E x p o s é
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1 1 Mag. Natalie Harsdorf Enderndorf LL.M. E x p o s é Das Recht auf Akteneinsicht im kartellrechtlichen Verfahren Betreuer: o.univ.-prof. Dr. Walter H. Rechberger Rechtswissenschaftliche Fakultät Universität Wien
2 2 Mag. Natalie Harsdorf Enderndorf LL.M. 1. Einleitung Das Kartellverfahrensrecht bietet eine Reihe an bis jetzt wissenschaftlich nicht eingehend behandelter Fragen, die von höchster Bedeutung für die Praxis wären und einer eingehenden Bearbeitung harren. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Österreich erst 2002 bzw durch Novellen den Schritt von einem stark von der Sozialpartnerschaft geprägten System hin zu einem modernen Kartellrechtsvollzug gesetzt hat. Daher ist der Kartellrechtsvollzug, so wie er derzeit ausgestaltet ist, eine sehr junge Materie. Eine interessante Fülle an Fragen bestehen im Hinblick auf bzw. im Zusammenhang mit dem Recht auf Akteneinsicht im kartellrechtlichen Verfahren. Das Recht auf Akteneinsicht ist Voraussetzung für die Möglichkeit für Unternehmen bzw. natürliche Personen ihre Verteidigungsrechte wahrnehmen zu können. Allerdings kann Akteneinsicht in einem frühen Verfahrensstadium auch dazu führen, dass Ermittlungen vereitelt werden und der Kartellrechtsvollzug praktisch unmöglich gemacht wird. Nicht nur die unmittelbar Beteiligten an einem Verfahren haben ein Interesse Akteneinsicht zu nehmen sondern auch Dritte etwa die von einem Kartell Geschädigten in einem Schadenersatzprozess. Ein Vorabentscheidungsverfahren wurde jetzt in Zusammenhang mit letzterer Frage von dem KOG an den EuGH herangetragen im Rahmen eines Schadenersatzprozesses das Druckchemikalienkartell 1 betreffend. 2 Dies macht sehr deutlich sichtbar, dass bei dem Recht auf Akteneinsicht gegensätzliche Interessen aufeinander treffen, die von dem Gesetzgeber bzw. den Verwaltungsbehörden und Gerichten berücksichtigt werden müssen. Der österreichische Kartellrechtsvollzug zeichnet sich durch die Besonderheit aus, dass die unabhängige Verwaltungsbehörde nicht zugleich Entscheidungsbehörde ist. Dieses Modell ist in der Europäischen Union eine Minderheit. Nur Irland und Estland, die allerdings beide strafrechtliche Sanktionen für Kartellrechtsverstöße vorsehen, haben ein ähnliches Modell wie in Österreich, nämlich dass eine Aufgriffs- und Ermittlungsbehörde die Fälle aufbereitet und die Entscheidung bezüglich der 1 KOG vom , 16 Ok 5/10, Druckchemikalien. 2 Mlex, EC to submit opinion to Austrian Court in freight-cartel case,
3 3 Mag. Natalie Harsdorf Enderndorf LL.M. Feststellung einer Zuwiderhandlung und einer Geldbuße bei einem Gericht angesiedelt ist. Daher ist es ein zweistufiges System. Auf erster Ebene läuft das Verfahren vor der Bundeswettbewerbsbehörde als Verwaltungsbehörde und auf zweiter Ebene vor den nationalen Gerichten ab. Des Weiteren sind Art 101 und Art 102 AEUV unmittelbar anzuwenden von den nationalen Behörden und Gerichten. Es gilt zwar bezüglich des Vollzugs grundsätzlich der Grundsatz der Verfahrensautonomie, allerdings wird dieser auf verschiedenste Weise eingeschränkt (ua durch die Prinzipien der Äquivalenz und Effektivität). Darüber hinaus wurde mit der VO 1/2003 das Europäische Wettbewerbsnetz geschaffen, in dem die Europäische Kommission primus inter pares ist. Diese hybride Struktur spiegelt sich zwangsläufig auch in der Behandlung der Frage der Akteneinsicht wider. In dem Ermittlungsverfahren vor der Bundeswettbewerbsbehörde wird derzeit grundsätzlich keine Akteneinsicht gewährt. Im WettbG findet sich lediglich eine einzige Bestimmung, die hier augenfällig einschlägig sein könnte, nämlich der 13 (1), der besagt, dass sind einem von der Bundeswettbewerbsbehörde beabsichtigten Antrag auf Einleitung eines kartellgerichtlichen Verfahrens nach 26, 27 oder 28 KartG 2005 Ermittlungen nach 11, 11a oder 12 WettbG vorausgegangen, so ist dem Antragsgegner Gelegenheit zu geben, von den Ermittlungsergebnissen Kenntnis und in angemessener Frist Stellung dazu zu nehmen. Gemäß 38 KartG 2005 entscheiden in Angelegenheiten nach dem KartG 2005 das Kartellgericht und das Kartellobergericht im Verfahren außer Streitsachen. "Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass nach den allgemeinen Bestimmungen des Außerstreitgesetzes vorzugehen ist, soweit im Kartellgesetz nichts anderes bestimmt wird (RV 633 BlgNR 17.GP 34)". 3 Das AußStrG selbst kennt abgesehen von einer Bestimmung betreffend die Akteneinsicht des Kinderbeistandes ( 104 a Abs 3) keine Regelung betreffend der Akteneinsicht. Grundsätzlich wird im Außerstreitverfahren daher 170 Geo ivm 219 ZPO sinngemäß angewendet. 4 Über die Akteneinsicht entscheidet der Richter. 5 Das Recht 3 KOG Okt 35/90. 4 Feil, Verfahren außer Streitsachen (2001) JMV BGBL 1991/479.
