Redemanuskript des Parlamentarischen Geschäftsführers Dr. Karl-Heinz. Gerstenberg zum Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenanklage gegen Herrn
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- Thomas Gerhardt
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1 Redemanuskript des Parlamentarischen Geschäftsführers Dr. Karl-Heinz Gerstenberg zum Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenanklage gegen Herrn Prof. Dr. Peter Porsch, 49. Sitzung des Sächsischen Landtages, 11. Mai 2006, TOP 8 Es gilt das gesprochene Wort! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will dem Ausschussvorsitzenden und dem Berichterstatter für ihre Ausführungen danken, denen ich mich inhaltlich vollständig anschließe. Ich bin jedoch überzeugt, dass diese heutige Debatte um den Antrag auf Abgeordnetenanklage nicht zu verstehen ist, wenn sie nur unter Juristen geführt wird und nicht zugleich aus historischer Sicht. Wir haben vor nunmehr über 15 Jahren das Ende der DDR erlebt, das Ende eines Staates, der sich als Diktatur der Arbeiterklasse ausgab, der aber in der Realität eine Diktatur der führenden Partei und ihrer Parteispitze war, die sich vom Schild und Schwert des MfS beschützen ließen. Es war dieses allgegenwärtige Spitzelsystem der Staatssicherheit, das der menschenverachtendste Teil des Repressionsapparates der ehemaligen DDR war, und es war mit Sicherheit zugleich der verhassteste. Deshalb wurde damals die Besetzung der Stasi-Zentralen zu einem Symbol der friedlichen Revolution. Deshalb haben die Menschen auch ihre Verachtung dokumentiert, wie z.b. an der Mauer in der Bautzener Straße in Dresden. Diese Lehren aus der Geschichte des Jahres 1989 haben nicht zuletzt in zwei Artikeln der Sächsischen Verfassung ihren Niederschlag gefunden. Im Artikel 83 wird
2 das Trennungsgebot von Nachrichtendienst und Polizei festgeschrieben ein Artikel, der unserer Fraktion damals in der Verfassungsgebung besonders wichtig war. Der andere ist der Verfassungsartikel 118, der die Bedingungen und den Weg für die Aberkennung des Mandats beschreibt, falls ein Abgeordneter des Sächsischen Landtags für das MfS gearbeitet hat. Unsere Fraktion fühlt sich diesem Verfassungsauftrag bis heute verpflichtet. Die heutige Debatte ist für mich persönlich Abschluss einer nahezu einjährigen parlamentarischen Beschäftigung mit dem Fall von Herrn Prof. Porsch. Diese Arbeit begann mit dem Eintreffen der von der Bundesbeauftragten übersandten Stasi- Unterlagen beim Bewertungsausschuss. Sie ging über die Entscheidung, gemeinsam mit meinen Fraktionskolleginnen und kollegen den Antrag auf Abgeordnetenanklage zu unterzeichnen, bis zur Bearbeitung dieses Antrags im Immunitätsausschuss. Ich bin offen und ohne Vorurteil in diesen Prozess hineingegangen und ich wiederhole hier noch einmal, was ich bereits im September 2005 erklärt habe: Ich hätte mir persönlich sogar ein anderes Ergebnis gewünscht. Aber die Auswertung der Unterlagen zeigt eine beeindruckende und eindeutige Faktenlage. Der Vorgang der Informationslieferung an die Staatssicherheit ist sehr dicht, detailliert und widerspruchsfrei dokumentiert. Das betrifft die dokumentierten Treffen, den Umfang, den Detailreichtum und das Themenspektrum der Berichte zu Personen, die Form der Kontaktaufnahme und nicht zuletzt die Tatsache, dass keinerlei Hinweise auf eine Legende existieren. Diese Fakten und die dazugehörigen Erläuterungen der Bundesbeauftragten und des Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen, die sie mündlich in den Befragungen des Ausschusses gegeben haben und die Ihnen schriftlich in den Stellungnahmen vorliegen, lassen aus meiner Sicht nur eine Schlussfolgerung zu: Für mich bestehen
