KidNET, Narrative Expositionstherapie für Kinder und Jugendliche mit Traumafolgestörungen. Prof. Frank Neuner
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1 KidNET, Narrative Expositionstherapie für Kinder und Jugendliche mit Traumafolgestörungen Prof. Frank Neuner
2 Kinder von Flüchtlingen in Deutschland und Italien Kinder in Kabul Kinder in Sri Lanka Ehemalige Kindersoldaten in Uganda Witwen und Genozidüberlebende in Ruanda Kämpfer in Somailand HIV-AIDS Waisen in Äthiopien
3 Kindersoldaten in Uganda Ertl et al., subm. exposed to combat or a war-zone witnessed abduction wittnessed physical assault witnessed assault with weapon witnessed someone being threatened to be killed life-threatening illness or injury of close person experienced assault with weapon threatended to be killed experienced fire or explosion seen people being mutilated or dead bodies witnessed sudden violent death witnessed accident experienced physical assault experienced life-threatening illness or injury sudden unexpected death of close person experienced accident witnessed sexual assault experienced natural disaster witnessed someone being forced to eat human flesh exposed to toxic substance forced to eat human flesh experienced sexual assault forced to abandon child given birth to a child during captivity witnessed family members hitting family members that marks were left hit by parents/ caretaker in a way that marks were left on body witnessed family members burn family members on purpose burned by parents/ caretaker on purpose forced to attack a settlement forced to abduct children/ adults forced to beat, injure or mutilate someone forced to kill someone forced to skin, chop, or cook dead bodies forced to sexually assault/ violate someone former child soldiers (n = 474) females males
4 Patientin Igballe K. Damals 11 jährige Schülerin (albanisch) aus dem Kosovo älteste von vier Geschwistern Eltern Landwirte aus der Umgebung von Pristina 1999 während des Kosovokrieges Flucht nach Mazedonien, von dort aus weiter nach Deutschland
5 Igballes traumatische Erlebnisse Sexuelle Belästigung durch serbische Soldaten bei Hausdurchsuchung Miterleben von Kampfhandlungen zwischen UCK und Armee Beobachten von Gräueltaten: Tante wird geköpft Versteck auf der Flucht, Nahrungsknappheit Bedrohung durch paramilitärische Einheiten während der Flucht Anhaltende Vernachlässigung und Überforderung durch Eltern
6 Somatische Probleme Kopf- und Gesichtsschmerzen Schmerzen in der Bauch- und Magengegend Atemnot Schwindelgefühle Somatische Beschwerden (zum Zeitpunkt des Erstgesprächs)
7 Diagnosen (nach DSM-IV) Chronische Posttraumatische Belastungsstörung (DSM-IV ) Major Depression, Einzelne Episode mit moderater Ausprägung (DSM-IV:296.22) Hohe Suizidalität
8 Trauma & Gedächtnis
9 Sensorisch-perzeptuelles Netzwerk (P.Lang,1994) HOT sensorisch kognitiv emotional physiologisch Blaues Fahrrad Ich kann es! Freude Schnelle Atmung Sich bewegende Landschaft Ist das schnell! Angst Herzschlag Wind im Haar Aufregung COLD Zu der Zeit ging ich in den Kindergarten Ich lebte in meiner Geburtsstadt Kurz vorher hatten wir zu Mittag gegessen
