Europarecht Dezember 2009
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1 Europarecht Dezember 2009
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3 Verträge aus dem Internet
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5 Die Organe der Europäischen Gemeinschaft
6 1. Allgemeines Arts. 2 und 3 EGV alt Zuordnung in Art. 3 EGV-alt
7 Verfassungsprinzipien Prinzip des institutionellen Gleichgewichtes Das Prinzip der begrenzten (Einzel)ermächtigung Das Prinzip der Subsidiarität
8 Prinzip des institutionellen Gleichgewichtes Art. 19 EUV (Art. 220 EGV-alt) Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV; Art. 230 EGV-alt Zweck
9 Das Prinzip der begrenzten (Einzel)ermächtigung Art. 5 Abs. 2 EUV (Art. 5 Abs. 1 EGV-alt) Gemeinschaft wird innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnissen und gesetzten Zielen tätig Konkretisierung durch Art. 13 EUV (Art. 7 Abs. 1 EGV-alt) Loyale Zusammenarbeit zwischen den Organen keine allgemeine Befugnis zur Verwirklichung der Vertragsziele; keine Kompetenz-Kompetenz:
10 Das Prinzip der Subsidiarität Art. 5 Abs. 3 EUV (Art. 5 Abs. 2 EGV-alt)
11 Beschlussfassungsverfahren Rat der Europäischen Union Europäische Kommission Europäische Parlament Erarbeitung der politischen Programme und Rechtsvorschriften Initiativrecht: EK Annahme/Änderung: EP und Rat Umsetzung: EK oder MS
12 2. Das demokratische Verfassungsprinzip in der EU Art. 6 EUV (Art. 6 EGV-alt) (EuGH): Verfassungsprinzip der Demokratie ist als Grundsatz der RO der EG anzusehen Mehrebenensystem Reformvertrag: Stärkung des EP Institutionellen Gleichgewichts und Gewaltenteilung als Ersatz für das demokratische Verfassungsprinzip
13 Das demokratische Verfassungsprinzip in der EU Art. 10 EUV Die Arbeitsweise der Union beruht auf der repräsentativen Demokratie. + unmittelbar + mittelbar Art. 13 EUV: Unterteilung zwischen +Mitwirkung im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (EP, Rat, EK, EuGh, EZB) + beratende oder sonstige Aufgaben (Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen)
14 Übersicht über die Organe Rat der Europäischen Union Europäischer Rat Europäische Kommission Europäischer Gerichtshof Europäisches Parlament Europäischer Rechnungshof Nebenorgane
15 Rat der Europäischen Union zentrale Lenkungsund Entscheidungsorgan der EU
16 Wichtigsten Aufgaben und Befugnisse Rechtsetzende/ gesetzgebende Gewalt- Entscheidung gemeinsam mit EK und EP Koordinierung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der MS Abschluss internationaler Abkommen Haushaltsbehörde
17 Zusammensetzung 27 Fachminister der Zentral- und Regionalregierungen der MS Verschiedene Formationen Verbindliches Handeln für die Regierungen der MS Vorsitz nach System gleichberechtigter Rotation Vorbereitung und Koordinierung: Ausschuss Ständiger Vertreter (AStV), spezialisierte Ausschüsse
18 Beschlusserfordernisse Neu: grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit Ab : qualifizierte Mehrheit im Rat ab einer Mehrheit von 55% der Mitglieder des Rates bestehend aus 15 Mitgliedern des Rates (= Personen) erreicht, sofern diese 65 % der Bevölkerung der Union entsprechen Sperrminorität (ausdrückliche Gegenstimmen (Art. 16 Abs. 4 EUV) Stärkung des Initiativrechts der EK Mehr Transparenz und Demokratie in den Entscheidungsprozessen
19 Art 16 Abs 4 EUV neu Mehrheit von mindestens 55% der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die von diesen vertretenen MS zusammen mindestens 65% der Bevölkerung der Union ausmachen Für eine Sperrminorität sind mindestens vier Mitglieder des Rates erforderlich, andernfalls gilt die qualifizierte Mehrheit erreicht Die übrigen Modalitäten über die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit sind in Art 238 Abs 3 AEUV festgelegt Nicht alle Mitglieder des Rates sind stimmberechtigt Art 238 Abs 3 lit a 2.S.
20 Europäischer Rat Arts. 10 und 15 EUV
21 Aufgaben und Befugnisse Impulssetzung für die Entwicklung der Union Festsetzung der allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten allgemeine Richtlinienkompetenz jedoch nicht gesetzgeberisch tätig (Art. 15 Abs. 1 EUV), keiner gerichtlichen Überprüfung seiner Handlungen
22 Zusammensetzung Staats- und Regierungschefs der MS, dem Präsidenten der EK, dem Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik sowie dem Präsidenten des Europäischen Rates selbst (Art. 15 Abs. 2 EUV)
23 Verwechslungsgefahr Rat der Europäischen Union + Aufgaben: Koordination der gemeinsamen Wirtschaftspolitik der MS, Festlegung der Grundsätze der Allgemeinen Sicherheitspolitik nach Vorgaben des Europäischen Rates, Abschluss internationaler Abkommen zwischen der EU und Drittstaaten oder Internationalen Organisationen, Maßnahmen im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit, zusammen mit EP Haushaltsbehörde. + Zusammensetzung: Fachministern aus den MS (Vertreter jedes MS auf Ministerebene), je nach Themenbereich unterschiedliche Formationen. + Entscheidungskompetenzen: Gesetzgebende Gewalt und entscheidet grs mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament. Jeder Minister kann für seine Regierung verbindlich handeln. NEU! Entscheidung grs mit qualifizierter Mehrheit)
24 Europäischer Rat: höchstes Lenkungsorgan der EU + Aufgaben: Impulssetzung für die Entwicklung der Union und Festlegung der allgemeinen politischen Zielvorstellungen. + Zusammensetzung: Staats- und Regierungschefs der MS, dem Präsidenten der EK, dem Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik sowie dem Präsidenten des Europäischen Rates selbst (Art. 15 Abs. 2 EUV) + Entscheidungskompetenz: allgemeine Richtlinienkompetenz, wird nicht gesetzgeberisch tätig
25 Europarat 5. Mai 1949 Der Europarat ist eine gesamteuropäische Organisation mit 47 Mitgliedsstaaten (außer Weißrussland); Sitz: Straßburg Ziele - die Menschenrechte, die parlamentarische Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit zu schützen; - die Entwicklung und das Bewusstsein für die kulturelle Identität und Vielfalt Europas zu fördern; - gemeinsame Lösungen zu finden für die Herausforderungen der europäischen Gesellschaft wie z.b Diskriminierung von Minderheiten, Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Bioethik und Klonen, Terrorismus, Menschenhandel, organisierte Kriminalität und Korruption, Computerkriminalität, Gewalt gegen Kinder; - die demokratische Stabilität Europas durch die Unterstützung politischer, gesetzlicher und verfassungsrechtlicher Reformen zu konsolidieren. Das aktuelle politische Mandat des Europarates wurde beim Dritten Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Mai 2005 in Warschau festgelegt.
