Wissen, was wirkt. Überlegungen zu einer Diskursiven Pädagogik. Dr. Markus Riefling 11. Januar WDA- Netzwerktreffen Frankfurt am Main

Transkript

1 + Wissen, was wirkt. Überlegungen zu einer Diskursiven Pädagogik Dr. Markus Riefling 11. Januar WDA- Netzwerktreffen Frankfurt am Main

2 Ausgangspunkte n Aktuelle Lage des erziehungswissenschaftlichen Wissens: n Probleme mit der Legitimation pädagogischen Handelns à Vom Grund zum Un- Grund (u.a. Riefling 2013) n Erziehungswissenschaft hat konstitutiven Praxis- Bezug n Größeres Interesse an erziehungswissenschaftlichem Wissen (Evidenzbasierte Bildungspolitik und Unterricht) Entzauberung bei hoher Nachfrage und Praxisdruck Diskursive Pädagogik: Wie wird welches (erziehungswissenschaftliche) Wissen für pädagogisches Handeln angewendet und diskursiv (re- )produziert?

3 Eckpunkte n Basis: Drei Dimensionen von Erkenntnispolitik n Erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse tragen politische Vorzeichen. n Mit erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen wird Politik gemacht. n Mit erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen soll Politik gemacht werden. n Gegenstände: Pädagogisches Wissen in/von... n Öffentlichkeit und Politik n Profession n Eltern

4 Erkenntnispolitik I Produktionsdiskurse n Wissenskonzept der Au^lärung: Wissen und Reinheit n Kants Kritik der reinen Vernunft n Marx klassenlose Gesellschaft n Zugang zu wahrer Erkenntnis à Wissenspolitik n Gegenwärtiges Wissenskonzept: Wissen und Schmutz n Wissenschaftsgeschichte: Historische Prägung des Wissens (Foucault) n Wissenssoziologie: Soziale Prägung des Wissens (Berger/ Luckmann) n Kein Zugang zu wahrer Erkenntnis à Politikdistanz

5 Erkenntnispolitik I Produktionsdiskurse n Grundlegungs- Problem der Pädagogik: Legitimation für pädagogische Eingriffe? Kein Wissen bildet sich ohne ein Kommunikations-, Aufzeichnungs-, Akkumulations- und Vernetzungssystem, das in sich eine Form der Macht ist und in seiner Existenz und seinem Funktionieren mit den anderen Machtformen verbunden ist. (Foucault 2002, 486) n Unreine Dimension von (erziehungs- )wissenschaftlichem Wissen: Erkenntnispolitik (Kubac 2013, Reichenbach 2011) Merksatz 1: Erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse tragen politische Vorzeichen

6 Erkenntnispolitik II Verwendungsdiskurse n Unauflösbares Grundlegungsproblem (Erkenntnispolitik I) à empirisch- analytische Wende (Erkenntnispolitik II): Die Untersuchungsperspektive verschiebt sich demnach von einer Entscheidungsposition über pädagogisches Wissen hin zu der Analyse der [...] Mechanismen der Wissenskonstitution (Koch/ Jergus/ Thompson 2013, 746) n Parallele in Wissenssoziologie: Einsicht in konstruktiven Charakter des Wissens und Hinwendung zur Empirie Kommunikativer Konstruktivismus (Knoblauch 1995, Keller/Knoblauch/ Reichertz 2013 )

7 Erkenntnispolitik II Verwendungsdiskurse n Erziehungswissenschaftliches Wissen wird außerhalb der Wissenschaft verwendet, umgedeutet und (re- )produziert. n Wissenschaftsforschung (Weingart 2003, Mayntz u.a. 2008) n Pädagogische Verwendungsforschung (König/ Zedler 1989, Tillmann u.a. 2008, De Moll/ Riefling/ Zenkel 2014) Merksatz 2: Mit erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen wird Politik gemacht

8 Erkenntnispolitik III Diskursiver Praxisbezug n Pädagogisches Wissen soll zur Anwendung kommen und praktisch wirksam werden Erziehungswissenschaft hat sich stets als Wissenschaft für die Praxis verstanden. [...] Nur wenig Beachtung fand demgegenüber die Frage, welcher Stellenwert dem von der Erziehungswissenschaft bereitgestellten Wissen für die Gestaltung und Entwicklung pädagogischer Praxis tatsächlich zukommt, in welchem Maß und in welcher Weise es de facto beansprucht und wirksam wird. (König/ Zedler 1989, 7)

9 Erkenntnispolitik III Diskursiver Praxisbezug n Analyse der Verwendung pädagogischen Wissens als Propädeutikum des Praxisbezugs Es ist sinnvoll, die Bedingungen und Konstellationen zu untersuchen, die die geglückte [...] Wirkung sozialwissenschaftlicher Expertise [...] ermöglichen. (Beck/ Bonß 1983, 173)! Welches Wissen wirkt? Merksatz 3: Mit erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen soll Politik gemacht werden

10 Methodologische Punkte n Diskursanalyse n Fokus auf Brüche zwischen unterschiedlichen Formationssystemen von Aussagen n Vertikale Perspektive Foucaults wird horizontal ergänzt n Wissenssoziologische Diskursanalyse n Wissenssoziologie in ähnlicher Lage wie Pädagogik: Grundlagenproblematik und empirische Wende n Gesellschaftliche (Re- )Produktion von Wissensbeständen n Mit Hilfe der WDA lassen sich Prozesse der sozialen Konstruktion von Deutungs- und Handlungsstrukturen untersuchen (Keller 2011, 12)