10 Gehirn unter Bedrohung Arnsten et al., Nat Rev Neurosci 2009
11 Verteidigungsreaktion auf körperliche Bedrohung Fright Tonische Immobilität Flight Fight Entrapment Flag Freeze Faint Schauer et al, 2011, J Psychol
12 HOT Anblick des Soldaten Wir werden alle sterben! Angst Schnelle Atmung Schweißgeruch Ich kann nichts tun! Scham Entsetzen Zittern Uniformen Messer Warum hilft mir keiner? Verzweiflung Schuld Herzrasen Schwitzen COLD Es geschah im Kosovo 1999 Wir waren auf der Flucht Es war am frühen Morgen
13 Gedächtnisleistung Stress und Gedächtnisleistung Amygdala Hippocampus 25 0 Stresslevel
14 neurotoxity structural changes stress duration Effekte von Bedrohung auf Hippocampus transient permanent morphological changes (dendrite branching etc.) synaptic plasticity (e.g.. LTP, LTD) motivation arousal emotion low moderate high extreme extreme/chronic traumatic stress stress level
15 Post-traumatische Belastungsstörung (PTBS) Wiedererleben Vermeidung Emotionale und Kognitive Veränderungen Übererregung Reaktivität
16 Diagnostische Besonderheiten bei Kindern Intrusionen: Intrusionen im Verhalten Traumaassoziation weniger deutlich Passive Vermeidung: Bei jungen Kindern wird vermindertes Interesse oft als Beschränkung im Spiel beobachtet Zusätzlich möglich: Verlust von bereits erworbenen Fähigkeiten (Sprache, Kontinenz) Neue Ängste (Trennungsangst, Angst vor Dunkelheit) Externalisierendes Verhalten (Aggressionen) ADHS-ähnliche Auffälligkeiten (Unruhe, Konzentrationsprobleme)
17 PTBS bei Überlebenden organisierter Gewalt Population N PTBS Sudan % Uganda % Sudanesische Flüchtlinge in Uganda % Ruandesische Flüchtlinge in Uganda % Somali Flüchtlinge in Uganda % Tamilische Kinder in Sri Lanka % Kinder in Sri Lanka nach dem Tsunami % Afghanische Kinder in Kabul % Asylbewerber in Deutschland 40 40% Kinder von Asylbewerbern in Germany %
18 Dosis-Effekt von traumatischem Stress Durch Krieg und Tsunami traumatisierte Schulkinder in Sri Lanka (Catani et al., 2008, BMC Psychiatry)
19 Multiple Traumatisierung Der Tag, an dem die große Welle kam... Mary (12 Jahre alt) aus Point Pedro, Sri Lanka...
20 Schreie der Mutter Es tut weh! Schuld Wasser Geräusch der Welle Kampfflugzeug Tempel Blut Ich kann nichts tun! Puppe der Schwester Warum hilft uns keiner? Ich werde sterben! Wo soll ich hinlaufen? Verzweiflung Entsetzen Wut Angst Herzrasen Schnelle Atmung Kopfschmerzen taube Beine Zittern Schwitzen Scham Angst Alkoholatem Warum tut er das? Stock Schwitzen Herzschlag Gebückte Haltung Wird es aufhören?
21 Anforderungen an eine Therapie für den Einsatz im Feld kurze Dauer einfach zu erlernen in verschiedenen Kulturen einsetzbar Berücksichtigung des sozialen und politischen Kontexts Wissenschaftliche Evidenz
22 Traumatherapie bei Kindern Arbeit mit Eltern Arbeit mit Kind Alter
23 Mean of internalizing behavior problems Trauma und Fürsorge der Eltern *** 7 6 * n.s. *** Low parental care High parental care * n.s. n.s. 2 No exposure to war and tsunami (N=204) Exposure either to war or tsunami (N=102) Exposure to war and tsunami (N=44) Srikandarajah, Neuner & Catani, 2015.
