chinesischen Schriftzeichen (Abb. 8). In der ersten Spalte wird davon berichtet, dass ein Vorfahre und Lehrer mit Namen Chongwang (Lesart unklar) ein wohlwollendes Gebet für Lü Sujing gesprochen hat. Es ist anzunehmen, dass dieser im Gegenzug die Reliquie neu fassen ließ. Die Inschrift der zweiten Spalte berichtet von einem buddhistischen Tempel und der Anwesenheit eines wichtigen Mönchs. Dieser Mönch, der gleichermaßen als Vorfahre und Lehrer bezeichnet wird, genoss offenbar posthum eine besondere Verehrung durch die Gemeinschaft der Gläubigen. Es ist zu vermuten, dass es sein mumifizierter Leichnam ist, der sich im Inneren der Reliquie befindet. Buddha-Statue Abb. 8 Rundpolster mit chinesischen Schriftzeichen; H 5,5 cm, Ø 34,5 cm.

13 11 DIE MUMIE IM INNEREN EINE ÜBERMODELLIERTE MUMIE EINES BUDDHISTISCHEN MÖNCHS 341 Abb. 9 Umzeichnung der Hauptmotive auf dem Festgewand der Übermodellierung. storbenen, sondern entspricht vielmehr einer idealisierten Darstellung. Auf der Rückseite der Statue wurde eine Inschrift angebracht, die heute fast vollständig zerstört ist. Der Text bezieht sich vermutlich auf die Mumie selbst, die im Zuge einer Instandsetzung wohl mit einer neuen Beschichtung versehen wurde. Nach der letzten Erneuerung der Goldschicht wurden zudem schwarze Haare auf den goldglänzenden Kopf gemalt. Die Übermodellierung gibt auch Details einer mehrlagigen Bekleidung mit verschiedenen Dekorationselementen wieder. Zuunterst trägt der Mönch ein schlichtes, graues Gewand und darüber ein auf - wendig dekoriertes Festgewand, das eine himmlische Version der sogenannten kâsâya, der traditionellen Mönchsrobe aus mehreren zusammengenähten Stoffstreifen, darstellt. Auf dem Festgewand ist ein Ring mit angehängtem Hîm-Symbol in der heiligen indischen Siddham-Schrift zu erkennen, dem eine besondere Kraft zugeschrieben wird. Ferner befinden sich zwei fliegende Drachen, sowie florale Motive und Wolkenmuster auf dem Gewand. Die beiden Drachen als Symbole für Glück, Macht und Glauben sind mit größerer Sorgfalt und Raffinesse gestaltet als die übrigen Motive (Abb. 9). Sie weisen einen Stil auf, der typisch für die Ming-Dynastie ( ) ist, was vermuten lässt, dass die Mumie möglicherweise während dieser Zeit übermodelliert und vergoldet wurde. Textliche Belege für die Mumifizierung von bud - dhistischen Mönchen gibt es in China seit dem 5. Jahrhundert n. Chr., aber erst danach findet diese Praxis eine größere Verbreitung und die Körper allgemeine Verehrung. Die übliche Vorgehensweise war die Umhüllung des Leichnams mit Lack getränkten Stoffen. Diese wurden bemalt und modelliert, um Kleidung und Ornamente zu imitieren. Weniger verbreitet war hingegen die Praxis, die Mumie mit lehmartigem Material zu einer Art Statue zu modellieren. Status, Kult und wirtschaftliche Bedeutung Die ikonographischen Verzierungen des Festgewandes und die Vergoldung der Statue lassen den Schluss zu, dass es sich bei der Mumie um einen Meister oder einen anderen wichtigen Geistlichen handelt, oder zumindest um jemanden, dem dieser Status posthum zugesprochen wurde. Der mumifizierte Körper einer bedeutenden religiösen Persönlichkeit wurde als er - leuchteter Meister oder erwachter Buddha verehrt. Deshalb ist auf der Rückseite der Statue das chinesische Schriftzeichen Fo angebracht, was Buddha der Erwachte bedeutet. Üblicherweise wurde eine Reliquie in einer be - stimmten Halle im Tempel aufgestellt und mit einem zeremoniellen Zepter versehen. Häufig war dies ein kurzer Stab, an dessen Ende eine Quaste aus weißer Yakwolle oder Pferdehaar befestigt war die sogenannte câmara. Auch die