4 4 Mag. Natalie Harsdorf Enderndorf LL.M. auf Akteneinsicht der Parteien ist soweit gegeben als ein rechtliches Interesse vorhanden ist. 6 Dritten Personen steht nach 219 ZPO das Recht auf Akteneinsicht nur mit Zustimmung der Parteien zu oder wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen. 7 Im Gegensatz zu dem Außerstreitverfahren ist im zivilgerichtlichen Verfahren gem 219 ZPO das Recht auf Akteneinsicht für die Parteien jederzeit gegeben. Mit dem KartellG 2005 ist eine lex specialis zu den oben genannten Regelungen eingeführt worden. Der 39 des KartellG 2005 sieht in Abs 1 vor, dass ein Verfahren, das auf Antrag einer Amtspartei ( 40) eingeleitet worden ist, nur mit Zustimmung der Parteien mit einem anderen Verfahren verbunden werden kann, das auf Antrag einer Partei, die nicht Amtspartei ist, eingeleitet worden ist oder eingeleitet wird. In Absatz 2 ist normiert, dass in die Akten des Kartellgerichts am Verfahren nicht als Partei beteiligte Personen nur mit Zustimmung der Parteien Einsicht nehmen können. 2. Problemstellung und grobe Gliederung Nachfolgend möchte die Autorin kurz skizzieren, auf welche Weise an die Frage des Rechts auf Akteneinsicht herangegangen werden wird. Ausgehend von den rechtlichen Grundlagen und der Judikatur soll zunächst einleitend analysiert werden, ob das Recht auf Akteneinsicht als ein eigenständiges prozessuales Grundrecht existiert. In weiterer Folge werden die gegenüberstehenden Interessen im Rahmen der Handhabung dieses Grundrechts aufgezeigt und zwar insbesondere im Kartellverfahren anhand von Beispielen aus der Praxis (Interessenskonflikte Konflikte zwischen Dokumentenzugang und Geheimnisschutz; zwischen administrativer Effizienz und dem Recht auf Verteidigung und auf rechtliches Gehör). Nach diesen einleitenden Kapiteln sollen folgende Punkte in der Reihenfolge der Untenstehenden groben Gliederung untersucht werden: Defizite und offene Fragen betreffend das Recht auf Akteneinsicht im österreichischen Kartellverfahren: 6 Feil, Verfahren Vgl. Klicka, Zivilverfahren Erkenntnisverfahren und Grundzüge des Exekutions- und Insolvenzrechts 3 (2003) 131.
5 5 Mag. Natalie Harsdorf Enderndorf LL.M. i. Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des 39 KartG vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zu Art 20 Abs 3 B-VG ii. Akteneinsicht durch Parteien des Verfahrens iii. Akteneinsicht durch Dritte iv. Das Problem der Akteneinsicht und kartellgerichtlicher Akten aus anderen Verfahren v. Akteneinsicht und Amtshilfe vi. Kartellverfahrensrechtliche Akteinsicht vor dem Hintergrund des DSG vii. Kartellverfahrensrechtliche Akteinsicht in Österreich vor dem Hintergrund der EMRK viii. Recht auf Akteneinsicht in dem Ermittlungsverfahren vor der BWB? Was ändert sich wenn die BWB Entscheidungsbehörde wird? Österreich als Teil des Europäischen Wettbewerbsnetzes i. Vergleich: Verwaltungsverfahren vs. Außerstreitverfahren ii. Gleiche materiell rechtliche Grundlagen: Art. 101 & 102 AEUV iii. Grundsätzliche prozedurale Autonomie iv. Kooperation im Europäischen Wettbewerbsnetz und Akteneinsicht: Das Recht auf Akteneinsicht und europäische/internationale Kooperation zwischen Wettbewerbsbehörden oder zwischen Wettbewerbsbehörden und der Europäischen Kommission. v. Caveats: 1) Prinzipien der Effektivität und Äquivalenz 2) Allgemeine Rechtsgrundsätze 3) Wahrung der Einheit des Unionsrechtes vi. Probleme aus Nicht-Konvergenz; Notwendigkeit einer Harmonisierung?