3 nach dieser seit Juni 2005 anhaltenden umfassenden Auseinandersetzung keine Zweifel daran, dass Herr Prof. Porsch für das Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen ist. Ich bin davon überzeugt, dass er dies wissentlich und willentlich getan und dabei zuverlässig gearbeitet hat, nämlich Informationen an die Staatssicherheit geliefert. Die Abschöpfungstheorie hat sich nach meiner Überzeugung als reine Schutzbehauptung zur Verteidigung erwiesen. Das ist bekanntlich nicht nur meine persönliche Schlussfolgerung, sondern sie wird von der Mehrheit der Abgeordneten im Sächsischen Landtag geteilt. Bereits in der Begründung zur Abgeordnetenanklage ist formuliert: Im vorliegenden Fall hat eine Überprüfung hinsichtlich Prof. Peter Porsch MdL nicht nur einen Verdacht der Zusammenarbeit mit dem MfS, sondern zur Überzeugung des Landtages die entsprechende Gewissheit erbracht. Ich glaube, selbst diejenigen, die im September vielleicht noch Zweifel hatten, zwischenzeitlich aber die Unterlagen, Befragungen und Stellungnahmen zur Kenntnis genommen haben, werden zu diesem Schluss kommen- unabhängig davon welcher Fraktion sie angehören. Wahrscheinlich liegt hierin der Grund, dass sich die Abgeordneten der Linksfraktion.PDS in der gesamten Ausschussarbeit auf die Diskussion von Verfahrensfragen und vorgeblichen Formfehler beschränkt haben, aber der Auseinandersetzung in der Sache vollständig ausgewichen sind. Sehr geehrte Damen und Herren! Viel schwieriger als die Feststellung einer wissentlichen und willentlichen Tätigkeit für das MfS ist im vorliegenden Fall die Frage zu beantworten, ob deshalb eine Fortsetzung des Mandats untragbar erscheint. In dieser schwierigen Abwägung sind wir der Frage nachgegangen: Gibt es Gründe, die für die Weiterführung des Mandats sprechen? Diese Gründe könnten in der Vergangenheit vor 1990 liegen. Aber die
4 Informationstätigkeit gründete sich offensichtlich nicht auf Zwang, sie geschah nicht im jugendlichen Alter und sie war auch nicht kurzfristig. Aus den Dokumenten ist auch keine Absage an die Tätigkeit im MfS zu erkennen, nicht einmal der Versuch des Loslösens von diesem Unterdrückungsinstrument. Da sind keine Entlastungsgründe ersichtlich. Ausschlaggebend in der Abwägung war schließlich für mich und meine Fraktion die Frage, ob eine offene und aufrichtige Auseinandersetzung des Betroffenen mit diesem Teil seiner eigenen Biografie stattgefunden hat: Herr Prof. Porsch hat bis heute in allen Ausschüssen die Stellungnahme zu diesen Vorwürfen verweigert. Herr Prof. Porsch, wenn sie gesagt hätten: Ja, ich war überzeugter Marxist, ja, ich habe auch meine Arbeit für das MfS als einen Beitrag zur Stärkung des Sozialismus empfunden! Wenn sie das vielleicht sogar mit einer kritischen Reflexion verbunden hätten, dann hätte ich dieses Verhalten nach wie vor für politisch falsch gehalten, aber sie hätten meinen Respekt für Ihre offene Haltung gehabt. Und wahrscheinlich wäre mein Abwägungsergebnis, wie auch eventuell bei weiteren Mitgliedern meiner Fraktion dann ein anderes gewesen. Aber so hat sich mir Ihr Verhalten als ein Bild des Verdrängens und der selektiven Erinnerung dargestellt, als eine Strategie des Leugnens und Vertuschens im Umgang mit den erhobenen Vorwürfen. Insbesondere den Opfern des SED-Regimes ist Herr Prof. Porsch als Volksvertreter aus meiner Sicht und der unserer Fraktion unzumutbar. Nach intensiver Beratung sind alle Abgeordneten unserer Fraktion deshalb zu dem Schluss gekommen, dass uns eine Weiterführung des Mandats und damit die Ausübung einer wichtigen demokratischen Funktion in einem Rechtsstaat durch Herrn Prof. Porsch aufgrund dieses gravierenden Vorgangs untragbar erscheint. Sehr geehrte Damen und Herren! Immer wieder taucht die Frage auf, ob das nicht viel zu lange zurück liegt und ob mit dem Auslaufen der Auskünfte nach Stasi-Unterlagen-
