Minimale Belastungen und Risiken in der biomedizinischen Forschung mit Menschen
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1 Minimale Belastungen und Risiken in der biomedizinischen Forschung mit Menschen Heiner Raspe Seniorprofessur für Bevölkerungsmedizin Fortbildungsveranstaltung Arbeitskreis Medizinischer Ethikkommissionen Berlin, 17. Juni 2015
2 ZIELE Verfahrensentlastung für Forscher und Ethikkommissionen! Einschluss weiterer vulnerabler Gruppen in die gruppennützige Forschung?
3 Gruppennützige Forschung Nutzen nicht für die Teilnehmer an einer Studie, sondern für externe Personen, auf die alle Ein- und Ausschlusskriterien des Studienprotokolls zutreffen.
4 Belastungen und Risiken (Aspekt Eigenschaden) Belastungen (burden) Alle mit der gesamten Studie unmittelbar verbundenen, nahezu unvermeidbaren und vom Studienteilnehmer erlebbaren leiblichen und seelischen Beeinträchtigungen (oft von kurzer Dauer). Risiken (risks) Alle relevanten negativen Veränderungen des vorherigen körperlichen und seelischen Zustands der Studienteilnehmer, die in einem definierten Folgezeitraum, mit definierter Häufigkeit und länger anhaltend nach der Studienteilnahme zu erwarten sind (enge Definition).
5 Belastungen und Risiken Für wen? Studienteilnehmer Gruppe Angehörige/Umgebungspersonen Umwelt Kostenträger Wissenschaft Wie schwer? Relevanz und Ausmaß (Abstufungen, z.b. NRS 0-10) Wodurch? Spezifische Exposition (Prüfpräparat) Kollaterale Umstände: - Prüfung d. Einschlusskriterien - Provokation - Outcomes-Messung - Fragebogen - insuffizienter Datenschutz Wie wahrscheinlich? Sehr häufig: >1 unter 10 Sehr selten: < 1 von Wie sicher ist die zu Grunde liegende Evidenz? In dubio CONTRA reum
6 Paling Perspective Scale Risks with which we are at home Auftretenswahrscheinlichkeit liegt unter 1 von
7 Subjektivität der Risikoabstufung Mit welchem Risiko, mit welcher Belastung ist ein Allergie-Hauttest (z.b. Pricktest) verbunden? minimal, ein bisschen grösser als minimal oder mehr als nur ein bisschen grösser als minimal?
8 Subjektivität der Risikoabstufung Mit welchem Risiko, welcher Belastung ist ein Allergie-Hauttest (z.b. Pricktest) verbunden? minimal (23 %) ein bisschen grösser als minimal (43 %) mehr als nur ein bisschen grösser als minimal? (27 %) Befragung von 188 EK-Vorsitzenden (s. JAMA 2004; 291: ) A single blood draw was the only procedure categorized as minimal risk by a majority (152 or 81%) of the 188 respondents. An electromyogram was categorized as minimal or a minor increase over minimal risk by 100 (53%) and as more than a minor increase over minimal risk by 77 (41%).
9 Bundesärztekammer: Abstufung von Risiken/Belastungen ein schwieriges Geschäft Trotz zahlreicher Versuche liegt keine allgemein anerkannte Definition der Begriffe minimales Risiko und minimale Belastung vor. Wo diese Begriffe anwendbar sind, kommt der Ethik-Kommission die anspruchsvolle Aufgabe zu, in Abhängigkeit von der jeweiligen Studie zu entscheiden, ob Risiko und Belastung durch eine konkrete Maßnahme noch minimal sind oder nicht. Ein Beispielkatalog minimaler Risiken und Belastungen in einem Leitfaden kann für diese Entscheidung eine hilfreiche Handreichung darstellen. (aus BÄK Stellungnahme zum Leitfaden des Europarats vom )
10 Definitionsversuche (AMG) Minimales Risiko (nach 41 Abs. 2 Nr. 2d AMG) wenn nach Art und Umfang der Intervention zu erwarten ist, dass sie allenfalls zu einer sehr geringfügigen und vorübergehenden Beeinträchtigung der Gesundheit der betroffenen Person führen wird. Minimale Belastung (nach ( 41 Abs. 2 Nr. 2d AMG) wenn zu erwarten ist, dass die Unannehmlichkeiten für die betroffene Person allenfalls vorübergehend auftreten und sehr geringfügig sein werden.