26 Europäische Kommission Art. 17 Abs. 1 EUV Die Europäische Kommission und ihre Mitglieder haben die Aufgabe, die allgemeinen Interessen der Union zu fördern und geeignete Initiativen zu diesem Zweck zu ergreifen
27 EK (I) EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bleibt im Amt. Das Europäische Parlament hat den Portugiesen für fünf Jahre wiedergewählt dabei wird die Arbeit des konservativen Politikers von vielen Abgeordneten sehr kritisch beurteilt. Brüssel - EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso wird fünf weitere Jahre im Amt bleiben. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Straßburg stimmten mehrheitlich für Barroso. Der 53-jährige rechtsliberale Portugiese erhielt die Stimmen von 382 Abgeordneten. 219 Parlamentarier, vor allem Grüne und Linke, votierten gegen Barroso. 117 Parlamentarier, die meisten davon Sozialdemokraten, hatten sich enthalten. Barroso hatte keinen Gegenkandidaten.
28 Aufgaben und Befugnisse a) Anwendung der Verträge b) Anwendung des Unionsrechts unter der Kontrolle des EuGH zu überwachen. c) den Haushaltsplan der EU auszuführen und deren Programme zu verwalten d) die Vertretung der EU nach Außen e) Initiativorgan Initiativmonopol (Art. 15 Abs. 2) Abgeleitete Rechtsetzungsbefugnis Komitologie
29 Zusammensetzung Art. 17 Abs. 3 EUV und Art. 245 AEUV : allgemeinen Befähigung und volle Gewähr für Unabhängigkeit Art. 17 Abs. 7 EUV: Ernennungsverfahren (Rocco Buttiglione) Amtszeit/ Wiederernennung ( Art 17 Abs 3 EUV neu) Art. 247 AEUV: Amtsenthebung Art. 17 Abs 8 EUV neu und 234 AEUV: Misstrauensvotum Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik als Vizepräsidenten der EK- Vorsitz im Rat Auswärtige Angelegenheiten Weisungsfreiheit Entscheidung mit Mehrheit der Mitglieder
30 Aufgaben und Befugnisse a) Anwendung der Verträge b) Anwendung des Unionsrechts unter der Kontrolle des EuGH zu überwachen. c) den Haushaltsplan der EU auszuführen und deren Programme zu verwalten d) die Vertretung der EU nach Außen e) Initiativorgan Initiativmonopol (Art. 15 Abs. 2) Abgeleitete Rechtsetzungsbefugnis Komitologie
31 Zusammensetzung Art. 17 Abs. 3 EUV und Art. 245 AEUV : allgemeinen Befähigung und volle Gewähr für Unabhängigkeit Art. 17 Abs. 7 EUV: Ernennung Art. 247 AEUV: Amtsenthebung Art. 243 AEUV: Misstrauensvotum Richtlinienkompetenz des Präsidenten der EK Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik als Vizepräsidenten der EK- Vorsitz im Rat Auswärtige Angelegenheiten Weisungsfreiheit Entscheidung mit Mehrheit der Mitglieder
32 Europäischen Gerichtshofes Sicherung der Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages
33 Aufgaben und Befugnisse Art. 19 Abs. 2 EUV (Art. 220 EGV-alt): Sicherung der Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages klar definierte Zuständigkeiten keine umfassende Zuständigkeit des EuGH zur Entscheidung über sämtliche Streitigkeiten, welche Europarecht berühren, noch eine Zuständigkeit des Gerichtshofes für ein bestimmtes Verfahren zur Gewährung von Rechtsschutz System von Klagen (Actiones-System) Art. 19 Abs. 1 EUV zur Wahrung des Rechts den Auftrag zur Wahrung der Verfassungsordnung der EG EuGH , Gutachten 1/91, EWR I, I-6079: Aufgrund dieses Auftrages erachtet es der EuGH als seine ausschließliche Zuständigkeit, über die Einhaltung der Autonomie des Rechtssystems der Gemeinschaft zu wachen
34 Zusammensetzung Art. 19 EUV 27 Richter Qualifikationen für Ernennung Amtszeit: 6 Jahre, Wiederernennung möglich Generalanwälte Plenum, (u. a. Amtsenthebung des Europäischen Bürgerbeauftragten oder eines Mitglieds der EK Verletzung der Amtpflichten; Rechtssache von außergewöhnlicher Bedeutung), Große Kammer mit dreizehn Richtern (Beantragung durch einen MS oder Gemeinschaftsorgan als Partei, in besonders komplexen oder bedeutsamen Rechtssachen) oder als Kammer mit drei oder fünf Richtern
35 Europäisches Parlament Zuwachs an Befugnissen bis heute kein gleiches Wahlrecht innerhalb der EU Vertretung der Bürger innerhalb des EP richtet sich nach der Anzahl der einem MS jeweils zukommenden Abgeordneten und ein massives demographisches Gefälle innerhalb der Wahlkreise der Abgeordneten
36 Aufgaben und Befugnisse Stärkung und Erweiterung durch Reformvertrag Art. 14 EUV: EP gemeinsam mit Rat als Gesetzgeber der Union Mitentscheidung: Befugnis, Rechtsakte des Sekundärrechts zu verabschieden; Annahme, Abänderung oder Ablehnung EP und Rat bilden gemeinsam die Haushaltsbehörde der EU Kontrolle über die Tätigkeiten der EU - Petitionsrecht der Unionsbürger - Vertragsverletzungsklage gegen MS oder Untersuchungsausschüsse Befugnis, den Präsidenten der EK zu befürworten oder aber aus einer Liste zu wählen, die ihm vom Europäischen Rat übermittelt wird (Art. 17 Abs. 7 EUV).
37 Zusammensetzung Gesamtzahl aus nationalen Kontingenten Keine nationale Fraktionen sondern nach parteipolitischen Zugehörigkeit in übernationalen, ideologischen Gruppierungen keine einheitliche gemeinschaftsweit geltende Wahlordnung Wahl der Abgeordneten (Art. 223 Abs. 1 AEUV) Gegenwärtig: 785 Abgeordnete, die seit 1979 von den Bürgern der EU auf die Dauer von fünf Jahren direkt gewählt werden (Arts. 189ff EGV-alt) Reformvertrag: 750 Abgeordnete
38 II. Verfassungsprinzipien der Europäischen Gemeinschaften
39 1. Verfassungsordnung und Verfassungsprinzipien der Europäischen Union = eine auf politische Herrschaftsregulierung spezialisierte und mit einem Instrumentarium ausgestattete rechtliche Grundordnung eines Gemeinwesens Der EuGH bezeichnet den EG-Vertrag als grundlegende Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft (EuGH Gutachten 1/91): 1. autonome Rechtsordnung neuen Typs (Costa ENEL) 2. Grundfreiheiten des AEUV als konstitutionalisierte Freiheitsrechte 3. Machtbegrenzung- Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 2 EUV neu bzw. Art 5 Abs 1 EGV) nicht einer geschriebenen Verfassungsurkunde zu entnehmen in der Judikatur des EuGH erarbeitet und fortentwickelt
40 Nähere Bestimmung der Verfassungsprinzipien Verfassungsprinzipien soll geschriebene und ungeschriebene Grundsätze zu einer Kategorie zusammenfassen: * Kollisionsregeln: Vorrang und unmittelbare Wirkung * materiellrechtlichen Bestimmungen
41 Frage 5: (5P) FÜM November 2007 und April 2008 a) Was versteht man unter den Verfassungsprinzipien der Europäischen Gemeinschaften? (1 P) b) Zählen Sie drei materiellrechtliche Prinzipien auf, die zu den Verfassungsprinzipien der Europäischen Union gehören! (4P)
42 Musterlösung a) Die Bezeichnung Verfassungsprinzipien der Europäischen Gemeinschaft fasst sowohl geschriebene als auch ungeschriebene Grundsätze des EG- Vertrages zusammen.1p) b) Dazu zählen etwa: - der Grundsatz der Nichtdiskriminierung (1P), - die 4 Grundfreiheiten [Warenverkehrsfreiheit, Personenfreiheit (Niederlassungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit), Dienstleistungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit](2P) - sowie die im Gemeinschaftsrecht verankerten Grundund Menschenrechte (1P).
