B e g r ü n d u n g :
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- Ingelore Schulz
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1 Bsw 29713/05 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer IV, Beschwerdesache Stamose gg. Bulgarien, Urteil vom , Bsw /05. Art. 8 EMRK, Art. 13 EMRK, Art Prot. EMRK - Zweijährige Reisesperre nach Ausweisung aus den USA. Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig). Verletzung von Art Prot. EMRK (einstimmig). Keine gesonderte Prüfung der Beschwerde unter Art. 8 EMRK (einstimmig). Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig). B e g r ü n d u n g : Sachverhalt: Der Bf., der seit 2010 im Vereinigten Königreich lebt, reiste 1998 mit einem Studentenvisum in die Vereinigten Staaten von Amerika ein, nachdem er sich an einer Universität in Missouri eingeschrieben hatte. Er brach sein Studium jedoch später ab und nahm eine bezahlte Beschäftigung auf. Da er dadurch die Bedingungen seines Visums verletzte, eröffneten die US-Behörden im Januar 2000 ein Ausweisungsverfahren gegen den Bf. und schoben ihn am nach Bulgarien ab. Im April 2000 heiratete die Mutter des Bf. einen amerikanischen Staatsbürger und erhielt im Mai 2000 einen Daueraufenthaltstitel in den Vereinigten Staaten. Der Bruder des Bf. hält sich ebenfalls dauerhaft dort auf. Am wurde dem Bf. von den bulgarischen Behörden beginnend mit dem eine
2 2 Bsw 29713/05 zweijährige Reisesperre auferlegt und wurde die zuständige Behörde angewiesen, seinen Pass einzuziehen. Am wurde der Bf. ersucht, seinen Pass abzugeben. Der Bf. begehrte eine gerichtliche Überprüfung der Anordnung, da die Verwaltungsbehörden den Fehler gemacht hätten, seine persönliche Situation nicht zu berücksichtigen und sich entschieden hätten, das ihnen eingeräumte Ermessen gegen ihn zu verwenden. Das Stadtgericht von Sofia wies den Antrag des Bf. am ab. Das Oberste Verwaltungsgericht bestätigte das Urteil der unteren Instanz am Es befand u.a., dass das bulgarische Recht den Behörden Ermessen einräumte, ob sie die gegenständliche Maßnahme verhängten oder nicht und ihre diesbezügliche Wahl nicht von den Gerichten überprüft werden könne. Im Fall des Bf. hätten die Behörden alle bedeutsamen Umstände berücksichtigt und entschieden, dass die Maßnahme erforderlich gewesen sei. Rechtsausführungen: Der Bf. rügt eine Verletzung von Art Prot. EMRK (Recht auf Freizügigkeit), da das Verbot, Bulgarien zu verlassen, ungerechtfertigt und unverhältnismäßig gewesen sei. Der Bf. behauptet ferner eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Familienlebens), da er nicht in die Vereinigten Staaten reisen könne, wo seine Mutter und sein Bruder leben. Er rügt auch eine Verletzung von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz), da die Gerichte die Verhältnismäßigkeit des Verbots nicht überprüft hätten. Zur behaupteten Verletzung von Art Prot. EMRK
3 3 Bsw 29713/05 Die Beschwerde ist weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig). Inhaltlich wirft der vorliegende Fall eine etwas neue Frage auf, da der GH bislang noch nicht Gelegenheit hatte, über Reisesperren abzusprechen, die dafür bestimmt sind, Verletzungen von nationalen oder ausländischen Einwanderungsbestimmungen zu verhindern. Die in den bisherigen Fällen unter Art Prot. EMRK angewendeten Grundsätze sind jedoch trotz der Unterschiede auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Art. 2 Abs Prot. EMRK garantiert jeder Person das Recht, jedes Land zugunsten eines anderen Lands ihrer Wahl zu verlassen, das sie aufnimmt. Das Verbot gegenüber dem Bf., Bulgarien zu verlassen, stellte ohne Zweifel einen Eingriff in dieses Recht dar. Das Gleiche gilt für die damit verbundene Einziehung seines Passes. Es muss daher festgestellt werden, ob dieser Eingriff»gesetzlich vorgesehen«war, eines oder mehrere der in Art. 2 Abs Prot. EMRK