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- Lioba Brodbeck
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2 Moderation Steht die Historische Forschung in Deutschland vor einer neuen Zeit? Wird sie sich künftig nur noch auf die Neue Zeit orientieren? Die Parole von der Schlagwort-Wissenschaft macht bereits die Runde, weil etablierte Forschungsinstitute, die sich in langfristigen Projekten der fernen Vergangenheit widmen konnten, vor großen Veränderungen stehen. So beschloss der Kabinett der Bayerischen Landesregierung kürzlich, die Förderung für das Historische Kolleg in München einzustellen. Und morgen, (Freitag, den 24.3.) wird der Senat der Max-Planck- Gesellschaft beschließen, das Forschungsinstitut für Geschichte in Göttingen einzustellen. Matthias Hennies hat sich umgehört, wie Historiker diese wissenschaftspolitischen Trends einschätzen. 2
3 Klein, aber fein ist das Historische Kolleg in München. In einer Villa im Herzen der Stadt beheimatet, gleich neben der Staatsbibliothek und der Ludwig-Maximilians-Universität, bietet es 4 Forschern ein Jahr lang eine Oase der Ruhe: Drei profilierte Historiker und ein Nachwuchs-Wissenschaftler erhalten dort jedes Jahr ein Stipendium. Jenseits der alltäglichen Belastung an ihrer Hochschule durch Lehraufträge, akademische Selbstverwaltung und Drittmittelprojekte können sie sich am Historischen Kolleg einem langfristigen Forschungsprojekt widmen. OT Funke 1 Es bildet quasi ein Refugium, ein zeitlich begrenztes Refugium für Geschichtswissenschaftler und auch benachbarte Disziplinen, um einmal in Ruhe, das, wie wir sagen, Opus Magnum, das große Werk zu schreiben. Dazu finden Wissenschaftler sonst kaum noch Gelegenheit, erläutert der Althistoriker Peter Funke, Vorsitzender des Deutschen Historikerverbandes. Doch nun hat das Kabinett der bayerischen Landesregierung beschlossen, die Förderung für das Historische Kolleg Ende des Jahres 2006 einzustellen. Es habe, so wurde kritisiert, zu wenig Output produziert. Historiker bewerten das anders. Professor Dieter Schieffer, Leiter der Forschungsstelle Monumenta Germaniae Historica in München: OT Schieffer 041 Das Kolleg läuft jetzt schon seit 25 Jahren, es sind eine Fülle von wichtigen Büchern in diesem Zusammenhang erschienen, manche mehr mit fachinterner Wirkung wie zum Beispiel ein bedeutendes Werk über Buchmalerie und Handschriftenproduktion in ottonisch-salischer Zeit, andere mit großer öffentlicher Wirkung wie Röhls Biografie Wilhelms des Zweiten, die ja weit über Fachkreise hinaus zu einem Bestseller geworden ist. Das Institut wird bisher in einer Public-Private-Partnerschaft finanziert: Rund Euro und das Nutzungsrecht für die Villa kommen vom bayerischen Staat, etwa die gleiche Summe von Sponsoren. In diesem Modell ist die private Unterstützung aber an die staatliche Förderung gebunden dass nun das gesamte Institut infrage gestellt wird, ist für Professor Schieffer unverständlich. OT Schieffer 094 Im Hinblick auf diese Summe ist das kein Posten, der wirklich für die Stabilisierung des bayerischen Staatshaushalts von Wichtigkeit ist. Ich glaube jetzt schon ist die negative öffentliche Wirkung in Bayern und über Bayern hinaus für die hiesige Wissenschaftspolitik viel größer als der Gewinn, den man durch die Einsparung von Euro überhaupt erhoffen kann. Das letzte Wort ist offenbar noch nicht gesprochen. Nach eigener Aussage hat das Kolleg inzwischen die mündliche Zusage des Wissenschaftsministers Goppel erhalten, dass Bayern das kommende Kollegjahr, also bis zum Sommer 2007, finanzieren wird. Was danach geschieht, ist jedoch offen. Langfristige historische Forschung, jenseits des alltäglichen Hochschulbetriebes, könnte künftig schwieriger werden. Der Senat der Max-Planck-Gesellschaft, einer der wichtigsten deutschen Forschungsorganisationen, wird morgen entscheiden, dass das Max-Planck-Institut für 3