6 6 Mag. Natalie Harsdorf Enderndorf LL.M. Verhältnis zwischen dem Recht auf Akteneinsicht und dem Schutz von Kronzeugen/Informanten Das Zusammenspiel zwischen dem Zugang zu Dokumenten/Akteneinsicht und Private Enforcement (va im Hinblick auf das Vorabentscheidungsverfahren gem Art 267 AEUV im schadenersatzrechtlichen Prozess zu dem Druckchemikalienkartell 8 ) Parallelen und Gegensätze Kartellverfahren/Beihilfeverfahren Ein rechtsvergleichender Blick in andere Jurisdiktionen 3. Vorläufiges Literaturverzeichnis Verträge, Gesetze, Verordnungen, Mitteilungen, Materialien Außerstreitgesetz, BGBl. I Nr. 111/2003. Charta der Grundrechte der Europäischen Union, (2000/C 364/01). DG Competition Best Practices on the conduct of proceedings concerning Articles 101 and 102 TFEU, Stand : s.pdf. EWR-Abkommens und der Verordnung (EG) Nr. 139/2004. ErläutRV 926 XXII. GP. JMV, BGBL 1991/479. Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung der Protokolle Nr. 11 und 14. Kartellgesetz 2005, BGBl. I Nr. 61/2005. Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABL C 115/47. 8 Mlex, EC to submit opinion to Austrian Court in freight-cartel case,
7 7 Mag. Natalie Harsdorf Enderndorf LL.M. Mitteilung der Kommission über die Regeln für die Einsicht in Kommissionsakten in Fällen einer Anwendung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag. VO (EG) 1049/2001 des europäischen Parlaments und des Rates v 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission. VO (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln. Wettbewerbsgesetz, BGBl. I Nr. 62/2002. Zivilprozessordnung, RGBl. Nr. 113/1895 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 40/2009. Judikatur EuGH vom 17. Dezember 1998, C-185/95 P, Baustahlgewebe GmbH gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. EuGH vom 8. Juli 1999, C-51/92 P, Hercules Chemicals NV gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. EuGH vom 15. Oktober 2002, C-238/99 P, C-244/99 P, C-245/99 P, C-247/99 P, C- 250/99 P bis C-252/99 P und C-254/99 P, Limburgse Vinyl Maatschappij NV (LVM) u. a./kommission der Europäischen Gemeinschaften. EuGH vom 7. Januar 2004, C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C- 217/00 P und C-219/00 P, Aalborg Portland A/S u. a./kommission der Europäischen Gemeinschaften. EuGH vom , C 139/07, Europäische Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau GmbH. EuGH vom , C-407/08 P, Knauf Gips KG/Europäische Kommission. EuGH vom , C 360/09, Pfleiderer AG gegen Bundeskartellamt. OGH als KOG Okt 35/90. Literatur Barfuß, Wollmann, Tahedl, Österreichisches Kartellrecht, (1996). Bronett, Europäisches Kartellverfahrensrecht,(2011). Craig/de Búrca, EU Law Text, Cases and Materials, (2008).
8 8 Mag. Natalie Harsdorf Enderndorf LL.M. Feil, Verfahren außer Streitsachen, (2001). Harsdorf/Martin, Communication between In-house Lawyers and Their Clients Does Not Fall under Legal Professional Privilege within the Context of Regulation 1/2003, ELR, Dezember 2010 Nr. 12. Hawk/Laudati, Antitrust Federalism in the United States and Decentralization of Competition Law Enforcement in the European Union: A comparison, Fordham International Law Journal Hoffer, Kartellgesetz Kommentar, (2007). Klicka, Zivilverfahren Erkenntnisverfahren und Grundzüge des Exekutions- und Insolvenzrechts, (2003). Nehl, Europäisches Verwaltungsverfahren und Gemeinschaftsverfassung: Eine Studie gemeinschaftsrechtlicher Verfahrensgrundsätze unter besonderer Berücksichtigung "mehrstufiger" Verwaltungsverfahren, (2002). Ortiz Blanco, EC Competition Procedure, (2006). Petsche/Urlesberger/Vartian, Kartellgesetz 2005 (2007). Rechberger/Simotta, Grundriss des österreichischen Zivilprozessrechts, (2011). Rechberger, Kommentar zur ZPO, (2006). Rechberger, Kommentar zum Außerstreitgesetz, (2006). Reidlinger/Hartung, Das österreichische Kartellrecht, (2008). Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht, (2006). Thanner/Soyer/Hölzl, Das Kronzeugenprogramm, (2009). Thyri, Kartellrechtsvollzug in Österreich, (2007). Wils, Community Report: European Competition Law and Policy: The Reform of Competition Law Enforcement-Will it work?, FIDE Dublin Presse Mlex, EC to submit opinion to Austrian Court in freight-cartel case, Mlex, ECJ to review Austrian restrictions on cartel file disclosure to damage claimant,
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