angeführten legitimen Ziele verfolgte und ob er für die Erreichung eines solchen Ziels»in einer demokratischen Gesellschaft notwendig«war. Der Eingriff hatte eindeutig eine Grundlage im nationalen Recht. Es ist weiters offensichtlich, dass er dazu bestimmt war, Verletzungen der Einwanderungsbestimmungen anderer Staaten zu verhindern und davor abzuschrecken, um so die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, dass diese Staaten anderen bulgarischen Staatsangehörigen die Einreise auf ihr Staatsgebiet verweigern oder ihr Visum-Regime gegenüber bulgarischen Staatsangehörigen verschärfen bzw. nicht lockern. Selbst wenn der GH annimmt, dass der Eingriff die legitimen Ziele der Aufrechterhaltung des ordre public oder
4 4 Bsw 29713/05 des Schutzes der Rechte anderer verfolgte, muss dieser Punkt im vorliegenden Fall nicht weiter untersucht werden, da wie nachstehend ausgeführt wird die Reisebeschränkung jedenfalls den Test hinsichtlich der Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft und der Verhältnismäßigkeit nicht bestanden hat. Das dem Bf. auferlegte Reiseverbot war zwar von nicht allzu langer Dauer, nämlich genau zwei Jahre. Entscheidend ist aber, ob es überhaupt verhältnismäßig war, dem Bf. automatisch zu verbieten, in irgendein fremdes Land zu reisen, weil er die Einwanderungsbestimmungen eines konkreten Landes verletzt hat. Der GH kann eine solche pauschale und unterschiedslose Maßnahme nicht als verhältnismäßig erachten. Die gewöhnliche Folge einer schweren Verletzung der Einwanderungsbestimmungen eines Landes wäre, dass die betroffene Person aus diesem Land entfernt wird und ihr (durch die dortigen Gesetze) verboten wird, für eine bestimmte Zeit wieder in dessen Staatsgebiet einzureisen. Der Bf. hatte für die Verletzung der Bedingungen seines Studentenvisums auch wirklich solche Folgen zu tragen, indem er aus den Vereinigten Staaten ausgewiesen wurde. Es erscheint ziemlich hart von Seiten des bulgarischen Staates, der nicht direkt von dem Verstoß des Bf. betroffen war, ihn zusätzlich für zwei Jahre daran zu hindern, in irgendein anderes fremdes Land zu reisen. Darüber hinaus haben die Behörden keine Gründe für ihre Anordnung geliefert und hielten es offensichtlich nicht für notwendig, die persönliche Situation des Bf. zu untersuchen. Die Gerichte stellten später fest, dass sie die Ausübung des diesbezüglichen Ermessens der Behörden nicht überprüfen konnten. Obwohl die betreffende Bestimmung
5 5 Bsw 29713/05 ihnen Ermessen im Hinblick auf die Auferlegung der streitgegenständlichen Maßnahme einräumte, gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Behörden bei der Ausübung dieses Ermessens speziell den Bf. betreffende Faktoren berücksichtigt haben wie die Schwere des Verstoßes, der seine Ausweisung aus den Vereinigten Staaten veranlasst hatte, das Risiko, dass er weitere Verletzungen von Einwanderungsbestimmungen anderer Staaten begehen könnte, seine familiäre Situation, seine finanzielle und persönliche Situation oder die Existenz irgendeiner Vorgeschichte. Der GH hat bereits früher festgestellt, wenn auch in unterschiedlichen Zusammenhängen, dass solche allgemeinen und praktisch automatischen Beschränkungen nicht als nach Art Prot. EMRK gerechtfertigt angesehen werden können. Es ist wahr, dass während des Zeitraumes, der der Annahme der Gesetzesbestimmungen, auf die die Maßnahme gestützt wurde, voranging, Bulgarien ein Ausgangspunkt von Migration geworden war. Unter diesen Umständen ist es zumindest vertretbar, dass Bulgarien es aus Gründen des internationalen Einvernehmens und praktischen Gründen als notwendig erachtete, andere Staaten bei der Umsetzung ihrer Einwanderungsregelungen und -politiken zu unterstützen. Es scheint auch, dass diese Gesetzesbestimmungen als Teil eines Maßnahmepakets, dass dazu bestimmt war, die Befürchtungen u.a. der damaligen Mitgliedstaaten der EU hinsichtlich illegaler Auswanderung aus Bulgarien zu zerstreuen, angenommen und dann verschärft wurden. Sie hatten auch Anteil an der Entscheidung der Union im März 2001, bulgarische Staatsangehörige vom Erfordernis eines Visums für Kurzzeitaufenthalte auszunehmen. Acht Jahre danach, im Jahr 2009, wurden die Bestimmungen aufgehoben, als der