4 Geschichte in Göttingen Ende 2007 geschlossen wird. Ein Institut mit einer anderen Forschungaufgabe soll an seine Stelle treten. Der neue Name und die präzise Zielsetzung sind noch in Planung, klar ist jedoch schon: Es wird um Konflikte in multi-kulturellen und multireligiöse Gesellschaften der Gegenwart und Vergangenheit gehen. Die historische Forschung wird dann nur noch ein Teilbereich sein, bedauert Professor Funke, der Vorsitzende des Historikerverbandes - räumt aber ein: OT Funke 5 Auf der anderen Seite verweist die Max-Planck-Gesellschaft natürlich stets darauf, dass, wenn ein Direktorenwechsel anstand, wie es jetzt der Fall war, dass man dann durchaus über eine thematische Neuausrichtung nachzudenken habe. Und das ist auch gut so, denn das verhindert auch Erstarrungen im Wissenschaftsbetrieb. In der deutschen Wissenschaftslandschaft ist gerade die Max-Planck-Gesellschaft für Grundlagenforschung zuständig. Die neue Themenstellung des Göttinger Instituts orientiert sich aber am heutigen gesellschaftlichen Wandel in der Bundesrepublik. Diesen Trend zum Aktuellen beobachtet der Münchener Historiker Schieffer in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern schon seit längerem. Es ist eine Reaktion auf die steigende Abhängigkeit von Drittmitteln: OT Schieffer 202 Die Verteilungskämpfe um öffentliche, aber auch private Mittel zur Förderung der Wissenschaft werden immer härter einerseits weil der Staat nicht mehr Geld als früher, mancherorts auch weniger Geld als früher aufbringen kann, aber auch weil die Wissenschaften insgesamt sich immer weiter differenziert haben und die Ansprüche, die Bedürfnisse an Geldgeber von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gewachsen sind. So dass relativ traditionelle Wissenschaften wie die Geschichte, die ja auch schon im 19. Jahrhundert öffentliche Förderung genossen hat, heute viel mehr Konkurrenten, viel mehr Mitbewerber um begrenzte Mittel haben. Vor diesem Hintergrund wächst die Neigung, ein Fach wie das unsere strenger als in der Vergangenheit danach zu befragen, was seine Forschungen eigentlich nützen unmittelbar nützen, heutzutage nützen. Dass sich die Max-Planck-Gesellschaft stärker an aktuellen Debatten, an der schnellen Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen orientiere, weist Wolfgang Streeck, Leiter der zuständigen Sektion, vehement zurück. Auch langfristige Projekte ohne direkten Bezug zur Gegenwart, betont er, sollen künftig in Göttingen bearbeitet werden. Besonders deutlich wird der Zug zum Verwertbaren im Förderprogramm des Bundesbildungsministeriums Geisteswissenschaften im Dialog. Rahmenthemen wie Soziale und kulturelle Bestimmungen Europas und des Europäischen oder Der Wandel der Menschenbilder unter dem Einfluss der Informationstechnologie und moderner Naturwissenschaft sind für viele Fachwissenschaftler zwiespältig. Einerseits bieten sie dem Fach eine Chance, in der Öffentlichkeit mehr Beachtung zu finden. OT Schieffer 287 Natürlich ist es eine Aufgabe der Historiker, diese Fragen, die sich immer wieder neu ergeben aus den gesellschaftlichen Wandlungen, aufzugreifen. Nehmen Sie nur das Problem der Erweiterung Europas und die Frage welche kulturellen Dimensionen das jeweils hat, das ist eine 4
5 zutiefst historische Frage und es wäre töricht, wenn die Historiker sagten, das ist uns zu aktuell, dazu wollen wir uns nicht weiter äußern. Kurzfristige Fragestellungen decken andererseits nur einen Teil der historischen Forschungsaufgaben ab. Dieter Schieffer, der im Institut Monumenta Germaniae Historica die unabsehbaren Quellenbestände aus Neuzeit und Mittelalter aufarbeitet, erinnert daran, dass Historiker andere zeitliche Dimensionen überblicken müssen. OT Schieffer 244 Die Geschichtswissenschaft muss gegenüber dem Drang nach Aktualisierung ihrer Themen und einer immer kurzatmigeren Darbeitung von historischen Erkenntnissen darauf bestehen, dass sie auch selbstbestimmt sich Forschungsziele setzt, die ihrer Natur nach nicht in 2- und 3-Jahresprojekten, sondern nur in Jahrzehnten zu realisieren sind. 5
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