Was bisher geschah. Semantik I. Bedeutung
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- Margarethe Kolbe
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1 Was bisher geschah Semantik I Gerrit Kentner Kernbereiche der sprachlichen Strukturbeschreibung: Phonetik / Phonologie Lautinventar phonologische Prozesse und Alternationen Morphologie Wortbildung und Flexion Wortstruktur Syntax Phrasen- und Satzstruktur Valenz und Dependenz Heute: Bedeutung 17. April / 33 1 / 33 Lektüre Bedeutung Meibauer et al. (2007). Einführung in die germanistische Linguistik. Metzler, Kap. V Grewendorf, Hamm, Sternefeld (1987). Sprachliches Wissen. Kapitel V: Semantik Skript Zimmermann (auf der Vorlesungshomepage verlinkt), daraus S Bisher: Beobachtung und Beschreibung von Sprachstruktur (Lautstruktur, Wortstruktur, Satzstruktur). Objekt des wissenschaftlichen Interesses ist im Falle von Lauten, Wörtern, Sätzen tatsächlich beobachtbar, weil es materiell realisiert wird. Zugang zur Bedeutung ist eher indirekt realisiert wird nur der Zeichenträger, nicht der Zeicheninhalt (Verweis auf 2. Sitzung Semiotik) 2 / 33 3 / 33
2 Bedeutung Bedeutung Das semiotische Dreieck Zwei Fragen: Wovon reden wir, wenn wir von Bedeutung reden? Wovon reden Semantiker, wenn sie von Bedeutung reden? Abbildung: aus: Busch / Stenschke: Germanistische Linguistik Bedeutung ist im mentalen Bereich angesiedelt 4 / 33 5 / 33 Verborgener Sinn Verborgener Sinn (Tiefere) Bedeutung eines Gedichts (literaturwissenschaftliche Interpretation) Bedeutung von Ironie (= unernste Verkehrung der wörtlichen Bedeutung einer Behauptung in ihr Gegenteil) Bedeutung von Übertreibungen (= Behauptungen, die über das Glaubwürdige hinausgehen) Bedeutung von Implikaturen (= mitverstandene Behauptungen, die über die wörtliche Bedeutung hinausgehen) Bedeutung von Metaphern (= sprachliche Ausdrücke, die bildhaft bzw. im übertragenen Sinn gebraucht werden) Bedeutung von Ironie (= unernste Verkehrung der wörtlichen Bedeutung einer Behauptung in ihr Gegenteil) (1) Eva: Wie war das Mensaessen? Udo: Das Steak war wie immer zart und saftig! Verborgene Bedeutung entspricht dem Gegenteil der wörtlichen Bedeutung: Das Steak war wie immer: weder zart noch saftig. Um die Ironie zu verstehen, muss Eva a) die wörtliche Bedeutung verstehen, und b) wissen, dass Udo die wörtliche Bedeutung nicht gemeint haben kann. b) erfordert besondere Kenntnis der am Diskurs beteiligten Personen und der Begleitumstände Pragmatik 6 / 33 7 / 33
3 Verborgener Sinn Metaphern Bedeutung von Implikaturen (= mitverstandene Behauptungen, die über die wörtliche Bedeutung hinausgehen) Udo: Der Nachtisch war nicht gifitg. skalare Implikatur: Diese Aussage verortet den Nachtisch auf einer Skala zwischen den Endpunkten tödlich 3 Sterne an einer Position, die nicht besser ist als die Kategorie: nicht giftig Wörtliche Bedeutung: Detektiv untersucht Giftmord und äußert 1 - keine Implikatur! (2) Dieser Gockel Peter hält sich für unwiderstehlich. (3) Es regnet mal wieder Bindfäden. (4) Klaus hat zwei linke Hände. 8 / 33 9 / 33 Sprechereinstellungen Gegenstand der Semantik Der Ton macht die Musik (5) Willst Du allen Ernstes für diesen Fraß noch mehr Kohle verlangen? (6) Planen Sie tatsächlich eine Anhebung der Essenspreise? Beide Äußerungen erfragen denselben Sachverhalt, sie können also semantisch äquivalent sein. Sie können aber nicht ohne Nebenwirkung in allen Kommunikationskontexten gegeneinander ausgetauscht werden. Wortwahl und Stil erlauben Rückschlüsse auf Einstellung des Sprechers gegenüber Kommunikationspartner und thema. Wörtliche Bedeutung Voraussetzung für Erkennen des verborgenen Sinns bei Ironie und Implikaturen, von Metaphern und Sprechereinstellungen. Was sprachliche Ausdrücke wörtlich bedeuten, muss nicht aufregend sein. Aber: Sprachwissenschaftler sind an der Erklärung des Phänomens des Sprachverstehens interessiert. Wie funktioniert Erfassen der wörtlichen Bedeutung? Was ist das, was da erfasst wird? 10 / / 33