6 6 Bsw 29713/05 Bedarf für sie zurückging. Dass das Gesetz, das die streitgegenständliche Maßnahme ermöglichte, vor diesem Hintergrund angenommen wurde, macht es jedoch nicht immun gegen eine Überprüfung nach der Konvention. Auch die Maßnahme selbst kann, so wie sie auf den Bf. angewendet wurde, nicht durch die bloße Tatsache gerechtfertigt werden, dass sie durch einen solchen Druck veranlasst wurde. Auch wenn der GH bereit sein könnte zu akzeptieren, dass ein Verbot, sein eigenes Land zu verlassen, das im Hinblick auf Verstöße gegen die Einwanderungsbestimmungen eines anderen Staates auferlegt wird, in bestimmten zwingenden Situationen als gerechtfertigt angesehen werden kann, befindet er nicht, dass die automatische Auferlegung einer solchen Maßnahme ohne Rücksicht auf die persönlichen Umstände der betroffenen Person als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig angesehen werden kann. Verletzung von Art Prot. EMRK (einstimmig). Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK Dieser Beschwerdepunkt ist weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig. Er muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig). Im Hinblick auf die bereits festgestellte Verletzung von Art Prot. EMRK ist es nicht notwendig, die Beschwerde auch unter Art. 8 EMRK zu untersuchen (einstimmig). Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK Die Beschwerde ist weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig). Angesichts der Feststellungen im Hinblick auf das dem Bf. auferlegte Reiseverbot befindet der GH, dass
7 7 Bsw 29713/05 seine Beschwerde unter Art. 2 Abs Prot. EMRK vertretbar war. Es muss daher festgestellt werden, ob ihm ein effektives Rechtsmittel im Sinne des Art. 13 EMRK zur Verfügung stand. Die Hauptfrage scheint zu sein, ob die Gerichte die Anträge des Bf. und die folgenden Berufungen mit ausreichender Sorgfalt und unter Bezugnahme auf Umstände, die für die Rechtfertigung des Verbots nach der Konvention von Bedeutung sind, untersuchten. Wie aus ihren Entscheidungen ersichtlich ist, betrachteten sie die Argumente des Bf. als unerheblich, die sich auf die Rechtfertigung der Maßnahme bezogen und waren allein um die formale Gültigkeit des Verbots besorgt. Die Gerichte stellten insbesondere fest, dass sie die Beurteilung der Behörden im Rahmen von deren Ermessen hinsichtlich des Bedarfs des Verbots nicht überprüfen konnten. Dies stellt jedoch ein Schlüsselelement der von Art. 2 Abs Prot. EMRK geforderten Abwägung dar. Ein Verfahren, das aufgrund seines begrenzten Prüfrahmens keine Möglichkeit bietet, sich mit dem Inhalt einer vertretbaren Beschwerde unter der Konvention auseinanderzusetzen, kann die Erfordernisse von Art. 13 EMRK nicht erfüllen. Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig). Entschädigung nach Art. 41 EMRK Der Bf. hat keine Entschädigung beansprucht. Vom GH zitierte Judikatur: Riener/BG v = NL 2006, 123 Gochev/BG v = NL 2009, 337 Nalbantski/BG v Pfeifer/BG v Hinweis:
8 8 Bsw 29713/05 Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom , Bsw /05 entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2012, 384) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt. Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf- Format): f Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ( abrufbar.
Entschädigung nach Art. 41 EMRK: 1.000,- für immateriellen Schaden, 3.500, für Kosten und Auslagen (einstimmig).
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