Methoden der empirischen Rechtsforschung
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- Hede Stieber
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1 Vorlesung Rechtssoziologie HS 2012 Methoden der empirischen Rechtsforschung Ass.-Prof. Dr. Michelle Cottier Juristische Fakultät Universität Basel Die Anfänge empirischer Rechtsforschung Eugen Ehrlich: Gründung Seminar für lebendes Recht 1910 Arthur Nussbaum: Programmschrift Rechtstatsachenforschung 1914 Rechtssoziologie HS Empirische Rechtsforschung heute Erforschung fast aller Rechtsgebiete, Verwendung einer Vielzahl von methodischen Ansätzen der sozialwissenschaftlichen Forschung Zwei Modelle: Modell Hilfswissenschaft : Rechtstatsachenforschung und Gesetzesevaluation Rechtsforschung als Teil empirischer Gesellschaftsforschung, z.b. Erforschung der Karrierestrukturen von Anwaltsbüros als Teil der Eliteforschung, der Geschlechterforschung oder der Professionssoziologie Rechtssoziologie HS
2 Quantitative und qualitative Methoden Quantitative Forschungsmethoden: Ziele: Überprüfung von Hypothesen oder Theorien, Beschreibung einer Gesamtheit mittels Stichprobe ( Repräsentativität ), Evaluation Messung von ausgewählten, messbaren Merkmalen (Variablen, z.b. Alter, Geschlecht, Höhe einer Unterhaltszahlung, Höhe von Strafen, etc.) Inbezugsetzung der einzelnen Merkmalsausprägungen zueinander, z.b. Höhe der Strafe in Abhängigkeit vom Geschlecht Voll standardisiert und voll strukturiert, Bsp. Fragebogen mit fest vorgegebenen Antwortkategorien Rechtssoziologie HS Quantitative und qualitative Methoden Qualitative Forschungsmethoden: Ziele: Beschreibung, Interpretation, Verstehen, dichte Beschreibung, Entwicklung von Hypothesen und Theorien ( explorative Studien ) Verwendung von offenen oder nur teilstandardisierten Verfahren z.b. narratives Interview mit Einstiegsfrage Erzählen Sie von Ihren Erfahrungen mit Verwaltungsbehörden Rechtssoziologie HS Phasen des Forschungsprozesses: quantitative Methoden 1. Formulierung einer Forschungsfrage 2. Hypothesenbildung 3. Operationalisierung: Definition von Indikatoren 4. Auswahl Forschungsverfahren/-technik Interview, Aktenanalyse, Beobachtung, Experiment etc. 5. Auswahl Untersuchungseinheit (Repräsentativität!), Zugang zum Feld klären Praxis mehrerer Gerichte, Stichprobe der Bevölkerung etc. Rechtssoziologie HS
3 Phasen des Forschungsprozesses: quantitative Methoden 6. Ausarbeitung des Erhebungsinstruments Fragebogen, Auswertungsbogen, etc. 7. Erhebung der Daten 8. Auswertung der Daten Anwendung statistischer Verfahren, meist computerunterstützte Auswertung Rechtssoziologie HS Phasen des Forschungsprozesses: qualitative Methoden 1. Formulierung einer Forschungsfrage 2. Auswahl Forschungsverfahren/-technik Interview, Aktenanalyse, Beobachtung, Experiment etc. 3. Auswahl Untersuchungseinheit, Zugang zum Feld klären 4. Ausarbeitung des Erhebungsinstruments Leitfaden für Interview, für Aktenanalyse etc. 5. Theoretisch angeleitete Analyse des Materials z.b. Inhaltsanalyse, Grounded Theory, Diskursanalyse, z.t. computerunterstützt Rechtssoziologie HS Forschungsverfahren im Rechtskontext Beobachtung Beobachtung von Gerichtsverhandlungen, von Klientengesprächen von AnwältInnen etc. Beobachtung und genaue Aufzeichnungen der verbalen und nonverbalen Kommunikation Teilnehmend/nicht teilnehmend, offen oder verdeckt Rechtssoziologie HS
4 Forschungsverfahren im Rechtskontext Interview Interviews mit Angehörigen des Rechtsstabs, mit juristischen Laien, von Gerichtsverfahren Betroffenen etc. Mündlich ( face to face ), schriftlich, telefonisch Unterschiedliche Grade der Standardisierung: standardisiert: Fragebogen halbstandardisiert: Interviewleitfaden nicht standardisiert: offene und flexible Interviewführung Rechtssoziologie HS Forschungsverfahren im Rechtskontext Dokumentenanalyse Analyse von: Gerichtsakten, Behördenakten, Anwaltsakten, Versicherungsakten; Gerichtsurteilen, Behördenentscheiden; juristischen Lehrbüchern, Kommentaren Erhebung bestimmter messbarer Merkmale oder qualitative Inhaltsanalyse Rechtssoziologie HS Von der Forschungsfrage zum Forschungsdesign Bsp. Untersuchung der Partizipation von Kindern in Kindesschutz- und Jugendstrafverfahren (Cottier 2006) Forschungsfragen für die quantitative Analyse: Bestehen Unterschiede zwischen Kindesschutz- und Jugendstrafverfahren in Bezug auf die Partizipation von Kindern und Jugendlichen? Bestehen Unterschiede innerhalb des jeweiligen Verfahrenstyps in Bezug auf Geschlecht, Alter, Nationalität und Schicht? Abhängige Variable: Anzahl Gespräche Unabhängige Variablen: Verfahrenstyp, Geschlecht, Alter, Nationalität, Schicht Rechtssoziologie HS