Mönchstatue hat in der rechten Hand eine câmara gehalten, die aber später verloren ging. Handgriffe aus Messing an beiden Seiten der Trägerplatte deuten darauf hin, dass die Statue in Prozessionen herumgetragen wurde. Mit derartigen feierlichen Umzügen sollte das Böse vertrieben und die Menschen sowie deren Besitz gesegnet werden. Die Mumien galten als Ikonen, denen man magische Eigenschaften zusprach, wie beispielsweise Wirkmächtigkeit gegen Naturkatastrophen, Dürren und Überflutung. Aus historischen Quellen ist auch bekannt, dass durch die bloße Furcht vor den mystischen Kräften, die heiligen Mumien zugeschrieben wurden, einige Klöster von Plünderungen und Zerstörung verschont blieben. Um günstige Bedingungen für die Mumifizierung ihres Leichnams zu schaffen, begannen buddhistische Mönche häufig gegen Ende ihres Lebens eine asketische Lebensweise. Das Ziel war eine Art Selbstmumifizierung, ausgelöst durch den Verzicht auf Getreide und Fleisch, die allmähliche Reduzierung der Wasseraufnahme sowie den gezielten Konsum entwässernder und bestimmter chemischer Substanzen. Der damit einhergehende Gewichtsverlust erstreckte sich über einen Zeitraum von zwei bis vier Jahren. Nach

14 342 ERIK BRUIJN, AMELIE ALTERAUGE U.A. dem Tod wurden unterschiedliche Maßnahmen zur Behandlung des Leichnams ergriffen, um ihn dauerhaft zu konservieren. Die Mumie hatte für den Tempel und seine Umgebung große wirtschaftliche Bedeutung. Sie sollte Pilger und Förderer anziehen, für die es eine religiöse Pflicht war, den Tempel mit materiellen Dingen zu unterstützen, wovon auch das nahe gelegene Dorf profitierte. Sie trug darüber hinaus dazu bei, die Erinnerung an den Verstorbenen und seine Lehre lebendig zu halten, und inspirierte Schüler, ihre spirituellen Ziele zu verwirklichen. Literatur Aufderheide, A. C., The scientific study of mummies, Cambridge 2003 Bruijn E., Een heilige met kiespijn Observaties bij een boeddhistische mummie uit China. In: van Vilsteren, V. (Hrsg.), Mummies. Overleven na de dood, Assen 2014, S Demiéville, P., Momies d Extrême-Orient. Journal des Savants, 1965, 1, S Herrmann, B., Grupe, G., Hummel, S., Piepenbrink, H., Schutkowski, H., Prähistorische Anthropologie: Leitfaden der Labor- und Feldmethoden, Berlin / Heidelberg / New York / London 1990 Anmerkungen * Im Februar 2015 tauchte die Problematik auf, dass ein Dorf in China Besitzansprüche gegenüber dem jetzigen Besitzer geltend machen wollte. Auf Grundlage im Internet kursierender Fotos des Objekts behauptete das Dorf, dass es sich bei der Buddha-Statue möglicherweise um ein aus dem dortigen Tempel gestohlenes Stück handeln könnte. Der genaue Sachverhalt befindet sich momentan in Klärung. 1 Hier unter Verwendung der rem-faservergleichssammlung mit der Kölner Sammlung mikroskopischer Faseruntersuchungen sowie der einschlägigen Bestimmungsliteratur (z. B. Catling, D., Grayson, J., Identification of Vegetable Fibres, London 1998). 2 Andersson Strand, E., Frei, K. M., Gleba, M., et al., Old Textiles - New Possibilities. European Journal of Archaeology 13 (2), 2010, S Koch, P.-A., Satlow G., Großes Textil-Lexikon, Stuttgart 1966, s.v. Ramie. Abbildungsnachweis Abb. 1 Abb. 2 3 Abb. 4 5 Abb. 6 7 Abb. 8 Abb. 9 Photo: Michiel Stokmans Photos: Ben Heggelman, Meander Medisch Centrum, Amersfoort / Institut für Klinische Radiologie und Nuklearmedizin an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg Photos: German Mummy Project, Reiss-Engelhorn- Museen Mannheim Photos: Francesca Coletti Photo: Wilfried Rosendahl, Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim Zeichnung: Jacqueline Hofstra