5 Gesetz Ende dieses Jahres das Thema Staatsicherheit nicht ohnehin erledigt sei. Sicherlich, nach heutiger Lage der Dinge wird es ab dem Jahr 2007 keine Auskünfte und damit auch keine Überprüfungen mehr geben. Aber ist es denn nicht heute notwendiger denn je, die Aufarbeitung zur Arbeit dieses Repressionsapparats und zur Rolle seiner Auftraggeber in der SED-Führung weiterzuführen, die Forschung weiterzuführen, die Erinnerung an die Strukturen der Unterdrückung und ihre Opfer wach zu halten? Ich denke ja! Wir leben in einer Zeit, in der die Schrift an der Mauer der ehemaligen Bezirksverwaltung in der Bautzener Straße in Dresden verblasst ist und in der zugleich ehemalige hohe Stasi-Offiziere in Hohenschönhausen in einer Art letztem Gefecht ihre Opfer verhöhnen. Dem gilt es zu wehren! Ich selbst habe in der DDR unter den fehlenden Freiheitsrechten gelitten, aber ich war kein Stasi-Opfer, wie etliche andere hier im Landtag. Aber seit der demokratischen Stunde Null im Jahr 1990 war für mich klar: Ich stehe auf Seite derer, die gelitten haben, die benachteiligt wurden, die zu mir kamen, weil sie um ihre Rehabilitierung kämpfen mussten. Ebenfalls seit dem Jahr 1990 habe ich aber die PDS meist auf der anderen Seite erlebt, als Interessenvertreterin der Täter. Bis heute scheint sich daran wenig geändert zu haben, wie der aktuelle Bogen vom ISOR-Link auf der website des Leipziger Kreisverbandes bis zur fehlenden öffentlichen Auseinandersetzung mit den Vorwürfen zur Stasi-Vergangenheit Ihres Fraktionsvorsitzenden zeigt. Ich wünsche den Erneuerern in der Linkspartei.PDS allen Erfolg. Ich wünsche auch denjenigen erfolg, die mit ihren Vorstellungen von einem demokratischen und freiheitlichen Sozialismus die Diskussion beleben. Aber zur Erneuerung einer Partei gehört auch der Abschied von alten Milieus, gehört eine offensive und öffentliche Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte, gehören Kontakte und Gespräche nicht nur mit Stasi-Tätern, sondern auch mit Opfern. Voraussetzung dafür scheint mir
6 zuerst Klarheit zu sein, Klarheit im Denken und in der Sprache. Voraussetzung ist, um mit den Worten von Marianne Birthler zu sprechen, dass Politikerinnen und Politiker die Diktatur Diktatur nennen, die Täter Täter und die Opfer Opfer. Aber die Töne an der Spitze der Linkspartei klingen zurzeit anders: Da meint Gregor Gysi, einmal etwas Löbliches über die Stasi sagen zu müssen, und der Ehrenvorsitzende Hans Modrow versteigt sich sogar zu der Behauptung, die Aktenberge seien eigentlich Harmlosigkeiten. Ich halte diesen Spruch aus dem Munde eines ehemaligen SED-Bezirkssekretärs für ebenso unverschämt wie niederträchtig. Das ist eine Verhöhnung der Opfer, der Menschen die bespitzelt und verfolgt wurden, deren Lebensläufe und persönliche Beziehungen zielgerichtet zerstört wurden, die verhaftet und gequält wurden. Sehr geehrte Damen und Herren! Im Falle von Herrn Prof. Porsch haben die handelnden Personen der Linksfraktion.PDS kaum etwas zur Aufklärung beigetragen, sondern lieber Nebelkerzen geworfen. Dazu gehört der über viele Monate anhaltende Dauerversuch, im Ausschuss Verfahrensfragen zu diskutieren und Sachfragen auszuweichen. Ich denke aber auch an die Strategie von Herrn Prof. Porsch, die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe auf dem Rechtsweg zu verhindern. Nachdem bereits seit 2004 die Medien anhaltend mit Klagen überzogen werden, sah ich mich selbst in der vergangen Woche mit einer Unterlassungserklärung konfrontiert. Ich sehe darin ein besonders übles Beispiel für das Ausweichen vor der politischen Auseinandersetzung und einen Tiefpunkt im Umgang von Landtagsabgeordneten miteinander. An meiner Haltung in der Sache hat das nichts geändert, ebenso wenig an der
7 Meinung meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen. Ich werde mich auch nicht der Drohung mit den NPD-Stimmen beugen, denen Herr Leichsenring heute mit seinen abscheulichen und volksverhetzenden Worten neue Nahrung gegeben hat. Werte KollegInnen und Kollegen der Linksfraktion.PDS! Ich habe mir ebenso wie die anderen Mitglieder unserer Fraktion mir in der geschilderten Weise meine Meinung gebildet und in gründlicher Abwägung eine Entscheidung getroffen, eine Entscheidung, die in den letzten Tagen oft als Gewissensentscheidung bezeichnet wurde. Wir machen uns in dieser wie in allen anderen politischen Fragen nicht von der Haltung der Neonazis im Parlament abhängig. Wir lassen uns aber auch nicht von der Linksfraktion.PDS politisch erpressen.
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