43 Prinzip des Institutionellen Gleichgewichts Prinzip der Gewaltenteilung, das sämtliche Organe der EG beachten müssen Kontrolle der staatlichen Gewalten und ihres Gleichgewichtes ( checks and balances Kern von Zuständigkeiten- Änderung nur durch die Herren der Verträge
44 Rechtsnatur Autonomie des Gemeinschaftsrechts grundlegende Struktur des Gemeinschaftsrechts für: + Vorrang + unmittelbare Wirkung des Gemeinschaftsrechts
45 Autonomie Aus dem Verfassungsprinzip der Autonomie des Europarechts folgt, dass Europarecht eine autonome Rechtsordnung neuen Typs ist: - Begriffe des EUV sind eigenständig auszulegen, und nicht etwa anhand einer bestimmten mitgliedstaatlichen Rechtsordnung - eigenständige Interpretationsmethoden sind hierbei heranzuziehen ( Auslegung des Unionsrechts) - Rechtsschutz ist in dem System des EUV und des AEUV zu suchen
46 Van Gend & Loos Costa/ENEL Der EuGH hat bereits in den frühen Entscheidungen Van Gend & Loos sowie Costa/ENEL grundlegende Aussagen zu dieser Frage getroffen: Van Gend & Loos : Zum Unterschied von gewöhnlichen internationalen Verträgen hat der EWGVertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen, die bei seinem Inkrafttreten in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist. Denn durch die Gründung einer Gemeinschaft für unbegrenzte Zeit, die mit eigenen Organen, mit der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, mit internationaler Handlungsfähigkeit und insbesondere mit echten, aus der Beschränkung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft herrührenden Hoheitsrechten ausgestattet ist, haben die Mitgliedstaaten, wenn auch auf einem begrenzten Gebiet, ihre Souveränitätsrechte beschränkt und so einen Rechtskörper geschaffen, der für ihre Angehörigen und sie selbst verbindlich ist.
47 Vorrang des Gemeinschaftsrechts Europäisches Unionsrecht tritt neben das Recht der jeweiligen MS Widersprüchen zwischen beiden Rechtsordnungen, da EG-Recht autonom neben dem nationalen Recht steht EuGH Rs C-106/77, Simmenthal
48 EuGH Rs C-106/77 Simmenthal Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber jeglicher innerstaatlichen Norm Einheitlichkeit der Anwendung des Unionsrechts/Gemeinschaftsrechtes und dessen Effektivität würde in Frage gestellt werden, wenn eine Norm des Unionsrechts nicht Vorrang gegenüber einer widersprechenden nationalen Norm erhalten würde
49 EuGH Urteil Simmenthal (EuGH Rs C-106/77, Slg 1978, 629) Darüber hinaus haben nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts die Vertragsbestimmungen und die unmittelbar geltenden Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane in ihrem Verhältnis zum internen Recht der Mitgliedstaaten nicht nur zur Folge, dass allein durch ihr Inkrafttreten jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar wird, sondern auch da diese Bestimmungen und Rechtsakte vorrangiger Bestandteil der im Gebiet eines jeden Mitgliedstaats bestehenden Rechtsordnung sind -, dass ein wirksames Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte insoweit verhindert wird, in dem sich die Rechtsetzungsgewalt der Gemeinschaft auswirkt, oder die sonst mit den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts unvereinbar sind, irgendeine rechtliche Wirksamkeit zuerkannt, so würde insoweit die Effektivität der Verpflichtungen, welche die Mitgliedstaaten nach dem Vertrag vorbehaltlos und unwiderruflich übernommen haben, verneint, und die Grundlagen der Gemeinschaft selbst würden auf diese Weise in Frage gestellt.
50 Anwendungsvorrang Widerspruch zwischen Norm oder Bestimmung des nationalen Rechts einer Bestimmung des Unionsrechts Anwendung der Norm des Unionsrechts Innerstaatliche Recht bleibt jedoch weiterhin Bestandteil der Rechtsordnung und bleibt in Geltung gegenüber generellen Rechtsakten (wie Gesetzen oder Verordnungen) aber auch gegenüber individuellen Rechtsakten (wie Bescheiden, vgl. EuGH Rs C-224/97, Ciola, Slg 1999, I-2517) Vorrang des Gemeinschaftsrechts und der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu loyaler Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 10 EGV-alt)
51 EuGH Rs C-213/89, Factortame positiven Tun, um dem Unionsrecht effektiv zur Anwendung zu verhelfen Erlassung einer einstweiligen Verfügung wird als erforderlich erachtet, wenn durch den Zeitablauf in einem Verfahren der Vorrang des Gemeinschaftsrechts und dessen Effektivität nicht gewährleistet wären. Wenn daher dem Erlass einer einstweiligen Verfügung eine Bestimmung des nationalen Rechts entgegensteht, so ist diese unangewendet zu lassen
52 FÜM November 2007 (7P) Frage 3. Die Jusstudentin Julia erklärt ihrer Freundin Flora, die Biologie studiert, Folgendes: Wenn eine nationale Regelung mit einer gemeinschaftsrechtlichen Norm in Konflikt steht, muss der Bundespräsident die nationale Regelung aufheben. a) Hat Julia Recht? Wenn nein, warum? (2P) b) Erklären Sie Flora genau um welche Besonderheit im Gemeinschaftsrecht es sich hier handelt! (5P)
53 Musterlösung a) Nein, Julia hat nicht Recht. Der Bundespräsident hebt die nationale Regelung nicht auf. Die nationale Regelung bleibt weiterhin Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung, verliert nicht an Geltung und wird lediglich nicht angewandt. (2P) b) Was Julia erklären will, ist der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts. Da das Gemeinschaftsrecht autonom neben dem nationalen Recht gilt, kann es zu Widersprüchen zwischen den beiden Rechtsordnungen kommen. Nach ständiger Rechtssprechung des EuGH gilt der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber jeder innerstaatlichen Norm. Das bedeutet, dass Gemeinschaftsrechts widersprechendes innerstaatliches Recht in einem dem nationalen Gericht oder nationales Verwaltungsbehörden vorliegenden Streitfall nicht angewendet werden darf. Das entgegenstehende innerstaatliche Recht bleibt jedoch weiterhin Bestandteil der Rechtsordnung und verliert nicht seine Geltung. (5P)
