Russland wird zum Junior-Partner Chinas

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1 Russland wird zum Junior-Partner Chinas... Experte Prof. Stefan Hedlund Region: Russland und Zentralasien Chinas Projekt Neue Seidenstraße sieht den Bau eines Netzwerks von Eisenbahnen, Pipelines und Straßen in einem Gebiet vor, das Russland als seinen Hinterhof betrachtet (Quelle: macpixxel for GIS) Das Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping in Moskau im vergangenen Monat bot einmal mehr Gelegenheit, die chinesisch-russischen Beziehungen herauszustellen. Seit dem Amtsantritt von Präsident Xi im Jahr 2012 haben sich die beiden jetzt mehr als 20 Mal getroffen, und es heißt, die derzeitigen gegenseitigen Beziehungen seien die besten in der Geschichte. Die Zusammenkunft am 4./5. Juli war gekennzeichnet durch die übliche Unterzeichnung von Vereinbarungen, darunter befand sich ein 10 Milliarden US- Dollar schwerer Investitionsfonds für grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte. Xi erhielt zudem die höchste Auszeichnung, die die Russische Föderation zu vergeben hat: Man verlieh ihm den Orden des hl. Andreas, des Apostels. Für den beiläufigen Beobachter scheint sich Putin auf dem richtigen Weg zu befinden, um seine eigene Version einer Hinwendung nach Asien zu verwirklichen und die Wirtschaft nach den westlichen Sanktionen neu auszurichten, indem er die SEITE 1

2 chinesischen Märkte für sein Land nutzt. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass die Strategische Partnerschaft zwischen China und Russland weder strategisch noch eine echte Partnerschaft ist. Russland befindet sich nicht unter den zehn größten Handelspartnern Chinas, und die chinesischen Unternehmen haben kein großes Interesse an Investitionen in Russland. Die Beziehung bleibt, wie der langjährige Beobachter Bobo Lo einmal bemerkte, eine Achse der Bequemlichkeit. Chinesische Strategie Während sich Präsident Putin für wirkliche jede gute Nachricht begeistert, die seine Wiederwahl im Jahr 2018 unterstützen könnte, ist Präsident Xi glücklich, ihm damit einen Gefallen zu tun solange Russland seine strategische Vision einer Neuen Seidenstraße nach Europa unterstützt. Der Ort, an dem ihre jeweiligen Agenden aufeinandertreffen, ist Zentralasien. Die Situation erinnert an das Große Spiel, das zwischen dem britischen und dem russischen Imperium im 19. Jahrhundert ausgetragen wurde, nur dass das Reich der Mitte dieses Mal nicht mehr an die Wand gespielt wird. Bis vor einem Jahrzehnt wurde Moskau als der Herr dieser Region angesehen. Die Infrastruktur der Sowjet-Ära wurde entworfen, um Öl und Gas nach Norden, nach Russland, zu pumpen, was dem Kreml-Monopol die Macht über die Preis- und Lieferentscheidungen verlieh und damit über die Einnahmequellen. Diese Tage sind heute vorbei. Peking hat eine umfassende, langfristige Strategie angewandt. Die erste Stufe beinhaltete eine Kombination aus Pipeline-Errichtungen und Investitions- Beteiligungen, vor allem in Turkmenistan und Kasachstan, aber auch in Usbekistan. Die Ergebnisse waren die Gewährleistung einer stabilen Energieversorgung für die westlichen Teile Chinas, die Lockerung des russischen Zugriffs auf Zentralasien sowie das Ende der Abhängigkeit von der russischen Energie aus Ostsibirien. Die zweite Phase, die sich derzeit entfaltet, beinhaltet die Zusammenarbeit mit denselben Partnern beim Projekt Neue Seidenstraße, um Eisenbahnen, Autobahnen und andere Formen von Verkehrsinfrastrukturen in einer Region zu SEITE 2