5 Von der Forschungsfrage zum Forschungsdesign Diskriminiert die Strafjustiz in der Schweiz tatsächlich ausländische StraftäterInnen? (Hypothese von Peter Albrecht) Forschungsfragen und Forschungshypothesen? Methoden / Forschungsverfahren? Rechtssoziologie HS Interpretation statistischer Daten Das Beispiel Ausländerkriminalität Kriminalstatistik: Verurteilungen 2010 (insgesamt ) Geschlecht Männlich: 84.9% Weiblich: 15.1% Nationalität Schweizer 46.5 % Ausländer 53.5 % Altersgruppe Jahre: 24 % Jahre: 29.6 % Jahre: 21.7 % Jahre: 18.9 % 60+ Jahre: 5.8 % Quelle: Bundesamt für Statistik Rechtssoziologie HS Interpretation statistischer Daten Erklärt die nationale oder kulturelle Herkunft die höhere Kriminalität von AusländerInnen? Alternativerklärungen: Männer sind erheblich höher kriminell belastet als Frauen, junge Menschen höher als alte, Grossstadtbewohner höher als Landbewohner, schlecht Ausgebildete höher als Hochqualifizierte, Statusniedrige höher als Statushohe (Geissler 2002) Ausländeranteil in den kriminell stärker belasteten Gruppen insgesamt höher. Verurteilung Kriminalität: Möglicher ethnisch-kultureller Selektionsprozess im Anzeigeverhalten und im Rahmen von polizeilichen Kontrollen Rechtssoziologie HS
6 Statistische Signifikanz Ziel von Signifikanzberechnungen: Abgrenzung von zufälligen von verallgemeinerbaren Unterschieden Beispiel Telefonbefragung von 400 Personen, Unterschiede in Bezug auf die Bereitschaft zur gerichtlichen Konfliktlösung je nach Bildungsniveau festgestellt. Die Signifikanzprüfung untersucht die Wahrscheinlichkeit, dass der gemessene Unterschied nicht auf die Grundgesamtheit verallgemeinert werden kann. Als zulässig gilt eine Irrtumswahrscheinlichkeit, die unter 5 % liegt. Je grösser die Stichprobe, desto eher können auch kleine Unterschiede signifikant werden. Rechtssoziologie HS Korrelation und Kausalität Korrelation: Feststellung einer linearen Beziehung zwischen zwei Variablen Kausalität: die Veränderung der einen Variable wird durch die Veränderung der anderen Variable verursacht. Lehrbuchbeispiel: The Theory of the Stork Rechtssoziologie HS Quelle: Thomas Höfer, Hildegard Przyrembel, Silvia Verleger, New evidence for the Theory of the Stork, Paediatric and Perinatal Epidemiology 2004, Rechtssoziologie HS
7 Legende: Figure 2. Storks in Brandenburg and the birthrates in Berlin, Germany ( ). Open triangles show number of clinical deliveries per year in Berlin. Open diamonds show number of out-ofhospital deliveries per year in Berlin. Number of pairs of storks are shown as full squares. Dotted lines represent linear regression trend (y = mx + b). For the convenience of the readers, two figures are presented. Left graph shows clinical deliveries against pairs of storks using two scalings, right graph shows numbers of out-of-hospital deliveries and pairs of storks both on the same scale. In both figures, data are from the years Rechtssoziologie HS Korrelation und Kausalität Korrelation nicht immer gleich Kausalität! Methodischer Ausweg: Kontrolle mittels weiterer Variablen ( multivariate Analyse ) Beispiel gemeinsame elterliche Sorge Proksch 2002: Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge kooperieren besser miteinander als Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge Folgerung: gemeinsame elterliche Sorge ist konflikthemmend Kritik: Korrelation ist nicht gleich Kausalität. Eine mögliche Erklärung ist, dass die höhere Konfliktneigung des getrennten Paares wie auch das Vorkommen von Gewalt häufiger zur alleinigen elterlichen Sorge führt. Rechtssoziologie HS Fragen zur Lektüre Zu Bryde: Welches Bild der juristischen Berufe wird Ihrer Erfahrung nach im Rahmen des Rechtsstudiums vermittelt? Welches Bild der juristischen Berufe besteht Ihrer Erfahrung nach in der breiteren Öffentlichkeit in der Schweiz? Welche Bedeutung hat Ihrer Einschätzung nach Ihr Geschlecht und Ihre soziale Herkunft im Rahmen Ihres Studiums und für Ihre zukünftige Berufsausübung? 7
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