4 Lexikalische Semantik Wortbegriff Was sind Wörter, was bedeuten Wörter? Systematische Beschreibung von Bedeutung, z.b. anhand semantischer Merkmale Problemfelder: lexikalische Lücken, Ambiguitäten Ziel: Erstellen eines Begriffsnetzes: Wie stehen Wortbedeutungen in Beziehung? Eine Annäherung: Wort ist das, was zwischen zwei Leerzeichen steht (graphisches Wort; Problem: schriftsprachzentrierte Definition, Problem der Ambiguität) Wort ist das, was im Lexikon steht (lexikalisches Wort; notwendigerweise unvollständig wegen Wortneubildungen) Wort ist eine Laut, allgemeiner: Zeichenfolge gepaart mit grammatischer Information (syntaktisches Wort; keine Unterscheidungsmöglichkeit bei Ambiguitäten der Art: Schloss Schliessvorrichtung Schloss Gebaeude Wort ist Zeichenträger (Laut/Schrift) + grammatische Information gepaart mit Bedeutung 12 / / 33 Wortbedeutung Wortbedeutung Die Zeichenfolge Tier kann sich auf verschiedene Dinge beziehen: (7) a. Hund b. Katze c. Maus Handelt es sich hier um Ambiguität?? Beobachtung: Man kann sagen, dass in (7) von 3 Tieren die Rede ist, d.h. man kann zählen. Die Zeichenfolge Schloss kann sich auf verschiedene Dinge beziehen: (8) a. Palastartiges Gebäude b. Schliessvorrichtung Beobachtung: Man kann nicht sagen, dass in (8) von 2 Schlössern die Rede ist. Zähltest negativ Wenn die Wörter nicht zusammengezähltôô werden können, liegt eine Ambiguität vor! 14 / / 33
5 Exkurs: Zeugma Wortbedeutung (9) a. Die Zeitung liegt auf dem Tisch. (Druckerzeugnis) b. Die Zeitung hat angerufen. (Institution) c. *Die Zeitung liegt auf dem Tisch und hat angerufen Ist die Zeichenfolge Zeitung ambig? - Näheres dazu folgt gleich Sind klagen (i.s. von Schmerz äussern) und klagen (Anspruch vor Gericht geltend machen) ein und dasselbe Wort? Anders gefragt: Ist klagen ambig? (10) a. Peter klagt über die Schmerzen in seiner Hand. b. Rita klagt auf Mietminderung c.?peter und Rita klagen (10-c) kann nicht im Sinne einer Koordination von (10-a) und (10-b) verstanden werden Koordinationstest negativ entsprechend ist die Zeichenfolge klagen ambig (2 unterschiedliche Bedeutungen) 16 / / 33 Homonymie vs. Polysemie Bedeutung polysemer Ausdrücke Mehrdeutigkeiten zufällige Mehrdeutigkeiten: Homonyme (Homophone und Homographen) (Kiefer Baum versus Kiefer Knochen ) systematische Mehrdeutigkeiten: Polyseme (11) Beispiele für Polysemie a. Schule (Gebäude, Institution, Unterricht) b. Zeitung (Gebäude, Institution, Druckerzeugnis) (12) Schule a. Die Schule hat ein Säulenportal. b. Die Schule hat Geld für ein Hilfsprojekt gesammelt. c. Die Schule hat schon wieder angerufen. d. Die Schule macht ihr grossen Spass Bedeutungsvarianten polysemer Ausdrücke sind verwandt und lassen sich auf eine abstrakte Grundbedeutung zurückführen. 18 / / 33
6 Bedeutung polysemer Ausdrücke Sinnrelationen Unterspezifikation und kontextuelle Anreicherung der Kernbedeutung (13) Schule ( Zweck von x: Lehr- / Lernprozess ) a. Schule 1 ( Zweck von x: Lehr- / Lernprozess & Gebäude ) b. Schule 2 ( Zweck von x: Lehr- / Lernprozess & Institution ) c. Schule 3 ( Zweck von x: Lehr- / Lernprozess & Person / Repräsentant ) d. Schule 3 ( Zweck von x: Lehr- / Lernprozess & Unterricht ) Sinnrelationen und andere semantische Wortbeziehungen machen das (lexikalische) Begriffsnetz der Sprache aus. Wie sieht dieses Netz genau aus, wie beschreibt man es möglichst geschickt? Wie unterscheidet es sich vom