54 Begriffe nach Winter unmittelbaren Anwendbarkeit : Rechtsquellen, die unmittelbare Geltung aufweisen und unmittelbar Rechte und Pflichten für natürliche und juristische Personen nach sich ziehen Unmittelbare Geltung : eine Norm wird ab ihrer Erlassung unmittelbar und sogleich Bestandteil der nationalen/mitgliedstaatlichen Rechtsordnung Unmittelbare Wirkung : natürliche oder juristische Personen können sich unmittelbar auf eine Norm des EU-Rechts vor einer nationalen Verwaltungsbehörde oder einem nationalen Gericht berufen, um aus dieser Norm Rechte abzuleiten
55 Unmittelbaren Wirkung oder der unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht/Unionsrecht a) die Gewährung eines unmittelbar auf Unionsrecht beruhenden Anspruchs eines Einzelnen (einer natürlichen oder juristischen Person), sich auf eine Norm des Unionsrechts (auf ein Recht) zu seinem Vorteil zu berufen, b) das Recht der Union, einem Einzelnen unmittelbar Pflichten aufzuerlegen, c) die an die Organe der Union, ihre Mitgliedstaaten und deren Untergliederungen gerichtete Pflicht, diesen Anspruch rechtmäßig zu vollziehen
56 Unmittelbare Anwendbarkeit von Primärrecht a.) hinreichend klar und bestimmt UND b.) keine weiteren von der Gemeinschaft oder nationalen Behörden zu setzenden Rechtshandlungen notwendig sein, um die Bestimmung durchzuführen
57 2. Primäres Unionsrecht Primäres Gemeinschaftsrecht Geschriebenes Recht (EUV u. AEUV, Beitrittsverträge) die im AEUV vorgesehenen Rechtshandlungen des Rates Ungeschriebenes Recht: die allgemeinen Rechtsgrundsätze
58 (I) Unmittelbare Anwendung wichtiger Bestimmungen des Primärrechts (ua) Verbot von Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV; Art. 12 EGV-alt) 4 Grundfreiheiten Gebot der Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen in der Gemeinschaft (Art. 157 AEUV; Art. 141 EGV-alt)
59 (II) Unmittelbare Anwendbarkeit von VO RL ( Rs Van Duyn) Sekundärrecht a) Ablauf der Umsetzungsfrist b) relevante Bestimmung ist hinreichend genau und bestimmt c) gewährt einer natürlichen oder juristischen Person ausschließlich Rechte Beschlüsse
60 Prüfung Oktober 2008 Frage 6: (5P) Die Fischereigewerkschaft von Astoria (Mitgliedsstaat der EU), erhebt beim EuGH gegen Astoria eine Klage. Es wird vorgebracht wird, dass 3 Fischereigesetz von Astoria gegen Art. 43 EGV verstößt. Der Regierung von Astoria wird im Wege einer einstweiligen Verfügung der Auftrag erteilt die betreffende Vorschrift bis zur Entscheidung durch den EuGH auszusetzen, da der Fischereigewerkschaft ein wahrscheinlich nicht wiedergutzumachender Schaden droht. Astoria bringt vor, dass nach dem alten Grundsatz des Lex Astoria gegen die Regierung keine einstweilige Anordnung ergehen könne. Was sagen Sie dazu aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht? Muss Astoria dem Auftrag der einstweiligen Verfügung nachkommen?
61 Musterlösung Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts und seine Effektivität müssen gewährleistet bleiben. (1P) Astoria hat nach dem im Art. 10 EGV ausgesprochenen Grundsatz der Mitwirkungspflicht den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für die einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt. (1P) Astoria muss die Erlassung einer einstweiligen Verfügung veranlassen und somit das nationale Recht unangewendet lassen (1P) da andernfalls die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts abgeschwächt werden würde. (1P) ( Factortame) 1P)
62 III. Rechtsquellen und Normenhierarchie im Europäischen Unionsrecht
63 1. Einführung Entstehungsgrund des Rechts Herkunft und Verankerung des Rechts geschriebene Rechtsquellen, ungeschriebene Rechtsquellen
64 2. Primäres Unionsrecht Primäres Gemeinschaftsrecht Geschriebenes Recht (EUV u. AEUV, Beitrittsverträge) die im AEUV vorgesehenen Rechtshandlungen des Rates Ungeschriebenes Recht: die allgemeinen Rechtsgrundsätze
65 Allgemeine Rechtsgrundsätze allg. Rechtsgrundsätze ies = ausschließlich aus Ziel u. System des EUV/ AEUV/ EUV alt entwickelt jene, die den Rechtsund Verfassungsordnungen der MS gemeinsam sind Vorrang, unmittelbare Wirkung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts Unionsrechtlich und gemeinschaftsrechtlich anerkannten Grund- und Menschenrechte
66 Exkurs In Gründungsverträgen kein Katalog von Grund- und Menschenrechten Entwicklung unions- und gemeinschaftseigener Grundrechte über die Anerkennung allgemeiner Rechtsgrundsätze EuGH Rs C-29/69, Stauder Bedeutung des Falles: Anerkennung der Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze Beitritt der EG zur EMRK nicht möglich Reformvertrag (Art. 6 EUV) rechtliche Verbindlichkeit der Charta der Grundrechte innerhalb des Systems der EU und Beitritt der EU EMRK (Art. 6 Abs 2 EUV) Grundrechte wie aus EMRK und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der MS abgeleitet stellen weiterhin allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts dar (Art. 6 Abs. 3 EUV)
67 Stauder: EuGH Rs 29/69 Die Entscheidung 69/71 ermächtigte die Mitgliedsstaaten, zum Zwecke des Abbaus überschüssiger Butter Sozialhilfeempfängern Butter zu herabgesetzten Preisen zur Verfügung zu stellen. Art. 4 sah in der deutschen Fassung der Entscheidung vor, dass die Begünstigten die Butter nur gegen einen auf den Namen des Empfängers ausgestellten Gutschein erhalten können. In Deutschland wurde auf dieser Grundlage eine dementsprechende Verwaltungsvorschrift erlassen. In anderen Sprachfassungen der Entscheidung war hingegen das Ausstellen von individualisierten Gutscheinen (ohne Erfordernis der Namensnennung) ausreichend. Herr Stauder war Empfänger einer sozialen Beihilfe und als solcher zum Empfang eines bestimmten Butterkontingents berechtigt. Er behauptete, dass er durch die Pflicht, vor dem Verkäufer seinen Namen bekanntgeben zu müssen, in seinen Grundrechten verletzt werde, die im deutschen Grundgesetz verbrieft sind. Das deutsche Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob diese Verpflichtung mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts vereinbar sei. Entscheidung des Gerichtshofs: Der EuGH legte die Bestimmung der Entscheidung - u.a. auch unter Heranziehung der anderen Sprachfassungen - aus und kam dabei zu dem Ergebnis, dass die Bestimmung die namentliche Bezeichnung des Berechtigten nicht vorschreibt, sie aber auch nicht untersagt. Bei dieser Auslegung enthalte die Vorschrift nichts, was die in den allgemeinen Grundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung, deren Wahrung der EuGH zu sichern hat, enthaltenen Grundrechte in Frage stellen könnte -> Bedeutung des Falles: Anerkennung der Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze
68 3. Sekundäres Unionsrecht von den Organen der EG für Verwirklichung der Ziele und Aufgaben der EU erlassen Stufenbau VO, RL, Entscheidungen Empfehlungen, Stellungnahmen
69 Verordnung (Art. 288 Abs. 2 AEUV) Instrument zur Rechtsvereinheitlichung Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in all ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Rs Scholten Honig Eine VO ist eine Maßnahme allgemeiner Geltung, da sie objektiv auf bestimmte SV anwendbar ist und Rechtswirkungen für allgemein und abstrakt umrissene Personengruppen zeitigt
70 VO allgemeine Geltung in allen ihren Teilen verbindlich Abgrenzung zu anderen Sekundärrechtsakten unmittelbaren Geltung in jedem MS Rs Variola Vollziehung des Unionsrechts durch mitgliedstaatlichen Vollzug
71 C- 101/76 Koninklijke Scholten Honig Die Firma Scholten Honig stellte Glukose mit hohem Fruchtzuckergehalt her wurde eine Verordnung erlassen, gemäß der ab dem Wirtschaftsjahr 1977/78 die Produktionserstattung (= eine Beihilfe) für die Herstellung von Glukose mit hohem Fruchtzuckergehalt abgeschafft werden sollte. Die Firma Scholten Honig klagte mittels Nichtigkeitsklage auf die Aufhebung dieser Verordnung. Die Nichtigkeitsklage zielt auf die Nichtigerklärung von Gemeinschaftsrechtsakten (Verordnung, Richtlinie, Entscheidung) ab sie darf von Einzelnen allerdings nur dann erhoben werden, wenn diese unmittelbar und individuell von einem Rechtsakt betroffen sind. Rat und Kommission argumentierten, dass die Klage unzulässig ist, weil eine VO ein Akt mit allgemeiner Geltung ist und diese Voraussetzungen nicht gegeben sind.
72 C-34/73 Variola Eine Verordnung (VO) des Rates aus dem Jahr 1962 setzte ein Verbot der Erhebung von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung auf Importe aus Drittstaaten ab 1963 fest. Italien setzte diese VO durch die Erlassung eines entsprechenden Gesetzes in nationales Recht um dieses nationale Gesetz setzte das Verbot der Erhebung von Zöllen allerdings erst ab 1972 fest (= Widerspruch zur Verordnung). Das Unternehmen Variola führte im Jahr 1965 aus Drittstaaten Getreide nach Italien ein. Dabei wurde es verpflichtet, genau jene Zollabgaben zu leisten, deren Erhebung die VO eigentlich schon ab 1963 verbat. Variola klagte bei einem italienischen Gericht auf Rückerstattung der geleisteten Abgaben, da diese der VO widersprachen. Der Richter setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH u.a. folgende Frage zur Vorabentscheidung vor: Ist für die unmittelbare Anwendbarkeit einer VO die Umsetzung in nationales Recht erforderlich oder überhaupt zulässig?
73 Richtlinie (Art. 288 Abs. 3 EGV) Instrument zur Rechtangleichung für jeden MS, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Formen und der Mittel der Erreichung dieses Ziels Adressat: ein oder mehrere oder alle MS
74 Wie ist umzusetzen? Rs C-58/89, Kommission gegen Deutschland Verwaltungspraxis, Rundschreiben oder generelle Weisung nicht ausreichend (vgl. etwa EuGH Rs C-160/82, Kommission gegen Niederlande) Umsetzung in Österreich: (Verfassungs-)Gesetze und Verordnungen auf Bundes- und Landesebene
75 RL ab dem Zeitpunkt ihrer Erlassung anwendbar, jedoch nicht unmittelbar wirksam Die unmittelbare Anwendbarkeit oder Wirksamkeit von gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen ist von jeder Verwaltungsbehörde bzw. von jedem nationalen Gericht zu beachten
76 Vertikale unmittelbare Wirkung von RL a.) Die in der RL enthaltene Norm muss hinreichend genau und bestimmt sein. (EuGH Rs C-8/81, Becker gegen Finanzamt Münster) b.) Die Norm muss Rechte an Einzelne verleihen c.) Die Umsetzungsfrist muss abgelaufen sein, ohne dass der MS die RL/die RLbestimmung umgesetzt hat oder der MS hat sie zwar rechtzeitig, aber schlecht umgesetzt. Estoppel- Prinzip
77 EuGH Rs C-8/81, Becker gegen Finanzamt Münster EuGH Rs 8/81, Becker/Finanzamt Münster Im Jahre 1977 beschloss der Rat die Sechste Umsatzsteuerrichtlinie 77/388 zur Vereinheitlichung der Umsatzsteuererhebung in den Mitgliedstaaten. Diese RL sah u.a. vor, dass gewisse Tätigkeiten, darunter auch die Vermittlung von Krediten, nicht mehr der Umsatzsteuer unterliegen. Die RL hätte bis umgesetzt werden sollen. Das entsprechende Umsatzsteuergesetz, das die RL umsetzte, trat in Deutschland allerdings erst am in Kraft. Die Kreditvermittlerin Ursula Becker wusste von dieser Sechsten RL und beantragte beim Finanzamt Münster Steuerbefreiung schon für ihre im Jahr 1979 erzielten Umsätze. Das Finanzamt lehnte diesen Antrag ab und besteuerte die Umsätze von Fr. Becker aufgrund der bis Ende 1979 geltenden deutschen USt-Vorschriften. Frau Becker erhob dagegen Klage beim Finanzgericht Münster und berief sich auf die Sechste Umsatzsteuerrichtlinie 77/388, die Deutschland zu spät umgesetzt hatte. Das Finanzgericht Münster setzte das Verfahren aus und richtete ein Vorabentscheidungsersuchen mit folgender Frage an den EuGH. Frage: Ist die Bestimmung über die Umsatzsteuerfreiheit der Sechsten Richtlinie bereits ab unmittelbar geltendes Recht der BRD? Wie hat der EuGH entschieden und wie begründet er seine Entscheidung?
78 Horizontale unmittelbare Wirkung von RL zwischen Privaten keine unmittelbare Wirkung Rs C-91/92, Paola Faccini Dori Staat (EuGH Rs C-188/89, Foster gegen British Gas) horizontale Wirkung in begrenztem Rahmen, als nach ständiger Rspr des EuGH Bestimmungen nationalen Rechts RLkonform auszulegen sind.