3 errichten, die Russland noch immer als Teil seines Hinterhofs betrachtet. Die russische Beteiligung an diesem Projekt wird vor allem auf eine wohlwollende Zustimmung am Rande reduziert. In einer neuartigen Abweichung von seinem bisher alleinigen Fokus auf die Wirtschaft hat Peking auch begonnen, sich in der Sicherheitspolitik zu engagieren, um seine Investitionen zu schützen. Es ist angeblich mit Truppen vor Ort in Afghanistan beteiligt und hat angeboten, die Sicherheit in Tadschikistan zu verbessern, indem es den Bau von Grenzposten an seiner afghanischen Grenze finanziert. Rückzugsgefechte Diese Neuausrichtung ist wichtig. In der ursprünglichen Runde des Großen Spiels hatte Russland die Oberhand. In der sowjetischen Ära, die man in Turkestan als die Imperiale Ära bezeichnet, wurde diese Region in fünf Sowjet-Republiken aufgeteilt, die einer starken Russifizierung unterworfen wurden von der Einführung der kyrillischen Schrift und der russischen Sprache bis zur Berufung von Russen in hohe Ämter und der Gleichschaltung der lokalen Eliten mit dem Machtzentrum in Moskau. Diese Errungenschaften sind heute verschwunden. Die Verwendung der russischen Sprache ist in der Region rückläufig. Die lateinische Schrift ersetzt in den lokalen Sprachen die kyrillische und die Demographie zeigt, dass bald kaum noch jemand direkte Erfahrungen oder Erinnerungen an das Leben unter der sowjetischen Herrschaft haben wird. Die Beziehung zu Russland wird wirtschaftlich, politisch und kulturell umgewandelt. Da die Grundlage für die traditionell umfassende Einmischung des Kremls die von Militär-Stationierungen bis hin zur politischen Manipulation reicht stetig erodiert, beginnt sein Einfluss in der Region zu schwinden. Es ist symptomatisch, dass der russische Außenminister Sergej Lawrow sich verpflichtet fühlte, die Vorwürfe von imperialen Ambitionen Russlands in der Region öffentlich abzustreiten. Präsident Putin bestreitet derzeit ein Rückzugsgefecht, um die Überreste des SEITE 3

4 russischen Einflusses zu bewahren. Geplant war, eine von der NATO inspirierte Sicherheits-Allianz, die als Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) bekannt ist, sowie eine von der EU inspirierte Einrichtung namens Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) zu entwickeln. Keine der beiden war wirklich erfolgreich. 4. Juli 2017: Der russische Präsident Wladimir Putin (re.) zeichnet seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping in Moskau mit dem Orden des hl. Andreas aus (Foto: dpa) Abnehmender Einfluss Während seiner letzten Reise durch Zentralasien Ende Februar 2017 war Putins erste Station Kasachstan, wo er die Sicherheitskooperation besprach und einen Milliarden-Dollar-Kredit von seiner neu geschaffenen Eurasischen Entwicklungsbank verkündete. Er fuhr dann weiter nach Tadschikistan, um ergebnislose Gespräche über die EAWU zu führen, sowie nach Kirgisistan, um die russische Präsenz auf der Militärbasis Kant zu besprechen. Mit Turkmenistan hat Putin nur noch telefoniert und Usbekistan ließ er gleich völlig aus. Dieses Bild zeigt nicht unbedingt ein Russland, das seinen Hinterhof im Griff hat. SEITE 4

5 Das energiereiche Turkmenistan hat beschlossen, auf eigene Faust zu handeln. Usbekistan war Mitglied der OVKS, zog sich jedoch 2012 zurück und zögert weiterhin, sich der EAWU anzuschließen. Tadschikistan und Kirgisistan sind Mitglieder der OVKS, haben aber den Beitritt zur EAWU noch nicht abgeschlossen. Der wichtigste Akteur, der den Anschein einer ernstzunehmenden russischen Präsenz aufrechterhält, ist Kasachstan, dessen alternder Präsident Nursultan Nasarbajew versucht, Russland, China und die Vereinigten Staaten gegeneinander auszuspielen. Nasarbajew ist ein erfahrener Veteran der Sowjet-Ära. In den 1990er Jahren war er der Urheber der Pläne für die Zollunion, die schließlich unter Putin zustande kam, wobei Russland, Kasachstan und Weißrussland beitraten. Sein Land hat gerade einen alle zwei Jahre rotierenden Sitz im UN-Sicherheitsrat übernommen und im Dezember 2016 war es als Austragungsort für die syrischen Friedensverhandlungen ausgewählt worden, die Putin und der türkische Präsident Erdogan abhielten. Während die Beziehungen zwischen Moskau und Astana offiziell hervorragend bleiben, nimmt auch die russische Präsenz in Kasachstan ab. Der Anteil der ethnischen Kasachen in der Bevölkerung ist von 39,7 Prozent im Jahr 1989 auf 66,5 Prozent im Jahr 2016 gestiegen. Angesichts des allgemeinen Rückzugs der russischen Sprache, veröffentlichte Nasarbajew im April dieses Jahres einen Artikel, der besagt, dass bis 2025 alle Bücher und Verwaltungsaufzeichnungen im Land in lateinischer Schrift gedruckt werden. Die im Jahr 2010 auf Initiative des Präsidenten gegründete Astana Nasarbajew Universität ist eine englischsprachige Institution mit einer internationalen Fakultät. Nasarbajew hat auch die Kontrolle über mehrere russische Raketen-Testgelände übernommen, zum Teil gilt das sogar für das legendäre Weltraumzentrum Baikonur. Die Zukunft gehört eindeutig nicht Russland. Die Hoffnung, dass das überholte Militär Russlands von seinen OVKS-Verbündeten unterstützt wird, verblasst ebenfalls. Ende Juni behauptete der Chef des russischen Duma-Verteidigungsausschusses, Wladimir Schamanow, dass es Gespräche gäbe, Truppen aus Kasachstan und Kirgisistan zu entsenden, um die vorgeschlagenen Deeskalationszonen in Syrien polizeilich zu unterstützen. Dies wurde sofort von den SEITE 5