24 Implikationen für die Behandlung von PTBS Patienten Mechanismen 1) Rekonstruktion des Autobiographischen Kontext und Verknüpfung mit heißem Gedächtnis 2) Erfordert Aktivierung des heißen Gedächtnisses und Narration der Erfahrung 3) Erlaubt Inhibierung des Bedrohungsnetzes
25 KidNET - das Prozedere
26 Narrative Expositionstherapie (KidNET) (Schauer, M., Neuner, F. & Elbert, T. Hogrefe 2011) Psychoedukation mit Kind und ggf. Bezugsperson Dokumentation der Biographie Fokus auf Menschenrechte
27 KidNET Das Vorgehen 0. Sitzung: Diagnostisches Interview 1. Sitzung: Psychoedukation mit Bezugsperson und Kind 2. Sitzung: Lifeline, Zeichnung der Lifeline
28 Lifeline der Therapiebeginn Seil als Symbol für das Leben Blumen Steine als Symbole für schöne/glückliche/positive Lebensereignisse als Symbole für schlechte/ angstvolle/ traurige Lebensereignisse
29 3.-9. Sitzung Vorlesen der vorläufigen Narration Einfügen von mehr Details Fortsetzung der Narration Verlangsamung des Tempos bei Steinen / Hot spots 10. Sitzung (oder jede andere letzte Sitzung) Zukunftsblumen für Hoffnungen und Wünsche Letztmaliges Vorlesen und Einfügen letzter Korrekturen Unterschreiben und Übergeben der Narration [Sitzungsdauer: ca. 90 min]
30 Der Umgang mit Steinen Erkennen, dass man sich einem Stein nähert Tempo verlangsamen Heiße und kalte Gedächtnisinhalte miteinander verbinden: Kontextualisierung der Erinnerung
31 Igballes Geschichte Wir waren im Zug nach Mazedonien, der Zug war überfüllt, es war heiß, es stank nach Schweiß und Urin. Wir fuhren durch serbische kontrolliertes Gebiet. Wir sahen überall Jugoslawische Soldaten und Panzer
32 Verbindung von hot und cold memory Cold memory Hot memory Zeit: Wann ist es passiert? Sinne: Gedanken: hören, sehen, schmecken, riechen, fühlen Ich werde sterben! Ort: Wo ist es passiert? Wer/was war da? Ereignis: Was ist passiert? Chronologie: Was passierte danach? Gefühle: Verhalten: Angst, Verzweiflung, Wut schreien, rennen Verbale Reaktion: Bitte nicht! Physiologische Reaktion: Herzschlag, Anspannung, Schwitzen
33 Der Umgang mit Steinen Streng chronologisches Vorgehen in Zeitlupe Verstehen der Geschichte als zentrales Ziel Anhaltende Verknüpfung von kaltem und heißem Gedächtnis Verbalisieren von Gefühlen und Körperempfindungen Ende der Sitzung erst, wenn ein sicherer Punkt in der Narration erreicht wurde
34 Kreative Werkzeuge Das Trauma zeichnen Der Körper erinnert sich
35 NET Empirische Evidenz
36 Change in Depression Score (MINI) Change in Suicide Risk Score (MINI) Change in PTSD Score (CAPS) Change in Impaired Functioning (CAPS) Change in Guilt Score (CAPS) NET bei ehem. Kindersoldaten AC NET WL Treatment AC NET WL Treatment AC NET WL Treatment AC NET WL Depressive Episode at Baseline within Treatment AC NET WL Suicide Risk at Baseline within Treatment Ertl et al. (2011), JAMA
37 NET: Evidenz NET funktioniert mit Kindern von 7 bis 16 (Ruf et al, 2010, Catani et al, 2009), mit Jugendlichen (Schaal et al. 2009, Ertl et al.2011) und mit Senioren von etwa 75 (Bichescu et al., 2007) NET bewirkt eine klinisch bedeutsame Reduktion der PTSD sogar in unsicheren Bedingungen NET funktioniert mit Asylbewerbern (Stenmark et al 2013, Neuner et al, 2010) NET hat wenig Thearpieabbrecher NET ist im Feld besser als Beratung (Neuner et al. 2004, Ertl et al., 2011) und kurzzeit IPT (Schaal et al, 2009) und Symptomorientierte Behandlung (Hensel-Dittmann, 2011) NET kann auch von Laien effektiv durchgeführt werden (Neuner et al., 2008, Catani et al., 2010, Ertl et al., 2011, Jacob et al., 2015) Robjant & Fazel (2011), Clin Psy Rev
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