79 Rs C-91/92, Paola Faccini Dori Faccini Dori: Entscheidung des EuGH Horizontale unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien Nicht umgesetzte RL können nur in der Beziehung zwischen dem Staat und dem Einzelnen unmittelbare Wirkung entfalten, NICHT aber zwischen Einzelnen. Die Nichtumsetzung einer Richtlinie kann nämlich nur zu Lasten des Staates, nicht aber zu Lasten eines Einzelnen gehen. Das heißt, dass sich F nicht gegenüber der Firma auf die nicht umgesetzte RL berufen kann - ABER sie kann Schadenersatz von Italien verlangen, da es in der Verantwortung des italienischen Staates gelegen hätte, die RL umzusetzen (Allgemeines Prinzip des GemR: Staatshaftung s. Francovich) Der EuGH hat also die Anerkennung einer horizontalen Wirkung von RL ausdrücklich abgelehnt. Durch Faccini Dori wurde somit klargestellt, dass als zusätzliche Voraussetzung für eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien ein vertikaler Rechtsstreit gegeben sein muss. Auf eine RL kann man sich nicht gegen Private, sondern nur gegen den Staat berufen
80 EuGH Rs C-188/89, Foster gegen British Gas Die Firma British Gas war Rechtsnachfolgerin eines staatlichen Monopolunternehmens, der British Gas Corporation. Vor ihrer Privatisierung hatte die British Gas Corporation jene Angestellten, die die Altersgrenze für Pensionsansprüche erreicht hatten, zwangspensioniert. Dabei wurden auch Frau Foster und weitere Klägerinnen im Alter von 60 Jahren gegen ihren Willen pensioniert. Sie beriefen sich auf die Gleichbehandlungsrichtlinie (Richtlinie 76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg, um ein höheres Pensionsalter auch für Frauen durchzusetzen (die Altersgrenze für Männer lag bei 65 Jahren). Gemäß Art. 5(1) dieser RL beinhaltet der Grundsatz der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen..., dass Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährt werden ". Die Gleichbehandlungsrichtlinie war von der britischen Regierung zu jenem Zeitpunkt allerdings noch nicht vollständig umgesetzt worden. Die Firma British Gas bestritt, dass ihre Vorgängerin, die British Gas Corporation unter den Begriff des Staates fallen würde daher könne eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien nicht in Frage kommen. Wie hat der EuGH entschieden? Foster: Entscheidung des Gerichtshofs: Der Begriff des "Staates", gegenüber dem Richtlinien geltend gemacht werden können, ist weit auszulegen. Wenn sich der Einzelne gegenüber dem Staat auf eine Richtlinie berufen kann, so kann er dies unabhängig davon tun, in welcher Eigenschaft als Arbeitgeber oder als Hoheitsträger der Staat handelt. In dem einen wie dem anderen Fall muss nämlich verhindert werden, dass der Staat aus der Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts Nutzen ziehen kann. Die einzige Frage, die gemäß dem Test des EuGH zu stellen ist, lautet, ob der Arbeitgeber kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist. Ob der Arbeitgeber wirtschaftlich tätig ist, keine der traditionellen Funktionen des Staates ausübt und kein staatliches Organ ist, ist für diesen Test nicht relevant. Ein Organ des Staates kann daher auch eine öffentliche Behörde oder ein Privatunternehmen, das eine öffentliche Dienstleistung erbringt und dabei dem Staat oder dessen Aufsicht untersteht, sein. Somit konnte sich Frau Foster gegenüber der British Gas auf die Richtlinie berufen.
81 Richtlinienkonforme Auslegung auslegungsfähige nationale Vorschrift Wahl der im Rahmen nationaler Auslegungsmethoden Grenzen (vgl. EuGH Rs C-106/89, Marleasing) Grundsatz der Effektivität
82 Rs C-106/89, Marleasing unmittelbaren Anwendung von Richtlinien keine horizontale unmittelbare Anwendung (zwischen den zwei Kapitalgesellschaften untereinander) von RL möglich ist Aufrechterhaltung dieses Prinzips (wie in Faccini Dori). Deshalb war in diesem Fall keine unmittelbaren Wirkung von RL möglich - aber: es besteht die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. Das nationale Recht ist im Lichte der Richtlinie auszulegen. Diese Pflicht wird unter Rückgriff auf Art. 10 EGV hergeleitet. Art. 10 EGV (Loyalitäts- und Treuegebot) verpflichtet die MS dazu, alles zu tun, um die Ziele des Vertrages zu erreichen. Von dieser Pflicht sind alle staatlichen Organe, also auch Gerichte umfasst, und daher muss das nationale Gericht die nationale Bestimmung anhand der Richtlinie ( Wortlaut und Zweck der Richtlinie ) auslegen. Der EuGH bekräftigte, dass gemäß Artikel 249 EG "ein nationales Gericht, das nationales Recht auszulegen hat - gleich, ob es sich um vor oder nach der betreffenden Richtlinie erlassene Vorschriften handelt -, seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten muss, um das mit dieser verfolgte Ziel zu erreichen". Daher darf das Gericht die nationale Bestimmung nicht so auslegen, dass die Nichtigerklärung einer Kapitalgesellschaft auch aus anderen als den in der Richtlinie genannten Gründen erfolgen darf.
83 Beschluss (Art. 288 Abs. 3 AEUV) in allen seinen Teilen verbindlich an bestimmten Adressaten Kartell- und Beihilfenaufsichtsrechts- EK
84 Empfehlung und/oder Stellungnahme (Art. 288 Abs. 5 AEUV) Nicht verbindlich rechtliche oder rechtspolitische Standpunkte Adressaten meist MS aber auch an ein anderes Gemeinschaftsorgan oder an natürliche oder juristische Personen gerichtet
85 Verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz im EU-Recht
86 Aufgaben und Befugnis des EuGH Art 220 EGV (Art. 19 EUV) : Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge Richter pro Mitgliedstaat (unterstützt durch Generalanwälte) Zusammensetzungen: Plenum Große Kammer: 13 Richter Kammer: 3 oder 5 Richter
87 1. Einführung Art. 19 EUV (Art. 220 EGV-alt) Auftrag zur Wahrung der Verfassungsordnung EuGH wacht über die Einhaltung der den Organen der Gemeinschaft u den MS aufgetragenen Kompetenzordnung Befugnis zur Rechtsfortbildung Befugnis des EuGH ergibt sich aus Art. 220 EGV und der vom EuGH angewendeten Def einer Regelungslücke im Gemeinschaftsrecht Ausschließliche Zuständigkeit, über die Einhaltung der Autonomie des Rechtssystems der Union bzw. der Gemeinschaft und der Zuständigkeitsordnung des EUV und des AEUV zu wachen (EuGH , Gutachten 1/91, EWR I, I-6079) einheitliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts
88 Art. 220 EGV Organisationsrechtliche Komponente Materiellrechtliche Komponente Art. 220 ivm Art. 4 EGV legt die Zuständigkeit des EuGH als Verfassungsorgan der EG fest Auftrag an sämtliche Organe u Institutionen der EG sowie an ihre MS zur Wahrung des Rechts
89 Zuständigkeit des EuGH Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV = Art. 234 EGV-alt) Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV = Art. 226 EGV) Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV = Art. 230 EGV) Untätigkeitsklage (Art. 265 AEUV = Art. 232 EGV) Rechtsmittel ( 2 Monatsfrist)
90 Gericht der Europäischen Union (EuG) (Art. 256 AEUV) a) Sämtliche direkten Klagen mit Ausnahme der Klage auf Vertragsverletzung (Art. 258 AEUV) b) Rechtsmittel gegen Urteile von Fachgerichten c) Entscheidungen über Sachgebiete von Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) d) Klagen auf der Grundlage von Verträgen, die von den Gemeinschaften geschlossen wurden und ausdrücklich die Zuständigkeit des Gerichts vorsehen
91 Zuständigkeitsverteilung zwischen EuGH und EuG Abhängig von Verfahrensart und Eigenschaft des Klägers Bsp: + 1. Instanz EuG: Nichtigkeitsklage eines MS gegen Beschluss der EK, EuGH 2. Instanz + 1. und letzte Instanz EuGH: Vertragsverletzungsklage der EK gegen MS oder MS gegen MS Grobe Einteilung: EuG: verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz EuGH: verfassungsrechtlichen Rechtsschutz
92 Vorabentscheidungsverfahren Art. 267 AEUV (= Art. 234 EGV-alt) a) die Auslegung der Verträge EUV und AEUV b) die Auslegung rechtsverbindlicher Handlungen der Organe oder Einrichtungen der Union c) die Gültigkeit rechtsverbindlicher Handlungen der Organe und Einrichtungen der Union. Vorlagemöglichkeit/ Vorlagepflicht Zusammenarbeit zwischen nationalen Gerichten und Gerichthof, kein subjektives Recht auf Einleitung Entscheidung mit Urteil oder mit Gründen versehenem Beschluss EuGH Rs C-314/85, Foto Frost EuGH Rs C-102/81 Nordsee EuGH Rs C-244/80, Foglia Novello II EuGH Rs C-283/81, C.I.L.F.I.T.