6 Außenministerien der beiden Länder abgestritten. Weicher Unterleib Der Kreml ist mit Recht über diese Entwicklungen besorgt. Trotz der verschiedenen Konflikte, die seine Beziehungen mit dem Westen beeinträchtigt haben, bleibt die Tatsache, dass Zentralasien der weiche Unterleib des Landes ist. Die größte Sorge ist, dass ein vollständiger NATO-Rückzug aus Afghanistan dieses Land dazu veranlassen wird, zu den religiösen Stammeskämpfen zurückzukehren, und dass ein Wiederaufleben der Taliban auf die neuen unabhängigen und zerbrechlichen Staaten Zentralasiens übergreifen könnte. Usbekistan wurde bereits vom islamischen Fundamentalismus erschüttert. Moskau war erleichtert, dass der Tod des usbekischen Machthabers Islam Karimow im September 2016 nicht den befürchteten Krieg um die Nachfolge auslöste, aber Usbekistan bleibt dennoch anfällig. Die Destabilisierung der Region könnte sie zu einem Inkubator für den Terrorismus machen. Noch beunruhigender ist, dass sie massive Flüchtlingsströme generieren könnte, die nach Norden führen, über die äußerst durchlässige Grenze zwischen Russland und Kasachstan hinweg. Das russische Militär, das bereits in drei Kriege, deren Ende nicht in Sicht ist, verwickelt ist im Nordkaukasus, in der Ukraine und in Syrien, ist zu schlecht ausgerüstet, um einen weiteren Konflikt zu bewältigen. Vielleicht war das der Grund für die ziemlich merkwürdige Reaktion Russlands auf die Bedrohung durch einen Taliban-Aufstand, die darin besteht, Waffen an die Taliban zu schicken. Laut US- Quellen gibt es diese Lieferungen seit Ende Vermutlich hofft man, dass die Taliban diese Waffen gegen den IS verwenden, den Moskau als das weitaus größere Übel ansieht. Die Lieferungen dürften eine gewisse Dankbarkeit hervorrufen, die die künftigen Beziehungen zwischen den Taliban und Russland auftauen könnten. Angeblich aber endeten diese Waffen stattdessen in den stark umkämpften Provinzen Helmand und Kandahar, wo der IS überhaupt keine Basen besitzt. In der Praxis heißt das, dass Russland die Taliban in ihrem Krieg gegen die von den USA angeführte Koalition bewaffnet eine Widerspiegelung der SEITE 6