11 + Diskursive Pädagogik Analysepunkte n Pädagogisches Wissen in Politik und Öffentlichkeit n n Wissen der Bildungsforschung in Öffentlichkeit und Politik n RisE I/III, Tillmann u.a. 2008, Sitter 2014 Pädagogisches Wissen in der Profession n Wissen der Neurobiologie in der (v.a. frühen) Bildung n Thompson 2013, Rabenstein u.a n Wissen des evidenzbasierten Unterrichts (Hattie- Studie)

12 + Diskursive Pädagogik Analysepunkte n Pädagogisches Wissen von Eltern n Wissen pädagogischer Ratgeber in Büchern, Zeitschriften, TV und Internet n Oelkers 1995, Hopfner 2001, Schmid 2011

13 Endpunkte Die Diskursive Pädagogik geht davon aus, n... dass pädagogisches Wissen diskursiv produziert wird. n... dass pädagogisches Wissen außerhalb der Wissenschaft diskursiv transformiert, redimensioniert und angewendet wird. n... dass pädagogisches Wissen in der pädagogischen Praxis diskursiv angewendet werden soll.! Frage der Diskursiven Pädagogik: Welches (erziehungswissenschaftliche) Wissen wirkt?

14 Dankespunkte Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Fragen, Anregungen, Kritik?

15 Literaturverzeichnis n Beck, U. & Lau, C. (1983). Bildungsforschung und Bildungspolitik Öffentlichkeit als Adressat sozialwissenschaftlicher Forschung. Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie, 3(2), n Berger, P. L. & Luckmann, T. (1969). Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt am Main: Fischer. n De Moll, D./ Riefling, M./ Zenkel, S. (2014, im Erscheinen): Bin ich wohl etwas naiv gewesen. Zur Rezeption empirischer Bildungsforschung in der Öffentlichkeit Das Beispiel ELEMENT. In: Zeitschrift für Pädagogik, H 3. n Gasteiger, L. (2013). Zur Entstehung eines Feldes bildungswissenschaftlicher Evidenzproduktion als Grundlage evidenzbasierter Bildungspolitik. In K. Amos, J. Schmid, J. Schrader & A. Thiel (Hrsg.), Kultur Ökonomie Globalisierung. Eine Erkundung von Rekalibrierungsprozessen in der Bildungspolitik (S ). Nomos: Baden- Baden. n Hopfner, J. (2001): Wie populär ist pädagogisches Wissen? Zum Verhältnis von Ratgebern und Wissenschaft. In: Neue Sammlung, Heft 1, S n Jergus, K./Koch, S./Thompson, Ch. (2013): Darf ich dich beobachten? Zur pädagogischen Stellung von Beobachtung in der Frühpädagogik; in: Zeitschrift für Pädagogik, 5/2013, S

16 Literaturverzeichnis n Keller, R. (2011). Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms. Wiesbaden: VS. n Keller, R./ Knoblauch, H./ Reichertz, J. (Hrsg.) (2013): Kommunikativer Konstruktivismus. Theoretische und empirische Arbeiten zu einem neuen wissenssoziologischen Ansatz, Wiesbaden n Knoblauch, H. (1995): Kommunikationskultur. Die kommunikative Konstruktion kultureller Kontexte. Berlin. n Kubac (2013): Vergebliche Zusammenhänge? Erkenntnispolitische Relationierungen von Bildung und Kritik. n König, E. & Zedler, P. (Hrsg.) (1989). Rezeption und Verwendung erziehungswissenschaftlichen Wissens in pädagogischen Handlungs- und Entscheidungsfeldern. Weinheim: Deutscher Studien- Verlag.

17 Literaturverzeichnis n Mayntz, Renate/ Neidhardt, Friedhelm/ Weingart, Peter/ Wengenroth, Ulrich (Hrsg.) (2008): Wissensproduktion und Wissenstransfer. Wissen im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit, Berlin: transcript- Verlag. n Oelkers, J. (1995): Pädagogische Ratgeber. Erziehungswissen in populären Medien, Frankfurt am Main: Diesterweg n Rabenstein, K./ Reh, S./ Ricken, N./ Idel, T.- S. (2013): Ethnographie pädagogischer Differenzordnungen. Methodologische Probleme einer ethnographischen Erforschung der sozial selektiven Herstellung von Schulerfolg im Unterricht. In: Zeitschrift für Pädagogik, Heft 5, S n Reichenbach, Roland/ Ricken, Norbert/ Koller, Hans- Christoph (Hrsg.) (2011): Erkenntnispolitik und die Konstruktion pädagogischer Wirklichkeiten. Paderborn.

18 Literaturverzeichnis n Riefling, M. (2013): Die Kultivierung der Freiheit bei der Macht. Eine pädagogische Betrachtung von Grenzziehung und Grenzüberschreitung, Wiesbaden: VS- Verlag. n Schmid, Michaela (2011): Erziehungsratgeber und Erziehungswissenschaft. Zur Theorie- Praxis- Problematik popularpädagogischer Schriften, Bad Heilbrunn: Klinkhardt n Schützeichel, Rainer (Hrsg.) (2007): Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung, Konstanz: UVK n Sitter, Miriam (2014, im Erscheinen): PISA als interdiskursiver Innovationsgenerator - Konsequenzen eines (bildungs- )kulturellen Ereigniskonstruktes. In: Weber, Susanne Maria/ Göhlich, Michael/ Schröer, Andreas (Hrsg.): Organisation und das Neue. Beiträge der Kommission Organisationspädagogik. VS Verlag. n Tillmann, K.- J., Dedering, K., Kneuper, D., Kuhlmann, C. & Nessel, I. (2008). PISA als bildungspolitisches Ereignis. Fallstudien in vier Bundesländern. Wiesbaden: VS. n Weingart, P. (2003). Wissenschaftssoziologie. Berlin: transcript