93 EuGH Rs 314/85, Foto Frost Auf Grundlage einer Entscheidung der Kommission wurde ein Zollbescheid gegen die Firma Foto-Frost erlassen. Die Firma focht diesen Zollbescheid, der ihr die Zahlung von Abgaben vorschrieb, vor dem zuständigen Finanzgericht an. Dieses Gericht war der Meinung, dass die Entscheidung, auf die sich der Bescheid stützt, primärrechtswidrig und daher ungültig sei. Das Finanzgericht legte dem EuGH die Frage vor, ob es selbst dazu befugt ist, eine Entscheidung für nichtig zu erklären, wenn es einen Widerspruch zum Primärrecht feststellt.
94 EuGH Rs 314/85, Foto Frost Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch EuGH um divergierende Auslegungen zu verhindern Auslegungsmonopol Frage der Rechtmäßigkeit einer nationalen Vorschrift unter Heranziehung des Maßstabes des Gemeinschaftsrechts ist nicht zulässig Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens kann nur Prüfung der Gültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsaktes sein DA ARTIKEL 230 (Ex-Art 173) DEM GERICHTSHOF DIE AUSSCHLIESSLICHE ZUSTÄNDIGKEIT FÜR DIE NICHTIGERKLÄRUNG DER HANDLUNG EINES GEMEINSCHAFTSORGANS ZUWEIST, VERLANGT DIE KOHÄRENZ DES SYSTEMS, DASS DIE BEFUGNIS ZUR FESTSTELLUNG DER UNGÜLTIGKEIT DIESER HANDLUNG, WENN SIE VOR EINEM NATIONALEN GERICHT GELTEND GEMACHT WIRD, EBENFALLS DEM GERICHTSHOF VORBEHALTEN BLEIBT
95 EuGH Rs C-102/81 Nordsee Voraussetzung für die Eigenschaft als Gericht : + Richter müssen unabhängig (= unabsetzbar und unversetzbar) und weisungsfrei sein + Zuständigkeit des Gerichtes ist gesetzlich vorgeschrieben + Gericht ist auf ständiger Basis eingerichtet + Entscheidung nach Rechtsnormen und nicht nach Billigkeit
96 EuGH Rs C-244/80, Foglia Novello II EuGh, Rs C-150/88. Eau de Cologne + vorgelegte Rechtfrage muss Gegenstand eines wirklichen Rechtsstreits sein (EuGh, Rs C- 150/88. Eau de Cologne) + Rechtsstreit darf nicht hypothetischer Natur sein (EuGH, Rs C-244/80, Foglia Novello II)
97 Rs C-283/81, C.I.L.F.I.T. Wichtige Entscheidung im Zusammenhang mit der Ausnahme der Verpflichtung eines funktional letztinstanzlichen Gerichtes zur Anrufung des Gerichtshofes: a) Rechtsfrage ist entscheidungserheblich Hypothetische, akademische, konstruierte Fragen sind zurückzuweisen (Rs Eau de Cologne, C-150/88; Rs C-244/80, Foglia Novello II) b) Gesicherte Rechtsprechung oder Präjudiz (Leitentscheidung in Zusammenhang mit dieser Rechtsfrage) c) Kein vernünftiger Zweifel an der Auslegung der streitigen Vorschrift + Autonomie des Gemeinschaftsrechts: notwendige, eigenständige Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Begriffe + Schwierigkeiten in der Auslegung, die sich aufgrund der zahlreichen Sprachfassungen ergeben, sind zu beachten
98 FÜM 1 Juni 2008 Frage 1: (6P) Worüber entscheidet der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung? (3P) Ein funktionales letztinstanzliches Gericht ist stets zur Anrufung des EuGH verpflichtet. Nennen Sie die drei Ausnahmen davon. (3P)
99 Musterlösung ad a) Der Gerichtshof entscheidet im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens über die Auslegung des Vertrages, über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft und der EZB und über die Auslegung der Satzungen der durch den Rat geschaffenen Einrichtungen, soweit diese Satzungen dies vorsehen ad b) Die Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofes in einem Vorabentscheidungsverfahren wird vor dem EuGH in der Rs. CILFIT definiert. (Aufzählung dieser)
100 Vertragsverletzungsklage Art. 258, 260 AEUV Art EGV-alt) objektiven Verletzungen des Gemeinschaftsrechts durch Organe der MS Vorverfahren- Übermittlung eines Mahnschreibens Stellungnahme durch den MS ->Absteckung des Umfangs und Grenzen des Streitgegenstandes mit Gründen versehene Stellungnahme Feststellungsklage (=Feststellung, dass MS gegen Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht verstoßen) Frist- sofortigen und einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts
101 erneuten Anrufung durch EK Verstoß = Nichtergreifung jener Maßnahmen, die sich aus dem Ersturteil ergeben Pauschalbetrags und/oder Zwangsgelds Kriterien: Schwere des Verstoßes, Dauer des Verstoßes, Wirksamkeit der Sanktion
102 FÜM 1 Oktober 2007 Beschreiben Sie den verfahrensrechtlichen Ablauf bei einer Vertragsverletzungsklage vor dem EuGH und welche Rolle die Kommission dabei spielt. Wer ist zur Klagserhebung aktivlegitimiert? Was ist die Rechtsfolge? (6 Punkte)
103 Musterlösung Ist die Kommission der Auffassung, dass ein MS gegen eine Verpflichtung aus dem Vertrag verstoßen hat, leitet sie ein Vorverfahren ein, in dem der MS die Möglichkeit hat zu den erhobenen Vorwürfen Stellung zu beziehen. (1P) Führt dies zu keinem Ergebnis, gibt die Kommission dazu eine begründete Stellungnahme ab. Kommt der Staat dieser Pflicht nicht innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist nach, (1P) kann diese den Gerichtshof anrufen. So wird der Umfang und Grenze des Streitgegenstandes für das Verfahren vor dem Gerichtshof abgesteckt. (1P) Aktivklagelegitimiert sind die Kommission und ein MS. (1P) Die Vertragsverletzungsklage ist eine Feststellungsklage. Wurde eine Vertragsverletzung festgestellt, ist der betreffende MS verpflichtete den ordnungsgemäßen Zustand herzustellen. (1P) Stellt der Gerichtshof nach einer erneuten Anrufung durch die Kommission fest, dass der betreffende MS seinem Urteil nicht nachgekommen ist, so kann er ihm die Zahlung eines Pauschalbetrages und/oder einer Zwangsgeld auferlegen. (1P)