Begriffsnetz anderer Sprachen? Zu den Auffälligkeiten lexikalischer Begriffsnetze gehören lexikalische Lücken: hungrig satt durstig??? Benennung der Zehen (analog zu Fingern) 20 / / 33 Synonymie Inkompatibilität / Heteronymität Gehweg Gehsteig Bürgersteig Trottoir (14) Zwei Ausdücke A und B sind synonym, falls man in jedem komplexen Ausdruck C, in dem A vorkommt, A durch B ersetzen kann und umgekehrt, ohne dass sich die Bedeutung von C ändert. Echte Synonymie ist Luxus und daher selten. (15) Lexikalische Blockierung bei Synonymie a. *Stehler / Dieb b. *Kocher (als Nomen agentis) / Koch Zwei Ausdrücke A und B sind inkompatibel / heteronym, falls nichts gleichzeitig unter die durch A und B benannten Begriffe fallen kann. (16) a. blau gelb grün rot b. Montag, Dienstag, Mittwoch... c. Rose, Nelke, Tulpe / / 33
7 Komplementarität Antonymie Besondere Form der Inkompatibilität: Alle Dinge, die sich mit komplementären Ausdrücken bezeichnen lassen, fallen entweder in den einen oder in den anderen Ausdruck. Wird der eine Ausdruck negiert, trifft sein komplementäres Gegenstück zu. (17) a. tot lebendig b. verheiratet unverheiratet c. mündig unmündig Gegensatzpaare. Komplementäre Ausdrücke sind antonym. Inkompatible Ausdrücke können Antonyme bilden, wenn sie die Endpunkte einer Skala sind (18) a. tot lebendig b. heiss kalt c. oben unten d. alt neu e. alt jung 24 / / 33 Vertikale Sinnrelationen Vertikale Sinnrelationen Hyponyme (Unterbegriff) und Hyperonyme (Oberbegriffe) Strukturierung von Wortfeldern / Ziel: Organisation des Lexikons Pflanze Hyponyme (Unterbegriff) und Hyperonyme (Oberbegriffe) Pflanze Baum Blume Baum Blume Laubb. Nadelb. Rose Tulpe Iris Eiche Laubb. Buche Lärche Nadelb. Fichte Rose Tulpe Iris Eiche Buche Lärche Fichte Schwestern (und Cousinen) im Baum sind Kohyponyme. Kohyponyme sind inkompatibel. 26 / / 33
8 Vertikale Sinnrelationen Merkmale Implikation durch Hyperonymie (19) Peter hat Buchen gekauft a. Peter hat Laubbäume gekauft. b. Peter hat Bäume gekauft. c. Peter hat Pflanzen gekauft. Idee aus der Phonologie: Jeder Laut kann als Merkmalsbündel exakt beschrieben werden. {+kons, -sonorant, -kontinuierlich, +labial, +stimmhaft} = [b] Anwendung auf Semantik Jeder Ausdruck kann als Bündel semantischer Merkmale charakterisiert werden. {+menschlich, +erwachsen, +männlich, verheiratet} = Junggeselle 28 / / 33 Merkmalssemantik Merkmalssemantik Merkmalsorganisation im Baum menschl unverh. männl. erwachsen verh. weibl Junggeselle Ehemann Merkmale: {+/- menschlich, +/-erwachsen, +/-männlich, +/-unverheiratet}... Kind... Lexikalische Dekomposition in Merkmale. a. Kohyponyme bilden eine natürliche Klasse (definiert durch gemeinsame Merkmale) b. Je höher das Hyperonym, desto weniger Merkmale Probleme: a. Keine befriedigende Analyse aller Ausdrücke mithilfe von Merkmalen b. unklar, wieviele Merkmale angenommen werden müssen, um alle Begriffe durch Merkmalsbündel zu erfassen. c. keine unabhängige Evidenz für Merkmale 30 / / 33
9 Überleitung Aufgaben Sinnrelationen bestehen nicht nur zwischen Wörtern, sondern auch zwischen komplexen Ausdrücken. Synonymie: Stute = Pferd weiblichen Geschlechts Hyponymie: Säugetier > Pferd > wieherndes Pferd Um die Sinnrelationen komplexer Ausdrücke zu erfassen, benötigt man eine Beschreibung der Bedeutungskombinationen Geben Sie eigene Beispiele für skalare Implikaturen Wenden Sie den Zähltest und den Koordinationstest zur Identifizierung von lexikalischen Ambiguitäten Finden Sie eigene Beispiele für komplexe und einfache Ausdrücke, die in den Sinnrelationen Hyponymie, Synonymie und Kohyponymie zueinander stehen. Satzsemantik, logische Semantik 32 / / 33
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