11 Definitionsversuche (Leitfaden Europarat) Studien mit minimalen Risiken bzw. mit minimalen Belastungen sind solche bei denen im Hinblick auf die Art und den Schweregrad der Intervention(en) auch im schlimmsten Fall nur äußerst geringfügige und vorübergehende schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit des Forschungsteilnehmers zu erwarten sind. bei denen zu erwarten ist, dass jegliches vorhersehbare Unbehagen aufseiten der Forschungsteilnehmer im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt auch im schlimmsten Fall nur äußerst geringfügig und vorübergehend ist.
12 Genannt sind 4 Beispiele von Studienmaßnahmen mit minimalem Risiko/Belastung nicht-invasive Gewinnung von Körperflüssigkeiten, z. B. eine Speichel- oder Urinprobe oder ein Wangenschleimhautabstrich Blutabnahme aus einer peripheren Vene oder Entnahme von Kapillarblut, bei der Entnahme von Gewebeproben z. B. während eines chirurgischen Eingriffs werden zusätzliche kleine Gewebeproben entnommen, geringfügige Erweiterungen von nicht-invasiven diagnostischen Maßnahmen unter Verwendung technischer Ausrüstung, wie z. B. Ultraschall, ein Ruhe-EKG, eine Röntgenaufnahme, eine CT-Aufnahme oder eine MRT-Aufnahme ohne Kontrastmittel
13 Definitionsversuche (EK Lübeck) Einstufung als Low Risk Studie, wenn einwilligungsfähige Personen rekrutiert werden und eine informierte Einwilligung eingeholt wird und keine genetischen Analysen stattfinden und nicht mehr als minimale Risiken/Belastungen* erkennbar sind. Beispiel minimales Risiko: einmalige venöse Blutentnahme von max. 50 ml Beispiel minimale Belastung: eine Nacht im Schlaflabor verbringen; an einem neuropsychologischen Testverfahren teilnehmen
14 Weitere Beispiele von Studien mit minimalem Risiko/Belastung Fragebogensurvey mit wenigstens sicher pseudonymisierten Daten Nutzung von Überschussmaterialien retrospektive Analyse an der Quelle anonymisierter Patientendaten (aus Akten, Archiven) Nicht-interventionelle Arzneimittelprüfungen ( AWB ) nach 4 (23) Satz 3 AMG. Diese Studien sind ausgezeichnet durch sehr geringfügige und seltene und vorübergehende studienbedingte Belastungen (NRS 0, 1, 2) und durch maximal geringfügige, seltene und vorübergehende studienbedingte Risiken (NRS 0, 1)
15 Aber Zu beachten sind Interaktionseffekte von Qualität x Schwere x Häufigkeit x Sicherheit von Risiken! Daher ist in jedem Fall ein Wert-, Kriterien- und Datenbasiertes Urteil von Nöten. Eine algorithmische Lösung wäre inadäquat.
16 Risikominimierung Es ist denkbar, eine grenzwertig belastende und/oder riskante Studie durch Belastungs- und/oder Risikominimierung in eine low risk -Studie zu verwandeln, z.b. durch angemessenen Datenschutz Umstellung auf nicht-invasive Erhebungen.
17 Und noch eine Frage: WIE HÄLT ES DIE EU-VERORDNUNG MIT MINIMALEM RISIKO BZW. MINIMALER BELASTUNG?
18 1. Aspekt Minimalinterventionelle klinische Prüfung ist eine klinische Prüfung, die alle folgenden Bedingungen erfüllt: a) Prüfpräparate zugelassen b) Verwendung der Prüfpräparate gemäß Zulassungsbedingungen oder evidenzbasierte Verwendung im Mitgliedsstaat (untermauert durch Veröffentlichungen) c) zusätzliche studienbedingte Verfahren im Vergleich zur normalen Praxis nur minimales zusätzliches Risiko bzw. minimale zusätzliche Belastung für Prüfungsteilnehmer Sie sollten weniger strengen Regeln hinsichtlich der Überwachung, der Anforderungen an den Inhalt des Master Files und die Rückverfolgbarkeit des Prüfpräparates unterliegen (bei gleichem Antragsverfahren)
19 2. Aspekt Gruppennützige klinische Prüfungen mit vulnerablen Gruppen (wie nichteinwilligungsfähige Erwachsene, Minderjährige, schwangere o. stillende Frauen, Notfallpatienten) und sofern die Prüfung den betroffenen Prüfungsteilnehmer im Vergleich zur Standardbehandlung seiner Krankheit nur einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung aussetzt (Artikel 31 g ii)
20 Die Interpretation der Begriffe minimales Risiko und minimale Belastung bedarf eines breiten ethischen Diskurses, der noch nicht abgeschlossen ist. (BÄK, Stellungnahme zum Leitfaden des Europarats vom )
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