104 Nichtigkeitsklage I Art 263 AEUV (= Art. 230 EGV-alt) Überwachung der Rechtmäßigkeit + der Gesetzgebungsakte + der Handlungen des Rates + Handlungen des Rates, der EK und der EZB, = VO, RL, Beschluss oder atypischen Rechtsakt mit Rechtswirkung gegenüber Dritten; Empfehlungen und Stellungnahmen, innerstaatliche Rechtsakte (außer wenn bei Durchführung dieses Rechtsaktes kein eigener Ermessensspielraum bleibt; wenn Ermessenspielraum: Anfechtung vor nationalen Gerichten)
105 Nichtigkeitsklage II direkte Klage ( von MS, Organen, Einzelnen) unmittelbaren objektiven Rechtskontrolle- Wahrung umfassenden Rechtsschutzes Gestaltungsklage; Anfechtungsklage, Aufhebungsklage Ziel: Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung ex tunc Selbständiger Rechtsbehelf Feststellung bestehender Rechtsverhältnisse oder Schadenersatz Frist ( 2 Monate)
106 Klageerhebungsgründe Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften Verletzung dieses Vertrags oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder Ermessensmissbrauch
107 Aktivlegitimation zur Erhebung der Nichtigkeitsklage privilegierte Kläger semi-privilegierte Kläger nicht privilegierte Kläger MS Europ. Parlament Rat der EG Kommission natürliche und juristische Personen
108 Nicht privilegierte Kläger die an sie gerichteten (Adressat) oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie [ ] Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen unmittelbar betroffen : MS verfügt über keinen Ermessensspielraum in der Umsetzung eines Raktes der EG individueller Betroffenheit : wenn die Entscheidung (neu: Beschluss) Kläger wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten (EuGH Rs C-25/62, Plaumann)
109 Unmittelbare und individuelle Betroffenheit als Adressat unproblematisch als Dritter Plaumann- Formel
110 Beispiel (4P) Der Mitgliedstaat der EU, Rohndor, gewährt dem Tabakunternehmen Vikingatabakk eine gemeinschaftswidrige staatliche Beihilfe. Kurz danach stellt die Europäische Kommission Rohndor die Entscheidung zu, in der die Rückforderung der rechtswidrigen staatlichen Beihilfe angeordnet wird. Mit welcher Klage und unter welchen Voraussetzungen kann das Unternehmen Vikingatabakk gegen diese Entscheidung vorgehen?
111 Mit der Nichtigkeitsklage nach Art 230 EGV kann nur gegen Maßnahmen von Gemeinschaftsorganen, die Rechtswirkungen erzeugen vorgegangen werden. (1P) Somit können mit diesem Rechtsbehelf Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen, nicht aber Empfehlungen und Stellungnahmen für nichtig erklärt werden. Weiters kann eine Feststellung bestehender Rechtsverhältnisse oder Schadenersatz mit dem Rechtsbehelf der Nichtigkeitsklage nicht begehrt werden. (1P) ex tunc (1P) Nicht privilegierter Kläger: Adressat der Entscheidung (1P)
112 Untätigkeitsklage Art. 265 AEUV (= Art. 232 EGV-alt) Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untätigkeit eines Gemeinschaftsorgans Aufforderung zum Tätigwerden Passivlegitimiert: EP, EK, Rat, Europäischer Rat, EZB Aktivlegitimiert: MS und andere Organe der Union, natürliche und juristische Person sofern das Organ der Gemeinschaft es unterlassen hat, einen anderen Akt als eine Empfehlung oder Stellungnahme an sie zu richten Feststellungsurteil Aufforderung Untätigkeit durch geeignete Maßnahmen zu beenden Frist: binnen 2 Monaten nach Aufforderung keine Stellungnahme, weitere Frist von 2 Monaten zur Klageerhebung
113 FÜM 1 November 2008 Frage 5: (6P) Seit Monaten ist ein wichtiger Beschluss im Europäischen Parlament nicht gefällt worden. Am wird das Europäische Parlament aufgefordert seiner Verpflichtung nachzukommen. Als dieses Anfang Dezember noch immer nicht Stellung bezogen hat, schreibt die österreichische Presse am empört: Forderung nach einem harten Vorgehen! Österreich wird das Parlament jetzt sofort verklagen! Welche Klage meint die österreichische Presse? Erklären Sie genau!(2p) Unter welcher Voraussetzung kann diese Klage erhoben werden? Was soll mit ihr untersucht werden und was ist die Rechtsfolge?(4P)
114 Musterlösung a) Welche Klage meint die österreichische Presse? Erklären Sie genau!(2p) Die österreichische Presse meint die Untätigkeitsklage (1P) Art. 265 AEUV (= Art. 232 EGV-alt) Wenn es das EP, der Rat oder die Kommission unter Verletzung dieses Vertrages unterlässt, einen Beschluss zu fassen, so können die MS und die anderen Organe der Gemeinschaft beim Gerichtshof Klage auf Feststellung dieser Vertragsverletzung erheben. (1P) b) Unter welcher Voraussetzung kann diese Klage erhoben werden? Was soll mit ihr untersucht werden und was ist die Rechtsfolge?(4P) Klage kann erst erhoben werden, wenn das Organ zur Stellungnahme aufgefordert wurde. (1P) Hat es binnen 2 Monaten nach dieser Aufforderung nicht Stellung genommen, so kann die Klage innerhalb einer weitern Frist von 2 Monaten erhoben werden.(1p) Damit soll die Rechtmäßigkeit der Untätigkeit eines Gemeinschaftsorgans untersucht werden. (1P) Wird festgestellt, dass die Unterlassung rechtswidrig war, obliegt es dem betroffenen Organ, die Untätigkeit durch geeignete Maßnahmen zu beenden. (1P)
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