7 Unterstützung der USA für die Mudschaheddin in deren Kampf gegen die Sowjetunion. Washington beschwerte sich wütend, dass dies eine Verletzung des Völkerrechts darstelle. Bedürfnis nach Abenteuer Angesichts der Tatsache, dass das säkulare Kasachstan nach wie vor der Dreh- und Angelpunkt der russischen Sicherheit in Zentralasien bleibt, ist ein zusätzliches Problem, dass das Staatsoberhaupt des Landes immer älter wird. Geboren im Juli 1940, ist Präsident Nasarbajew heute 77 Jahre alt, nur zwei Jahre jünger als der vor kurzem verstorbene Karimow. Die Gefahr eines Nachfolgekampfes verdunkelt nun die Aussichten. Die Beziehungen Kasachstans zu Russland werden auch durch Befürchtungen beeinträchtigt, dass der Kreml das Gefühl bekommen könnte, ein weiteres außenpolitisches Abenteuer à la Ukraine zu brauchen, um die Wähler im Vorfeld seiner Kampagne zur Wiederwahl 2018 hinter Präsident Putin zu scharen. Die scheinbar logische Wahl für eine solche Operation wäre Kasachstan. Der nördliche Teil des Landes wird von russischen Muttersprachlern dominiert, und Astana ist besorgt, dass Einflussagenten entsandt werden könnten, um einen Aufstand wie im Donbass zu entfesseln, bei dem man behauptet, dass diese Region zu Russland gehört und mit ihm wiedervereinigt werden müsse. Derartige kasachische Ängste werden regelmäßig durch Aussagen aus nationalistischen Kreisen in Moskau angeheizt. Zum Beispiel hat Pawel Schperow, ein Mitglied des Duma-Komitees für die eurasische Integration, Ende Januar für Aufregung gesorgt, als er erklärte, dass die kasachisch-russische Grenze nicht ewig bestehen wird, und die Territorien, die eigentlich uns gehören, werden uns bald zurückgegeben. Obwohl es unwahrscheinlich scheint, dass der Kreml es wagen würde, diese Karte auszuspielen, belastet sie die Beziehungen in einer Zeit, in der Russland eigentlich jeden Freund braucht, den es bekommen kann. SEITE 7

8 Junior-Partner? Russland ist nicht der einzige Akteur, der sich vor der Zukunft fürchten dürfte. Oder wie es der russisch-amerikanische Experte Stephen Blank einmal formulierte: Was in Zentralasien passiert, bleibt nicht in Zentralasien. Das Risiko der Ausbreitung terroristischer Organisationen sollte auch den USA zu denken geben. Doch selbst vor der Wahl von Donald Trump war es schwer, eine kohärente amerikanische Strategie für die Region auszumachen. 27. Juni 2017: Chinesische und kirgisische Grenztruppen besiegen Gangster bei einer Anti- Terror-Übung unter der Schirmherrschaft der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (Foto: dpa) Washingtons Ambitionen der Förderung der Demokratie sind weitgehend gescheitert, und es hat die Militärbasen, die zur Unterstützung des Krieges in Afghanistan gegründet wurden, aufgegeben. Die Karshi-Khanabad-Basis in Usbekistan wurde 2005 geschlossen, und die Manas-Basis in Kirgisistan folgte im Juni Experten, die eine prominentere Rolle der USA einfordern, verbringen mehr Zeit damit, die Abwesenheit einer Verpflichtung zu beklagen, als eine Blaupause zu skizzieren, was realistischerweise getan werden könnte. Und das SEITE 8

9 Fehlen einer klaren Richtung aus dem Weißen Haus unter Trump ist nicht gerade hilfreich. Da es in Moskau und Washington an frischen Ideen mangelt, ist Peking der designierte Gewinner in der heutigen Version des Großen Spiels. Im Kampf um die Energieversorgung hat China sowohl Russland als auch die USA übervorteilt, während die Neue Seidenstraße seinen Einfluss auf die Regierungen in der Region zementiert. Man muss jetzt noch abzuwarten, ob Peking die Fähigkeit und den politischen Willen besitzt, um ernsthafte sicherheitspolitische Aufgaben zu unternehmen, falls die Region Gefahr läuft, dem großflächigen Drogenhandel, dem Terrorismus oder der religiösen Gewalt anheim zu fallen. Vielleicht wird hier die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit endlich eine ernsthafte Mission finden, die es Russland und China ermöglicht, sich gegen einen gemeinsamen Feind zu engagieren. Auch unter diesem Szenario bleibt es jedoch zweifelhaft, dass der Kreml seine frühere Rolle als Herr über Zentralasien wiederbeleben kann. Das Ungleichgewicht zwischen den beiden eurasischen Mächten, sowohl bezüglich des ökonomischen Einflusses als auch bei der strategischen Vision, ist heute viel zu groß und zwar zu Pekings Gunsten. SEITE 9